Willi Vogt. Mennonitische Ahnenforschung



Gemeindebericht 1848, das Molotschnaer Mennonitengebiet

 

Gemeindebericht 1848, Mennonitenkolonien.

27. Mariental

Unter Mitwirkung des Gebietsvorstehers Peter Toews und des von den soeben eingewanderten Ansiedlern erwaehlten Dorfschulzen Jakob Giesbrecht wurde im Fruehjahr 1820 die Dorfslage ausgesucht, die Wirtschaften abgefurcht und die Baustellen verlost. Fuers erste machte man sich Erdhuetten oder Bretterbuden, nach der Saatzeit aber trafen die meisten Anstalten zur Erbauung der wirtschaftlichen Gebaeude. Die Kolonie liegt am Steppenflusse Tschaukrak, welcher 11/2 Werst aufwaerts auf dem Nogaierlande seinen Anfang nimmt, und bei dem Vorwerk Steinbach (Klaas Wiens hatte es vom Zaren fuer die Gruendung der ersten Waldplantage in diesen Kolonien geschenkt erhalten), 9 Werst von hier, in den Juschanlee muendet. Der Plan des Landes bildet ein laengliches Viereck und grenzt im Sueden und Osten an die Laendereien der Tartaren, im Norden an den Juschanlee. Der ebene Boden hat wenig schwarze Erde. Die Heuernten fallen gering aus. Das Getreide gedeiht gut.
Bei einer vom Gebietsamte in der Kolonie Ohrloff veranstalteten Versammlung der neuen Einwanderer, auf welcher die Kolonien eingeteilt, die Ansiedler gruppiert und einigen Doerfern Namen gegeben werden sollten, wurde auch endlich die Frage aufgeworfen, wie die hiesigen Ansiedler ihre Kolonie nennen wollten. Als sich niemand zum Wort meldete, schlug der aelteste Franz Goerz, welcher auch ein Einwanderer und in Rudnerweide angesiedelt war, vor, dieselbe nach Ihrer Majestaet der Kaiserin Mutter Maria Mariental zu nennen. Dieser Vorschlag fand allgemein Beifall.
Im Ansiedlungsjahr 1820 haben sich in dieser Kolonie 17 und im darauffolgenden Jahr noch 4 Familien hier niedergelassen, wovon aber eine Familie sich als Freiwirt ansaessig machte. (1855: 20 Wirtschaften, 56 Anwohnerfamilien, insgesamt 190 Maenner, 186 Frauen; 1857: 20 Wirtschaften, 124 Maenner, auf 1300 Desj. und 15 landlose Familien, 67 Maenner.) Von diesen 21 Familien stammen 9 aus dem Marienwerder, die anderen aus dem Elbinger und Marienburger Bezirk. Das gras- und blumenreiche Land, welches ihnen zugeteilt wurde, hatte Johann Kornies aus Ohrloff in Pacht; einige Tartaren, die sich auf dieser Steppe befanden, waren seine Unterpaechter. Die meisten Ansiedler waren ohne Vermoegen und erhielten 11,210 Rubel Banko als Vorschuss von der Krone. Das mitgebrachte Vermoegen hat sich auf etwa 8000 R. Banko belaufen. Durch den haeufigen Pferdediebstahl in den ersten Jahren, wovon nur etwa der fuenfte Teil der Ansiedler ganz verschont blieb, ist die Kolonie sehr zu Schaden gekommen.
1823 zerstoerten die Heuschrecken eine aussichtsvolle Ernte. Auf die schwache Ernte 1824 folgte der schreckliche Stuehmwinter, welchem das meiste Vieh zum Opfer fiel. 1825 richtete ein Hagelwetter die Ernte zu Grunde. Besonders schwer war das schreckliche Notjahr 1833. Viel Schaden hat je und je der heftige Ostwind verursacht, welcher z. B. im Jahre 1842 bedeutende Strecken des bestellten Getreides mitsamt der Ackerkrume wegstaeubte. Das Erdbeben vom 11. Januar 1838 hat zur Folge gehabt, dass mehrere der 35 bis 45 Fuss tiefen Brunnen einstuerzten, doch koennen seither durch das Steigen des Wasserstandes die Brunnen um 10 Fuss flacher gegraben werden. Durch das uebergeben der Wirtschaften seitens schwacher, verschuldeter, teils auch traeger Wirte an junge, fleissige und bemittelte Familien ist die Kolonie in ihrem Emporkommen wesentlich gefoerdert worden.

Mariental, den 21. April 1848.
Peter Schroeder, Schulz.
Beisitzer: Kornelius Friesen, Peter Wieb.
Peter Friesen, Schullehrer.


Quelle: Odessaer Zeitung. 42. Jahrgang, 1904, Nr. 204




Zuletzt geaendert am 1 Mai 2008