Willi Vogt. Mennonitische Ahnenforschung

 

Buch: Mennonitisches Jahrbuch 1906. H. Dirks. 1907. Halbstadt
Artikel: Aus den Aufzeichnungen eines Alten. (von Aeltesten H. Dirks )
 
   
 
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Als erst die erste Doerferreihe an der Molotschna bestand, war der uebrige Teil des empfangenen Landes noch eine weite Urwiese. Hohes Terssagras (Steppnadelgras), vermengt mit dem hochstaengligen, blaufleckigen Feldsalbei und Tymian und wilden Klee, bedeckte den Boden. Im Fruehjahr bluehte auf dem Felde die Kuhblume (Niesswurz), weisse und gelbe und blaue Lilien, gelbe und rote Tulpen, Rittersporn, Butterblumen (Loewenzahn) Nelken, Osterviolen (Vergissmeinnicht), die Koenigskerze - aber auf Stellen auch ein Vergissmeinnicht uebler Art, die Stachelklette. Im Getreide, wo es bereits gebaut wurde, wuchs auch manche Art Unkraut: Disteln, Hedrich, Rade, die Winde, Kurai, die Windhexe, milder Mandelstrauch, Perie usw.
Im Herbste wuchs, und das ist ja mehr oder weniger noch jetzt der Fall, auf den Stoppelfeldern Kurai, der junge und gruen ein gutes Futter ist, alt und trocken aber zu strachlich ist, als dass das Vieh ihn fressen sollte, der aber als Brennmaterial sehr gut zu brauchen ist und, abgeeggt und in Haufen gebracht, Fuhrenweise von den Armen zu ihren Wohnungen gebracht und im Winter verheizt wird. Der Kurai gerade dient in Jahren, wo Missernte gewesen ist, zum Notbehelf als Brennung oder gar als Futter. Mancher Kuraibusch oder Windhexenstaude, vom starken Winde oder sonst wie entwurzelt, rollte im Herbste werstenweit ueber das Stoppelfeld oder ueber die abgeweidete und erstorbene Weidesteppe, in der Einbildung eine wandelnde Hexe, daher der Name Windhexe. Auch der so genannte Schwanzzabel (weisse und schwarze Maddel) waechst auf den Aeckern, wo Getreide geerntet ist, zwischen den Stoppeln nach und ist ein herrliches Gruenfutter.
Als die Doerfer noch nicht angelegt waren, war das Land eine oede Steppe, auf der man meilenweit fahren konnte, ohne Haus oder Baum zu sehen, auf der grossartige Tatamorganas (Luftspiegelungen) zu sehen waren. Viele kleine und manche hoehere Erdhuegel, von den Russen Mogilen, d.h. Grabhuegel, genannt, befanden sich auf der Steppe in kurzen Abstaenden von einander; die kleinen aber sind nicht Graeber, sondern von Baibacken (eine Art Murmeltier) aufgewuehlte Erhoehungen; die grossen sind allerdings Graeber, naemlich Hunnengraeber. Die Zuege der Hunnen sind hier seiner Zeit, aus dem Osten kommend, westwaerts gezogen. Ob die Steinfiguren in Menschenform, und die noch da und dort aufgestellt sind, Goetzen der Hunnen oder

         
 
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Zuletzt geaendert am 27 Mai 2008.