Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" Nr. 31 vom 1. August 1883, Seite 1. (gotisch) von Elena Klassen.
Nachrichten aus Chiwa (Asien)
(aus dem Gemeindeblatt.)
Lausana, den 11. März 1883.
„Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes!“ Wie viel Trost und Labung haben diese Worte schon so manchem müden Pilger gewährt, der unter den Mühen und Unruhen dieses Lebens nach dem sichern Hafen der ewigen Ruhe ausschaute. Sie werden gewiß auch jetzt in dieser unruhigen und bewegten Zeit manchem Christenhäuslein Muth und Fertigkeit einflößen beim Blick auf Ereignisse, die selbst die klugen, berechnenden Weltmenschen aus der Fassung bringen. Sie machen gewiß auch die meisten Herzen unter uns getrost und freudig bei den immer wiederkehrenden Gedanken an schwerere Prüfungen, die in ihren Vorboten sich schon eingestellt haben. Am 22. Februar kam ein chiwesischer Beamter zu uns mit der ganz unerwarteten Ankündigung, und zwar mündlich wie schriftlich, daß wir in zwölf Tagen uns zur Räumung dieses Ortes fertig machen sollten. Das sei nicht der Wille des Chans, sondern Befehl von Petro Alexandrowsk, bemerkte er dazu und rieth, eine Deputation dorthin zu schicken. Dieser Rath wurde natürlich befolgt; schon am nächsten Tage reisten drei Brüder zu Herrn General Grottenhelm. Der sagte, daß der General-Gouverneur ihm zugeschrieben, der unbestimmten Grenze zwischen Chiwa und Rußland wegen wünsche er eine Mennoniten Ansiedlung am linken Ufer des Amu-Darja nicht. Er selbst könne für uns nichts thun, rieth aber, mit Tschernajew zu sprechen. Derselbe wurde dort gerade erwartet. Der General fuhr ihm in den Tagen auf dem Wege nach Kasalinsk auch entgegen, kam aber wieder zurück mit der Nachricht, daß Tschernajews Abreise aus Taschkent auf unbestimmte Zeit verschoben sei.
Der Kanzleidirektor theilte den Unsern mit, daß die völlige Einverleibung Chiwa`s mit Rußland bevorstände. Die Letzteren sagten ihm, daß wir ganz zufrieden wären, wenn man uns nur während der uns vom Chan (ohne daß wir darum gebeten) gewährten vier Freijahre hier wohnen ließe; wenn dann die Gesetze unser Hiersein hinderten oder wir den Gesetzen im Wege seien, so würde der Herr dann ja weiter einen Ausweg geben. Er meinte, daß solches uns werde bewilligt werden. Vorläufig ist dem Chan der Befehl gegeben, uns bis zum ersten April unbehindert wohnen zu lassen. Bis dahin wird der General-Gouverneur jedenfalls in Petro Alexandrowsk gewesen sein und so unsere Sache sich wieder geklärt haben. Vielleicht auch nicht!? Die Prüfung ist um so ernstlicher, da der Frühling schon seit einigen Wochen, ich möchte sagen mit dem halben Februar eingezogen ist und man nun auch bald daran gehen müßte, das zu besäende Land zuzubereiten. Nun ist dasselbe, wenigstens so viel wir dieses beackern werden, zwar schon alles unter dem Pfluge gewesen, doch wird es all unsers Fleißes bedürfen, wollen wir demselben mit Gottes Segen unsern Lebensunterhalt abgewinnen; denn wie so sehr, so ganz verschieden ist der Ackerbau hier von dem in der vorigen Heimath. Ein russischer Herr, der sich mit der Cultivirung des Landes in dieser Gegend in etwas beschäftigt hat, sagte zu mir, daß der Boden, der ohne Bewässerung feucht genug sei, keine Frucht erzeuge; die durch Kanäle zu bewässernden Felder bringen mittleren Ertrag und nur das höher gelegene mit Wassermahlmühlen (hier von sehr einfacher Construktion)zu bewässernde Land sichere gute Ernten. Bei Reis wird das gewiß anders sein. Sollten wir aber noch ein Jahr ohne Ernte sein, so werden auch denen, die jetzt schon den größten Theil der Gemeine (Gemeinde – E.K.) unterhalten müssen, die Geldmittel sehr zusammenschmelzen, wo nicht gar auch ausgehen. Doch bleibt`s dabei: „Verflucht ist, wer Fleisch für seinen Arm hält.“ Und: „Was Gott thut, das ist wohlgethan.“ Das sind heute so meine Gedanken. Eins muß ich Ihnen noch nachträglich mittheilen, daß nämlich der größte Theil von uns auf der Anhöhe wohnt, von der ich Ihnen schon geschrieben haben. Mehrere trieb das Grundwasser aus ihren alten Wohnungen. Andere gingen auch aus Furcht vor dem Eisgange im Frühjahr. Letzterer hat aber die Dämme gar nicht beschädigt. Der Wasserstand ist auch gegenwärtig ein niedriger. Sie und uns dem Herrn befehlend, verbleibe in achtungsvoller Liebe
Em. Riesen.
Nachricht. Noch vor dem Druck dieser Nummer erhielt der Herausgeber von Bruder Riesen einen weiteren Brief, datirt Petro-Alexandrowsk den 1. April, wo eine Deputation in obiger Angelegenheit den Gouverneur erwartete, und der sich dann auch in folgender, für die Brüder recht erfreulicher Weise aussprach: „ Ich habe nichts gegen Ihr Bleiben, aber wird es auch gut für Sie sein?“ Als wir ihm darauf erwiderten, schreibt Bruder R., daß wir zu Gott hoffen, daß es für uns möglich sein werde, dort zu leben, sagte er: „Bleiben Sie, ich werde morgen mit dem Chan darüber sprechen.“ Wir dankten und gingen hocherfreut über diese so günstige Entscheidung unserer Sache. Dank, viel Dank der treuen Fürsorge unseres Vaters da droben
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