vom 21 November 1881, Nr. 22, S. 6; 7 Dezember 1881, Nr. 23, S. 6 und 21 Dezember 1881, Nr. 24, S. 7
21 November 1881, Nr. 22, S. 6
Bericht über die Auszugs – Gesellschaft in Turkestan.
Wie den Lesern aus früheren Mittheilungen erinnerlich sein wird, sind im verflossenen wie im laufenden Jahr aus den Taurischen und Samarischen Gouvernementen eine Anzahl Mennonitenfamilien (im Ganzen über 160) nach Turkestan gezogen, um nicht allein der Ableistung des für die Mennoniten zum Ersatz der Wehrpflicht bestimmten Forstdienstes, sondern im Ganzen und Allgemeinen der Verbindung mit den Reichen dieser Welt, welchen, ihrem früher aufgestellten Glaubenssatze nach, das in die Wüste flüchtende Weib der Offenbarung Johannes, oder die Brautgemeinde Christi, oder der Leib Jesu, auch nicht in der gelindesten Form untergeordnet sein oder mit ihnen in Verbindung stehen darf, zu entgehen. Nach wiederholten Bitten und Verhandlungen mit der Regierung, nach manchen frohen Hoffnungen und bitteren Enttäuschungen, war das Endresultat, daß die Uebersiedler auch in Turkestan weder von der Verbindung mit dem, als dem Zorngericht Gottes verfallen, geflohenen Weltstaat im Allgemeinen, noch von der Wehrpflicht im Besondern befreit werden. Ein Theil der Uebersiedler, insonderheit die aus dem Taurischen Gouvernement, fügten sich schließlich den Anforderungen der Regierung; ein anderer Theil aber, insonderheit die aus dem Samarischen Gouvernement, blieben „treu“. Es kam zur förmlichen Trennung, indem es laut der den Treuen gewordenen Klarheit nicht ein Haupt und mehrere Leiber, sondern nur wie ein Haupt, Jesus Christus, so auch nur einen Leib desselben geben könne. Man reinigte sich nun von der bereits erlittenen Befleckung durch ein besonderes Schuldbekenntiß und weihete die danach noch Hinzutretenden überdies durch Handauflegung noch besonders ein.
Da ihres Bleibens nun in Rußland nicht mehr sein konnte und seitens der Regierung ihnen freigestellt wurde, das Land ohne Pässe, ohne jeglichen Beistand, aber auch ohne irgend welche Behinderung zu verlassen, obgleich es der väterlichen Regierung schwer ankomme, die Verirrten blindlings in die augenscheinliche große Gefahr rennen zu sehen, ordnete die gereinigte Bruderschaft eine Deputation zum Emir der freien Bucharei ab. Diese Deputation berichtete Folgendes:
Wir fuhren Dienstag den 23. Juni von Taschkent mit der Post ab und gelangten noch denselben Tag bis Schünas am Syr – Darja. Tags darauf, als wir den Fluß etwa vier Werst stromabwärts gefahren, wurden wir von Kirgisen in einer Fähre hinübergesetzt und nun ging`s weiter in die sogenannte Hungersteppe hinein. In dieser wasser- und baumlosen Steppe war es recht drückend heiß, aber der Herr half hindurch. Um 7 Uhr Abends hatten wir das Schlimmste passiert, indem wir wieder dem Gebirge näher, in bewässertes Land mit recht schönen Fruchtfeldern kamen. Abends kamen wir in dem Städtchen Schusack an. Von hier ging der Weg in`s Gebirge durch einen hübschen Bergstrom. Oben im Gebirge war sehr gute Frucht auf bewässertem Lande; auch recht viel grüne grasbewachsene Steppe. Nachdem wir ungefähr 40 Werst oben gefahren, ging es wieder allmählig hinunter, wo die vielen Bäume, Getreidehaufen und üppigen Reisfelder der Gegend ein liebliches, oft recht anheimelndes Aussehen gaben. Samarkand kam immer näher. Nicht weit vor der Stadt, mußten wir mit einer Arba (zweirädriger Karren mit sieben Fuß hohen Rädern) durch den Fluß Saraffschan fahren, weil es für die Posttarantasse (eine Art Kutsche – E.K.) zu tief war. Um 2 Uhr Nachmittags kamen wir in Samarkand an. Hier wechselten wir uns bei einem bucharischen Kaufmann 20 Rubel bucharisches Geld ein und besorgten alles sonst noch zur Weiterreise Nothwendige. Um 6 Uhr Abends ging`s weiter der Grenze zu; 43 Werst weiter blieben wir auf der Poststation über Nacht und fuhren morgens die 20 Werst bis zur Grenze. In der Grenzstadt Kasakwjan glücklich angekommen, dingten wir uns während dem Theetrinken eine Bucharen, der für 11 Rubel uns versprach, auf einer Arba mit einem Pferde in zwei Tagen mit uns bis Buchara (150 – 160 Werst) zu fahren. Um die Mittagszeit fuhren wir von Kasakwjan ab und passierten einige Werst weiter die Grenze, ohne daß uns Jemand nach Pässen gefragt hätte. Im Bewußtsein, daß der Herr und Heiland, in dessen Dienst und Namen wir die Reise unternommen hatten, bei uns sei, setzten wir getrost unsere Reise fort. Die Gegend war auch hier, wie die letzte Strecke vor der Grenze, recht öde; die Weizenfelder ohne Bewässerung standen schlecht, etwa 15 – 20 Pud von der Desjatine versprechend. Rechts sahen wir gute, bewässerte Fruchtfelder in starkbevölkerter Gegend. Die Wege im bewässerbaren Lande sind so schmal, daß stellenweise zwei Wagen kaum an sich vorbeifahren können, und überall an der Landstraße Bäume, so daß wir lange Strecken im Schatten fuhren. Abends 10 Uhr fuhr unser Fuhrmann in einen Sardenhof zum Nachtquartier, bestellte Thee mit Pelau (ein sehr schmackhaftes Essen aus Reis und Schaffleisch) und sagte, daß hier auch eine schönes Bad (orak) zu haben wäre, wovon wir denn auch zu unserer großen Erquickung Gebrauch machten.
(Fortsetzung folgt).
7 Dezember 1881, Nr. 23, S. 6
Bericht über die Auszugs – Gesellschaft in Turkestan.
(Fortsetzung).
Nach schöner, aber kurzer Ruhe, um 2 Uhr Morgens, weckte uns unser Fuhrmann, und fort ging es weiter. Um 7 Uhr wurde Halt gemacht zum Füttern. Während dem bekam unser Fuhrmann Sultanbek Streit mit einem Sarden, der sehr heftig wurde, doch nicht in Tätlichkeiten ausartete; wir waren aber ihre besten Freunde. Als Sultanbek jedoch abspannen sollte, erklärte er, daß sein Pferd einen wunden Rücken hätte und er selbst auch krank sei; er hatte sich nämlich an Opium berauscht. Doch fand sich alsbald ein anderer Fuhrmann, welcher für den bedungenen Preis eintrat, aber kein Wort russisch verstand. Die ersten 25 Werst, welche wir nun weiter fuhren, waren wüste Steppe, wie die Hungersteppe, aber gegen Abend kamen wir in eine sehr fruchtbare, dichtbevölkerte Gegend. Mitunter schöne große Bäume und besonders viel des Seidenbaues halber angepflanzte Maulbeerbäume. In den Gräben oft viel Wasser, was uns lebhaft an die preußischen Werder erinnerte. Zur Nacht brachte uns unser Sarde wieder in einen Hof und bestellte uns Thee und Polau. Unter alten Weiden und Rüstern umher lagerten Gruppen, ihren Thee trinkend; wir gesellten uns zu ihnen. Die Mohammedaner hielten ihre Abendandacht und auch wir vereinigten uns im Gebet und legten uns zur Ruhe.
Um 2 Uhr Morgens brachen wir wieder auf uns um 8 Uhr wurde wieder gefüttert. Es war Sonntag und unser Fuhrmann schien, was uns sehr lieb war, keine Eile zu haben. Wir suchten uns daher einen freundlichen schattigen Platz auf und fleheten vereint den Herrn um einen Sonntagssegen an. Hier zählten wir auf den Bäumen auch acht bewohnte Storchnester. Um 1 Uhr Nachmittags machten wir uns wieder auf den Weg, Buchara zu. Buchara ist mit einer Festungsmauer umgeben. Wir fuhren ungehindert durch ein Thor hinein, Straße auf, Straße ab, nach dem Hause des „russischen Comptoirs“. Dort angekommen, redete uns ein Tartar in russischer Sprache an. Wir erkundigten uns nach einem Quartier; er ging auch sofort mit Br. E. aus eines zu miethen, fand aber keines, weil die Leute Furcht hatten uns aufzunehmen. Als es Abend wurde, sagte ein Comptoirdiener: „kommen Sie nur mit zu unserm Herrn Gredowsky, Rath muß geschafft werden“. Eben an denselben hatten wir auch eine Empfehlungskarte und er empfing uns sehr freundlich und ließ uns gleich ein Zimmer einräumen. Buchara ist eine ziemlich große Stadt, man sagt 15 Werst im Umfange, und hat elf Thore. Die Straßen sind sehr enge und die Häuser haben nach der Straßenseite keine Fenster und nach der Hofseite eigentlich auch nur Fensterlöcher, indem man sehr selten Glas eingesetzt sieht. Die Markthallen sind große gewölbte Gebäude mit vielen ebenfalls gewölbten Nebengängen, worin im großen Maaßstabe russische wie bucharische Waaren, insonderheit viel Seide und Seidenstoffe aufgestapelt sind. So zu sagen der ganze Marktplatz, Straßen wie Häuser, sind regendicht bedeckt und werden nur durch Löcher im Dache erleuchtet. Stellenweise ist es daher sehr dunkel, aber in der gegenwärtigen Hitze angenehm kühl. Moschee`n sollen 400 sein; sie sind aus Ziegeln gemauert. Auf manchen derselben zählten wir 4 – 5 Storchnester. Auf dem Markte fehlt es nicht an Früchten, als Aepfel, Birnen, Pfirsichen, Weintrauben, Arbusen, Melonen u.s.w. und das alles sehr wohlfeil; z.B. 1 ¼ Pfd. Weintrauben oder Pfirsiche 3 Kop. und darunter.
(Fortsetzung folgt).
21 Dezember 1881, Nr. 24, S. 7
Bericht über die Auszugs – Gesellschaft in Turkestan.
(Schluß).
Am Dienstag wollten wir versuchen vor den Emir zu kommen. Ein bucharischer Kaufmann, dem wir unsere Bittschrift zeigten, rieth uns aber, dieselbe erst umschreiben zu lassen, weil der Dialekt sehr taschkentisch sei. Dies wollten wir nun auch, konnten aber Niemanden dazu bewegen, der Furcht vor dem Emir halber. Ebensowenig wollte Jemand die Adresse auf ein Couvert schreiben, worin, wie man sagte die Bittschrift eingelegt sein müsse. Herr Gredowsky meinte, es würde am besten sein, die Bittschrift so abzugeben, wie wir sie hätten, und so fuhren wir denn Mittwoch morgens auf einer Arba nach dem Landhause des Emir ab. Dort angekommen, wurden wir gleich von ein paar Herren empfangen, welche erst die Bittschrift nahmen, darnach aber erklärten, daß sie eine Adresse haben müsse. Ein Beamter fuhr nun mit uns zurück zur Stadt und hier fuhren wir von einem Hause zum andern, aber Niemand war dazu zu bewegen die Adresse zu schreiben. Endlich kehrten wir in unser Quartier zurück und trafen hier mit dem Minister Ignar auf dem Hofe zusammen, welcher nach unserm Begehr fragte. Wir überreichten ihm die Bittschrift, nach deren Durchlesung er sagte, daß er Abends uns zu sich werde anholen lassen, was auch geschah durch zwei seiner Leute. Nach dem Empfange mußten wir uns zu ihm auf den Teppich setzen und unsere Umstände auseinandersetzen. Darauf sagte er, daß er die Bittschrift dem Emir vorlegen und ein paar Tage später Bescheid ertheilen werde. Darauf wurde uns auf einem Tuche Confekt und Gebackenes angeboten. Als wir gegessen hatten, verlangte er von uns ein Tuch, band den Rest zum Mitnehmen ein, dabei sagend, daß er so bei ihnen Gesetz sei. Der versprochene Bescheid blieb aus, anstatt dessen erfuhren wir Montag, daß der Minister ein Bein gebrochen habe. Was sollten wir jetzt thun? Die Bittschrift hatte er in Händen! Doch waren wir getrost, in dem Bewußtsein, daß es des Herrn Sache sei und nicht länger aufgehalten werden könne, als Er es für gut halte und denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.
Montag Abends gingen wir wieder zum Minister, ohne Dolmetscher, indem aus großer Furcht Niemand mitgehen mochte. Als wir hinkamen, wurden wir vor sein Lager geführt und mußten uns vor demselben auf den Teppich niederlassen. Er ließ uns sagen, daß er die Bittschrift dem Emir abgegeben habe, nun aber nichts weiter für uns thun könne. Wir sollten uns aber an den Gesandten Ibrahimow wenden, welcher uns beim Emir vertreten würde. Dienstag gingen wir zum Gesandten, kamen auch gleich vor, richteten aber nichts aus, indem er meinte, daß er es Rußlands halber nicht thun könne, weil er in Taschkent als Gesandter von Buchara stehe, rieth uns aber, wieder zum Minister zu gehen, welcher allein etwas in unserer Angelegenheit zu thun vermöge. Wir befolgten den Rath, aber nun sagte uns auch der Minister jegliche Hülfe ab und meinte, Buchara habe kein übriges Land. Die Sache wurde immer dunkler, wir konnten nichts als beten und hoffen; hoffen, wo nichts zu hoffen war; denn der Herr hat Seiner Gemeinde eine offene Thür verheißen und er hält, was er verspricht! Donnerstag gingen wir wieder zum Gesandten, aber ohne Erfolg. Nun wendeten wir uns an den Vater des Ministers, der die Stelle seines Sohnes vertrat. Er versprach, unsere Angelegenheit nochmals dem Emir vorzutragen und Montag Bescheid zu geben. Der Bescheid lautete: „Es geht gar nicht, Buchara hat kein Land und kein Wasser für Fremde,“ mit dem Zusatze, daß wir nun aufhören sollten zu wirken u.s.w. Was nun? Wir baten Gott um Licht und Klarheit und fuhren gleich wieder nach Kaplanbeck zu unseren Lieben ab, mit der Gewißheit im Herzen, daß die Sache dennoch werden würde, wenn nicht jetzt gleich, doch bald, denn der Herr wird halten, was Er versprochen, und der Gemeinde der der Letztzeit einen Sammlungsort anzeigen. Am Sonnabend kamen wir wieder in Taschkent an und erfuhren hier gleich, daß Br. O. Ordre erhalten habe, sich sofort beim Doktor zu stellen und in Taschkent in Dienst zu treten. Den Doktor hatte er nicht zu Hause angetroffen, sollte aber gleich Unterschrift geben, sich unfehlbar am 25. Juli zu stellen. Die Unterschrift sagte er ab und reichte dagegen beim General – Gouverneur eine Bittschrift um Entlassung ein. Es half aber nichts. „Sie gehen ja nicht,“ sagte man, „Sie können ja aus dem Lande gehen, dann frägt Niemand mehr nach Ihnen, aber mit Ihrem Bleiben willigen Sie ja in den Dienst.“ Was nun? In Rußland kein Bleiben, in Buchara keine Aufnahme! Doch der Herr hat die Seinen noch nie verlassen und Er sollte und jetzt verlassen? Nein, auf Ihn können wir uns getrost verlassen und uns in Seine Arme werfen und sagen: „Herr, mache es mit uns wie Du willst, Dein sind und bleiben wir, Du Bräutigam unserer Seelen!“ Auch bleiben uns ja immer noch die vielen Verheißungen; der Herr wird helfen; Er muß helfen! Wir beschlossen, wie der Glaubensvater Abraham auszuziehen, in ein Land, welches der Herr uns zeigen wird, und bestimmten den 24. Juli zum Tag des Aufbruches und Auszuges, wohin? Das wissen wir nicht. Aber durch den Glauben ward gehorsam Abraham, da er berufen wurde, auszugehen in das Land, das er ererben sollte, und ging aus und mußte nicht, wo er hinkäme.
Und so ging denn ein Zug von 45 Wagen, im Beisein, um nicht zu sagen, unter Beobachtung eines Regierungs – Beamten von Taschkent ab. Den ersten Sonntag ihres Nomadenthums, als Fremdlinge, Pilgrime und Gäste auf Erden, feierten sie noch auf russischem Boden, als „ersten Sonntag ohne Weltgesetz.