Korrespondenz von E. Riesen aus Chiwa (entnommen aus dem „Gemeindeblatt“) in der "Mennonitische Rundschau" Nr. 16 vom 18. April 1883

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" Nr. 16 vom 18. April 1883, Seiten 1 und 2. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Correspondenz aus Chiwa (aus dem „Gemeindeblatt“)

Petro-Alexandrowsk, 3 Oktober 1882.
Lieber Bruder im Herrn! Nachdem geraume Zeit verstrichen, in der Sie keine Nachricht von mir erhielten, giebts nun wieder einige Gelegenheit zum Schreiben. Es war das eine Zeit voller Unruhe und Zerstreuung, voller Mühe und Arbeit. Da gabs viel Wechsel und Veränderung, viel Neues und Ungewohntes. Meinen letzten Brief haben Sie jedefalls erhalten*). (Es ist der in Nr. 11 und 12 v.J. mitgetheilte.) Ich schickte ihn erst ab, nachdem wir schon von der Deputationsreise hierher zu den lieben Unsern an der bucharischen Grenze zurückgekehrt waren; man sagte mir hier eben, daß er von dort viel schneller befördert werde als von hier aus, wo bisher noch kein geordnetes Postwesen eingerichtet ist. In zehn Tagen hatten wir jedesmal den Weg zurückgelegt. Das Resultat unserer Reise erregte allgemeine große Freude. Nur eines setzte derselben einen Dämpfer auf, die Geschw. in den Bergen wollten von Chiwa nichts wissen. Wir andern gingen nun fleißig ans zurüsten. Viel Krankheit, die während unserer Abwesenheit begonnen, und uns zwei ältere Geschw. und fünf  Kinder nicht mehr unter den Lebenden finden ließ, trat aber an vielen Stellen hindernd in den Weg, so daß wir erst am Schlusse des Augustmonats aufs neue aufbrechen konnten. Die Reise ging übers Ganze nur langsam, was den Kranken sehr zu statten kam. An der bucharischen Grenze wurden wir von circa fünfzig Buntröcken (wahrscheinlich waren es die einheimische Männer (Soldaten) in ihrer traditioneller Tracht– E.K.) empfangen, die uns begleiteten. Nach einigen Tagen trat andere Mannschaft an ihre Stelle; und so reisten wir mit Bedeckung durch Buchara bis an den Amu. (Amudarja – E.K.). Sie war uns von großem Nutzen. Wußten wir erst nicht, wie wir der schlechten Wege und vielen Wasserkanäle würden reisen können, so sorgte jetzt unsere Begleitung, an deren Spitze fast immer ein großer Beck*) (Beamter) ritt, der durch Kleider, Roß und Reitzeug von den Andern gewaltig abstach, dafür, daß vor uns der Weg geebnet, die Brücken und Dämme gebessert, auf Stellen sogar neue gemacht wurden; wo es die Umstände verlangten, führte man uns geradezu über besäte und unbesäte Ackerfelder, wenngleich das auf Plätzen das Niederreißen des Lehnzaunes erforderte. Während des Stilliegens schützten diese Leute unser Lager von den vielen neugierigen Gaffern, die uns anders ungemein lästig geworden wären, sehr oft weichen diese nur den Knutenhieben. An manchen Orten sorgten sie auch dafür, daß uns die nöthigen Sachen, wie Brot, Melonen, Arbusen, Weintrauben, mitunter auch Aepfel, schwarze Pflaumen, Rosinen, Eier, Hühner, auch Pferdefutter dicht ans Lager gebracht wurden. In der Stadt Karakul vor der Wüste lagen wir fast eine ganze Woche, während welcher Zeit unser Lager stets von mehreren Wächtern umgeben war, die für den Nothfall ihre Reitpferde bei sich hatten. Allabendlich umzog dazu noch der Nachtwächter mit seiner Trommel einige Male unser Lager. So konnten wir denn so ganz ungestört unsere Wagen auspacken und dieselben auseinandernehmen. Nur nachdem Kisten, Kasten und Säcke gepackt, die einzelnen Theile der Wagen in gehöriger Weise zu Kameelsladungen zusammengebunden und die vielen Kirgisen und Turkmenen ihre Kameele zum Laden ins Lager brachten und mit ihnen auch noch andere Leute eindrangen, da hörte alle Ruhe und Gemüthlichkeit auf, gewaltiger Menschenlärm und abscheuliches Kameelsgeschrei trat an deren Stelle. Unter solchen Umständen bestiegen denn nun wohl schon unsere meisten Frauen gern das Kameel, wie sehr sie sich auch früher davor gefürchtet hatten. Nachdem sie einmal in ihrer „Koscheba“ (Bettgestell) von denen die meisten zum Schutz gegen die Sonnenstrahlen mit einem Verdeck versehen wurden, und deren je zwei auf einem Kameel hingen, saßen, und das Kameel mit ihnen aufgestanden war, sah`s auch gar nicht mehr so gefährlich aus; ja mehreren fing das Reisen auf Kameelen mit der Zeit an zu gefallen; auch für die Kranken war es keineswegs anstrengend. Ein jeder aber war wohl froh, als sich der rohe Haufe der Kameelstreiber wieder einmal von uns trennte und wir allein blieben. Kajucks (Boote – E.K.) waren zu unsrer Freude auch genügend vorhanden, nur forderten die Inhaber derselben ungehörte Preise, woran besonders unser Dollmetscher Schuld war. Als wir denslben entlassen, wurden wir bald einig, immerhin noch auf einen hohen Preis, für acht Schiffe bis hier 1680 Rubel – ca. 5000 Mark.  Obgleich wir unserer fünfzig Mann mit unsern Pferden zu Lande hierher reisten, so mußten sich doch die übrigen Glieder der 64 Familien unserer Gesellschaft sehr einschränken, um Platz auf den schmalen Fahrzeugen zu finden. Was ich früher vergessen, muß ich zu Ihrer und unserer Freude hier bemerken: die „zehn Familien sind mit uns.“ Einige Tage vor unserer Abreise wurden sie alsdann von Bucharen wieder gewaltsamer Weise nach Serbulak (Sarybulak – E.K.) zurückgebracht. Obgleich anfangs immer noch scheinbar fest in ihrer Idee verharrend, kamen sie doch durch des Herrn Gnade nach und nach zur Erkenntniß ihrer Irrthümer zurück in unsere Gemeinschaft und sind nun wieder eins mit uns, nur eine Familie oder besser nur ein Bruder konnte das nicht, er ging zurück nach Taschkent; ein anderer Bruder von der Gemeinde blieb mit seiner Familie aus überspannten Gründen in Serbulak zurück; dafür haben sich die zwei früher in Taschkent zurückgebliebenen Familien uns wieder angeschlossen. Dem Herrn sei dank für solche Gnade, für solche Vereinigung, Er wolle in seiner großen Liebe auch mit den einzelnstehenden Geschwistern sein! Am 23. September verließen wir
Ilschik (? – E.K.), wo man die Schiffe besteigt. In acht Tagen waren wir alle hier; vegangenen Freitag kamen wir mit unsern Pferden in derselben Stunde hier an, da auch die Unsern auf den Schiffen eintrafen. Mit kleinen Ausnahmen hat alles glücklich gegangen, wiewohl die Reise keine leichte, keine bequeme zu nennen ist: Kälte und Regen haben sich schon einige Male recht fühlbar angemeldet. Hier wurden wir von der Behörde wie von unserm Freunde S. nach voriger Weise empfangen. Der Chan*)
 (Fürst in Chiwa) in Chiwa wurde gleich von unserm Eitreffen benachrichtiget und gebeten einen Mann nach dem Ansiedlungsorte zu unserm Empfang zu senden; einen andern sendet der Chiwaische Consul gleich von hier aus mit. Heute am 4. Oktober sind unsere Kajucks abgegangen, morgen gedenken wir aufzubrechen; in wenigen Tagen haben wir denn das Ziel unserer Reise erreicht. Der neue Generalgouverneur Tschernajens bereist in diesen Tagen sein Gebiet. Der hiesige Natschalnik *) (Beamte), jetzt General Gotthelm, kam vorgestern von dem Empfang desselben in Koselinsk (? – E.K.) zurück und sagte heute zu den Brüdern Janzen und Epp, daß der Generalgouverneur mit unserer Uebersiedlung nicht ganz zufrieden sei, und wenn derselbe im nächsten Monat hierher komme, von uns eine Deputation hergesandt werden möchte. Ich schließe, Sie vielmal herzlich grüßend und Ihnen des Herrn reichen Segen zu den Festtagen wünschend.
E.Riesen.

In einem andern Brief an den Herausgeber wird geschrieben: „Daß die Geschwister am 9. Okt. a. St. (Station? – E.K.) ihren Bestimmungsort erreicht haben, am Tage darauf den Ansiedlungplatz ausgewählt und abgemessen, den 15. ein jeder auf sein ihm zugetheiltes Landstück gefahren, worauf sie sich an das Bauen ihrer Winterwohnungen gemacht hätten und am 27. Okt. schon einige eingezogen seien.“

 

   
Zuletzt geändert am 12 Dezember, 2016