|  | 59 So vergeht einige Zeit in tiefstem Grabesschweigen. 
                    Das Summen eines hungrigen Bienleins, das sich zum Fenster 
                    herein hierher verirrt hat, wird zur lauten Musik. Deutlich 
                    unterscheidet man das Zwitschern der Spatzen draussen und 
                    den Schlag der Amsel im nahen Gebuesch.Ploetzlich wird von einem der Vordermaenner, dem's vor lauter 
                    Schweigen in den Ohren zu "klingen" anfaengt, ein 
                    kurzes Husten simuliert, - dem ein kaum hoerbares Scharren 
                    mit den Fuessen folgt. - Einem der Weiblein kommt's wie ein 
                    feines Niesen an, und behutsam zieht sie ihr hart gestaerktes 
                    Sacktuch mit dem Marienblatt oder Thymianstraeusschen ein 
                    paar mal unter der trockenen Nase hin und her, wobei eine 
                    Wolke von Kraeuterduft, wie vom Geruch wohlriechender Narde, 
                    zu den Nachbarinnen hinueberzieht.
 Wieder lautlose Stille, - stumme, fromme Erwartung. Selbst 
                    die beweglichen Jungen sitzen wie hypnotisiert, und auf den 
                    weissen, glatten Stirnen der Maegdlein ziehen sich feine Andachtsfalten.
 Jetzt betritt, aus der Wohnstube des Schullehrers kommend, 
                    der Vorsaenger die Schulstube und schreitet in gemessenem, 
                    feierlichem Schritt seinem Platze neben dem noch leeren Sitze 
                    des Predigers zu.
 Es ist eine grosse, markige Gestalt, dieser Vorsaenger des 
                    Orts, ein echter Insulaner, gut genaehrt, das Gesicht glatt 
                    rasiert, das starke Haupt mit schwarzen, straehligen Haaren 
                    bedeckt, mitten ueber den Kopf gescheitelt, rechts und links 
                    glatt hinter die Ohren gekaemmt und dann hinten im Genick 
                    nach dem Lineal abgeschnitten. Er traegt seinen langen, schwarzen, 
                    krausen Rock mit vieler Wuerde; denn da es im Dorfe keinen 
                    ansaessigen Prediger gibt, so ist er die einzige kirchliche 
                    Spitze und somit die Hauptperson des Ortes. - Feierlich nimmt 
                    er seinen Platz ein, blaettert ein Weilchen wie suchend in 
                    seinem Gesangbuche, hustet ein paar mal kurz auf, - und dann 
                    sagt er an: "Auf, auf, mein Geist zu loben! Nummer 358!" 
                    - nach einer kurzen Pause wiederholend - "358!" 
                    - Drauf einen Augenblick Schweigen, und dann hebt er mit Stentorstimme 
                    zu singen an. Aber die aendern zieren sich auch nicht, wie's 
                    heute viele von denen mit dem jungen Blut und dem alten Herzen 
                    machen, die auch nicht wert sind, vom lieben Herrgott eine 
                    Stimme mitbekommen zu haben; hier setzen 50 Kehlen so tatkraeftig 
                    und stark ein, wie wenn es gaelte, die Mauern Jerichos umzuwerfen, 
                    oder die Minianiter in
 
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