Willi Vogt. Mennonitische Ahnenforschung

 

Buch: Mennonitisches Jahrbuch 1913. D. Epp. 1914. Halbstadt
Artikel: Ein Sonntag von Anno 1840 auf der Insel Chortitza. Nach K. Hildebrandt senior.
 
   
 
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wieda aunsajen! - das heisst, so viel Maenner, Knaben und Maedchen nur da sind, alle muessen kommen! Ja, damals zogen die heranwachsenden Toechter mit den Soehnen selbst bei den gemeinschaftlichen Dorfsarbeiten (Scharwerken) noch an einem Seil, - heute, ach, heute - sind die Jungen so oft schon die jungen Herren, welche das Arbeiten nicht gelernt und ihre Muskeln nicht gestaehlt haben. Und Recht erst bei einer Wolfsjagd mochten die handfesten Maedels nicht fehlen, - sie waeren auch ohne direkte Ansage vom Schulzen mitgegangen. Galt es doch der Bekaempfung eines grimmigen, gemeinsamen Feindes, der "das Schaeflein auf der Weide mit Wolle, weich wie Seide", ebenso wenig verschonte wie den stolzesten Rappen. Der Einzelne aber fing mit den Bestien nichts an, hier musste in geschlossenen Reihen vorgegangen werden.
Und Woelfe gab's damals noch viel in der weiten Umgegend, die der Insel besonders gern ihre Besuche abstatteten. Die weite Niederung und die vielen tiefen Taeler und Schluchten waren mit so maechtigen Baeumen bestanden, und drunter mit so dichtem Strauchwerk bedeckt, dass sich der Wolf keinen besseren Unterschlupf wuenschen konnte, um ungesehen und ungestoert seine Beute in aller woelfischen Gefraessigkeit zu verzehren und das warme Blut seiner Opfer zu trinken. Weil nun, wie bereits oben angedeutet, die Insulaner damals zumeist Schafzucht trieben (Getreide wurde nur fuer den eigenen Bedarf gesaet, denn ein Mehr fand keinen Absatz und den flotten Getreidehandel von heute kannte man damals noch nicht), so fanden auch die Woelfe gerade hier stets reichliche Nahrung. Der Hirte allein vermochte sehr wenig gegen den frechen Raeuber auszurichten. Mit ein paar maechtigen Saetzen war letzterer bei dem abgeirrten Schaeflein, riss ihm mit einem Biss die Gurgel aus und schleppte das zappelnde Tier ins naechste Gebuesch. -
Bis der Hirte dann seine Herde in Sicherheit gebracht und in's Dorf geeilt kam, hatte der Raeuber seine Beute bereits in aller Seelenruhe verspeist, sich die blutigen Pfoten beleckt und, den nahen Fluss durchschwimmend, das Weite gesucht. - Bei einem Wolfstreiben war ich sogar einmal Zeuge, wie der verfolgte Wolf mit einem Satz einer Faerse die Gurgel durchbiss und den Bauch aufschlitzte, dass dem armen wildbruellenden Tiere die eigenen Gedaerme um die Beine schlugen. Fressen konnte er freilich seinen Raub schon nicht, - denn wir Jungen trieben

         
 
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Zuletzt geaendert am 1 Juni 2008.