Als nach dem franzoesischen Befreiungskriege verschiedene
Auswanderungen aus dem Koenigreich Preussen stattfanden, so sammelten sich auch
im Jahre 1819 eine Anzahl Familien aus den Mennonitengemeinden bei Graudenz und
Stuhm unter der Leitung des Kirchenaeltesten Franz Goerz und des Lehrers Heinrich
Balzer zur Auswanderung nach Suedrussland. Sie gelangten am 4. Oktober desselben
Jahres in Chortitza an. Da aber an der Molotschna, wo auch schon mehrere mennonitische
Kolonien gegruendet waren, noch Land fuer neue Ansiedler zu haben war, so wurde
im Jahre 1820 unter Mitwirkung einer besonders eingesetzten Kommission von 6 Mitgliedern
und des Gebietsamtes unter Beratung des Obervormundschaftskontors fuer auslaendische
Ansiedler die Besiedlung dieser freien Laendereien durch neue Einwanderer betrieben.
Sechzehn der oben erwaehnten Einwanderer schloessen sich zur hiesigen Gemeinde
zusammen und waehlten den Platz zur Niederlassung. Trotzdem es nur 16 Familien
waren, so wurden doch fuer 20 Wirte Baustellen mit je 65 Dessj. Land verordnet.
Die leeren Baustellen wurden durch neue Einwanderer aus Preussen in den Jahren
1821 und 1822 besetzt (1855: 21 Wirtschaften, 35 Anwohnerfamilien, insgesamt 167
Maenner, 140 Frauen; 1857: 21 Wirtschaften, 114 Maenner, auf 1365 Desj. und 10
landlose Familien, 44 Maenner). Da das mitgebrachte Vermoegen der Ansiedler zum
Anbau und zur wirtschaftlichen Einrichtung nicht ausreichte, so gewaehrte die
Krone einen Vorschuss von 11.320 Rbl. Banko. Das hergebrachte Vermoegen betrug
etwa 5872 Rbl. Banko. Zum ersten Schulzen wurde der jetzt noch lebende Stephan
Kerber gewaehlt. Auf Zuraten des damaligen Gebietsaeltesten Peter Toews, welcher
damals in Ladekop und jetzt in Tiege wohnhaft ist, wurde dieses Dorf zum Andenken
an die glorreiche Regierung des Kaiser Alexander I. Alexandertal genannt.
In
den neuerbauten Stallungen der jungen Ansiedlung wurden die ersten Winterwohnungen
eingerichtet; manche bargen sich auch in Erdhuetten. Es fehlte fast an allem.
Bei vielen trat ein nie empfundenes Heimweh ein. Mancher waere gern wieder in
seine frueheren Kreise zurueckgekehrt, wenn dieses so leicht haette geschehen
koennen. Obenerwaehlte Maenner, Franz Goerz und Heinrich Balzer, welche sich in
anderen Kolonien niedergelassen hatten, ahnten wohl den Herzenszustand ihrer Brueder,
reisten oft umher, staerkten und troesteten die verzagten Gemueter, und da kein
Gotteshaus vorhanden war, wurde in den Wohnungen, wo es sich am fueglichsten tun
liess, Gottesdienst gehalten. Mit Rat und Tat, kein Ungemach scheuend, waren diese
Maenner die Saeulen der Gemeinde und gingen jedem mit gutem Beispiel voran. Und
es war noetig. In den Jahren 1822 und 1823 kamen die Heuschrecken und verheerten
in wenigen Stunden die ganze Ernte, die ein Jahr des Landmanns Schweiss und Muehe
gekostet hatte. Das entsetzliche Schneegestoeber von 1824 auf 1825 raubte den
Leuten ausser den geringen Vorraeten die Haelfte des Viehbestandes.
Auf das
schreckliche Notjahr 1833 folgte ein sehr gesegneter und fruchtbarer Sommer, so
dass die Not bald vergessen wurde. In der Richtung von Ost und West liegt das
Dorf Alexandertal am Fluesschen Tschukrak mit seinen regelmaessig gebauten Haeusern
und der geraeumigen, geraden Gasse mit ihren guten Zaeunen. In der Mitte des Dorfes
an der suedlichen Seite steht das Schulhaus und in der Naehe das Vorratsmagazin.
An der suedlichen Seite des nur bei Regenszeit mit Wasser versehenen Fluesschens
befindet sich ein ziemlich guter Steinbruch, welcher die Steine zu den Fundamenten
der Haeuser liefert. Eine halbe Werst westlich vom Dorfe liegt die Waldplantage
mit ihren in schoenem Wachstum stehenden Baeumen. Am Ostende des Dorfes befindet
sich die dem Anwohner Stephan Kerber gehoerende Saemerei und Baumschule mit verschiedenen
Obst- und Waldbaeumen.
Suedlich grenzt unser Plan an die benachbarte Nogaiersteppe
und streicht in gerader Richtung gegen Norden 7 Werst lang bis an den Fluss Juschanlee,
welcher hier die Grenze bildet. Fruchtbare schwarze Erde bedeckt den Boden, aber
die Anpflanzungen auf den Feuerstellen stehen in gelbem Lehm, was zur Folge hat,
dass die Baeume leider kein hohes Alter erreichen. Der suedliche Teil des Planes
wird zum Ackerbau und als Heuwiese benuetzt, waehrend der noerdliche Teil bis
an den Fluss Juschanlee, wo sich eine durch einen Damm gebildete Viehtraenke befindet,
als Viehweide dient.
Wenn man den muehseligen Anfang dieser Kolonie mit dem
bluehenden Zustand der Gegenwart vergleicht, so muss man sich wundern wie in so
wenigen Jahren eine solche Veraenderung hat zustande kommen koennen. Die meisten
der alten Haeuser sind durch geraeumige und feste Neubauten ersetzt, und alles
deutet auf Wohlstand und Zufriedenheit. So sieht man auch hier, wie das unermuedliche
Walten einer weisen Obrigkeit auf dem Gebiet der Schafzucht, des Ackerbaues und
der Baumkultur unter Gottes Schutz und Segen die schoensten Fruechte gezeitigt
hat.
Schulz Johann Kliewer.
Beisitzer: Abraham Kasper, Heinr. Funk.
Schullehrer
Johann Janzen.
Alexandertal, den 23. April 1848.
Quelle: Odessaer
Zeitung. 42. Jahrgang, 1904, Nr. 210