Ein Bericht über die Auszugsgesellschaft in Turkestan in "Zur Heimat"
7 Juni 1881, Nr. 11, S. 6
Asien.
Ueber die sich „Brautgemeinde“ nennenden Taschkenter Auszügler schreibt uns unser Korrespondent aus Rußland:
Die Auszugsgesellschaft von der Wolga her, wohnt in Kaplanbek, etwa 20 Werst von Taschkent und diejenigen von der Molotschna her, in Taschkent selbst, in leeren Buden des „Kaufhofes“. Trotz aller Vorsorge der örtlichen Behörde, die sogar ihrethalben, wie man schreibt, eine über 300 Fuß lange Sumpfstelle in Chaussee verwandelt hat, sind die Wohnungen in Kaplanbeck, hergerichtet in hinterbliebenen Stallungen einer ehemaligen Kronsstuterei, sehr naß. Als der erste Zug ankam, waren sie noch offen; es mußte also darin eine Menge frischer Lehmwände aufgeführt, Oefen gesetzt, Thüren und Fenster gemacht werden etc. Die Arbeiter, Kirgisen, leisteten wenig. (Der eigentliche Einwohnerstamm sind Sarten). Der Nässe halber mußten dann die Wände und Fußböden mit Rohrmatten, die dort massenhaft und billig zu haben sind, belegt werden. Die Auszügler von der Molotschna, welche am 24. November ankamen, mußten die obenerwähnten Kaufbuden auch noch mehr zurichten. Letztere Wohnungen sind zwar etwas ansehnlicher, als erstere, aber die Dächer, gleicherweise fast ganz flach, lassen das Regenwasser sehr durch, daß man sich bei Regenwetter fast gar nicht zu helfen weiß. Die Witterung ist wechselhaft. Bis Weihnachten, außer Regen, sehr schön. Zu Weihnachten gab es ein wenig Winter, Schnee und Frost bis 8 Grad Reaumur. Die Neujahrskuchen backte man, es war fast Sommerwetter, bei offenen Thüren, auch ganz im Freien. Die erste Hälfte des Januar meist Sommerwetter bei 10 – 16 Grad R. Wärme; ja am 15. fast 18 Grad und dann am 16., nach vorhergegangenem Regen, Schneefall wie kaum mehr auf ein Mal herunter könnte. Die zweite Hälfte Januar abwechselnd etwas Frost, Regen, Schnee. Anfangs Februar etwas Regen. Die Einheimischen (Sarten und Kirgisen) weiden ihr Vieh fort im Thal und auf den Höhen und das Gras sprießt auch unterm Schnee lustig fort. Auch hat man im Januar schon die ersten Frühlingsblumen im Freien gepflückt. Ueber den fernern Verbleib schreibt man: Zweimal haben sie auf Anordnung der Behörde das Landstück Kaplanbeck besichtigt, und das zweite Mal einstimmig angenommen. Als dieses dem betreffenden Beamten mitgetheilt wurde, knüpfte derselbe die Verpflichtung zum Wehrdienst daran, worauf man natürlich es sofort absagte. Am 4. Februar schickte man dann eine Deputation zu General – Gouverneur. Derselbe lenkte nun wieder ihren Blick auf zwei, schon den ersten Deputierten im vorigen Jahr ein Vorschlag gebrachte Landstücke im Arysthale, östlich von Taschkent, welche nun auch besichtigt werden sollen. Uebrigens sagte ihnen der General – Gouverneur noch im diesbezüglichen Gespräch, daß sie mit allen ihren Kindern 15 Jahre von Allem frei wären. (Es herrscht in dieser Beziehung ein Dunkel. Aber Einer schreibt, daß man sich sorgfältig hütet, die Herren „in´ s Gesetz zu treiben“, denn das wissen sie, ist gegen sie). Andere wünschen, das die Auszügler in der Nähe von Taschkent bleiben möchten ihrer Milchprodukte halber. So hatte auch der General – Gouverneur selbst in der ersterwähnten Audienz davon gesprochen, ob vielleicht einige Familien geneigt sein möchten in der Nähe von Taschkent zu bleiben, was aber abgelehnt wurde. Ueber das Arysthal heißt es, wie man schreibt in Fr. v. Hellenwaldt`s „Centralasien“: Mit Bewunderung spricht Säwerzow (Nikolai Alexejewitsch Sewerzow – Wikipedia), welcher 1864 diese Gegend bereiste, von der Fruchtbarkeit des Arysthales und der zur linken Seite sich anschließenden Steppe. Ueberhaupt, sagt er, wo immer in diesen Ländern Bewässerung möglich ist, versagt der Boden dem Menschen nie den Lohn seiner Anstrengungen. Ausgezeichnet ist in dem gut bewässerten Arysthale der Wuchs der Luzerne, des Weizens, der Dschugara (Holms taubaratas) (eine Pflanze, die als Tierfutter verwendet wurde – E.K.), das Mais und der Kumack, ein dem Acupemrus ähnliches Gewächs, welches ein vorzügliches Pferdefutter abgiebt. Zu wahren Prachtexemplaren gedeihen hier Melonen und Arbusen (Wassermelonen) in dem fetten, lockern, schwärzlichen Schlamme, welcher den Boden bildet,“ An der Wolga sollen noch 20 Familien sein, welche im Laufe dieses Jahres noch nach Taschkent hinüber wollen. Auch an der Molotschna sammeln sich Etliche zu gleichen Zwecken. Wie viele davon aber des Glaubens oder des schönen Landes halber hinziehen wollen, weiß ich nicht. Einer davon, welcher hier (in Süd-Rußland) zur Reise (nach Asien) kollektiren ging, meinte: „Hier haben wir kein Land und kriegen keins, dort aber ist es so und so.“ Ein Theil der Wolgaer Auszugsgesellschaft hegt den Wunsch, gleich hier von Abgang eine besondere Gemeinde, wie die andern sind, zu organisiren und den Aeltesten ordentlich bestätigen und einsegnen zu lassen-“