Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 10. Mai 1911, Seite 16 und 17. (gotisch) von Lydia Friesen (geb. Esau).
Klinok, Rußl., den 4. März 1911. Werter Editor! Da ich durch die Rundschau heute ersucht bin, Nachrichten von unsrer Freundschaft einzusenden, wollte ich bitten, selbige aufnehmen zu wollen; es dankt im Voraus P. S.
Heute morgen kam unser lieber Schwiegerpapa zu uns herein mit den Worten: " Na, Wilhelm, jetzt kann ich dir was vorlesen, was dich was angeht!" Und fing an: Ulen, Minn., den 3. Februar 1911, und unter weiterem erfolgte die Nachfrage von Landskrone in Rußland nach meinen lieben Eltern Bernhard und Maria Sawadsky und Unterschrift des Artikelschreibers Onkel Gerhard und Anna Wiens. Wenns so kommt, dann hat Schweigen ein Ende! Grüße Sie mit dem Gruß unsres vielgelibten Herrn und Heilandes Jesu Christi: Friede sei mit euch!
Oft habe ich mit meiner lieben Frau, Helena Leonhard Unrau, früher Franztal, davon gesprochen, daß meine Freundschaft von Mama ihrer Seite sich fast ganz in Amerika befinde. Und wenn dann der liebe Onkel der Frau Heinrich Peter Bäcker, von Moundridge, Kans., an unsere lieben Schwiegereltern so lange schöne Briefe schrieb, und die Kinder Leonhard Unraus aufforderte auch an sie mal Briefe zu schreiben dachte ich oft, wenn ich doch weningstens eine Adresse auch von meiner Freunfschaft wüßte, dann könnte ich ja durch einen Brief in der Rundschau mehrere Freundschaft besuchen. Und jetzt ist nicht nur Gelegenheit, nein, eine Aufforderung da: "so laßts geschehen!"
Ihren werten Brief, lieber Onkel Heinrich Bäcker, haben die lieben Eltern erhalten; vermutlich sind sich Ihr, und der Eltern Brief auf dem Wege gekreuzt. Die Eltern bestellen sehr zur grüßen. Sie warten auf Briefe von Onkel Heinrich Bäcker und Onkel Gerhard Bärgen.
Jetzt, lieber Onkel Gerhard Wiens, möchte ich Ihnen einen kleinen Bericht erstatten von meinen lieben Eltern. Nicht kann ich Ihnen berichten, als ob ich nahe bei den Eltern, nein! wir wohnen ungefähr zweitausend Werst ab - in Samara, Post Pleschanowsk, Klinok; aber wir erhielten kürzlich einen Brief von unserm lieben Bruder Isaak, der mich oft traurig stimmt. Die Eltern waren den 7. Februar in Alexanderwohl beim Doktor gewesen. Dieser hatte erklärt, daß Papa herzkrank sei, und Wassersucht habe. Papa ist diesen Winter oft krank, ja sehr krank gewesen. Im Herbst hatte er eine Entzündung am Bein bekommen, woran er bald gestorben wäre, und jetzt die Wassersucht auf seinem hohen Alter. Er ist seit dem 17. September im 80. Lebensjahr, dann denke ich, wenn es so geht, wie es die Erfahrung lehrt, ist wenig Hoffnung auf Gesundwerden; und sich so hineindenken, Papa ist totkrank, und ich so weit entfernt - - macht mich nicht froh gestimmt.
Vorigen Herbst hatte ich das Glück, unsern lieben Aeltesten Daniel Boschmann, früher Fischau, zu begleiten zu der großen Konferenz in Schünfeld, und da fuhr ich noch ein bischen nach Hause, die lieben Eltern zu besuchen. Damals waren die lieben Eltern noch ziemlich Gesund, und zudem freute es mich, daß der jungste Bruder Gerhard, der in der Zeit in Landskrone Lehrer in der Dorfschule war, bei den Eltern Kost und Quartier hatte, sonst waren die Eltern allein mit Bediensteten. Da hatten sie zunachst doch einen der Kinder im Hause. Wie ich da von den Eltern aus die Geschwister besuchte, fiel uns auch ein, die Tante Heinrich Sawadsky in Tiegerweide zu besuchen, sowie die Vetter und Cousinen. Und einen Mittwoch, als Bruder Gerhard eben nicht Unterricht hatte, fuhr ich, Mama und Gerhard nach Tiegerweide. Als wie bis Alexanderwohl kamen, wo mein Bruder Isaak wohnte, fuhren wir da an. Ich wollte mich eben mit ihm begrüßen, da wir uns noch nicht getroffen hatten, und wenn wir retour von Tiegerweide kämen, wollte ich absteigen und einen Besuch machen. Aber was geschah! Wie ich aus dem Verdeckfederwagen heraussprang, folgte auch unsere liebe Mama langsam. Wie sie auf die Erde kam, fing ihre Nase an zu bluten, aber sehr, sehr! - Ungefähr zwei große Schüsseln voll wurden aufgefangen, zudem war viel auf dem Fußboden und in die Betten gegangen. Inzwischen wurde nach dem Arzt geschickt, Arzneimittel angewandt, u. Papa gerufen. Die Arznei wollte nicht wirken. Dann wurde noch eine andere Arznei geholt, - die schien zu helfen, und ehe Papa auf dem kotigen Wege hinkam, vielleicht um 1 und einhalb Stunden, blieb das Blut stehen. Der Doktor erklärte, eine Ader sei ihr oben in der Nase geplatzt. Erst den folgenden Tag durfte sie nachhause gefahren werden.
Jetzt, wie Bruder Isaak schreibt, wollen die Eltern Wirtschaft, Kleinwirtschaft, und Zubehör verkaufen, für sich eine bequemliche Wohnung errichten, und ruhen, so es der Herr zuläßt. Allem Begeben nach, wirds doch wohl nicht auf lange sein.
Wie schon eben erwähnt, wohnen wir auf Samara. Es wohnen noch zwei der älteren Geschwister hier; die werden ihnen, lieber Onkel, vielleicht mehr bekannt sein. Kornelius Bärgens, welches Schwester Helena ist, und wenn ich nicht irre, oben erwähnten Onkel Gerhard Bärgen sein Onkel ist, herstammend von Friedensdorf, Taurien. Der wohnt in Pleschanowsk. Jakob Dicken, Schwester Aganetha, wohnen in Koltan.
Wir sind Ackersleute. Bärgen und Dicken haben je 80 Desj., wir haben 60 Desj. Land. Haben voriges Jahr alle gute Ernten gehabt. Dem Herrn, dem Geber aller guten und vollkommenen Gabe, den herzlichen Dank dafür. Das Klima ist, wie mir vorkommt, mit Ihrem sehr zu vergleichen, denn wir haben hier, soviel ich weiß, auch nur bis 28 Grad R. Frost gehabt.
Ich erinnere mich noch, das meine liebe Mama mir auch oft von einem Onkel Wilhelm Harms erzählt hat; auch von Onkel Willms, wie mir recht ist. Er ist mir alles unbekannt, weil ich es nur vom Erzählen gehört habe. Bewußt habe ich sie ja dort alle nie gesehen, weil ich eben in dem Jahre geboren, wo sie alle von Rußland weggezogen, darum bitte meine Unkenntnis zu entschuldigen.
Wir sind seit dem 9. Mai 1902 verheiratet und haben fünf gesunde Kinder, dem Herrn sei Dank. In dieser Zeit haben wir schon manches erfahren dürfen. Wir sind recht oft, und sehr krank gewesen; anno 1907 unterwarf sich meine Frau einer schweren Operation in Koschki, Samarischen Kreis. Da hat sie zwei Wochen im Krankenhaus zugebracht, und drei Wochen mußte sie dann noch in der Nähe bleiben bei ihrem Vetter David Nachtigal. Auch ich habe schon viel Krankheiten durchgemacht; anno 1908 lag ich den ganzen Sommer im Bette. Ich hatte dann verschiedene Entzündungen im Leibe; Nieren= Blinddarm u. Dickdarmentzünd.; dann schwoll mir, wie der Arzt erklärte, die Milz zur doppelten Große an. Lange und viele Schmerzen habe ich da ausgehalten, aber Gottlob, wir durften nicht verzagen, denn der, der die Schmerzen auflegte, halfs auch alles tragen. Zu gleicher Zeit mit mir, lag noch meine Frau zwei Wochen, gerade in der Dreschzeit, fest zu Bette. Es war der Herr, der uns solches auflegte, der uns mit seinem teuren Blute erkauft, er läuterte uns durch und durch, daß wir mehr unser Vertrauen ganz auf ihn setzen lernten und ihm mehr danken lernten, für alles, was er uns gab. Ja, daß wir ihm danken durften auch für den Tod, daß der in Gottes Weisheit da sei. Der dann auch den sündigen Leib tötet aber die durchs Blut Christi erkaufte Seele aus diesem Jammertal heraushilft. Dieser Hoffnung erfreuen wir uns auch, so wir bleiben in ihm bis ans Ende.
Noch zur Schluß einen herzlichen Gruß an alle Onkel und Tanten, Vetter und Cousinen, die die Freundschaft besser kennen als ich.
In Liebe, Ihr Wilh. u. H. Sawadsky.
Unsere Adresse ist: Russia, Gouv. Samara, Post Pleschanowsk, Klinok, Wilhelm Sawadsky.
Bemerkungen von Lydia Friesen (Esau):
Wilhelm Bernhard Sawadsky (10.02.1874, Landskrone, Molotschna - ca 1965) (#1111578) Foto, Foto,
Helena Leonhard Unrau (10.08.1882, Franzthal, Molotschna - Feb 1964, Lugowsk, Neu Samara) (#1111579)
Grossfamilie Sawadsky
Fotos und Dokumente aus dem Familienarchiv von Walter Unrau. |