Willi Vogt. Mennonitische Ahnenforschung



Gemeindebericht 1848, das Molotschnaer Mennonitengebiet

 

Gemeindebericht 1848, Mennonitenkolonien.

30. Schardau

Im Spaetherbst des Jahres 1819 kamen die hiesigen Ansiedler aus dem preussischen Regierungsbezirk Marienwerder hier an und winterten in den bereits angesiedelten Kolonien. Im Maimonat des Jahres 1820 wurde ihnen ihr Land angewiesen, wo sie auch sofort zur Anlegung der Gebaeude schritten. Von der Ankunft bis zur ersten Ernte mussten sie ihre Nahrung fuer bares Geld kaufen, wodurch besonders die unbemittelten wirtschaftlich sehr geschwaecht wurden. Im ersten Sommer wurden nur Viehstaelle gebaut, und auch dazu mangelte es an dem noetigen Baumaterial, namentlich aber an Holz, weshalb sie erst gruendlich die kalten Nachtfroeste des Herbstes in ihren Bretterhuetten spueren mussten, bevor sie die in den Viehstaellen eingerichteten Wohnungen endlich beziehen konnte. Da sie sich zum Bau eingetlicher Wohnhaeuser erst die Mittel ererben mussten, so blieben sie mehrere Jahre in diesen Stallwohungen. Erst im Jahre 1824 erbauten drei Wirte, welche aus Preussen etwas Geld mitgebracht hatten, ihre Wohnhaeuser. Die letzten Wohnungen wurden im Jahre 1828 erbaut. Alle Haeuser waren niedrig und von ungebrannten Ziegeln erbaut.
Die Kolonie Schardau liegt an einer schmalen Vertiefung, Tschukrak genannt, welche nur ganz unbedeutende Quellen hat, die im Sommer ganz austrocknen. An der Tschukrak sind 5 Doerfer nahe aneinander angesiedelt. Sie beginnt ostwaerts von diesen 5 Doerfern auf der Nogaiersteppe und zieht sich nach Westen, wo sie bei dem Vorwerk Steinbach, 6 Werst von hier in den Steppfluss Juschenlee muendet. Am westlichen Ende dieser Kolonie vereinigt sie sich noch mit einer anderen schmalen Vertiefung, die von Suedosten ebenfalls aus der Noagiersteppe kommt und gegen die Mitte des Dorfes noch eine unbedeutende suedoestlich auf dem Lande der Kolonie Pordenau beginnende Vertiefung aufnimmt, allwo sich auch kleine Steinkluefte befinden. Die huegelige Landflaeche dieser Kolonie grenzt gegen Norden und Westen an die naheliegenden Doerfer, gegen Sueden an die Nogaiersteppe und gegen Norden an den Fluss Juschanlee, welcher Quellen birgt und den Sommer durch gesundes, fliessendes Wasser fuer die Viehherden bietet.
Schardau liegt von Orechow und Berdjansk je 70 Werst entfernt. Der gelbe Lehmboden ist nur mit einer 1 bis 2 Fuss tiefen Schwarzerdeschicht bedeckt, eigentlich aber gut zum Ackerbau. Im Fruehling wird der Boden geduengt und im Sommer 2 bis 3 mal umgepfluegt, worauf er gute Ertraege liefert. Bisweilen wird jedoch das lockere Land von den heftigen Stuermen abgeweht, wodurch grosser Schaden entsteht. Heu wird wenig gewonnen; das Vieh muss im Winter Stroh fressen, welches vermittelst der unlaengst aufgekommenen Haeckselmaschinen klein geschnitten wird. Infolge der Strohfuetterung erhaelt die hiesige Wolle nie ein schweres Gewicht; die Viehweide ist auch nicht besonders ergiebig. Der dritte Teil der auch hier reichlich angepflanzten Baeume sind Maulbeeren, die von den Ansiedlern zum Seidenbau benuetzt werden.
Da die Mehrheit der hiesigen Wirte in Westpreussen im Dorfe Schardau gewohnt haben, so wurden sie einig, die Kolonie ebenso zu nennen. Sie besteht aus 20 Wirten, von welchen 17 im Jahre 1820 und 3 im Jahre 1821 sich hier niedergelassen haben (1855: 20 Wirtschaften, 42 Anwohnerfamilien, insgesamt 185 Maenner, 166 Frauen; 1857: 20 Wirtschaften, 141 Maenner, auf 1300 Desj. und 17 landlose Familien, 71 Maenner). Die ersteren der Einwohner haben sich mit anderen Mitbruedern zu einer kleinen Gemeinde gesammelt und fuer diese Reise den aeltesten Franz Goerzen zu ihrem Anfuehrer gewaehlt. Die ihen von General von Insow angewiesene Kronssteppe, welche Johann Kornies als Paechter Tataren und Armeniern zu Weideland weiter verpachtete, war leer und wasserlos, so dass die Neuangekommenen ihren Bedarf an Wasser aus dem 6 Werst entfernten Steinbach holen mussten, bis sie sich gemeinschaftlich einen Brunnen gegraben hatten. Je nach der Hoehe der kleinen Summen, die jeder Wirt vom Auslande mitgebracht hatte und welche sich nur bei einigen auf 300 bis 500 R. Banko belief, wurde jedem ein Kronsvorschuss von 400, 500, 700, dem aermsten 859 R. Banko gegeben. Die uebrigen aus dieser Kolonie gemeldeten Ereignisse sind die gleichen, die sich schon in den Beschreibungen der anderen Kolonien finden.

Schulz Lohrentz.
Beisitzer Kliewer, Wiebe.
Schullehrer Daniel Penner.


Quelle: Odessaer Zeitung. 42. Jahrgang, 1904, Nr. 209




Zuletzt geaendert am 1 Mai 2008