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                  alten "Lehrer Wiebe," wie er allgemein 
                    genannt wurde, den uns unser Vater im Himmel nun zum Fuehrer 
                    und Leiter der Gemeinde ' bestimmt. Wer ihn horte, musste 
                    ihn lieb gewinnen, denn er hatte eine schoene volle Stimme, 
                    und Liebe atmete uns aus seinen Predigten entgegen. Man hoffte 
                    damals auf viele Jahre, auf Jahrzehnte mit einem Aeltesten 
                    versorgt zu sein; aber der Mensch denkt, und Gott lenkt.-Kaum 
                    zwei Jahre spaeter fing er an zu kraenkeln. Eine tueckische 
                    Krankheit hatte sich in seinen Korper gesetzt, und es ging 
                    mit ihm dem Grabe zu. 
                    Wenige Monate vor seinem Tode im September 1906 machte ich 
                    mit ihm zusammen eine Reise nach Kronsgarten und Wiesenfeld, 
                    wo er das Abendmahl auszuteilen hatte. Die Reise ging Verhaeltniss-maessig 
                    gut vor sich. Wir haben uns vieles erzaehlt, und ich danke 
                    meinem Vater im Himmel heute noch, dass ich diese Reise mit 
                    ihm machen durfte. 
                    Als er auf Kronsgarten den Schluss zum Abendmahl machte, sprach 
                    er darueber, was es fuer uns fuer ein Trost sei, zu wissen, 
                    dass auch Jesus sich hier im Leben oft muede gefuehlt habe 
                    (Joh. 4, 6), und wir ja in unserer Muedigkeit in ihm einen 
                    Hohenpriester haetten, der Mitleid mit unserer Schwachheit 
                    habe und uns aufhaelfe; auch wir seien muede geworden vom 
                    Leben, muede von der Reise haetten wir uns niedergelassen 
                    am Rande des Jakobsbrunnens, um Wasser zu schoepfen, um uns 
                    an seinem Tische zu erquicken und zu staerken, eingedenk seiner 
                    Einladung Matth. 11, 28. 
                    Von Kronsgarten fuhren wir nach Wiesenfeld. Seine dortige 
                    Schlussrede wird niemand vergessen, der sie gehoert. Etwas 
                    Ergreifenderes habe ich nie erlebt. Der liebe Verstorbene 
                    hatte seiner Rede das Motto gesetzt "des Apostels Abschied 
                    von der Gemeine zu Ephesus" (Ap. Kap. 20). Er sprach 
                    davon, wie ihn gegraut habe vor dieser Reise, da er sich so 
                    krank und schwach fuehle, und sich gefuerchtet habe, er werde 
                    seines Amtes nicht mehr warten koennen, aber Gott sei Dank: 
                    es habe wider Erwarten gut gegangen. Trotzdem fuehle er aber 
                    dennoch, zum letzten Mal sei er hier gewesen, "und nun 
                    siehe, ich weiss, dass ihr mein Angesicht nicht mehr sehen 
                    werdet..." (Av. 20, 25)- eine innere Stimme sage ihm 
                    dies. Mit tiefbewegter Stimme sprach er: "Ich habe dich 
                    lieb gehabt du Wiesenfelder-Gemeine; ich habe mich immer so 
                    wohl gefuehlt in deiner Mitte, und wenn ich heute von dir 
                   
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