Willi Vogt. Mennonitische Ahnenforschung

 

Buch: Mennonitisches Jahrbuch 1913. D. Epp. 1914. Halbstadt
Artikel: Ein Sonntag von Anno 1840 auf der Insel Chortitza. Nach K. Hildebrandt senior.
 
   
 
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So wallt alt und jung in feierlicher Stille und gehobener Stimmung zur Kirche. Nur ganz leise mahnt die Mutter ihre juengsten Sproesslinge, waehrend der Predigt (die bis zwei Stunden anhielt), doch ja nicht einzuschlafen, um durch lautes Schnarchen die aendern nicht zu stoeren; aber auch keinerlei Allotria zu treiben. - Ihre ganz Kleinsten hat sie unter Aufsicht der russischen Magd, oder einer aelteren Schwester zu Hause gelassen. Diese Kleinchen feierten ihre Sonntagmorgenstunde im reinen, weissen Ufersand, mit Muscheln spielend. Auch meine Eltern waren der Ansicht: Kinder brauchen viel Liebe und Beispiel, aber sehr wenig "Religion". Der Herr Jesus herzte und segnete die Kleinen, forderte sie aber nicht auf, ihm nachzufolgen. Das macht sich von selbst, wo die Eltern diesen Weg gehen und ihm die Kleinen recht fleissig ans Herz legen. Die Schule steht ziemlich hart am maechtigen Strome. Nur die Strasse, eigentlich ein Fahrweg, und eine unbedeutende Uferstrecke liegen dazwischen. - Fuer den Neuling ist die Aussicht aus den Fenstern des hochgelegenen Schulhauses auf den herrlichen Strom einfach entzueckend; der Insulaner hingegen hat wenig Beachtung mehr fuer das seltene Naturbild, zumal heute noch, wo er seine ganze Aufmerksamkeit auf den zu erwartenden Gottesdienst richtet. In einer kleinen halben Stunde sind alle Bewohner der Insel versammelt. Religioese Meinungsverschiedenheiten gab's damals noch nicht unter unsern Vorfahren, und die Vernachlaessigung der gemeinsamen oeffentlichen Andachtsstunden war einfach undenkbar, zumal nur alle dritte bis vierte Sonntag ein Prediger zu ihnen herueberkam. Und wenn doch einmal jemand, der gesund und zu Hause war, am Kirchensonntage an seinem Platze in der Schulstube fehlte, so weckte dieses ein solches grosses und allgemeines Aufsehen, dass die Ursache davon erforscht werden musste, und eine Stunde nach dem Gottesdienste wusste schon das ganze Dorf, weshalb der Betreffende ausgeblieben war. Die Schulstube ist nicht gross. Eng zusammengedraengt sitzt man nebeneinander, die Maenner rechts, die Frauen links von der improvisierten Kanzel. Feierliche Stille ruht auf der Versammlung. Kein Gespraech wird angeknuepft. Nur im leisesten Fluestertone wuenscht der neu Hinzukommende seinem direkten Sitznachbar einen "Guten Morgen", - weiter kein Wort.


         
 
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Zuletzt geaendert am 1 Juni 2008.