Ein Bericht von einem Unbekannten aus Taschkent, Turkestan in "Zur Heimat"

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

vom 7 Mai 1881, Nr. 9, S. 5 und 6

Asien.

Auszug aus einem Briefe aus Taschkent.

Ein lieber Freund in meiner Nähe war so freundlich, mir einen Brief, den er vor einigen Tagen von seinen nach Turkestan übergesiedelten Kindern erhalten, für`s „Zur Heimath“ zur Verfügung zu stellen. Dieser Brief beweist, wie unbegründet alle Privatnachrichten von dieser Auszugsgemeinde gewesen sind, und ich beeile mich, das Wesentlichste daraus der Redaktion des „Zur Heimath“ mitzutheilen.

(Korr. D. Z.H.)

Taschkent, den 9 Januar 1881.

...Also befinden wir uns jetzt wirklich in Taschkent durch Gottes gnädigen Beistand und Hülfe. Es ist uns selbst ein Wunder. Den 2. Dezember kamen wir hier an und wie trafen wir es? So viele Wohnungen als gerade unsere Familienzahl betrug, waren so ziemlich mit Oefen zum Heizen fertig; auch an Stallung für die Pferde war gedacht. Zwei bis drei Tage nach unserer Ankunft saß ein jeder Familienvater mit seinen Kindern an dem warmen Kamin an seinem eigenen Tisch und tranken mit großem Behagen ihr Gläßchen Thee, und was noch mehr, man durfte wieder die Bibel auf den Tisch legen, um sich wieder einmal in der warmen Stube aus dem theuren Worte Gottes etwas zu stärken. Ach, wie that es uns so wohl, besonders in den ersten Tagen nach einer so langen und beschwerlichen Reise! Wir durften uns nun sagen: jetzt laden wir ab, hier dürfen wir einweilen unsern Fuß hinsetzen zum Ausruhen, nachdem wir bei 4000 Werst mit unsern Pferden und Wagen gemacht. Es war doch ein wichtiger Umstand, Alles war froh, Freude strahlte aus allen Gesichtern. Wie Mancher hatte uns früher von der Reise abgerathen; es wäre ja unmöglich, so eine Strecke zu fahren und unter den wilden Völkern und in der Sandwüste müßten wir entschieden umkommen, und wie ganz anders hat sich`s herausgestellt. Wenn wir früher pflegten mit Weizen nach Berdjansk zu fahren, hatte es sich oft getroffen, das Russen, die uns begegneten, uns Peitschenhiebe auf`s Verdeck oder Schimpfnamen erhielten, die dabei doch Christen heißen; die hiesigen Völker dagegen sind Heiden und werden für wild gekennzeichnet, wenn man sie aber begrüßt, so danken sie freundlich und wünschen uns Glück zu unserm Vorhaben. Es hat sich getroffen, wenn wir an eine Brücke kamen und sie erst vor uns waren, daß sie bei Seite anhielten und ließen uns erst überfahren. Mir ist nichts bekannt, daß Jemand von diesen sogenannten wilden Völkern uns unfreundlich begegnet ist. Wir sind mit unserm Glauben an den lebendigen Gott nirgends zu Schanden geworden, und ich muß bekennen, Er hat uns den Weg der Güte geführet.

Als wir hier ankammen, mußten wir gerichtlicht angeben, wie viel Familien wir waren, und dem General Kaufmann wurde sogleich unsere Ankunft telegraphisch gemeldet.

Dieser nimmt sich unserer Sache ganz an; er hat auch die Herrichtung unserer Wohnungen ins`s Werk gesetzt und soll dazu 3000 Rubel aus seiner Tasche gegeben haben. Am 15. December haben die Unsern ihm eine Dankadresse überreicht; nach deren Durchsicht habe er sich erkundigt, wie die Reise gegangen, ob Viele gestorben seien oder krank gewesen wären, und ob wir mit den Wohnungen zufrieden seien. Wir sind auch schon beim Gouverneur gewesen und haben die Pässe abgegeben; dieser hat schließlich gesagt, es würde alles seinen Fortgang gehen. Der Präsident in der Kanzlei des Gen. Kaufmann, Namens Kamutow, ist ein gar freundlicher Mann und ein Freund der Deutschen, zugleich Mitglied im Staatsrathe. Es scheint ein allgemeines Wohlwollen uns entgegen zu treten.

Am 23. Dec. Waren die Unsern wieder bei Kaufmann eingekommen mit einer Bittschrift, daß uns ein Stück Land angezeigt werden möchte. Er hat sie freundlich aufgenommen, die Bittschrift gelesen und sich nach unserm Befinden erkundigt. Auf die Bitte wegen Land würde er in den nächsten Tagen entscheiden, er wollte uns drei bis vier Landstücke anweisen, die wir selbst ansehen und dann auch selbst wählen könnten. Er habe auch gefragt, ob noch welche nachkommen würden, worauf geantwortet wurde, daß wir dieß fest glaubten. Dann hat er ferner gesagt Euer Wunsch ist doch, daß Alle sich beisammen ansiedeln, was mit Ja beantwortet wurde. Daran habe er gedacht. Ich will, hat er weiter gesagt, keinen locken, das ist eine Sache, die man mit dem Herrn abzumachen hat.

Nun berichte ich noch etwas von der Reise. Wir dürfen auch wohl den Ausdruck gebrauchen: Steil und dornig ist der Pfad, der uns zur Vollendung leitet. Wir haben steile Pfade, Hügel und Thäler, gefährliche Dämme und Brücken angetroffen. Besonders viel Aufenthalt haben uns die großen Flüsse verursacht. Erstens über den Kalmus, zweitens Mühus, drittens Don, viertens Donetz und fünftes Wolga. Beim letzteren brauchten wir zwei Tage, da wurden zwei Kähne zusammen angefüllt mit unsern Fuhren und dann ein Dampfer vorgelegt. Das Pferdefutter war etwas theurer, Hafer 70 Kop. bis 1 Rub. 20 Kop. das Pud, Heu, das Pud von 10 bis 40 Kop., mehrentheils 30 Kop. Von Irgis bis Kasalinski 296 Werst, was zu der Wüste gehört, hatten wir noch Hafer (10 Pud hatten wir auf die Kamele laden lassen), wir zahlten 47 Kop. das Pud, durch die Wüste. Von Kasalinksi hatten wir Gerste, das Pud 70 Kop. bis 1 Rubel; später bekamen wir Klee in Garben, 10 Stück 1 Pud, das Stück 3 bis 4 Kop. Für die Pferde ein herrliches Futter ist auch hier in der Stadt unser Futter, und kostete anfänglich das Hundert 3 Rub. 70 Kop., jetzt nur 3 Rubel. Das Weißbrod kostet 4 Kop. das Pfund, Schaffleisch 5 Kop. das Pfund, Rosinen 7 Kop., Weintrauben 4 Kop., es sind weiße Trauben, von Größe wie dort die Eicheln, sehr süß und schön. Trockene Aprikosen die Menge, 10 Kop. das Pfund. Arbusen von 10 Kop. 15 Kop. das Stück, auf der Reise gekauft zu 8 Bund 10 Kop., im Gewicht mitunter beinahe 1 Pud und sehr schmackhaft, Melonen die Menge, aber etwas theurer.

Als wir diesseits der Wüste am Sonntag bei einer Poststation ruhten, war es recht kalt, und wir baten den Postmeister um Erlaubniß, im Stall unsern Gottesdienst halten zu dürfen, was uns gleich gewährt wurde, und wir hatten da Raum genug. Gegen Abend kam ein Kirgisenjäger, der hatte einen gewaltig großen Vogel bei sich auf dem Sattel, eine Art Adler, dem hatte er seine Mütze von Leder über den Kopf und die Augen gesetzt; als wir den Postmeister fragten, wozu er ihm die Mütze aufgesetzt habe, sagte er, wenn der Vogel die nicht auf hätte, würde er uns bald auf dem Kopfe sitzen. Den Vogel gebrauchte der Jäger auf der Jagd, um Hasen und Wolffüchse und sonstige verschiedene Thiere zu fangen. Wir haben auch nachher mehrere solcher Jäger mit Vögeln angetroffen; sie haben am Sattel ein Eisen befestigt, nach oben so, daß der rechte Arm da hinauf paßt, und auf dem Arm sitzt der Vogel; wenn sich das Wild sehen läßt, setzt der Vogel ihm nach und nach einer kleinen Weile erhascht er`s jedesmal.

Jetzt noch etwas von der Sandwüste, die uns immer etwas schwer auf dem Herzen lag. Wir haben in der Wüste schöne klare Tage gehabt, mitunter so ziemlich den ganzen Tag ebenen festen Weg. Schweren Sand einmal 16 Werst und 7 Werst, dann noch einmal 4 und einmal 2 Werst. Vorgelegt haben wir uns überhaupt nicht; nur die, welche die schwächsten Pferde hatten. Mit dem Wasser ab von der Poststation, aber es war immer Rath. Der Herr hat dafür gesorgt. Ueberhaupt ist es nicht den fünften Theil so gefährlich mit der Wüste, als es an der Molotschna erzählt wurde. Sollte Jemand von euch einen Zug fühlen, uns nachzukommen, so rathen wir euch, daß ihr bis zur Wolga zu Wasser reist, den Unterwagen mitnehmt und dort bei den Brüdern den Aufsatz mit Verdeck anfertiget, denn das Holz ist da beinahe nur halb so theuer. Br. Peters ist, während wir reisten, bei ihnen dort gewesen und haben sie es so besprochen, daß ihr es bei ihnen könnt machen und dann mit ihnen zusammenreisen. Die Pferde würden jedenfalls dort auch billiger sein wegen der zweimaligen Mißernte. Es sind da ungefähr 20 Familien an der Wolga, die uns gedenken nachzukommen, so es des Herrn Wille ist. Es ist hier recht schönes Wetter jetzt, schon 10 Grad Wärme gewesen, auch ein sanfter Regen, zuweilen aber etwas Frost. Auf der Reise haben wir besonders einen Morgen 13 Grad Frost gehabt. Das Holz war aber so häufig, daß die Kinder des Tages so viel lesen konnten, um damit Abends ein hübsches Feuer zu machen. So nahmen wir denn von der Gluth einen Eimer voll in den Wagen, banden ihn oben an die Biegel und so war es bald warm im Wagen. Dann aßen wir noch mit großem Behagen eine Arbuse (Wassermelone – E.K.) und gingen zur Ruhe.