Im Jahre 1859 begann die letzte geschlossene
mennonitische Besiedlung in Russlad, im Norden des Gebiets Samara mit
dem Zentrum Alexandertal. Die Einwanderung geschah per Achse in grossen,
mit Pferde bespannten Planwagen, wobei Ackergeräte und auch Rindvieh,
sowie Schafe mitgeführt wurden, daneben auch einiger Hausrat. Dieser
Treck dauerte monatelang, denn es galt etwa 2 000 km in der Luftlinie
zu überwinden. Auf dem Siedlungsgebiet angekommen, galt es Erdhütten
(Semljanki) zu bauen, um die notdürftigsten Unterkünfte für den begonnenen
Herbst und darauf folgenden Winter zu beschaffen. Gleichzeitig wurde mit
der Landeinteilung begonnen, so dass jeder Siedler mit dem Umbrechen des
Steppenbodens beginnen konnte, um im nächsten Jahre etwas ernten zu können.
Dieses Siedlungsgebiet umfasste rund 10.000 Dessjatinen. Es entstanden
dort folgende Ortschaften: Alexandertal, Neuhoffnung, Mariental. Jedes
dieser Dörfer hatte 25 Landstücke je 65 Dessjatinen und
war somit für 25 Hofstellen vorgesehen. Ferner entstanden die Ortschaften:
Murawjewka (genannt nach dem Grafen Murawjew, der sich dieser Siedlung
wohlwollend annahm), Grotsfelde, Orloff, Liebental, Schoenau, Lindenau
und Marienau. Diese letztgenannten drei Ortschaften wurden später
unter dem Namen "Krassnowka" vereinigt.
In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts, wurde von den mennonitischen
Siedlern das ganze Landkomplex des Dorfes Rettungstal, welcher den später
nachkommenden evangelischen Siedlern zugewiesen worden war, aufgekauft,
wodurch etwa rund 1.200 Dessjatinen zu Alexandertal hinzukamen.
Das Kolonialgebiet bestand aus Hügelgelände, welches von kleinen
Wäldern durchzogen war. Im Osten war es begrenzt durch den Fluss
Kondurtscha, einem Nebenfluss des Ssok, der in die Wolga' mündet.
Die Entfernung von der Wolga betrug etwa 75 km, von der Stadt Samara
etwa 120 km. Die nächste Kleinstadt Melekess war von der Kolonie
etwa 45 km entfernt. Diese Entfernungen hemmten anfangs die wirtschaftliche
Entwicklung der Kolonie, bis die Bahnlinie von Simbirsk an der Wolga
über Melekess und weiter nach Bugulma und Ufa, als Verbindungsbahn
des europäischen mit dem asiatischen Russland durchgeführt
wurde, die an das Gebiet der Kolonie grenzte.
Das Gebiet Samara wurde die "Kornkammer" Ostrusslands genannt.
Der Boden bestand aus einer mindestens dreiviertel Meter dicken, tiefschwarzen
Humusschicht, darunter fetter roter Lehm. Bei genügenden Niederschlägen
gab es Rekordernten.
Diese Kolonie bildete einen geschlossenen politischen Kreis mit eigener
Verwaltung, sowie einen geschlossenen kirchlichen Kreis, und bestand
aus rund 1000 Seelen.
Im Zentrum Alexandertal entstand eine Kirche, die Kreisverwaltung, eine
Fortbildungsschule. Daneben besass jede Ortschaft eine Volksschule
in der in deutscher Sprache unterrichtet wurde, erst Ende der 80er Jahre
wurden die Anfangsgründe der russischen Sprache als Lehrfach aufgenommen.
Alle Volksschulen waren Gemeindeschulen, die von den Anwohnern gebaut,
unterhalten und auch die Lehrkräfte dafür angestellt und besoldet
wurden. Ausserdem war in der Kolonie eine Pferdeversicherung gegen
Diebstahl, eine Versicherung gegen Brandschäden (als Filiale der
allgem. allrussischen mennonitischen Feuerversicherung), eine eigene
Fuhrordnung bei Brandschäden, um das nötige Baumaterial zu
beschaffen, eine eigene Versicherung, die den Geschädigten Futter
und Getreide leistete, sowie eine eigene Erbschaftsordnung eingerichtet.
So bildete diese Kolonie unter einer Selbstverwaltung eine Art Staat
im Staate, und wurde von der zaristischen Regierung in jeder Beziehung
toleriert und geschützt.
Wegen der erwähnten Entlegenheit von den Absatzgebieten, ging die
wirtschaftliche Entwicklung bis zur Jahrhundertwende nur sehr langsam
voran. Begünstigt durch eingerichtete Molkereien, aufgebesserte
Vieh und Pferdezucht, sowie durch Einführung neuer Weizenarten
und die Verbindung durch die erwähnte Bahnlinie, begann ein schneller
wirtschaftlicher Aufschwung, so dass die Landpreise innerhalb von 10
Jahren um das dreifache stiegen und ein allgemeiner Wohlstand sich verbreitete.
Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges hatte die Alexandertaler Kolonie
aus eigenen Mitteln etwa 10 000 Dessjatinen Land für ihren
Nachwuchs hinzugekauft. Die 1917 beginnende Revolution in Russland hat
neben vielem andern, auch diese Alexandertaler Kolonie, mit allem was
sie im Laufe der Jahre geleistet, hinweggefegt. Die letzten Reste der
Nachkommen dieser Siedler sind laut Nachrichten 1941 in entlegene Gebiete
verschickt worden.
|