Im Jahre 1804 schritt man, als die Ansiedler sich hier
gesammelt hatten, unter der Leitung des damaligen Oberschulzen Klaas Wiens zur
Anlegung der ersten Kolonien. Im darauffolgenden Jahr geschah die zweite Ansiedlung
unter demselben Anfuehrer. Die Ansiedler von Tiegenhagen stammen wie die anderen
ihrer Glaubensbrueder aus dem Marienburgschen und Tiegenhofschen Kreise in Westpreussen
und waren im Chortitzer Bezirk ueber den Winter einquartiert gewesen. Als man
das Los ueber die nach Augenschein gewaehlten passendsten Stellen warf, so fiel
auf diese Kolonie ein Ort am linken Ufer des Molotschnaflusses, zwischen den ein
Jahr frueher angelegten Kolonien Muntau und Schoenau gelegen, ungefaehr 45 Werst
entfernt von der damaligen Kreisstadt Orechow in einer Gegend, die frei von Baeumen
und Gestraeuchen war. Hier befand sich ein russischer Chutor, dessen Besitzer
fortzog. Zu beiden Seiten der Kolonie ragen die seit 1832 mit dem groessten Fleiss
angepflanzten Waldanlagen hoch empor. Der Erdboden ist dem Flusse zu mit
Salpeter gemischt und zum Getreidebau und Heuschlag wenig geeignet; der uebrige
weitaus groessere Teil des Landes ist sandig und guenstiger fuer den Getreidebau
als fuer Heuschlag.
Dieser Kolonie gab man ohne besondere Veranlassung nach
einem in Preussen am Fluesschen Tiege befindlichen Dorfe nach uebereinkunft der
darin anfaenglich wohnenden 21 Landwirte in Gemeinschaft mit dem Oberschulzen
den Namen Tiegenhagen.
Achtzehn Ansiedler (1855: 21 Wirtschaften, 33 Anwohnerfamilien
insgesamt 159 Maenner, 131 Frauen.) dieser Kolonie kamen arm hier an; ihr
Vermoegen bestand wohl nur in einem Fuhrwerk, waehrend das Reisegeld kaum bis
zur russischen Grenze gelangt hatte. Deshalb bekamen sie ausser einem Vorschuss
von 10.938 R. 50 K. Banko von dem Augenblick, als sie die Grenze ueberschritten,
bis zur ersten Ernte Zehrungsgelder. Drei Ansiedler, deren mitgebrachtes Vermoegen
in 4000 R. bestand, bedurften dieses Vorschusses nicht und lehnten ihn ab.
Aus
diesem Unterschied des Vermoegensstandes einesteils und den seit der Ansiedlung
geschehenen Ereignissen andererseits erklaert sich auch der Unterschied im Fortschritt
der Landwirtschaft unter den einzelnen Wirten. Dieser Fortschritt ist durch die
auch ueber die anderen Kolonien gekommenen und bereits geschilderten verschiedenen
Landplagen und Naturereignisse bei dem einen mehr, bei dem andern weniger gehemmt
worden, waehrend er durch Maenner wie die Vorgesetzten Kontenius, Staatsrat von
Hahn und die aus der eigenen Mitte erwaehlten, unter welchen besonders Johann
Kornies hervorragt, durch die Anlage der Stadt Berdjansk und durch die an anderen
Orten bereits geschilderten Hohen und Allerhoechsten Besuche gefoerdert worden
ist.
Schulz Abraham Friesen,
Beisitzer Martin Willms, Warkentin,
Schullehrer
Daniel Fast.
Den 29. April 1848.
Quelle: Odessaer Zeitung. 42.
Jahrgang, 1904, Nr. 175