Brief von Johann und Anna Görtzen, Ufa, Station Dawlekanowo, Chutor Reinfeld, Koranbach, in der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 13. Februar 1901, Seite 5.

 

Abgeschrieben von Lydia Friesen (geb. Esau), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 13. Februar 1901, Seite 5. (gotisch) von Lydia Friesen (geb. Esau).

 

 

Ufa. Lieber Editor der "Rundschau"! Weil wir so viele Geschwister und Freunde in allen Winden haben, und ich nicht an jeden brieflich schreiben kann, so will ich durch die liebe "Rundschau" ein Lebenszeichen von uns geben. Ich bin ei geborener Fischauer, verheiratete mich mit Peter Hildebrandts Tochter Maria, von Schönau, und wohnten etliche Jahre in Fischau, hatten eine Kleinwirtschaft. Von da zogen wir nach Blumstein, wo wir 16 Jahre wohnten. Während dieser Zeit starb auch meine liebe Ehefrau sehr plötzlich. Mit ihr hatte ich 22 Jahre 9 Monate und 10 Tage in der Ehe gelebt, und 15 Kinder gezeugt, wovon ihr sieben in die Ewigkeit vorangingen. Sohn Peter und Tochter Maria starben lange nach ihrem Tode. Maria starb Anno 1897 den 12. Oktober und Peter  starb Anno 1898 den 28 Sep. im Alter von 24 J. 11 M. und 28 T. Maria wurde 31 Jahre und etliche Monate alt. Später verheiratete ich mich mit einer Witwe Abraham Thielman, von Kleefeld, eine geborene Anna Sommerfeld, von Alexanderwohl, welche 2 Kinder, Anna 5 Jahre und Maria 3 Jahre alt, hatte, und habe jetzt in der zweiten Ehe 5 Kinder, 2 Mädchen und zwei Knaben.
Anno 1887 verkaufte ich mein Kleinwirtschaft und kaufte auf Sagradofka, im Dorf Tiege eine Halbwirtschaft für 3000 Rbl. Anno ´87, gleich nach Weihnachten, zogen wir nach Sagradofka, wo wir 12 Jahre wohnten, dann verkauften wir die Wirtschaft und zogen nach dem kalten Norden, Ufa. Hier kauften wir ein Haus nebst Stall, Sarai und Speicher, mit noch 110 Deß. Land auf 5 Jahre Pacht, wovon ich aber meinem Schwiegersohn, Jakob Löwen, 30 Deßj. überlassen habe. Weil wir so viel Geschwister und Geschwisterkinder in Amerika haben, so soll ihnen dies alles zur Nachricht dienen. Ich hatte dort in Amerika einen Schwager Jakob Peters, dessen Frau meine Schwester war. Sie ist schon tot; und einen Bruder Peter Görtz, auch schon tot, ebenso einen Schwager Martin Dörksen, dessen Frau auch meine Schwester war, aber noch in Fischau starb, der als Witwer nach Amerika auswanderte; alle haben auch Kinder dort wohnen. Auch von meiner Frau, Anna Sommerfeld, hat dort auch 6 Geschwister, und auch sie lassen kein Lebenszeichen von sich hören. Jakob Sommerfeld, einer ihrer Bruder, wohnt in Orenburg, und eine Schwester in der Krim, eine Frau Franz Isaak, sie ist Witwe. Ich habe noch einen Bruder Abraham Görtz, in Sagradofka wohnhaft und wir in Ufa, also weit von einander getrennt. Auch in Fischau habe ich noch viele Freunde, und weil ich nicht an einen jeden brieflich schreiben kann, so dachte ich es durch die "Rundschau" zu versuchen, bitte den lieben Editor doch so freundlich zu sein und es in die liebe "Rundschau" aufzunehmen. Unser Sohn Jakob, welcher auf Radzien in der Forstei dient, ist jetzt auf Urlaub zu Hause, und fährt nach Heil. Dreikönige von hier nach Sagradofka zu den Geschwistern ab.
Die Witterung ist hier noch sehr kalt. Bis jetzt schon von 28 bis 33 und 35 Grad Frost, und an Schnee fehlt es hier auch nicht, aber wenn es am kältesten ist, dann ist es ganz windstill. Aber es giebt auch furchbare Stürme, daß draußen nichts zu sehen ist, aber wir haben, Gott sei Dank, noch immer eine warme Stube. Hier ist es anders, als wir es in dem Süden gewohnt waren, wenn es hier erst Winter ist, dann bleibt der Schnee liegen bis zum Frühjahr, und ist auch immer Schlittenbahn; dann wird auch das lederne Fußzeug abgelegt. Groß und Klein trägt Filzschuhe. Weil ich die "Rundschau" so gerne lese, so will ich sie mir auch später wieder bestellen, aber wir müssen hier ein ganzes Jahr vom baren Geld leben, dazu noch Futter, Pferde, Kühe, und Saat zum Säen kaufen, und das kommt alles teuer, ich muß sehr zusehen, ob ich mit allem werde fertig werden. Bitte denn alle lieben Geschwister und Geschwister Kinder und Freunde uns zu schreiben, wenn nicht brieflich, dann doch durch die liebe "Rundschau", daß wir doch auch ein Lebenszeichen sehen können. Warum schreibt von euch keiner in die "Rundschau". Ich habe nur zwei Aufsätze in der "Rundschau" gelesen, daß mein lieber Bruder tot gefahren wurde, und daß mein gewesener Schwager Martin Dörksen gestorben sei, sonst habe ich keine Aufsätze von euch Verwandten in der "Rundschau" gelesen. Ich schreibe jetzt auch zum erstenmal, und wenn der liebe Editor es in die Spalten der "Rundschau" aufnimmt, dann hoffe ich mehr von unserm Befinden hier in Ufa zu schreiben.
Nun zum Schluß alle vielmal grüßend, verbleiben wir eure euch liebenden Geschwister und Freunde,
Johann und Anna Görtzen.
Ufa, Station Dawlekanowo, Chuter Reinfeld, Koranbach

 

 

 

Bemerkungen von Lydia Friesen (geb. Esau):

Johann Abraham Goertzen  (18.12.1841, Fischau, Molotschna - 24.03.1905, Tiege, Sagradowka) (#798324)
Maria Peter Hildebrandt  (?, Schoenau, Molotschna - ?) (#798325)
Anna Heinrich Sommerfeld (04.03.1855, Alexanderwohl, Molotschna - 02.01.1904, Altonau, Sagradowka) (#798333)

   
Zuletzt geändert am 25 Januar, 2021