1. Central – Asien von E. F. Broadbent Seite 1
2. Turkestan von F. Bartsch 2
3. Zwei Briefe aus Turkestan von R. Bohn 8
4. Ein Brief aus Chiwa v. Kliewer Cornelius 15
5. Kurze Mitteilungen v. J. Warns
6. Gabenhilfe
Kurze Mitteilungen
Als Br. Broatbend auf seiner Rückreise von Turkestan nach England einen Besuch in unsrer Bibelschule in Berlin machte und uns erzählte von dem großen Arbeitsfeld in Zentralasien und den günstigen Gelegenheiten, dort eine Arbeit unter den mohammedanischen Völkern zu beginnen, standen wir alle, Lehrer und Schüler, unter dem Eindruck, daß der Herr nicht ohne Absicht gerade uns diese Sache aufs Herz legen wolle. Wir haben seitdem nicht aufgehört, jenen Ländern unser besonders Interesse zuzuwenden. Mehrere unserer Brüder fühlten deutlich den Ruf nach Zentralasien und stellten sich dem Herrn zur Verfügung. Und wunderbar leitete der Herr Schritt für Schritt weiter.
Jetzt sind bereits drei dieser Brüder draußen und haben im Vertrauen auf die Hilfe des Herrn die Arbeit aufgenommen. Andere bereiten sich noch vor, um im Herbst dieses Jahres zu folgen. Wunderbar sind die Führungen des Herrn überhaupt gewesen mit unsern deutschen Geschwistern, deren vor vielen Jahren erfolgte Übersiedlung nach Chiwa und Aulie-Ata, die Türen geöffnet hat für die Arbeit unter ihrer fremdsprachigen Umgebung. Damals sind sie unter den denkbar größten Schwierigkeiten ausgewandert. Wie sie es fertig brachten, ihr Ziel zu erreichen, und ihre Erlebnisse unterwegs wird ein besonderer Artikel in nächster Nummer schildern.
Heute ist die Reise nach Zentralasien sehr vereinfacht. Ist doch jetzt dieses früher so schwer erreichbare und fast unbekannte Land durch die von den Russen erbaute über 2000 Kilometer lange Transkaspische Eisenbahn aufgeschlossen, so daß jetzt von Krasnowodsk am Ostufer des Kaspischen Meeres aus über Merw und Samarkand die alte Handelsstadt Taschkent bequem zu erreichen ist. Die andere bequeme Verbindung nach Europa vermittelt die Eisenbahn Taschkent – Orenburg. Eine Zweiglinie fährt sogar noch weiter östlich über Khokand nach Andischan und Kuwa.
Dort in jenen Gebirgslandschaften, die durch die Höhen des Tientschan von dem chinesischen Turkestan (mit den Städten Kaschgar und Jarkent) getrennt sind, gibt es seit noch nicht dreißig Jahren einige deutsche Ansiedlungen. Unsere deutschen Brüder wohnen dort inmitten einer mohammedanischen Bevölkerung von Usbeken, Turkmanen, Sarten und Kirgisen. Es ist eine herrliche Gegend östlich von Taschkent. Die deutschen Dörfer liegen in einer Ebene, die aber schon über 4000 Fuß über dem Meere hoch ist, viel höher sind die zahlreichen schneebedeckten Bergriesen, die jene Ebene umringen. Blühende Felder, Gärten, wohlerzogene Obstbäume sind ein Beweis für den Fleiß der Ansiedler in diesen wohlbewässerten Alpengegenden. Weiter im Gebirge wohnen die Kirgisen. Sie sind Nomaden, dienen aber gern den deutschen Landleuten.
Warum hat der Herr nun diese deutschen Geschwister mitten unter die Mohammedaner Zentralasiens gestellt? Ohne Zweifel, weil Er dort etwas vorhat für das große Volk, das inmitten einer herrlichen Umgebung im Finstern wandelt.
Hier ist eine besondere Gelegenheit gegeben, um ein Missionswerk unter den Mohammedanern zu beginnen.
Hier braucht nicht ein einzelner Missionar in einem ihm völlig unbekannten Lande erst mit Mühe und Not Sitten und Sprache erlernen usw., sondern die Pionierarbeit ist bereits getan durch die dortigen Mennoniten. Sie besitzen das Vertrauen der Bevölkerung, kennen ihre Gebräuche und ihren Charakter und stehen in lebhaftem Verkehr mit ihnen. Unter ihnen sind manche wirklich Gläubige, die das brennende Verlangen haben, etwas zu tun, und die der Ankunft einiger Missionsarbeiter freudig entgegensehen, entschlossen, ihnen nach Kräften in jeder Beziehung zu helfen. Daß gerade fremde frische Kräfte von außen zu dem dortigen Missionswerk, das jetzt begonnen werden soll, nötig sind, hat verschiedene Gründe. Unsere Brüder dort sehnen sich auch selbst nach frischen Hilfskräften und besonders nach solchen Brüdern, die keiner ihrer Parteien angehören, sondern unberührt von den leider unter ihnen vordem vorhandenen Richtungen ein gesundes, biblisch gerichtetes Missionswerk beginnen möchten.
Aus diesem Grunde kam im Namen der Brüder aus Asien Br.Penner persönlich nach Deutschland, um einen oder mehrere Brüder abzuholen. Zwar mußte er seinen Heimweg allein antreten, aber einige Monate später durften die ersten drei Brüder abreisen, begleitet von den Gebeten der Geschwister in der alten Heimat und denen im neuen Vaterland im herzens Asiens.
Werfen wir noch einmal einen Blick auf jenes gewaltige Gebiet, größer als Deutschland.
Da ist Taschkent mit etwa 160 000 Einwohnern, berühmt durch seine Seiden- und Baumwollwebereien an der uralten Handelsstraße nach Mittel- und Südasien.
Hier kann die Arbeit sofort begonnen werden. Die Stadt ist der Mittelpunkt der sartischen Nation, ein nicht mongolisches, sondern indo – eropäisches Volk, mit entwickelter Kultur.
In dieser Stadt besteht bereits eine lebendige russische Gemeinschaft, bis jetzt geleitet von einem Unteroffizier. Dort wäre Arbeit für einen russischen Bruder. Auch einige gläubige Deutsche wohnen dort. Dort könnte ein Bruder beginnen und die sartische Sprache erlernen.
Samarkand – um das Jahr 1400, die alte Hauptstadt des gewaltigen von Timur gegründeten Mongolenreiches, wovon noch zahlreiche prächtige Ruinen zeugen, hat jetzt etwa 60 000 Einwohner.
Zahlreiche größere und kleinere Städte und Dörfer könnten von diesen Städten aus erreicht werden.
Ein anderer Anknüpfungspunkt ist in Chiwa, die Hauptstadt des gleichnamigen unter russischen stehenden Fürstentums. Der Fürst oder Chan ist den Deutschen sehr gewogen und hat manche Beweise dafür gegeben. Etwa 30 Mennonitenfamilien in seinen Gärten haben sein volles Vertrauen gewonnen. Dort wird die deutsche Schule jetzt von unserem Bruder Kornelius Kliewer bedient. Br. Kliewer hat auf diese Weise die beste Gelegenheit, Land und Leute, Sitte und Sprache kennen zu lernen.
Auch in dem Fürstentum (oder Emirat) Buchara, das wie Chiwa von Rußland abhängig ist, wäre eine Missionsarbeit sehr norwendig und wichtig. Ist doch Buchara mit seinen über 70000 Einwohnern eine aufblühende Stadt, die den Handel zwischen Indien und Europa vermittelt, durch hochentwickelte Gewerbe bekannt und besonders aucu als Sitz mohammedanischer Gelehrsamkeit berühmt ist. Hier werden nicht weniger als 10 000 Schüler von 1000 Lehrern in der Lehre Mohammeds unterrichtet.
Im Nordosten von Russisch – Turkestan in Nikolaipol, Post Aulie – ata, haben die Brüder Bohn und Thielmann die Arbeit aufgenommen, eifrig unterstützt von den dortigen Geschwistern. So konnte auf zwei Stellen gleichzeitig das Werk begonnen werden.
Vor einigen Jahren war es noch unmöglich, diese Länder zu besuchen. Jetzt sind sie geöffnet. Werden die Jünger des Herrn ihre Arbeit erkennen, die sie auch diesen Millionen unsterblichen Menschenseelen gegenüber haben?
Es ist Zeit, daß das Evangelium auch den tatarischen Reiterstämmen, den Usbeken und Turkemanen (Turkmenen – E.K.), den Sarten und Kirgisen gebracht werde. Diese Völker selbst heißen die Fremden jetzt willkommen und schenken den Deutschen das meiste Vertrauen. Sollten nich die Gläubigen Deutschalnds mit Freuden diesem Winke folgen und die Evangelisation jener Nationen fürbittend und mit helfend aufs Herz nehmen?
Der Herr gebe es und wolle auch diese Blätter dazu mitwirken lassen!
Joh. Warns.
Central – Asien
Östlich vom Ural – Gebirge und vom Kaspischen Meere liegt das große Land Turkestan, welches durch die chinesische Grenze in zwei Teile geteilt wird, das russische Turkestan und das chinesische Turkestan.
Bis vor verhältnismäßig kurzer Zeit waren diese weiten, ausgedehnten Gegenden wenig bekannt, jetzt aber wird der Schleier, der sie Jahrhunderte lang verhüllte, abgezogen.
Die Einwohner, Tartaren (Tataren – E.K.), mohammedanischen Glaubens, sind nicht mehr imstande, wie früher, Fremden den Eintritt in ihr Land zu verwehren, und die großen Wüsten, welche zwischen Europa und den fruchtbaren Teilen Mittelasiens liegen, bieten nicht mehr die ehemaligen Schwierigkeiten. Die tartarischen (tatarischen – E.K.) Stationen westlich von Chiwa sind in das russische Reich einverleibt worden. Zwei lange Eisenbahnlinien überschreiten die Wüsten Kisil – Kum und Karakum, die Gegenden nördlich und südlich des Aralsees und kommen in Taschkent zusammen.
Taschkent kann man von Berlin aus jetzt in acht Tagen erreichen.
Ein Strom von russischen Ansiedlern fließt in das alte Land, welches für sie so neu ist. In Gegenden, wo noch die Gebräuche aus der Zeit Abrahams üblich sind, dringen die modernsten landwirtschaftlichen Maschinen und Geschäftsmethoden ein.
Central – Asien gehört zu den größten Teilen der Welt, welche bis jetzt ohne das Evangelium geblieben sind.
Jetzt, obwohl so spät, kommt wieder der Ruf zur Gemeinde des Herrn, diesen Stationen das Wort des Heiles zu bringen.
Durch die neuen Verhältnisse sind einige Zeugen Jesu in das Land gekommen.
Hier und da sind gläubige, russische Beamten und Soldaten, armenische Kaufleute, deutsche Kolonisten und andere zu treffen. Seit einigen Monaten sind nun, dem deutlichen Rufe des Herrn folgend, einige Brüder hinausgezogen nach Zentral – Asien, um dort als Seine Zeugen wirksam zu sein. Der Zweck dieses Blattes ist, womöglich diese Brüder in Berührung mit gläubigen Kreisen in Rußland, Deutschland und der Schweiz zu bringen. Es sollen Briefe aus Turkestan veröffentlicht werden und kurze Nachrichten über Land und Leute gegeben werden. Auch sind wir gerne bereit, Gaben zur Unterstützung der dortigen Geschwister in Empfang zu nehmen, wenn die Leser dieser Blätter auf diese Weise dem Herrn in jenen entfernten Ländern dienen möchten. Wer lieber seine Gaben direkt senden möchte, kann mit den Geschwistern persönlich in Verbindung treten.
Wir hoffen aber vor allem, daß sich durch diese Blätter manche Gläubige zu treuer Fürbitte für dieses vielverheißende Werk bestimmen lassen.
Gewiß werden viele sich freuen zu hören, daß endliche einige Boten des Herrn in jenem lang verschlossennen und lang vernachlässigten Lande Eingang gefunden haben.
Die Herausgeber dieses Blattes sind nicht als ein Missions – Komitee anzusehen, sondern möchten nur den Geschwistern im fernen Osten den brüderlichen Freundesdienst leisten, um die Gemeinschaft des Glaubens, der Liebe und des Gebetes zu erleichtern zwischen den Gemeinden der Gläubigen im Westen und den Trägern des Lebenswortes im Osten.
E. H. Broadbent.
Turkestan
Von F. Bartsch, Lehrer in Lysanderhöh (Rußland), früher Bibelkolporteur in Turkestan.
Turkestan, ein Teil Mittelasiens und in politischer Hinsicht Rußlands, liegt um den 40. Grad nördlicher Breite und hat ein ziemlich kontinentales Klima. Da es von mehreren Parallelketten des Tianschangebirges, in der Richtung von Ost nach West durchzogen wird, so haben die südlich von diesen Bergketten, deren Kamm die Schneegrenze überschreitet, liegenden Täler sehr gelinde Winter, dabei aber recht heiße Sommer. Die Gegenden, welche von den verschiedenen Flüssen und Flüßchen aus bewässert werden können, sind äußerst fruchtbar und ziemlich dicht bevölkert, alle andern Gegenden sind öde Steppen oder Sandwüsten. Die einheimische Bevölkerung besteht aus Mohammedanern, und zwar in den fruchtbaren Tälern aus ansässigen oder Sarten, in den Steppen aus Nomaden. Die Sarten zerfallen in zwei der Abstammung und Sprache nach von einander verschiedene Stämme, Usbeken, türkischen und Tadschiks persischen Stammes. Auch die Nomaden sind nicht alle ein Volksstamm, obgleich sie von vielen dafür gehalten werden. Man hat zu unterscheiden Kirgis – Kaißaken, Kara – Kirgisen (kara - schwarz) oder Gebirgskirgisen, und dann ebenfalls Usbeken, nur sind diese letzteren schon vielfach mit Kirgisen vermischt. Die Mischlinge werden auch Kurumas genannt.
Unter diesen Mohammedanern ist das Evangelium noch so gut wie gar nicht verkündet worden. In den 80er Jahren des vorigen Jahrhundert hat die Britische und Ausländische Bibel – Gesellschaft durch Kolportage unter diesen Armen gewirkt, christliche Missionare sind jedoch noch keine bei ihnen gewesen.
Was nun eigene Kultur, anbelangt, so stehen die Sarten auf einer bedeutend höheren Stufe als die Nomaden, ist doch die Stadt Samarkand gewissermaßen die Metropole des mohammedanischen Mittel – Asiens. Auch Gewerbe aller Art sind bei den Sarten zu finden, während die Nomaden es über eine kunstlose Weberei aus Schaf – und Kamelswolle nicht bringen, und da sind denn auch die Frauen die Künstler. Von diesen Nomaden möchte ich nun zuerst etwas berichten, und will diese Naturmenschen, deren Lebensweise, gleichviel ob sie Kirgis – Kaißaken, Karakirgisen oder Usebekn sind, dieselbe ist, mit dem Gesamtnamen Kirgisen bezeichnen.
Die Wohnung des Kirgisen ist die Jurte (Dschurt), ein transportables, kreisrundes Zelt mit kugelförmigem Dach. Das Skelett eines solchen Zeltes bildet hölzernes Gitterwerk, aus überkreuz gelegten, zusammengenieteten Stäben bestehend, welches sich zusammenschieben und auseinanderziehen läßt. Aus einer Anzahl solcher Gitter, die sich an das Türgerüst fügen und untereinder verbunden werden, besteht die Wand des Zeltes. Darauf kommen hölzerne Viertelkreisbogen, die sich oben in einen Ring vereinigen. Die Bekleidung der Wand ist Rohr- oder Biesengeflecht, d.h. Rohr oder Biesen mit Wollfäden durchwebt, und in der kalten Jahreszeit Filzdecken. Das Dach wird ebenfalls mit einem Kolpak (Kappe – E.K.) von Filz bedeckt. Das Aufbauen der Jurte, wie das Abbrechen oder Auseinanderlösen derselben, wenn weiter gewandert wird, ist ganz Sache der Frauen, die überhaupt jede Arbeit zu verrichten haben mit Ausnahme des Schlachtens von Vieh und mitunter auch die Zubereitung des Fleisches zum Essen. Die innere Ausstattung der Jurte ist sehr einfach. Ein Teil des Fußbodens ist mit Decken belegt. Ein oder einige Krämerkasten, grün oder rot gefärbt und mit Eisenbänden beschlagen, bergen die Kleidung. Auch eine Anzahl großer, weicher Kissen liebt der Kirgise haben. An den Wänden umher hängt Reitgeschirr, stehen Kamelsättel, hängt ferner ein Fell mit Kumüß (Nationalgetränk – E.K.), und in der Mitte der Jurte hängt ein großer, eiserner Kochkessel.Was Speise und Trank anbetrifft, ist der Kirgise sehr einfach. Seine liebste Speise ist Fleisch, welches ihm seine Herden auch zur Genüge liefern. Wo geschlachtet wird, da sammeln sich gewöhnlich die Bewohner des ganzen Auls, so heißt die Gesamtheit sämtlicher Jurten eines Ortes, und wenn das geschlachtete Vieh nur ein Schaf oder eine Ziege ist, so wird es auch auf einmal verzehrt. Schlachtet man jedoch ein Rind, Kamel oder Pferd auf Vorrat, so wird das Fleisch an Seilen in der Jurte aufgehängt, wobei sich schnell eine feine Haut bildet, die den Zutritt und die zerstörende Wirkung der atmosphärischen Luft hindert. Übrigens nimmt`s der Kirgise mit etwas üblem Geruch nicht genau, da der Kirgise nur in Ausnahmefällen etwas Landbau treibt, so ist der Gebrauch des Mehls und Brotes bei ihm auch beschränkt. Vielfach macht er von Teig kleine Kügelchen, die er in Fett gebacken, genießt; sie heißen Baurßaki. Sein Getränk ist Wasser, Milch, Kumüß und Ziegeltee. Doch darf man nicht denken, daß der Kirgise bessere Kost verachtet, o nein, er weiß sie zu schätzen. An Feiertagen, von denen der Bairam, der Abschluß des Fastenmonats (Urasa) der hauptsächlichste ist, gibt es großes Festessen und allgemeine Belustigung. Bei dem Festessen, wie bei den Mahlzeiten überhaupt, stehen die Frauen im Hintergrunde und erhalten die Abfälle und Überbleibsel. Was die Volksvergnügen betrifft, so bildet das Jagen des Scheitan (Teufel) das hauptsächliche derselben. Derselbe wird durch einen geschlachteten Ziegenbock dargestellt, den ein Reiter nimmt und eine Strecke damit fortreitet, wonach nach einem kurzen Vorsprung, den man ihm läßt, eine ganze Schar ihm folgt, deren jeder sich bemüht, ihm den Bock zu entreißen, wobei dann ein wirrer Knäuel entsteht, in dem die in der Mitte dicht beim Bock Befindlichen von den Äußeren mit den dicken Pletten (Kurze, stumpfe Reitpeitschen) traktiert werden, bis es einem gelingt, mit dem Bock das Weite zu suchen, worauf sich das eben Beschriebene wiederholt, bis der „Scheitan“ in Stücke zerrissen ist.
Die Kirgisen sind als Nomaden unter allen Mohammedanern Turkestans die ungebildetsten und am wenigsten religiösen. Schulen habe ich unter ihnen nicht bemerkt, obgleich ich nicht bestreiten möchte, daß hin und her ein Mullah, denn solche gibt es auch unter ihnen, irgendwo und wie ein Trüppchen Kinder oder auch Halberwachsene versammelt und ihnen die Kunst des Lesens oder wohl gar des Schreibens beibringt, und wer dieses kennt und dann wohl auch noch die vorgeschriebenen Gebete inne hat, darf unter Kirgisen getrost wieder als Mullah auftreten, denn obgleich dieses eigentlich ein geistliches Amt ist, wird doch fast jeder Schriftkundige mit diesem Namen bezeichnet; so bin ich selbst wiederholt „Mullah“ tituliert worden. Daß unter diesem Volke wenig Sinn für Wissenschaft ist, bringt sein unstätes Leben schon mit sich. Deß ungeachtet dürfte auch bei diesem Volke eine Tür für Gottes Wort sich öffnen. In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als wir mit Bibelverbreitung unter den Mohammedanern wirkten, waren die Kirgisen, weil die am wenigsten religiösen, auch die am wenigsten fanatischen und manches Neue Testament fand auch unter ihnen seinen Platz. Ein Beispiel ist mir noch lebhaft in Erinnerung. Es war im Mai 1883, Bruder J. und ich machten unsere erste größere Kolportagereise, denn vom Herbst 1882 bis dahin hatten wir in Taschkent vollständig Arbeit gehabt. Wir mieteten in Taschkent einen „Arbakasch“, d.i. Fuhrmann eines großen, zweiräderigen sartischen Wagens, der uns mit unsern Bücherkasten von Ort zu Ort fahren und überall, wo wir arbeiten wollten, so lange als nötig halten mußte. So kamen wir etwa 60 Werst von Taschkent an den Marktflecken Piskent (Pskent? – E.K.). Hier arbeiteten wir auf dem Markte im Laufe des Vormittags bei ziemlichem Schmutze nicht ohne Erfolg. Etwa 15 – 20 Exemplare Heiliger Schrift meist unter Mohammedanern sowie einiger Bucharische Juden wurden verbreitet. Zufrieden und dankerfüllt reisten wir am Nachmittage weiter durch kahle Steppen, deren östlicher Horizont ducrh Berge mit Schneegipfeln, die westlichen Ausläufer des Thian Schan gebildet wurde. Da, vielleicht schon 10 Werst von Piskent (Pskent? – E.K.) entfernt, kommt plötzlich von der Richtung des Gebirges her in voller Karriere so ein Steppensohn direkt auf uns zu geritten, so daß es uns ging, wie es 2. Könige 9, 18 heißt, und wir dachten „ist es Friede?“ Aber hier war es Friede. Vor uns auf der Stelle machte der Krgise Halt, veranlaßte unsern Fuhrmann ebenfalls zu halten und wendete sich dann an uns mit der Frage: „Seid ihr nicht die „Kilabtschi“ (Bücherhändler), die in P. heute verkauften?“ „Die sind wir.“ „Habt ihr noch „Indschil“ von „Hasrelte Isai“?“ (Evangelium des heiligen Jesus.) „Jawohl, wir haben noch viele.“ „Was kostet eins?“ „40 Kopeken“ (dort zu Lande 2 Kokan). Das Geld aus seiner Leibbinde hervorholen, für ein Buch bezahlen, dieses nehmen und ohne Weg und Steg wieder in die Steppe jagen, war das Werk weniger Augenblicke. Unser Arabakasch meinte: „Ich glaubte, es wäre ein Karak (Räuber).“ Gott weiß, was das Buch in dem einsamen Aul mag ausgerichtet haben. Wir säten, und nachdem ich 2 ½ Jahre gesät, mich in die Sprache der Kirgisen sowohl als der Sarten hineingearbeitet hatte, und diese Armen so recht lieb gewonnen, wurde mir von der Direktion ein anderes Arnbeitsfeld Sibirien angewiesen. Wie gerne hätte ich damals in Rurkestan weiter gearbeitet!
Wir gehen nun von den Nomaden zu den Bewohnern der Dörfer und Städte über. Diese sind denn auch ihrer Beschäftigung nach teils Landbauern und Gärtner, teils Handwerker, Händler, oder letzteres beides in einer Person vereinigt.
Betrachten wir zunächst die Wohnung der Sarten. Ihr Hauptbestandteilist Lehm. Holz nur, wo absolut nötig, da fast sämtliches Bauholz angepflanztes ist und sehr verschont werden muß.
Da Stätde und Dörfer nur an fließendem Wasser angelegt werden können, so sind von größeren und kleineren Flüssen und Bächen wo irgend möglich, Kanäle (Arüks) angelegt, die sich wieder in viele kleine Wassergraben verzweigen. Wo nun gebaut werden soll, da ist Wasser das erste Bedürfnis. Man setzt einen gewissen Raum, aus dem man die oberste Erdschicht entfernt, unter Wasser, so daß der Lehm darunter erweicht und durch Umrühren eine Schlammmasse entsteht, die man mit feinem Stroh vermengt und einige Tage sich selbst überläßt, um eine recht innige Verbindung herbeizuführen. Das ist dann eingentliche, hauptsächliche Baumaterial, aus welchem zunächst ein etwa zwei Fuß hohes Fundament aufgeklebt wird, nicht als Mauer, sondern als massive Masse; in dieses Fundament klebt man Pfosten aus Pappelholz, die oben als Zapfen in gemeinschaftliche Balken eingesetzt sind und mit diesen das Gerippe der Wände bilden. Die Zwischenräume werden bis auf die sehr kleinen, niedrigen Türen und noch viel kleinern Fenster, welch letztere immer sehr hoch sich befinden, wieder mit Strohlehm ausgeklebt. Dann legt man etwa halbmeterweit von einander Balken über das Gebäude als Grundlage für das Dach, über diese querüber ziemlich dicht dünnere Stäbe, auf letztere Rohrmatten, dann eine Schicht Rohr, dann etwa halbfußhoch Erde, eine dünne Schicht Flußsand, welcher, sowohl wie die Erde, sorgfältig geebnet wird. Über den Sand kommt zuletzt sorgfältig zubereiteter Strohlehm, der glatt verstrichen, und wenn trocken, mit noch einer Schicht Lehm bedeckt wird, so lange, bis es genügend erscheint. Von der Zubereitung dieser Lehmschicht, von dem zweimaligen Trocknen usw. hängt die Dichtigkeit und somit die Haltbarkeit des Daches ab. Zum Abflusse des im Winter oft tagelang strömenden Regens hat das Dach, das sonst ganz horizontal ist, nach der Mitte jeder Seite eine kleine Neigung und eine eingeklebte Holzrinne „Rau“. Oft jedoch kommt es vor, daß diese schönen Dächer bei anhaltendem und heftigem Regen letzteren mit der Zeit durchlassen, und dann ist das ganze Gebäude bald von innen ein Kotmeer geworden, ja kann unter Umständen einstürzen, so daß die Bewohner dasselbe Hals über Kopf verlassen müssen. Von beidem kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Auch Gartenmauern, die gewöhnlich 3 – 4 Meter hoch sind, werden von Lehm aufgeklebt. Öfen kennen die sarten nicht. Die Fußböden sind in bessern Häusern mit gebrannten Fliesen ausgelegt. An einem Orte ist nur durch das Fehlen der Fliesen ein Loch gelassen, in dem man, wenn`s kalt ist, Holzkohlen glühen läßt, „Alau“ genannt. Hierüber stellt man einen Schemel, legt einige Decken über diesen, die das Alau bedecken. Hier herum gruppieren sich die der Wärme bedürftigen, stecken die Füße unter der Decke, um sie zu wärmen, so daß auch hier die Regel: „Kopf kalt, Füße warm,“ zur Anwendung kommt.
Ihrer Abstammung und Sprache nach zerfallen die Sarten in Usbeken und Tadschiks, erstere türkischen, letztere persischen Stammes, in ihrer Lebensweise sind sie jedoch so wenig verschieden, daß wir sie füglich als ein Volk behandeln können.
Der Ackerbau der Sarten ist sehr primitiver Art. Der Pflug ist ein Stück eines Baumstammes mit einem zugespitzten, gebogenen Wurzelende, auf welches oft noch eine eiserne, breite Spitze gestreift wird. An diesen Pflug ist nach vorn zu eine Art Deichsel und nach hinten ein Griff zum Halten befestigt. Man hat den Eindruck, daß Kains Pflug nicht hätte einfacher sein können.
Die Hauptsache beim Ackerbau der sarten ist genügende Bewässerung. Ebenso verhält es sich mit dem Gartenbau. Der sartische Gärtner hat es seinem russischen Kollegen abgesehen, Frühgemüse zu züchten, weiß er doch, daß von den russischen höhern Offizieren und Beamten die erste Gurke, die ersten Radies, die ersten Erdbeeren mit fabelhaften Preisen bezahlt werden.
Originell ist auch die Art und Weise, in welcher die sartischen Handwerker arbeiten. In den meisten Fällen verrichten sie ihre Arbeit sitzend, d.h. auf der Erde oder dem Fußboden nach orientalischer Weise hockend. So drechselt und schmiedet man sitzend. So geschieht es noch bei vielen anderen Beschäftigungen. Sehr geschickt verstehen die Sarten zerbrochenes Porzellan- und Glasgeschirr vermittels kleiner Messingklammern zu vernieten, so daß man dieses noch jahrelang gebrauchen kann. Auch in der Messing- und Kupferschmiederei und im Gravieren von Arabesken in messingenes Geschirr sind die Sarten nicht unerfahren, und sartische Stahlwaren dürfen sich neben europäischen wohl sehen lassen. In Kleidung, Sattelschmuck u. dergl. liebt der Sarte das auffalend Bunte, und wenn man die Sarten in ihren Festchalaten sieht, wird man unwillkürlich an Josephs bunten Rock erinnert. Überhaupt erinnert hier, wie wohl im Orient überhaupt, fast alles an biblische Verhältnisse. So kann man hier wohl begreifen, wie die Männer, die den Gichtbrüchigen zu Jesu Füßen herniederließen, das Dach aufgruben (Mark. 2, 4.) Eigentümlich ist auch die Art und Weise des Brotbackens bei den Sarten, wobei gewöhnlich, nachdem der Teig genügend gegoren hat, drei Mann beschäftigt sind. Der erste derselben knettet den Teig und teilt davon Stücke in entsprechender Größe ab, die nun der zweite nimmt und ihnen die gewünschte runde, platte Form gibt, während sie der dritte vermittels eines auf der rechten Hand befindlichen Kissens in den erhitzten, topfförmigen Ofen befördert, dessen innere Wand er ganz voll klebt. Die fertigen garen Brote werden dann abgenommen, verschränkt in Körbe zum Verkaufen gelegt, welches letztere Knaben besorgen, welche diese Brotkörbe auf ihren Köpfen herumtragen und laut tufend ihre Waren feilbieten. Auch Leckerbissen aller Art bereiten die Sarten, wozu Nüsse, Pistazien, und vor allem Weintrauben- und Maulbeersyrup als Materialien herhalten müssen. Eigentümlich ist der Gebrauch des Schnupftabaks bei ihnen, den sie nicht schnupfen, sondern unter die Zunge schütten und nach Art des Kautabaks verwenden. Auch der Opiumgenuß ist den Sarten nicht fremd.
Das schrecklichste aber ist die allgemeine Verbreitung sodomitischer Laster. In fast allen Teehäusern werden Knaben und Jünglinge zu diesem Zwecke gehalten. Die Lehre des falschen Propheten bietet kein Heilmittel dagegen, beschönigt diese Laster wohl gar.
Auf den Märkten gehen beständig Trupps singender und bettelnder Derwische umher, deren eintöniges Lied: „Gott ist Gott und Mohammed sein Prophet,“ oft von den Kindern beim Spiele nachgeahmt wird.Mehr jedoch als die Derwische erregen die Aufmerksamkeit und das Interesse der Sarten die Straßenprediger, die gewöhlich einen großen Kreis von Menschen versammeln, meist auf freien Plätzen vor den Moscheen und einen oder mehrere Antworter aus der Schar ihrer Zöglinge haben. Sie bringen Erzählungen religiösen Inhalts und Sagen, ja Märchen in ein buntes Durcheinander, aber es genügt den geistigen Anforderungen ohrer stumpfsinnigen Zuhörer.
Der Herr rüste die Brüder, die schon ausgezogen sind zu diesen Armen und die noch ausziehen wollen, mit viel Weisheit und Kraft aus, damit auch von diesen noch in elfter oder zwölfter Stunde einige gerettet werden zum Schmerzenslohne unsers erhöhten Hauptes!
Zwei Briefe aus Aulie – Ata
Nicolaipol, den 17. Dez. 1908.
Post Aulie – Ata, Russisch Turkestan.
Lieber Bruder!
Nun bin ich in der Lage, auch Ihnen einige Zeilen aus dem fernen Asien zu senden. Am Dienstag, den 15. Dezember, sind wir durch des Herrn Gnade glücklich hier angekommen. Sie werden sich vielleicht wundern, daß wir solange auf der Reise gewesen sind, aber wir haben überall soviel Arbeit gefunden, daß wir nicht früher loskommen konnten. Auf der Rat der leitenden Brüder in Südrußland verweilten wir daselbst länger als wir gedacht hatten, damit wir mit ihnen, und sie mit uns und unserem neu zu beginnenden Werke bekannt werden möchten. Auch haben wir oft die segnende Hand des Herrn verspüren dürfen. Wur durften auch an einigen Konferenzen, welche in Apanlee und in Berdjansk stattfinden, teilnehmen, wodurch unser Glaubensleben vertieft und gestärkt wurde. Besonders auf der erstgenannten Konferenz durften wir die Nähe des Herrn vernehmen.
Ich hatte auch da Gelegenheit, viele, mir bis dahin unbekannte Brüder und Schwestern kennen zu lernen. Das Zusammentreffen mit Br. Köhler und einigen anderen Brüdern aus der Bibelschule bereitete mir auch, eine nicht geringe Freude. Von Berdjansk aus machte ich dann noch eine Reise nach Millerowa mit Br. Abraham Friesen, einem alten Missionar aus Indien, während Br. Thielmann sein Heimatsdorf in der Molotschna noch einmal besuchte.
Die Zwischenzeit, wo ich nicht auf Reisen war, verbrachte ich in Sofiewka bei Br. Wölk. Wir haben uns alle dort sehr lieb gewonnen und viele Stunden der Freude miteinander verlebt. Auch von Ihnen wurde mir noch manches, was den Geschwistern in Erinnerung geblieben war, erzählt.
Endlich am 15. November, war der Tag unserer Abreise gekommen. Nachdem wir noch im Familienkreise im Verein mit den Brüdern aus Jakowlewo Abschied gefeiert hatten, begaben wir uns auf den nahen Bahnhof. Unser Zug fuhr abends. Er war sehr dicht besetzt, so das es fast unmöglich schien, noch einen Platz zu bekommen, aber dank des tatkräftigen Eingreifens von Br. Wölk bekamen wir es fertig, uns mit unsern zahlreichen Gepäckstücken nocch hineinzudrängen und fort ging es, dem dunklen Osten entgegen.
Wir fuhren über Pensa, Samara und kamen endlich am Donnerstag, 19. November, morgens in Coporunckaa an, wo die Eltern von Schwester Wölk wohnen. Die alte Mutter ist auch gläubig, und Geschwister Wölk baten uns, sie doch zu besuchen. Wir hatten zwar ein durchgehendes Billet bis Taschkent, aber die Gültigkeitsdauer desselben erlaubte uns, einen kleinen Abstecher zu machen. Wir wirden denn auch mit großer Liebe aufgenommen und hatten auch einige Versammlungen dort, in denene wir besonders den Unbekehrten das Wort vom Kreuz nahe zu bringen suchten. Hier erfuhren wir auch, daß am Sonntag, den 22. November, in einer 50 Werst von dort entfernten mennonitischen Kolonie ein neu erbautes Versammlungshaus der mennonitischen Brüdergemeinde eingeweiht werden sollte. Mehrere Brüder wollten dahin reisen, und auch uns lud man ein, dort mitzufahren. Da die Gültigkeitsdauer unserer Billete diese Reise noch zuließ, so fahren wir diese Einladung als einen Wink vom Herrn an und so fuhren wir am Sonnabend früh morgens ab. Die Fahrt mußte auf Schlitten gemacht werden, da sehr viel Schnee lag. Jeder Schlitten war mit zwei Personen besetzt und mit einem Pferde bespannt. Da es sehr kalt war, hatten wir uns alle in dicke Pelze gehüllt, mit schweren Pelzhandschuhen an den Händen, und ebenso auf dem Kopfe eine russische Pelzmütze. Da hätten sie uns einmal sehen sollen, wie die Nordpolfahrer sahen wir aus. Ich konnte kaum gehen, so dick hatte man mich eingepackt. Viel zu reden brauchte ich nicht auf dem Wege, da mein Nebenmann ein Russe war, mir dm ich mich nicht verständigen konnte. Ich hatte daher Zeit, mich in die Wunder diese beinahe sibirischen Eiswüste zu vertiefen. Zuerst war das Wetter sehr schön, und leicht glitten wir über die Schneefläche dahin. Am Nachmittag machten wir in einem Russendorfe Halr, wo die Pferde gefüttert wurden; bald verkündete dann auch der summende Ton der Teemaschine, daß auch für uns ein Imbiß bereitet würde. Nach ca. einstündigem Aufenthalt stiegen wir wieder ein, um noch vor Einbruch der Nacht unser Ziel zu erreichen. Der Wind begann heftiger zu wehen, so daß er endlich zum Sturme wurde. Immer abenteuerlicher wurde die ganze Fahrt. Es begann zu schneien. Bald war fast der Weg nicht mehr zu sehen, denn die heranfallenden Schneemassen bedeckten ihn. Wäre der Weg nicht durch Sträucher und Stangen abgesteckt gewesen, wir würden überhaupt nicht ans Ziel gekommen sein. Am meisten habe ich die armen Pferde bedauert und mich über die Zähigkeit derselben sehr gewundert. Bald waren sie auf der Seite, von welcher der Sturm kam, gänzlich mit Schnee bedeckt, der dann an ihrem Körper festfror, aber unermüdlich drangen sie forwärts. Manchmal kam ein Pferd von der von der hartgetretenen Bahn herunter, sofort fiel es bis an den Leib in den Schnee, war aber dann so klug, wieder sofort hinaufzusteigen. Doch gelangten wir endlich am Abend an unserem Bestimmungsorte an, wo uns die Geschwister herzlich willkommen hießen. Am nächsten Tage war Einweihungsfest; der Herr schenkte viel Gnade und gab große Freudigkeit zur Verkündigung Seines Wortes. Ja, wir verspürten die Gegenwart des Herrn so in unsrer Mitte, daß ich fest überzeugt bin, daß dieser Tag Ewigkeitsfrucht hervorbringen wird. Am Abend hatten wir noch eine gesegnete Bibelbesprechung. Dann schieden wir unter Tränen von einander, und am andern Morgen traten wir unsere Rückreise wieder an. Das Wetter war sehr schön, und am Abend gelangten wir wieder glücklich in Coporunckaa an. Am nächsten Morgen mit dem Frühzuge reisten wir dann weiter nach Taschkent. Nun brauchten wir nicht mehr umzusteigen bis ans Ziel. Bis jetzt waren wir immer noch nach Nordosten gefahren, und es war infolgedessen immer kälter geworden. Jetzt fuhren wir aber nach Südosten weiter. Man konnte auch bald eine Veränderung des Klimas wahrnehmen. Der Schnee nahm immer mehr ab, je weiter wir fuhren. Die ganze Gegend nahm schon einen mehr orientalischen Charakter an. Auf den weiten Steppen, durch die wir hindurchfuhren, sahen wir schon hier und da Kamele weiden, zuletzt waren es ganze Herden. Auch unsre Reisegesellschaft wurde eine andre als sie bisher gewesen, Kirgisen, sarten, Tataren und alle möglichen Menschen. Das Zeil unserer Bahnreise rückt immer näher, Turkestan, diese Stadt mit dem großen, schönen Bahnhofe, liegt schon hinter uns. Große Karawanen mit hochgepackten Lastkamelen ziehen an der Bahnlinie vorbei über die Steppe. Während ich so zum Wagenfenster hinausschaue und die orientalische Landschaft bewundere, fesselt auf einmal ein wunderbarer Anblick meine ganze Aufmerksamkeit. Fern am Horizont erblicke ich die hohen, eisgekrönten Häupter eines gewaltigen Gebirges. Es ist überwältigend, wenn man dieses das erstemal sieht, man kann sich kaum losreißen.
Endlich am 26. November abends kamen wir in Taschkent an. Nachdem wir unser Gepäck aus dem Zuge herausgebracht hatten, mieteten wir uns ein Fuhrwerk, welches und nach einer Karavanserei bringen sollte, wo wir Deutsche zu finden dachten. Ein Mohammedaner bot uns seinen Wagen an, um uns dahin zu bringen. Es sind dieses zweirädige Karren mit über zwei Meter hohen Rädern, mit einem Pferde bespannt. Oben über dem Wagen ist eine geflochtene Strohmatte in Bogen gespannt. Nachdem wir unsre zahlreichen Gepäckstücke im Wagen untergebracht hatten, setzten auch wir uns hinein, während der Kutscher auf dem Pferde seinen Sitz einnahm. Als ich so hinten auf dem Wagen saß und wir so durch die langen Pappelalleen Taschkents holperten, dachte ich bei mir selbst: „Also jetzt sind wir in taschkent, wer weiß, wie alles noch werden wird“. Doch kann ich sagen, daß ich immer sehr frohen Mutes gewesen bin.
Endlich hielt unser Wagen still, wir sprangen herab und wir befanden uns in dem großen Hofe einer Karavanserei.Wir erkundigten uns nach einem Nachtquartier und man sagte uns, daß wir in einem sehr großen Raume mit Russen, Deutschen, Mohammedanern ect. zusammenschlafen könnten, oder aber, wir könnten auch ein kleines Stübchen allein für uns haben. Natürlich zogen wir das letztere vor. Wir waren aber nicht wenig erstaunt, als man uns ein kleines, schmutziges, weder Fußboden noch Fensterscheiben habendes Gemach anwies. Da es jedoch schon zu spät war, noch ein anderes Quartier zu suchen, nahmen wir vorlieb mit dem, was wir hatten. Wir hatten noch einen Bruder bei uns, der auch nach den Ansiedlungen wollte; mit ihm zusammen bezogen wir unser nicht gerade einladendes Zimmer. Der Bruder nahm sein Lager auf einem alten Sofa, Br. Thielmann machte es sich bequem auf unserm zusammengelegten Gepäck, und ich versuchte es mir auf einem alten Tische, wenn man das Gestell so nennen darf, gemütlich zu machen. Soweit war alles gut, aber an Schlafen war fast nicht zu denken. Das Ungeziefer plagte besonders mich sehr, so das ich froh war, als es hell wurde. Am nächsten Tage sahen wir uns Taschkent einmal an. Überall sind Basare und offene Läden eingerichtet. Die Mohammedaner sitzen oder liegen vor den Häusern auf ihren Decken und Matten. Fast jeder Mensch reitet auf einem Pferd, Kamel, Esel oder auch auf einem Ochsen, Frauen sowohl als Männer, Jünglinge und Kinder.
Nachdem wir noch den Bibelkolporteur besucht hatten, kehrten wir zurück in unser Quartier, wo wir eine ganze Anzahl Deutsche vorfanden, meistens Lutheraner aus einer 30 Werst von Taschkent entfernten Kolonie. Wir hatten dann noch eine kleine Versammlung. Da mehrere von den Lutheranern bekehrt waren, bat man uns, doch mit ihnen in ihre Kolonie zu kommen und dort Versammlungen zu halten und dort auf unser Fuhrwerk zu warten, da die Kolonie an unserem Wege lag. Br. Thielmann blieb dann noch in Taschkent und nahm Wohnung bei dem Bibelkolporteur, un den russischen Geschwistern daselbst noch zu dienen, während der andre Bruder und ich mit nach Constantinowka zu dem Lutheranern gingen. Hier haben wir dann eine ganze Anzahl (ca. 30) Versammlungen gehabt, wozu der Herr sich auch sehr bekannte. Hervorheben muß ich noch, daß die armen Menschen in ganz starre Formen versunken sind. Der Herr gan uns nun viel Gnade, Sein reines Evangelium zu verkündigen; wir mußten oft recht scharf auftreten, aber die Aufrichtigen fanden sich bald heraus und manche wurden überzeugt, daß es so, wie sie es bisher gehabt hatten, nicht richtig war. Etwa 6 – 8 Geschwister sind auch schon da, die sich taufen lassen wollen, sie haben sehr viel zu leiden.
Endlich, am 10. Dezember, kam unser Fuhrwerk und wir hatten noch über 300 Werst vor uns. Am Tage und oft auch in der Nacht fuhren wir immer zu, jeden Tag etwa 50 Werst. Nachts schliefen wir entweder in einer Karavanserei oder im Wagen. Nach sechs tagen gelangten wir endlich an unserem Ziele an und wurden von den Geschwistern hier herzlich und liebevoll aufgenommen. Br. Penner habe ich auch schon verschiedene mal sehen dürfen. Jetzt gilt es kirgisisch lernen, die Brüder wollen uns einen Lehrer besorgen, der uns Unterricht in der Sprache gibt. Auch Reiten muß jetzt gelernt werden, da dieses hier in den Bergen nötig ist. Eins ist mir schon klar, wenn wir hier unter den Mohammedanern arbeiten wollen, bedürfen wir sehr viel Gnade vom Herrn, und deshalb empfehlen wir uns Ihrer Fürbitte auch besonders.
Dorf Nicolaipol, den 23.5. Januar, Februar 1909.
Post Aulie – Ata, Russisch – Turkestan.
Lieber Bruder!
Meinen Brief vom 23 Dezember werden Sie wohl erhalten haben. Unsre Reise, sowie die Erlebnisse auf derselben hatte ich schon etwas darin geschildert. Am 15. Dezember abends kamen wir wohlbehalten hier in „Talastale“ an. Wir wurden von den hiesigen Brüdern sehr freundlich aufgenommen. Die Ansiedlung besteht aus vier mennonitischen Dörfern, Keppental, Nicolaipol, Gnadental und Gnadenfeld. Dann ist ca. eine deutsche Meile von uns entfernt noch ein lutherisches Dorf, Orlowo mit Namen. Wir wohnen in Nicolaipol bei einem Bruder namens Hermann Epp, welcher uns ein schönes Stübchen zur Verfügung gestellt hat. Die Ansiedlung liegt in einem ca. zwei Meilen bteiten Tale, von drei Seiten ganz eingeschlossen von wilden, zackigen Gebirgen. Nur nach der einen Seite ist das Gebirge durchbrochen und von daher der Eingang möglich; diese Stelle nennt man „das Kapp“. Die Witterung hier ist im allgemeinen eine gute. Viel Schnee haben wir nicht. Die Luft ist rein und frisch, aber sehr scharf, weil sie von den schneebedeckten Bergriesen kommt. Obwohl die Kälte hier in der letzten Zeit 12 – 15 Grad Reaumur nicht überstieg, so ist man doch genötigt, bei dem Aufenthalt im Freien (Fahren, Reiten ect.) den Pelz anzuziehen und sich sehr warm zu kleiden.
Die Menschen, mit denen wir hier außer den Deutschen zu tun haben, sind Russen, Sarten, Kirgisen; Kirgisen vorherrschend. Obwohl wir in erster Linie um der Kirgisen willen hierhergekommen sind, haben wir doch auch sonst noch viel Arbeit, und vorläufig widmen wir noch viel Zeit und Kraft den deutschen Geschwistern. Sie besitzen zwei große Versammlungshäuser und wir dienen abwechselnd in denselben mit dem Wort, besonders da auch in letzter Zeit die Pocken hier gewütet haben und viele der am Worte dienenden Brüder wegen der damit verbundenen Ansteckungsgefahr an den Versammlungen nicht teilnehmen konnten. Der Herr bekennt sich auch zu Seinem Worteund hat uns reichlich gesegnet, indem Er eine Erweckung ganz besonders unter der Jugend hat ausbrechen lassen. Wir haben jetzt oft Extraversammlungen für Erweckte und Neubekehrte, wo der Herr spürbar unter uns weilt und mancher Jüngling und manche Jungfrau zur Übergabe an den Herrn bewogen wird. Das ist auch das richtige, erst die Deutschen, dann die Kirgisien.Eine andre wichtige Arbeit, die viel Zeit in Anspruch nimmt, ist die Erlernung der kirgisischen Sprache. Wir haben zu diesem Zwecke einen Mullah (Lehrer) angenommen. Er ist auch Mohammedaner und bemüht sich jeden Morgen, uns die türkischen und sartischen Schnörkel einzuprägen. Natürlich geht es immer langsam, ganz auf orientalische Weise. Zuerst denkt man, man würde überhaupt dieses Gekritzel nicht verstehen können, aber nach und nach bekommt man doch einen Einblick hinein und lernt einen Buchstaben vom andern unterscheiden. So geht es immer weiter, und in nicht allzuferner Zeit gedenken wir, uns mit dem Kirgisen unterhalten zu können. Eine große Erleichterung im Erlernen der Sprache ist für uns auch der Umstand, daß noch ein anderer Bruder, namens Regehr, welcher der Sprache schon mächtig ist, aber auch noch nicht schreiben kann, mit uns lernt. Er kann uns dann das, was der Mullah sagt übersetzen, und ist uns deshalb eine große Hilfe. Br. Regehr besitzt einen sehr schönen Wirtschaftshof*), hat sehr viel Vieh und lebte bis dahin nur für seine Wirtschaft. Aber jetzt hat der Herr ihm die Kirgisen so auf das Herz gebunden, daß er willig ist, seine guten Sprachkenntnisse, seine eigne Person und alles, was er hat, dem Herrn zur Verfügung zu stellen. Unser Lehrer gibt sich der ihm angenehmen Hoffnung hin und hat auch schon den Gedanken ausgesprochen, daß, wenn wir einmal fähig sein werden, den Koran zu lesen, wir sofort unsern Christenglauben verleugnen und Muselmänner werden würden. Natürlich wird seine Enttäuschung eine sehr große sein. Im übrigen ist das Leben hier unter diesen Naturvölkern sehr interessant, nach der anderen Seite jedoch ist es auch wieder herzbrechend, wenn man einen Blick in das tiefe Elend und den Jammer hineintut, wohin sie durch die Sünde gekommen sind. Um sie recht kennen zu lernen, muß man sie aufsuchen und Umgang mit ihnen pflegen. Wie Sie ja schon wissen, sind die Kirgisen ein Nomadenvolk und haben keine festen Wohnsitze. Je nachdem die Jahreszeit ist, ziehen sie entweder in die Berge oder kommen mit ihren Viehherden in das Tal hinab. Augenblicklich sind sie in den bergen, wo sie hoch oben gradezu mit ihren Zelten an den steilen Felswänden kleben. Sie suchen sich im Winter warme, geschützte Stellen aus, wo sie ihre Zelte dann aufschlagen und die Zeit bis zum Frühjahr verbringen. Die Schafe, Rinder und Pferde weiden dann an den von der Sonne beschienenen Abhängen, wo sie ihr spärliches Futter suchen. Oft müssen die Tiere den Schnee mit ihren Hufen wegscharren, um an das darunter befindliche Gras zu kommen.
Die Kirgisen sine ein echtes Reitervolk, es ist sehr selten, daß man einen zu Fuß gehen sieht. Sie haben kleine, aber sehr zähe und ausdauernde Pferde, welche sich ganz besonders zum Bergsteigen eignen. Nicht selten benutzen sie aber auch Ochsen und Kühe zum Reiten. Auch die Frauen reiten sehr geschickt nach Männerart, oft ein Kind vor sich auf dem Schoße haltend. Auch sieht man manchmal Mann und Frau hintereinander auf einem Pferde reiten. Sehr interessant wird es auch für Sie sein, wenn ich Ihnen etwas von einem Ritte, deren ich schon einige in die Berge gemacht habe, mitteile. Der letzte fand vor einigen Tagen statt. Ein solcher Ritt ist nach vielen Seiten hin interessant und nützlich. Man wird mit dem Volke bekannt, mit ihren uns ganz fremden Sitten und Gebräuchen, und dann sind die Naturschönheiten, denen man in diesen wilden, gewaltigen Felsmassen begegenet, geradezu überwältigend.
Zu oben erwähntem Ritte, der zwei Tage in Anspruch nahm und an dem fünf Personen teilnahmen, konnten wir keine deutschen Pferde nehmen, weil sie es nicht verstehen, auf den unglaublich steilen und scheinbar oft unpassierbaren Steigen zu gehen. Wir nahmen deshalb kirgisische Henste. Schon früher hatte ich mich im Reiten geübt, da es manchmal nicht leicht ist, die Kontrolle über ein solches Pferd zu behalten. Am Morgen um 8 Uhr stiegen wir auf, jeder mit dicken Filzstiefeln, einem warmen Pelz und Pelzmütze ausgerüstet. Zuerst hatten wir durch eine lange Ebene zu reiten. Mein Pferd wurde nach kurzer Zeit schon wild, so daß ich`s nur mit großer Mühe wieder zum Stillstehen bringen konnte. „Nun,“ dachte ich, „wie das heute noch auslaufen wird, wer weiß?“ Doch kaum waren wir in den Bergen, wo es anfing gefährlich zu werden, da merkte ich, welch ein gutes Pferd ich hatte, ich konnte mich ganz darauf verlassen und sicher trug es mich über die gefährlichsten Stellen. Auf einmal öffnete dich eine gewaltige Felsenschlucht vor uns, unten rauscht das Wasser auf der rechten Seite, auf der linken Seite erhebt sich fast senkrecht die ungeheuer hohe Felsenwand. Durch Erdbeben oder durch andere Naturereignisse haben sich dann ungeheure Felsblöcke losgelöst und sind heruntergestürzt. Mit merkwürdiger Geschicklichkeit winden sich die Pferde durch die Steine auf ganz schmalen Steigen. Manchmal geht es auf einmal ganz steil hinunter fast wie auf einer Treppe, dann wieder hinauf wie auf einem Dach.
Um Mittag kommen wir an einigen Kirgisenzelten an, die Hunde schlagen an, sofort kommen die Kirgisen, Männerm Frauen und Kinder heraus, nehmen unsre Pferde am Zügel und helfen uns absteigen. Um die Pferde brauchen wir uns nicht zu kümmern, die werden versorgt. Ich muß noch bemerken, daß die Kirgisen außerordentlich gastfrei sind. Nun werden wir in das runde Zelt geführt. In der Mitte lodert das Feuer, rund herum sind Teppiche ausgebreitet. Stühle und Tische kennt man nicht. Man ladet uns freundlich ein, uns niederzusetzen. Als Ehrengäste nehmen wir unsern Platz dem Eingang gegenüber ein. Teewasser ist auch schon über dem Feuer in einem Kessel aufgesetzt. Bald haben sich die Nachbarn auch eingefunden und alle sitzen wir mit untergeschlagenen Beinen, was uns Deutschen recht schwer fällt, um das Feuer. Nun wird man angestaunt und bewundert. Die Frauen sitzen nicht in unserm Kreis, sie müssen hinter den Männern Platz nehmen. Jetzt ist der Tee fertig. Die Frau wäscht die Tassen, welche gerade nicht sehr einladend aussehen, und nun wird Tee getrunken. Brot haben wir selber mitgebracht. Die kleinen Kirgisenbuben mit ihren kahlgeschorenen Köpfen schauen unser schönes Brot verlangend mit ihren Schlitzäuglein an. Als anständige Gäste geben wir jedem ein großes Stück, und es dauert nicht lange, bis es verschwunden ist. Erzählt wird auch sehr viel während des Essens. Doch wir müssen weiter reiten. Mit einer kurzen Verbeugung statten wir unsern dank ab, sitzen wieder auf und höher geht`s in die scheinbar unersteiglichen Schluchten. Um 4 Uhr nachmittags gelangten wir an unser Ziel, auch hier wird sofort wieder Teewasser aufgesetzt und wir müssen einen neuen Imbiß nehmen. Nachdem der Tee beender ist, haben wir noch einen sehr wichtigen Besuch zu machen, derselbe gilt einem reichen Kirgisen (einem Baj), er hat große Pferden und Schafen und wohnt in einem nach hiesigen Begriffen schönen Zelt. Auch hier werden wir mit großer Gastfreiheit aufgenommen. Sofort wird der große, eiserne Kochtopf (ein Topf für alles), aufs Feuer gesetzt und man beginnt Fleisch zu schneiden. Es soll Schafsbraten zugerichtet werden.
Wir werden sofort inne, daß wir bei einem reichen Manne sind, den er hat zwei Frauen. Sie teilen sich in die Arbeit. Währen die eine den Braten überwacht, muß die andre Brot zubereiten. Jetzt kann ich auch das Wort Abrahams zu Sarah: „Eile, knete und backe Kuchen,“ besser verstehen. Es scheint mir, als ob hier noch dieselben Sitten und Genräuche herrschen wie damals zu Abrahams Zeiten.
Endlich ist der Braten fertig, und nun wird auf kirgisische Weise gegessen. Je zwei bis drei Mann bekommen eine Schüssel mit Fleisch und Fett. Man stellt dieselbe auf den Boden. Nachdem wir gebetet haben, beginnen wir zu essen. Löffel und Gabel kennt man hier nicht. Man ist auf sehr natürliche Weise, nämlich mit den Fingern. Jetzt ist auch das Brot fertig, es wird in kleine Stückchen geschnitten und zu dem Fleisch in die Schüssel getan. Unterdessen sind noch mehr Besucher angekommen, sie kauern am Zelteingang. Da wir sehr vornehme Gäste sind, nehmen wir eine Handvoll Brot und Flesch aus unserer Schüssel und überreichen esd ihnen. Zuletzt gibt es noch Tee. Der Hausvater schenkt ein. Da wir nicht genug Tassen haben, trinken wir abwechselnd aus derselben Tasse, empfindlich darf man hier nicht sein, solche Begriffe kennt man hier nicht.
Nachdem wir gedankt, verabschiedeten wir uns. Nun haben wir noch einen Besuch zu machen. Nach kurzem Marsche gelangten wir zu der Kabitka (Zelt), wohin wir wollten. Auch hier wird sofort ein loderndes Feuer angefacht und wir erhalten gastfrei Aufnahme. Schon steht der Topf für alles auf dem Feuer. Während wir bei dem reichen Baj Bratfleisch genossen haben, sollen wir jetzt Kochfleisch haben. Währen des Fleischkochens wird eine Unterhaltung über religiöse Dinge angeknüpft, da zwei meiner Begleiter die Sprache gut beherrschten. Das Volk ist sehr unwissend, und man findet wenig Verständnis.
Nachden wir nun auch das Kochfleisch auf die vorhin beschtiebene Art zu uns genommen hatten, verabschiedeten wir uns wieder, um unser Nachtquartier aufzusuchen, da es inzwischen schon spät geworden war. Auch hier gab es noch einmal Tee, dann begaben wir uns zur Ruhe. In einer Ecke des Zeltes bereitete man uns ein Lager; unsre Pelze dienten als Decke, und unter dem Schutze des Herrn verbrachte ich die erste Nachtin einm Kirgisenzelte. Am andern Morgen wurden dann unsre Pferde wieder gesattelt, und zurück ging es wieder ins tiefe Tal hinab. Am Nachmittag gelangten wir dann wohlbehalten wieder zu Hause an.
Ich muß noch erwähnen, daß mir das Elend einiger armer Waisenkinder sehr zu Herzen ging. Ein kleiner Knabe war davon ca. 10 Jahren. Alle andern hatten Pelze und Schuhe, nur er war fast ganz nackt. Ich sehe ihn noch immer im Geiste vor mir, wie er frierend am Feuer hockte und uns so mitleidsuchend ansah. Man hatte ihm den Namen „Hund“ gegeben. Sein Kopf war ganz schief gewachsen von all dem Elend. Wie schaute er uns so dankbar an, als wir ihm ein großes Stück Brot gaben. Seine Schwester, ein Mädchen von ca. 12 Jahren, behandelte man besser, sie brachte nämlich Geld ein, denn man hatte sie schon verkauft an einen Mann. Ach, sie müssen das Evangelium haben! Br. Regehr, der auch mit war, hat nun schon jemand in die Berge geschickt, um den armen Knaben in sein Haus holen zu lassen. Solcher armen Kinder sind viele hier, wie wäre da eine Waisenanstalt am Platze. Ich bin so froh, daß ich hier bin, wie ist doch hier die Not und das Elend so groß, wie ist das Evangelium so nötig. Zwar wird die Arbeit hier eine sehr schwere und wenig Erfolg versprechende sein, aber ich glaube, daß der Herr auch hier noch manche hat, die Er herausretten will. Wir empfehlen uns auch Ihrer Fürbitte dort in Berlin, wir gedenken auch Ihrer und der ganzen Schule vor dem Herrn.
Nun dem Herrn befohlen!
Indem ich Sie noch vielmals herzlich grüße, verbleibe ich Ihr im Herrn Jesu verbundener, dankbarer Schüler
Rudolf Bohn.
*) Landwirtschaft ist hier gemeint.
In der „Friedensstimme“ (vom 14.3.1909) finden wir folgenden Bericht über die neubegonnene Arbeit in Turkestan:
(s. den Bericht - Bericht von Rudolf Bohn aus Nikolaipol, Turkestan aus der „Friedensstimme“ Nr. 11 vom 14. März 1909, S. 4-5.)
Ein Brief aus Chiwa
Rmetschet (Ak-Metschetj? – E.K.), Chiwa, Asien, den 12. 25. (Nobvember 1908).
Lieber Bruder!
Herzliche Grüße des Friedens zuvor!
Zunächst möchte ich Ihnen und allen Lieben dort meinen innigsten Dank sagen für die treue Fürbitte während meiner Reise. Es hat bisher, dem Herrn sei Dank, über mein Erwarten gut gegangen. Eine besondere große Hilfe waren mir die Gebete vieler lieber Kinder Gottes. So recht aufs neue habe ich es wieder erfahren dürfen, was Fürbitte vermag. Wenn ich mich prüfe, so beugt es mich in den Staub, daß ich bisher so wenig für andere gebetet habe, da doch darauf ein besonderer Segen ruht. Wenn man solch eine Reise macht, wie ich hierher es durfte, da sind auch recht viele Schwierigkeiten möglich, besonders in unserm russischen Reiche. Aber wunderbar, mein Reisen ging ausgezeichnet gut. Einige Tage reiste ich mit einem Offizier zusammen, der erzählte mir recht viel von seinen auf der Reise unangenehmen Erfahrungen, wovon ich nichts wußte. O, wie wird man dann so froh und dankt Gott für seine Führung und Bewahrung. Im ganzen bin ich 22 Tage unterwegs gewesen, habe mich aber auf mehreren Stellen aufgehalten. Gleich in Warschau blieb ich einen Tag wegen geschäftlichen Angelegenheiten. Dann in der Stadt Samara drei Tage unter den russischen Geschwistern, die etwa 100 sind. Habe auch dort in drei Versammlungen gesprochen, zwar deutsch, aber es wurde von einer Schwester übersetzt. In der recht schönen Sonntagsschule (wohl über 100 Kinder) sprach ich selbst russisch. Die Versammlungen waren recht gut besucht, mitunter bis 400 Personen. Es herrscht dort unter den Lieben ein reges Leben, ein inniger Gebetsgeist, und der Gesangchor singt ausgezeichnet schön. Ich habe dort viel Freude gehabt, und es war für mich eine schöne Erholung, nachdem ich vier Tage im Eisenbahnwagen gesessen hatte. Unter den Zuhörern war in einer Versammlung auch ein Priester aus der griechisch – katholischen Kirche; er war, wie auch die andern, recht aufmerksam. Dem Herrn sei Dank, daß wir durch Seine Gnade unerschrocken einem jeden die Wahrheit sagen dürfen und wenn es auch ein Priester ist. Nach einer dreitägigen Eisenbahnfahrt von Samara kam ich wohlbehalten in Taschkent an. Blieb dort auch beinahe einen Tag, hatte aber nicht genügend Zeit, um dort die russischen Geschwister aufzusuchen und hatte auch nicht eine genaue Adresse. Br. Thielmann und Bohn waren noch nicht da; ich weiß nicht, ob sie jetzt schon da sind. Von Taschkent hatte ich noch über einen Tag mit der Bahn zu fahren. Die Strecke dort, besonders bis Samarkand ist sehr schön. Die Bahn geht schlangenartig zwischen den Bergen hindurch. In weiter Ferne sieht man den ewigen Schnee auf den Bergeshöhen. Taschkent wie auch die andern Städte hier sind recht orientalisch.
In Tschardschei (Tschardschuj – E.K.) mußte ich vier Tage warten auf den Dampfer, welcher nur zweimal monatlich fährt, um dann auf dem Flusse Amu – Darja abwärts zu fahren. Jedoch die Zeit wurde mir garnicht lang, weil ich recht viel Beschäftigung hatte. Als ich vier Tage auf dem Amu – Darja gefahren war, kam ich nach Petro – Alexandrowsk, von wo ich schon von den hiesigen Deutschen mit dem Wagen abgeholt wurde, welches aber auch noch einen ganzen Tag Zeit in Anspruch nahm. Endlich, am 27. Oktober (alt. St.) abends, kam ich hier an. Die Schiffahrt ging sehr gut und schnell, vielfach fährt der Dampfer sieben und auch noch mehr Tage. Manche haben mich hier recht herzlich begrüßt und freuten sich, daß ich gekommen war. Ich bin jetzt schon über zwei Wochen hier. Am 31. Oktober (alt. St.) begann ich mit dem Unterricht in der Schule. Gebe täglich sechs Stunden Unterricht im Deutschen, wie auch etwas russisch. Sonnabends fällt die Schule aus, folgedessen habe ich den ganzen Tag für mich und das jede Woche. 17 Kinder kommen gegenwärtig zur Schule und sind auch recht lernbegierig und aufmerksam. Der hiesige Prediger wünschte es, daß ich jeden zweiten Sonntag in der Kirche vormittags sprechen sollte, womit ich auch gleich am ersten Sonntage begonnen habe. Den Sonntag dazwischen wird er am Wort dienen.
Durch die innere Zersplitterung der Gemeinde hat man, seit der Zeit, daß Br. Penner hier fort ist, welcher früher hier an der Schule tätig gewesen ist, die Sonntagnachmittags – Versammlungen aufgegeben. Auf meinen Wunsch hin haben wir sie wieder angefangen, aber es ist auf mich abgesehen, daß ich dieselben leiten und am Wort dienen soll. O, der Herr wolle mir viel Gnade geben, in allen Stücken weislich zu handeln und Ihm zu dienen. Ich habe hier eine recht große Aufgabe, in erster Linie unter den wenig Deutschen, ca. 30 Familien, dazu ist die Hälfte von ihnen in furchtbare Irrtümer verfallen, verführt von einem unter ihnen. Sie haben sich auch getrennt, haben ihr Versammlungslokal und Versammlungen für sich. Davon wäre sehr viel zu schreiben.
In meiner Arbeit hat mir der Herr auch schon kleine Freuden bereitet, aber es gibt auch recht viel Schwierigkeiten und Entbehrungen. Immer wieder muß man es erfahren, daß man ich Chiwa ist. Die ganze Umgebung ist nichts anderes als Heidentum. Wie ist es doch so schwer, dies Volk täglich zu sehen, und wie es in Finsternis und Aberglauben steckt. Dazu kann man nichr mit ihnen reden, weil sie eine ganz andere und sonderbare Sprache haben.
Neben meiner Arbeit unter den Deutschen habe ich in meiner freien Zeit auch schon einen ganz kleinen Anfang mit dem Erlernen der sartischen Sprache gemacht. Aber aller Anfanf ist schwer.
Sehr dankbar bin ich Ihnen für die Karte, welxhe ixh am 6.19. November erhalten durfte. O, welch großen Wert haben Nachrichten von in Christo verbundenen Brüdern, wenn man so weit in der Fremde und einsam dasteht. Das „Allinazblatt“ erfreut mich auch wöchentlich mit seinem Erscheinen, obwohl es recht viel Zeit braucht für die weite Reise, wenigstens drei Wochen.
Mit Br. Penner bin ich etwa 10 – 14 Tagereisen auseinander. So der Herr will und ich leben werde, gedenke ich nächsten Sommer ihn doch zu besuchen, wie auch gleichzeitig die Brüder in Taschkent, weil ich ja auch dort durchreisen muß. Das Reisen ist hier zu Lande etwas ganz anderes, als in Deutschland im D – Zuge.
Wie viel könnte ich schon erzählen, obwohl ich noch nicht fünf Monate von dort weg bin. Wunderbar hat der Herr mitunter geholfen. Obwohl ich einerseits aus der Schule (Bibelschule) bin, so bin ich doch noch immer in der Schule und habe mitunter recht vielseitige Lektionen zu lernen, besonders hier in Chiwa.
Mein innigster Wunsch ist, die Zeit meines Lebens in der Schule des Heiligen Geistes zu bleiben und mich von Ihm in allen meinen Angelegenheiten unterweisen zu lassen. Der Herr gebe es!
Nun, für diesmal muß ich schließen. Sehr erfreut haben mich die vielen Unterschriften der Lieben dort. Bitte sehr, die Bekannten, wie auch die mir nicht Bekannten, recht herzlich zu grüßen und auch ferner meiner fürbittend zu gedenken, wie ich auch tue.
Kornelius Kliewer
Gabenliste
M – Mark; R – Rubel; Fr. - Frank.
Direkt an Br. W. Penner, gelegentlich seines Besuches in Europa; Br. D. in L. 9, - Rbl; E.U. i. H. Mk. 10, -; Wwe. R. i. M. 10-; Gem. Heub. Kr. M. 30- .
Th. H. i.W. 10,-; Gem. E. i. W. 20,-; Gem. R. bei E. 15,-; Br. i. F.Engl.Z. 2,-; Mo. H. 2,-; Mw. St. 5,-; Gem. L. Schweiz Fr. 20,-; Gem. Wi. 68,-; 5,-; Konf. Lo. 50,-; a. Wi. 20,-; W. St., B. Mk. 40.-; S. T. fr. 20,-; J.O.i.W.Fr. 20,-; O.M.i.Ch. bei Sch. Fr. 100,-; Gem. Cl.i. W.Mk. 30,-; Gem. Ernsd. 17,-; Gem. Seelb. 5,-.
Durch die Bibelschule, Berlin W. 30, Hohenstaufenstr. 65; L.O.i.Ri. für Br. Kliewer Mk. 1´,-; Für Turkestan: Br. H.T. i. R. M. 10,-; Br. P.B. 2,-; durch Br. Vollock von Br. L.M. 130,-; Gem. Gr.25,-; Ungen. 15,-; Br. J.i.Ö. Ungarn 12,50.
Gaben für das Werk des Herrn in Turkestan, Chiwa und Buchara können entweder direkt an die Adressen der Brüder gesandt werden oder an Bruder Hermann Epp, Nikolaipol, Post Auli-ata, Russisch-Turkestan.
Um aber unsern Geschwistern, die mit dem Wege des Geldverkehrs nach jenen Ländern nicht vertraut sind, zu dienen, hat sich Br. Vollack, Bankbeamter in Berlin,
Adresse: E. Vollack, Groß-Lichterfelde-West bei Berlin, Roonstraße 30,
bereit erklärt, die uns zur Vermittlung anvetrauten Gaben durch die Post oder Bank an die bestimmten Adressen zu übersenden.
Über alle Gaben wird regelmäßig an dieser Stelle quittiert werden.
Man sende die für die Arbeit in Turkestan bestimmten Gelder darum an Herrn Vollack direkt.
J. Warns. |