Diese Kolonie wurde im Fruehling 1822 von 24 Landwirten
(1855: 24 Wirtschaften, 35 Anwohnerfamilien, insgesamt 144 Maenner, 142 Frauen;
1857: 24 Wirtschaften, 126 Maenner, auf 1560 Desj. und 11 landlose Familien, 47
Maenner.) begruendet, hat aber seit der Ansiedlung einen Zuwachs von 22 Freiwirten
erhalten, die zum Teil Handwerker, zum Teil Tageloehner sind. Sie hat 52 Wohnhaeuser,
worunter 5 massiv aus gebrannten Ziegeln gebaut, 29 Viehstaelle, 28 Getreidescheunen,
darunter 7 Querscheunen, 1 Schulhaus, 1 Vorratsgetreidemagazin, 1 Hirtenhaus,
3 Schmieden, 1 Getreidewindmuehle und 1 Getreidetretmuehle, die mit Pferdekraft
getrieben wird.
Die Nordseite der Kolonie stoesst an den kleinen Fluss Kuruschan,
das westliche Ende derselben an die Tschumakenstrasse. Suedlich der Kolonie entlang
befindet sich der im Jahre 1838 angelegte Gehoelzgarten und am oestlichen Ende
ist ein Teil des Ackerlandes. Ihre Entfernung von Berdjansk betraegt 98 Werst.
Das zu dieser Kolonie gehoerige Land, groesstenteils Steppe, liefert eine gute
Viehweide. Ein Teil des ziemlich flach mit Schwarzerde bedeckten Ackerlandes ist
bergig und uneben, es liegt noerdlich vom Flusse Kuruschan, welcher das ganze
Land in zwei Haelften schneidet. Der suedlich vom Flusse gelegene Teil ist eben.
Der Fluss Kuruschan bildet eine kleine Niederung von 60 Dessj., und am Suedende
des Dorfes schlaengelt sich der Fluss Juschanlee vorbei, welcher daselbst die
Grenze ist und ebenfalls eine Niederung bildet, in welcher die Gemeinde 72 Dessj.
besitzt. In diesen beiden Niederungen erhaelt jeder Wirt jaehrlich bei mittelmaessiger
Ernte etwa 600 Pud Heu; wenn aber in fruchtbaren Jahren auf der Steppe auch noch
Heu gemaeht werden kann, so belaeuft sich die Heuernte bei jedem Wirt auf 1200
bis 1800 Pud. Steinbrueche und Waldungen sind nicht vorhanden.
Vor der Ansiedlung
befand sich diese Steppe 5 Jahre lang als Weideland fuer die Schafe bei den Einsassen
der Kolonie Tiege, den Bruedern Johann, Abraham und Jakob Klassen und Gerhard
Wilms in Pacht. Sie hatten auf dieser ihre Schaeferei, Staelle und Wohnungen erbaut
und nannten sie Tiegerweide, welcher Name auch auf die spaetere Kolonie uebertragen
wurde.
Vierzehn der urspruenglich hier angesiedelten Familien stammen zumeist
aus den westpreussischen Bezirken Danzig und Marienburg. Ihre Namen sind: 1.)
Johann Abrahams, 2.) Klaas Dick, 3.) Anton Harder, 4.) Heinrich Franz, 5.) Bernhard
Matthies, 6.) Johann Harder, 7.) Heinrich Balzer, 8.) Jakob Poettker, 9.) Klaas
Martens, 10.) Heinrich Goerz, 11.) Jakob Schoenke, 12.) Peter Janzen, 13.) Johann
Dick, 14.) Diedrich Geddert. Diese 14 Familien erhielten durchschnittlich je 859
R. Banko Kronsvorschuss; ihre eigenen hergebrachten Mittel betrugen durchschnittliche
300 Rubel Banko auf die Familie.
Die uebrigen 10 Familien sind Kinder der
frueher eingewanderten Ansiedler. Sie heissen: 1.) Jakob Kroeker, 2.) Diedrich
Hildebrand, 3.) Jakob Volk, 4.) Jakob Rempel, 5.) Kornelius Volk, 6.) Peter Klaassen,
7.) Gerhard Wilms, 8.) Jakob Klaassen, 9.) Isbrand Thiessen, 10.) Johann Klaassen.
Die Familien hatten sich durch Fleiss im Handwerk oder Tagelohn so viel erspart,
dass sie mit eigenen Mitteln anbauen konnten.
Im uebrigen hat diese Kolonie
ihr Los mit den anderen geteilt und ist im Wohlstand nicht zurueckgeblieben. Denkwuerdig
ist, was ueber den Besuch Sr. Majestaet des Kaisers Alexander I. am 22. Oktober
1825, "4 Wochen vor seinem kummervollen Ende" berichtet wird:
Seine
Majestaet geruhten bei der Ankunft in Steinbach in der Behausung des Mennoniten
Peter Schmidt einzukehren und daselbst zu Mittag zu speisen. Beim Aussteigen aus
der Kalesche an der Einfahrt des Hofes wurde Se. Majestaet von den Kirchenaeltesten
der Mennoniten bewillkommt und empfing von selbigen mit einem guetigen Laecheln
ein schriftliches Glueckwunsch- und Bewillkommungsschreiben folgenden Inhalts:
"Alergnaedigster
Monarch! Die Vorsehung hat uns das Glueck verliehen, Ew. Kaiserlicher Majestaet,
unsern Allergnaedigsten Monarchen und Vater abermals in unserer Mitte zu sehen.
Unter Deiner milden Regierung, unter deinem Schutz und Beschirmung wohnen wir
hier gluecklich und ruhig. Nimm von uns, Allerdurchlauchtigster Monarch, die Ergiessung
der Gefuehle unserer Dankbarkeit, Ergebenheit und Liebe an. Nimm die Versicherung
unserer herzlichen und immerwaehrenden Gebete zum Allerhoechsten an. Ja, Gott
der Herr kroene Dich, Dein ganzes Majestaetisches Haus und alle Deine grossen
wohltaetigen Unternehmungen mit seinem Segen." Unterschrieben von den geistlichen
und weltlichen aeltesten der Mennonitengemeinde. Der Monarch ging in das Zimmer.
Einige Minuten nach dem Mittagessen wurden die Mennonitenaeltesten gerufen. Der
Kaiser fragte, ob sie mit allem zufrieden seien und ob sie nicht etwa Klagen haetten.
Und nachdem sie geantwortet, dass sie in jeder Hinsicht gluecklich und zufrieden
seien, und dass ihnen nur uebrig bliebe, dem Monarchen fuer alle Mildtaetigkeiten
und Gnade zu danken, sagte Er: "Ich bin ebenfalls mit euch fuer euer ruhiges
Leben und Arbeitsamkeit zufrieden. Ich wuensche aber, dass ihr Gehoelzplantagen,
besonders aus amerikanischen Akazien, welche in hiesiger Gegend schnell wachsen,
zu einer halben Dessjatine auf den Wirt anlegen moechtet."
Darauf entliess
er sie, rief den Wirt und die Wirtin, dankte ihnen, beschenkte sie mildreich und
ging hinaus zum Abfahren.
Schulz Heinrich Guenther.
Beisitzer Johann Barg,
Abr. Wiebe.
Schullehrer Reinhard Hiebert, Verfasser.
Quelle: Odessaer
Zeitung. 42. Jahrgang, 1904, Nr. 213