Am 15. Juli 1804 kamen die ersten Ansiedler unter Leitung
ihres noch in Chortitza gewaehlten Oberschulzen Klaas Wiens an dem ihnen zugewiesenen
Ansiedlungsorte an und gruendeten die Kolonie 269 Faden von der Molotschna entfernt
in einer etwa 2 Quadratwerst grossen Niederung, welche von einem kleinen der Molotschna
gleich laufenden Fluesschen in der Richtung von Nordost nach Suedwest durchschnitten
ist. Zwischen den beiden Fluessen ist die Niederung sehr zum Graswuchs geeignet,
weil sie sehr niedrig ist und oft ueberschwemmt wird. In der Heuernte richten
diese ueberschwemmungen allerdings oft Schaden an. An der andern Seite des kleinen
Flusses ist die Niederung ihres salpeterhaltigen Bodens wegen fast keines Ausbaus
faehig. Die mit etwas Lehm und Sand vermischte schwarze Erde der Steppe ist weniger
fuer den Graswuchs als fuer den Getreidebau geeignet, auch wachsen auf ihr die
Baeume besser als in der Niederung. Die Gehoelzplantage ist oberhalb des Dorfes
angelegt und zeigt ueppiges Wachstum, hat aber im vergangenen Winter durch heftige
Stuerme und Schneeverwehungen sehr gelitten. Der erste Gebietsvorsteher Klaas
Wiens hat der Kolonie nach einem Dorfe in frueheren Vaterlande den Namen Lindenau
gegeben. An ihrer Stelle hat frueher ein grosses Nogaierdorf gestanden. Auf Befehl
der Obrigkeit sind diese Nogaier im Jahre 1805 weggezogen und haben sich in einer
Entfernung von 12 Werst und weiter von hier angesiedelt. Die Namen der urspruenglich
hier angesiedelten 21 Familienvaeter waren nach der Reihenfolge ihrer Nummern
folgende: Peter Friesen, Peter Wiebe, Martin Born, Jakob Kaempf, Daniel Neufeld,
Isaak Loewen, Isaak Wiens, Franz Enns, Heinrich Enns, Kornelius Toews, Jakob Wiens,
Kornelius Penner, Klaas Friesen, Peter Kemsenning, David Hiebert, Jakob Klaassen,
Kornelius Goerzen, Johann Wiebe, Peter Neufeld, Klaas Froese, Paul Klassen. Diese
Familien zaehlten 47 maennliche und 43 weibliche Seelen. David Hiebert war der
einzige, welcher so viel eigenes Vermoegen besass, dass er auf die Unterstuetzung
der Krone verzichten und sich auf eigene Kosten anbauen konnte. Die ganze Dorfsgemeinde
besass an mitgebrachtem Vermoegen etwa 8000 Rbl. Silber. Das Anbauen war anfaenglich
etwas beschwerlich: einige hatten sich zum Winter Erdhuetten gemacht, einige aber,
die bemittelter waren oder mehr Arbeitskraefte besassen, bauten sich zu zwei und
mehr Familien ein Wohnhaus fuer den Winter auf. Zum Schutz fuer das wenige
Vieh bauten sie ebenfalls Huetten. Das Bauholz musste auf eine Entfernung von
85 Werst herbeigeholt werden. Die anwohnenden Nogaier konnten keine Unterkunft
bieten, weil ihre Behausungen lediglich bienenkorbaehnliche, mit Filzdecken ueberzogene
Zelte waren, welche sie auf ihren zweiraedrigen Wagen von Ort zu Ort transportierten.
Die
guenstigen und unguenstigen Einfluesse auf das Wohl der Gemeinde sind die gleichen
wie in den vorhergehenden Kolonien. Im Jahre 1825 nahmen unsere Kraemer Peter
Bauer von hier, Jakob Duck von Tiegenhagen, Johann Willms von Blumstein und Johann
Wiens von Altona von den Bewohnern dieses Bezirks spanische Wolle auf Kommission
und brachten sie im Juni auf den Romer Jahrmarkt zum Verkauf und begaben sich
mit einem ansehnlichen Erloes auf die Heimreise. Doch was geschah? Von bekannten
Juden in einen Wald verleitet, wurden sie etwa 10 Werst vor dem Staedtchen Gaditsch
(wahrscheinlich Gadjatsch) von denselben ermordet. Unter der Zahl der Verunglueckten
befand sich auch der zwoelfjaehrige Sohn des Peter Bauer, namens Erdmann. Die
Taeter wurden bald erwischt, aber das Geld fuer die Wolle war doch meistenteils
verloren.
Im Hungerjahr 1833 wurde vom eigenen Vermoegen 1421 R. 83 3/4 K.
zum Ankauf von Brotfrucht verausgabt, ausser der Anleihe, die noch von einigen
wenigen gemacht worden war.
Es war ein schoener Tag, als Se. Majestaet Kaiser
Alexander Pawlowitsch unsere Kolonie besuchte und gerade hier die Station war.
Er kam um 10 Uhr morgens bei dem ehrwuerdigen Kirchenlehrer David Hiebert an,
wo das Fruehstueck bereitet war. Beim Eintritt ging er einigemal in der Stube
auf und ab und sagte liebevoll: "Jetzt, hebe Kinder, habe ich das deutsche
Reich in Meinem Lande." Bei der Fruehstueckstafel fragte er, ob auch jemand
zu klagen habe, worauf dann Frau Hiebert sagte: "Wir haben nicht zu klagen,
sondern vielmehr zu danken fuer die grosse Gnade und huldreiche Aufnahme in Ihrem
Reiche." Da fasste er sich zweimal vor die Brust und sagte: "Sie und
Ihre Kinder und Kindeskinder sollen Meine Gnade geniessen." Beim Abschied
ueberreichte er der Frau Hiebert zum Gnadengeschenkt einen Brillantring. Dieser
Tag, an welchem wir den Gesalbten in unserer Mitte zu sehen das Glueck hatten,
wird uns und unseren Kindern nie aus dem Gedaechtnis kommen.
Auch erinnern
wir uns noch oft des 16. Oktober 1837 und des 1. Oktober 1841. Der eine Tag brachte
uns die Besuche Sr. Kaiserlichen Hoheit des Zaesarewitsch und Thronfolgers Alexander
Nikolajewitsch und der andere den Besuch Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Gemahlin
des Grossfuersten Michail Pawlowitsch Helene Pawlowna.
Am 20. August 1945 um
10 Uhr morgens ist auch Se. Kaiserliche Hoheit der Grossfuerst Konstantin Nikolajewitsch
in unserer Kolonie zum Besuch gewesen, allwo er bei dem Wirt Gerhard Neufeld einkehrte,
mit mehreren seiner Begleiter das Fruehstueck einnahm und der Frau des besagten
Neufeld zu seinem hohen und ehrenvollen Andenken zwei Brillanten Ohrringe ueberreichte.
Schulz
Abraham Riediger
Beisitzer Peter Quapp, Abraham Friesen
Anton Kornelsen,
Schulmeister
Lindenau, den 1. Mai 1848.
Quelle: Odessaer
Zeitung. 42. Jahrgang, 1904, Nr. 171