Brief von Peter und Susanna Penner, Dolinsk, Neu Samara, in der "Mennonitische Rundschau", vom 22. April 1908, Seiten 5 und 6

 

Abgeschrieben von Lydia Friesen (geb. Esau) (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 22. April 1908, Seiten 5 und 6. (gotisch) von Lydia Friesen (geb. Esau).

 

 

Dolinski, den 1. Feb. 1908. Werter Editor! Viel Glück und Segen sei Ihnen zuvor gewünscht. Ich hatte schon einmal einen Brief fertig an die "Rundschau", aber das Abschicken verzögerte sich immer von einer Zeit zur andern bis er mir zu alt wurde und ich wieder von vorne anfangen mußte, denn ich fühle mich schuldig zu schreiben, um meinen schuldigen Dank abzustatten für die Liebesgaben, die uns von unbekannter Hand gespendet wurden. Weil wir im Jahre 1906 eine vollständige Mißernte hatten und nicht wußten, wie wir ohne fremde Hilfe unser Vieh durchbringen sollten, so wandten wir uns durch die liebe "Rundschau" an die lieben Verwandten und Bekannten um Mithilfe. Mit einmal - ich glaube es war am 19. oder 20. Mai 1907 - bekamen wir einen Brief von Heinrich Schütt aus Hamburg, worin er uns berichtete, daß er von Elkhart, Ind., so und so viel Dollar erhalten habe, um an unsere Adresse zu schicken: Nun, daß die Freude groß war, kann sich ein jeder vorstellen, der im vorigen Frühjahr von unserer Lage wußte, denn es war alles knapp und teuer was wir brauchten; bis zur Ernte fehlte es meist an allem, überhaupt an Mehl und mit dem Brennmaterial war es nicht viel besser, denn zum Kochen und Backen mußte doch etwas sein, und auf den meisten Stellen war sozusagen nicht eine Hand voll Stroh zu finden. Dann wurde auf die Steppe gefahren und Kuhmist zusammen gelesen und damit wurde gekocht und gebacken. Doch jetzt bekamen wir Nachricht von Geld, dann wurden schon allerhand Pläne gemacht, was das Nötigste sei, und wir warteten eine Woche zur anderen, aber kein Geld kam. Nun, als beinahe drei Monate verflossen waren, schrieb ich an Herrn Schütt um Aufklärung und endlich im Monat September erhielt ich wieder einen Brief von Hamburg, worin mir gemeldet wurde, daß das Geld an eine ganz falsche Adresse gegangen, wo es im Postkontor liegen geblieben sei, und bald darauf bekamen wir auch das Geld, nämlich 57 Rbl. 51 Kop. Obzwar es ja viel später kam als wir es uns wünschten, kam es dennoch nicht ungelegen, obwohl wir im vorigen Jahre eine ganz gute Ernte hatten, so langt es ja doch noch lange nicht, denn wir haben Schulden machen müssen und die sollen abbezahlt werden und dann noch andere Ausgaben. Also haben wir das große Geschenk sehr willkommen geheißen. Freund Spenst, Saskatchewan, schreibt, daß wir sehr arm seien und schickt uns $5, welches uns auch sehr freute, und überhaupt die Liebe, die er uns damit bewiesen. Habe Dank, lieber Freund, für Deine Gabe, auch ihr unbekannten Geber: mehr kann ich nicht als Euch herzlich Dank sagen für Eure Gaben, der liebe Gott segne es Euch tausendfach, was ihr an uns gethan habt. An Freund Spenst kann ich berichten, daß ich uns noch lange nicht zu den Aermsten zählen kann, denn einer sieht ja manchmal arme Leute, ob Deutsche, Russen oder Baschkiren, ja dann kann einer sagen, wir sind sehr reich! Wir haben sonst unser gutes Fortkommen noch immer gehabt, aber voriges Jahr war der Geldmangel so groß, Getreide hatten wir keins zu verkaufen, sondern mußten Saat und Mehl kaufen, denn ich habe zusammengezählt, das heißt die Ausgaben, die wir in dem knappen Jahre hatten, es belief sich auf ungefähr 590 Rubel, das heißt Nahrung, Kleidung, Saatgetreide und die Abgaben, Einnahme hatten wir keine, und deswegen war die Geldnot so groß, Futter war furchtbar teuer, Brennmaterial auch, aber Gott sei Lob und Dank, wir kamen auch den Winter durch. Auf vielen Stellen sind die Dächer abgedeckt und zu Futter und Heizmaterial verbraucht worden, was man früher von alten Leuten erzählen hörte, das erlebten wir jetzt. Manchmal hatten wir nur noch auf ein bis zwei Tage Futter, und dann paßten wir schon sehr auf, ob nicht ein Baschkir mit eine Ladung Heu käme und dann wurde gekauft, es mag da kosten was es wollte, darum weil kein Vorrat da war. Das Stroh, das einer früher übrig hatte, wurde für Spottpreise an Russen und Baschkiren verkauft. Und das Vieh sechs bis sieben Monate im Stahll stehen zu haben und zu füttern, da hat mancher nicht viel übrig, und deshalb stellt sich gleich solcher Futtermangel bei einer Mißernte ein. Es war auch nicht in allen Dörfern gleich schwer; stellenweise hatte es noch ein wenig  mehr gegeben; ich bekam von 20 Deßjatinen Weizen 53 Pud Gerste von vier Deßjatinen; das konnte ich alles auf eine Fuhre laden, das heißt mit Stroh, denn dreschen thaten wir sie schon nicht, es wurde nur zu Futter verwendet. Wenn jemand von der Mutterkolonie herkam und sah uns fahren oder sah hier die Leute am Sonntag, oder kamen zur Mahlzeit, die sagten, wir brauchten noch keine Mithilfe, aber wir leer sah es auf den Böden und in den Scheunen aus!
Wir hatten gemeinschaftlich Geld geliehen zu Nahrung und Futter und Aussaat erst einmal und das andere Mal auch zuletzt noch von der Halbstädter Wollost, also drei Anleihen mußten wir machen, um einigermaßen durchzukommen, und doch wollte es noch nicht zulangen. Eine kleine Fuhre Heu kostete von 7 Rbl. 50 Kop. bis 9 Rbl., das war auf zwei bis drei Tage Futter wer nur wenig Vieh hatte; mit der Brennung war es nicht besser. Angangs kauften wir bei den Baschkiren das Tausend Mistziegel für 3 Rbl. 50 Kop., und später mußten wir schon bis 4 Rbl. 50 Kop. bis 5 Rbl. per Tausend zahlen und dazu war es noch halb Erde, manchmal hart gefroren, und kam es ins Feuer wurde es rechtschaffener Mist mit Erde zusammen. Es wurde erzählt, daß sie auf einer Stelle hätten 10 oder 15 Ziegeln eingelegt und als die ausgebrannt waren, hätte die Katze, die in der Röhre lag, sich auf die andere Seite gelegt. Der Ofen wurde nicht so heiß, daß die Katze heraussprang. Dieses ist wohl übertrieben, aber in Wahrheit war der Ofen manchmal nicht warm zu bekommen, denn der Mist brannte nicht, er glimmte nur im Ofen. Diesen Winter ist es schon viel leichter, obzwar uns das Futter und das Brennmaterial auch zuletzt noch knapp werden wird; jedoch nicht so als vergangenen Winter. Wir hatten dieses Jahr nach unserer Meinung  ziemlich Stroh und Spreu, auch 14 Fuder Burgan, aber die langen Monate kosten so viel. Weizen gab es diesen Sommer sehr verschieden; wer im Herbst 1906 viel gepflügt, bekam schönen Weizen, und wer nur in Stoppel säte, bekam nur ein Drittel so viel; wir hatten 19 Deßjatinen Weizen, bekamen 60 Tschtw., einige bekamen noch weniger, von zwei bis sieben Tschtw. von der Deßj; Gerste hatten wir keine gesät, es war keine zu bekommen. Zu diesem Jahr ist das Land beinahe alles gepflügt, mit dem einscharigen Pflug, vielleicht haben wir wiederum eine gesegnete Ernte, es fehlt uns sehr, denn wir sollen noch viel abzahlen. Der Winter ist ziemlich streng, denn im Dezember war ziemlich strenger Frost und viel Schnee; wir haben so viel Schnee im Garten liegen als wir die ganze Zeit unseres hierseins noch nicht gehabt haben. Die Schlittenbahn ist nicht zum besten, überhaupt in den Dörfern ist beinahe nicht zu fahren, solche Berge, und dann stoßen gleich solche Löcher aus, daß es beinahe unmöglich ist anders als im Schritt zu fahren.
Nun noch ein wenig an die lieben Freunde, nämlich die Quirings in Minnesota, meiner ersten Frau Vetter und Heinrichs Kinder, sowie meine Vetter und Nichten, Reimers Kinder, was macht Ihr alle, warum schreibt Ihr nicht einmal einen Brief an uns? Bitte alle, uns mit einem langen Brief zu besuchen, will denn mit meinem Bericht abbrechen. Möchte noch gerne wissen, ob es in Amerika keine arme Leute giebt, aber ich glaube was ein gewisser Hübert zu viel schrieb von Amerika, schrieb ein gewisser Penner zu viel von Rußland; das Sprüchwort, das er da angiebt, kann sich gerade so gut auf Amerika wie auf Rußland beziehen, denn die beiden verstehen ihre Heimat gut zu verteidigen.
Nebst Gruß an alle Leser,
Pet. u. Susanna Penner.

 

Brief von Peter Penner, Dolinsk, Neu Samara, in der "Mennonitische Rundschau" vom 15. Mai 1907, Seite 10. Abgeschrieben von Lydia Friesen (geb. Esau).

   
Zuletzt geändert am 21 März, 2018