Die Gruendung dieser Kolonie geschah im Jahr 1811 auf
Bestimmung des damals in Jekaterinoslaw bestehenden Kontors unter der Leitung
des hiesigen Gebietsamts. Sie liegt ziemlich in der Mitte des ganzen Mennonitenbezirks
und wird in der Richtung von Ost nach West mehr auf der noerdlichen Seite von
dem Steppenfluesschen Kuruguschan durchschnitten, in welchem an der Stelle, wo
das Dorf gegruendet ist, das aus Nordost kommende Steppenfluesschen Boemschekrak
(Begim-Tschokrak) muendet. Die Entfernung von der noerdlich gelegenen Stadt Orechow
betraegt 54 und diejenige vom suedoestlich gelegenen Berdjansk 90 Werst.
Da
die Hoefe auf einer flachen Erhoehung alle 20 nebeneinander laengs des Kuruguschan
erbaut sind, hat man auch die Gaerten zweckmaessig in der oberen Niederung dieses
Flusses anlegen koennen, welcher dieselben mit Ausnahme von zweien in ungleicher
Entfernung von den Hoefen durchschneidet und im Fruehling bewaessert. Die schwarze
Dammerde eignet sich zum Anbau aller Gemuesearten und der Obstbaeume ganz vorzueglich,
was die im ueppigsten Wachstum stehenden Gaerten voll und ganz bestaetigen. Oberhalb
des Dorfes, wo die Bodenerhebung ebenso gleichfoermig bleibt, ist die 10 Dessj.
grosse, in gleicher Laenge mit dem Dorf angelegte Waldplantage, welche in den
wenigen Jahren ihres Bestehens prachtvoll herangediehen ist und das Dorf vor den
Suedostwinden und Schneestuermen schuetzt. Die Kolonie gewaehrt mit ihren schoenen
Anlagen namentlich von der suedlichen und noerdlichen Anhoehe aus mit dem 1844
neuerbauten Schulhaus einen schoenen und erhebenden Anblick. Wo vor 37 Jahren
sich nur einige Chutorhuetten befanden und wo eine Anzahl armer Familien durch
die Gnadenunterstuetzung des verewigten Kaisers Alexander I. in einer kuemmerlichen
Zeit sich kuemmerlich anbauten, steht jetzt trotz mancher, das Emporkommen hindernder
Ereignisse, eine stolze Ansiedlung, die von dem Fleiss und der Wohlhabenheit ihrer
Bewohner zeugt. Der schwarze Erdboden eignet sich vorzueglich zum Ackerbau, und
nur die an der noerdlichen Seite des Kuruguschan gelegene Steppe unterhalb der
Boemschekrak hat eine vorwiegend roten, lehmartigen mit Muscheln vermischten,
leichten Boden, dem unter den guenstigsten Umstaenden hoechstens eine Mittelernte
abzugewinnen ist. In den Niederungen der beiden Fluesse waechst reichlich gutes
Heu. Etwa eine halbe Werst unterhalb des Dorfes wird das Wasser der Kuruguschan
in solchem Masse aufgehalten, dass es meist den Sommer ueber zur Viehtraenke ausreicht.
In diesem Wasser befinden sich Blutegel.
Die Kolonie ist nach einem Dorfe in
Preussen Rueckenau genannt worden.
Die erste Niederlassung bestand aus 11 Familien,
wovon 8 anno 1810 aus dem Elbingschen Kreise ohne Fuehrer eingewandert sind. Eine
Familie, Daniel Schmidt, ist 1809 um der Militaerpflicht zu entgehen, aus dem
damaligen franzoesischen Department Zweibruecken ausgezogen, hat diesseits des
Rheins gewintert und hat 1810 vom damaligen russischen Konsul zu Frankfurt am
Main, Herrn Betmann, die Reiseerlaubnis nach der Molotschna erhalten. Eine Witwe
mit zwei erwachsenen Soehnen ist auch in der dortigen Gegend nahe bei der Stadt
Pirmasens wohnhaft gewesen; von den Soehnen hatte der eine dort und der andere
hier gleich nach der Ankunft sich verheiratet. Ihr Familienname ist Tracksei.
Schliesslich haben sich noch 9 aus Preussen eingewanderte Familien zu verschiedenen
Zeiten hier beigesiedelt, so dass 1819 das Dorf wie gegenwaertig aus 20 Wirten
bestand. Die ersten Ansiedler hatten im ersten Winter ihre Quartiere in den aelteren
Mennonitenkolonien an der Molotschna. Da am Ansiedlungsplatze zur Aufnahme der
Ansiedler kein Obdach vorhanden war, so bauten sie sich Erdhuetten. Auf der noerdlichen
Seite des Kuruguschan hatten Gross-Tokmaker Kronsbauern einen Chutor mit zahlreicher
Bevoelkerung und bedeutenden Viehherden, welche fuer die junge deutsche Ansiedlung
verhaengnisvoll werden sollte. Im ersten Jahre wurde wenig gepfluegt und nur das
fuer das wenige Vieh noetige Heu geerntet, und es ging alles ruhig ab. Im Fruehjahr
1812 jedoch verhinderten die aus Tokmak hierher gezogenen Bewohner das Pfluegen,
in dem sie den Ansiedlern die Pfluege wegnahmen und erst im Herbst zurueckgaben.
Beim Grasmaehen ging's nicht besser. Das Aufsetzen der Dachsparren auf den in
den folgenden Jahren gebauten Haeusern wurde ebenfalls gewaltsam gehindert. Dieses
traurige Verhaeltnis dauerte 4 Jahre lang, waehrend welcher Zeit die Russen saemtliche
Laendereien bis dicht an die deutschen Haeuser umpfluegten und benutzten. Die
Ursache der spaeten Abstellung dieser misslichen Sache von Seiten der hoeheren
Behoerde war der im Jahre 1812 ausgebrochene Krieg mit den Franzosen. Es war eine
traurige Zeit. Das Brotgetreide wurde den Vergewaltigten aus den Magazinen der
Molotschnaer Kolonien verabreicht. Durch diesen Umstand auf's aeusserste bedrueckt,
baten sie um Entlassung vom Ansiedlungsort mit dem Versprechen, ferner keine Ansprueche
auf Land zu machen. Aber Wirklicher Staatsrat Kontenius verweigerte dieses aus
weiser Absicht gaenzlich und befahl dem Gebietsamt, die Ungluecklichen mit allem
Noetigen zu versehen, aber nicht zuzulassen, dass sie sich entfernten. Sie blieben
auch sonst ziemlich unangefochten, wenn sie nur nicht versuchten landwirtschaftlich
taetig zu sein.
Endlich im Sommer 1814 wurde der Graf Dimmensohn vom Herzog
von Richelieu in dieser Sache bevollmaechtigt. Er bewirkte, dass die Chutorbewohner
nach und nach den Platz raeumten und die Zurueckgebliebenen ihre oeffentlichen
Feindseligkeiten einstellten. Ein vorlaeufiger Plan wurde entworfen und im Fruehjahr
1815 vom Landmesser Kasanow im Beisein des Grafen Dimmensohn und dem Landrichter
aus dem niederen Landgericht abgemessen und durch Furchen bezeichnet.
Die ersten
acht Familien waren so arm, dass sie nicht das noetige Reisegeld nach Russland
hatten, und bekamen von der Grenze an Nahrungsgelder von der Krone; ebenso die
zwei Familien Schmidt und Tracksei. Zu gleichmaessiger Verteilung erhielten sie
4589 R. 96 K. Vorschussgelder. Die spaeter beigesiedelten 9 Familien hatten eigenes
Vermoegen, aber auch nur zur aeussersten Notdurft; sie haben keine Nahrungsgelder
und keinen Vorschuss erhalten. Durch die Bedrueckungen der ersten Jahre waren
die Ansiedler wirtschaftlich so zurueckgekommen, dass sie sich nur langsam erholten
und sich auch nur ueber einen sehr geringen Anteil an den Einnahmen aus der spaeter
erbluehten Schafzucht zu erfreuen hatten. Erst mit dem Aufschwung der Landwirtschaft
ist auch diese Kolonie zu ihrem jetzigen Wohlstand gelangt.
Schulz Jakob Harder.
Beisitzer
Johann Loewen, Jakob Driedger.
Schullehrer Jakob Unger.
Quelle:
Odessaer Zeitung. 42. Jahrgang, 1904, Nr. 190