Die auf dem fuer den Molotschnaer Mennonitenbezirk bestimmten
Lande nach Augenschein zur Anlage von Kolonien gewaehlten passendsten Stellen
wurden durchs Loos an die Ansiedlergruppen verteilt, welche sich zur Gruendung
der einzelnen Doerfer vereinigt hatten. Auf die spaetere Kolonie Muntau fiel bei
dieser Verlosung ein Ort am linken Ufer der Molotschna, welcher zwischen den im
gleichen Jahr angelegten Doerfern Halbstadt und Schoenau gelegen war, wo aber
zwischen letzterem und diesem Dorfe ein Jahr spaeter noch Tiegenhagen angesiedelt
wurde, etwa 47 Werst von Orechow und 114 Werst von Berdjansk entfernt, wo die
Nogaier auf freier, baumloser Steppe mit ihren Herden herumschwaermten. Die Ansiedlung
geschah 1804 unter der Leitung des Oberschulzen Klaas Wiens; der Bau der Wohnhaeuser
wurde aber infolge verschiedener Hindernisse erst 1805 und 1806 vollendet. Steppe
und Flussniederung eignen sich gut fuer den Getreidebau, doch sind die Salpeterstellen
in der Niederung bei trockener Witterung dem Graswuchs hinderlich, wodurch selten
eine gute Heuernte ermoeglicht wird. Die an beiden Seiten der Kolonie in gutem
Wachstum sich befindenden Obstgaerten haben mehrere Jahre unter den Beschaedigungen
der Spindelraupe gelitten und sind ohne Frucht und Laub wie verdorrt dagestanden.
Die 1809 angelegte Waldanlage mit den hohen Gipfeln ihrer Gehoelz- und Maulbeerbaeume
bietet dem Reisenden einen anmutigen Anblick und gewaehrt den Besitzern Nutzholz
und Laub zum Seidenbau, welcher schon mehrere Jahre, wie auch im letzten 1847
gute Einnahme abgeworfen hat.
Nach uebereinkunft der 21 Ansiedler der Kolonie
mit dem Oberschulzen Klaas Wiens wurden sie nach einem im frueheren Vaterlande
befindlichen Dorfe Muntau genannt.
Da die hier hausenden Nogaier keine Wohnungen,
sondern nur bienenstockaehnliche aus Staeben und Filzdecken zusammengestellte
Zelthuetten, sog. Koschen, besassen, so fanden die Ansiedler hier kein Obdach
vor. Zum ersten Winter richteten sie sich Erdhuetten ein und benutzten die angefangenen
Wohnhaeuser zu Viehstaellen. Der von der Krone erhaltene Vorschuss belief sich
fuer diese Kolonie auf 12,640 R. 27 K. Banko.
Da jeder Wirt anfaenglich nur
zwei Pferde besass, so mussten je zwei Wirte zusammen die Saat bestellen. Die
neidischen Nogaier aber stahlen ihnen haeufig die Pferde weg, so dass dann drei
bis vier Wirte zusammen zu pfluegen gezwungen waren, weshalb die Saat zu spaet
hinausgebracht wurde und die Ernte gering ausfiel. Durch die Bemuehungen der Obrigkeit
wurde der Diebstahl allmaehlich abgeschafft.
Die Viehseuche ist sieben Mal
aufgetreten, doch ist die ganze Gemeinde nur dreimal, 1828, 1833 und 1839 davon
betroffen worden.
1822 bis 1827 richteten die Heuschrecken mehr oder weniger
Schaden an. Im Jahr 1824 kam noch Misswachs und Hagelschlag dazu, so dass grosse
Not entstand und besonders viel Vieh vor Hunger starb. Um eine Hungersnot vorzubeugen,
sandte die Ortsobrigkeit Maenner nach Polen, um Getreide ankaufen zu lassen, wovon
aber eintretender Hindernisse wegen wenig ankam. Zum Glueck taten sich andere
Hilfsquellen auf, wodurch der groessten Not abgeholfen wurde. Im Jahr 1827 sind
die Heuschrecken, nachdem sie grossen Schaden angerichtet hatten, mit einem starken
Suedostwinde davongeflogen und bis auf diese Zeit, Gott sei Dank, nicht wiedergekehrt.
In
den Jahren 1833 und 1834 ueberstieg die Not alles Vorhergegangene. Da setzte die
Obrigkeit ueber alle Kolonien eine Hauptkommission ein, welche eine Geldanleihe
machen und in entfernten Gegenden Getreide ankaufen musste. Die fuer die einzelnen
Kolonien eingesetzten Kommissionen hatten das angekaufte Getreide unter den Notleidenden
zu verteilen, doch so, dass diese verpflichtet waren, spaeter alles wieder zu
bezahlen. Hornvieh und Schafe wurden haeufig geschlachtet, um Brot zu sparen und
weniger Vieh zum Ausfuettern zu haben. Die Pferde wurden auf entfernte Weideplaetze
gebracht, wo aber viele wegen der knappen Weide umkamen und mit vielen Kosten
zurueckgeholt werden mussten. Infolge bedeutender Spaetregen wuchs auf den verdorrten
Feldern eine Menge Kurai, womit man das uebrige Vieh durchbringen konnte. Im Fruehjahr
1834 wurde den Unbemittelten auch das Saatgetreide geliehen, aber, weil auch jetzt
der Regen ausblieb, gab es nur eine schwache Ernte und das zur Not erforderliche
Futter fuer das Vieh.
Im Julimonat des Jahres 1824 wurden vier Kraemer und
ein Knabe aus anderen Kolonien auf der Rueckreise aus Romen, woselbst sie die
von den hiesigen und den Wirten anderer Kolonien auf Kommission mitgenommene Wolle
verkauft hatten, von Juden ueberfallen, des erloesten Geldes beraubt und schaendlich
ermordet.
Am 11. Mai 1818 um 9 Uhr abends verspuerte man einen sanften Erdstoss;
das schreckenerregende Erdbeben vom 11. Januar 1838, welches hier um 9 Uhr 30
Minuten ausbrach, hatte die eine angenehme Folge, dass das Wasser in den Brunnen
seit der Zeit hoeher steht.
Die veredelte Schafzucht, der Obstbau, der Seidenbau
und der seit Gruendung der Stadt Berdjansk aufgebluehte Weizenbau haben diese
und die anderen Kolonien zur Bluete gebracht. Um das Wohl der Gemeinden hat sich
ausser vielen aus der Mitte derselben gewaehlten Vorgesetzten besonders der im
Jahre 1830 im 81. Lebensjahr verstorbene Staatsrat S. v. Kontenius verdient gemacht.
Der unvergessliche Vorsitzer Johann Kornies leuchtete ueberall mit gutem Beispiel
vor und ruegte mit ernster Strenge die einschleichende Unordnung und Untaetigkeit.
Besonders verdient machte er sich durch die Verbesserung aller wirtschaftlichen
Einrichtungen. Leider wurde er zu frueh fuer sein ernstes Wirken durch den Tod
abgerufen. Er starb im Alter von 59 Jahren den 13. Maerz 1848, doch die Frucht
seines Wirkens ist und soll noch in Zukunft gesegnet bleiben.
Ohne den Weizenbau,
welcher noch gewinnbringender wurde als die Produktion der Wolle, waeren die Kolonien
nie das geworden, was sie sind. Jetzt sind in Muntau die Huetten der ersten Gruender
durch huebsche, geraeumige und wohnliche Haeuser von gebrannten Ziegeln verdraengt,
und diese haben der Kolonie ein weit schoeneres Aussehen gegeben.
Die in der
Beschreibung von Halbstadt erwaehnten hohen Besuche wurden auch der Kolonie Muntau
zu teil.
Schulz Johann Langermann
Besitzer Kornelius Lopp, Jak. Duck
Schullehrer
Gerh. Gossen, Verfasser
Muntau, den 30. Apr. 1948.
Quelle: Odessaer Zeitung. 42. Jahrgang, 1904, Nr. 169