Im Spaetherbst des Jahres 1819 kamen die hiesigen Ansiedler
aus dem preussischen Regierungsbezirk Marienwerder hier an und winterten in den
bereits angesiedelten Kolonien. Im Maimonat des Jahres 1820 wurde ihnen ihr Land
angewiesen, wo sie auch sofort zur Anlegung der Gebaeude schritten. Von der Ankunft
bis zur ersten Ernte mussten sie ihre Nahrung fuer bares Geld kaufen, wodurch
besonders die unbemittelten wirtschaftlich sehr geschwaecht wurden. Im ersten
Sommer wurden nur Viehstaelle gebaut, und auch dazu mangelte es an dem noetigen
Baumaterial, namentlich aber an Holz, weshalb sie erst gruendlich die kalten Nachtfroeste
des Herbstes in ihren Bretterhuetten spueren mussten, bevor sie die in den Viehstaellen
eingerichteten Wohnungen endlich beziehen konnte. Da sie sich zum Bau eingetlicher
Wohnhaeuser erst die Mittel ererben mussten, so blieben sie mehrere Jahre in diesen
Stallwohungen. Erst im Jahre 1824 erbauten drei Wirte, welche aus Preussen etwas
Geld mitgebracht hatten, ihre Wohnhaeuser. Die letzten Wohnungen wurden im Jahre
1828 erbaut. Alle Haeuser waren niedrig und von ungebrannten Ziegeln erbaut.
Die
Kolonie Schardau liegt an einer schmalen Vertiefung, Tschukrak genannt, welche
nur ganz unbedeutende Quellen hat, die im Sommer ganz austrocknen. An der Tschukrak
sind 5 Doerfer nahe aneinander angesiedelt. Sie beginnt ostwaerts von diesen 5
Doerfern auf der Nogaiersteppe und zieht sich nach Westen, wo sie bei dem Vorwerk
Steinbach, 6 Werst von hier in den Steppfluss Juschenlee muendet. Am westlichen
Ende dieser Kolonie vereinigt sie sich noch mit einer anderen schmalen Vertiefung,
die von Suedosten ebenfalls aus der Noagiersteppe kommt und gegen die Mitte des
Dorfes noch eine unbedeutende suedoestlich auf dem Lande der Kolonie Pordenau
beginnende Vertiefung aufnimmt, allwo sich auch kleine Steinkluefte befinden.
Die huegelige Landflaeche dieser Kolonie grenzt gegen Norden und Westen an die
naheliegenden Doerfer, gegen Sueden an die Nogaiersteppe und gegen Norden an den
Fluss Juschanlee, welcher Quellen birgt und den Sommer durch gesundes, fliessendes
Wasser fuer die Viehherden bietet.
Schardau liegt von Orechow und Berdjansk
je 70 Werst entfernt. Der gelbe Lehmboden ist nur mit einer 1 bis 2 Fuss tiefen
Schwarzerdeschicht bedeckt, eigentlich aber gut zum Ackerbau. Im Fruehling wird
der Boden geduengt und im Sommer 2 bis 3 mal umgepfluegt, worauf er gute Ertraege
liefert. Bisweilen wird jedoch das lockere Land von den heftigen Stuermen abgeweht,
wodurch grosser Schaden entsteht. Heu wird wenig gewonnen; das Vieh muss im Winter
Stroh fressen, welches vermittelst der unlaengst aufgekommenen Haeckselmaschinen
klein geschnitten wird. Infolge der Strohfuetterung erhaelt die hiesige Wolle
nie ein schweres Gewicht; die Viehweide ist auch nicht besonders ergiebig. Der
dritte Teil der auch hier reichlich angepflanzten Baeume sind Maulbeeren, die
von den Ansiedlern zum Seidenbau benuetzt werden.
Da die Mehrheit der hiesigen
Wirte in Westpreussen im Dorfe Schardau gewohnt haben, so wurden sie einig, die
Kolonie ebenso zu nennen. Sie besteht aus 20 Wirten, von welchen 17 im Jahre 1820
und 3 im Jahre 1821 sich hier niedergelassen haben (1855: 20 Wirtschaften, 42
Anwohnerfamilien, insgesamt 185 Maenner, 166 Frauen; 1857: 20 Wirtschaften, 141
Maenner, auf 1300 Desj. und 17 landlose Familien, 71 Maenner). Die ersteren der
Einwohner haben sich mit anderen Mitbruedern zu einer kleinen Gemeinde gesammelt
und fuer diese Reise den aeltesten Franz Goerzen zu ihrem Anfuehrer gewaehlt.
Die ihen von General von Insow angewiesene Kronssteppe, welche Johann Kornies
als Paechter Tataren und Armeniern zu Weideland weiter verpachtete, war leer und
wasserlos, so dass die Neuangekommenen ihren Bedarf an Wasser aus dem 6 Werst
entfernten Steinbach holen mussten, bis sie sich gemeinschaftlich einen Brunnen
gegraben hatten. Je nach der Hoehe der kleinen Summen, die jeder Wirt vom Auslande
mitgebracht hatte und welche sich nur bei einigen auf 300 bis 500 R. Banko belief,
wurde jedem ein Kronsvorschuss von 400, 500, 700, dem aermsten 859 R. Banko gegeben.
Die uebrigen aus dieser Kolonie gemeldeten Ereignisse sind die gleichen, die sich
schon in den Beschreibungen der anderen Kolonien finden.
Schulz Lohrentz.
Beisitzer
Kliewer, Wiebe.
Schullehrer Daniel Penner.
Quelle: Odessaer Zeitung.
42. Jahrgang, 1904, Nr. 209