Willi Vogt. Mennonitische Ahnenforschung

 

Buch: Mennonitisches Jahrbuch 1913. D. Epp. 1914. Halbstadt
Artikel: Ein Sonntag von Anno 1840 auf der Insel Chortitza. Nach K. Hildebrandt senior.
 
   
 
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Gott sei's gedankt, dass er uns den Sonntag geschenkt hat!
Da toenen vom aendern Ufer die ersten Klaenge der Kirchenglocken herueber, fromme Beter zur stillen Andacht an den geweihten Ort rufend. Weihevollernst und dabei melodischschoen mischt sich der harmonische Klang mit der Sonntagsstimmung in der Natur. Die Insulaner koennen sich auch einen Sonntagmorgen ohne diesen metallenen Klang nicht denken. Er schlug leise durch das nach dem Flusse geoeffnete Fenster an das Ohr des Saeuglings in der Wiege und weckte den Knaben und das Maegdlein zu Freuden des Sonntags und geleitet die Kirchengaenger auf dem Wege zur Andacht. So war's immer, so wird's immer sein.
An diesem wundervollen Sonntagmorgen sollte in der Schulstube der Insel auch Gottesdienst abgehalten werden, ein Umstand, der an sich schon eine andaechtige Stimmung in der Brust dieser einfachen Naturmenschen weckt. Noch ist's frueh, aber schon sind die achtbaren Vaeter auf dem Wege zum Schulhause. Mit dem obligaten langen Rock von blauem Tuch bekleidet, den sie vor vielen Jahren, beim Empfange der heiligen Taufe zum ersten mal getragen, und der durch die weitere Ausdehnung des Koerpers viel von seiner urspruenglichen Fasson eingebuesst hat, zudem noch durch die weisslichen Naehte sowie durch die abgeschuerfte Farbe sein ehrwuerdiges Alter unzweideutig feststellt, schreiten die Maenner langsam und wuerdig dahin. Das dickleibige Gesangbuch, noch vom Grossvater in Preussen geerbt, ein Holzdeckel, mit Schweinsleder ueberzogen, auf jeder Seite mit fuenf rundkoepfigen Messingknoepfen benagelt und mit zwei Lederkrampen versehen, einstmals durch! dunkeln Blauschnitt geziert, wird sorgfaeltig unterm Arm getragen.
Neben dem Manne trippelt die ehrbare "Muhmke" im gruenen oder blauen Kattunkleide, in blauen Struempfen von Wolle der eigenen Schafe, selbst geschoren, selbst gesponnen, gestrickt und in Waschblau gefaerbt, wobei die Fuesse noch mit derben Lederschuhen oder leichten Korken bekleidet sind. Der Saum des kurzen krausen Rockes hebt sich mindestens ein viertel Arschin vom Erdboden ab und fegt somit nicht den Staub der Strasse. Ein braunes Tuch spannt sich Vorn kreuzweise ueber die Brust, die Zipfel sind unter den Armen nach hinten weggeholt und auf dem Ruecken festgeknotet. Das Haupt schmueckt eine schwarze Listrinmuetze; diese verdeckt alles - die ganze

         
 
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Zuletzt geaendert am 1 Juni 2008.