Brief von Cornelius C. Wall aus Nikolaipol, Turkestan in "Der Praktische Landwirt" Nr. 4-5 vom 1. Oktober 1925

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitschrift "Der Praktische Landwirt" Nr. 4-5 vom 1. Oktober 1925 (gotisch)

 

Aulie – Ata, Nikolaipol.
Mit großer Freude haben wir Nr. 1 „Der Praktische Landwirt“ erhalten und gelesen. Wie sehr hat uns doch ein solches Blatt gefehlt, besonders uns, in dem von Zentrum so weit entfernten Turkestan. Zwar werden unsere Berichte über Landwirtschaft für unser Völklein im Allgemein wenig nützlich sein können, da die Beschaffenheit des Bodens und die Bearbeitung desselben bei uns wesentlich anders ist, als in den meisten Gegenden.
Wir wohnen hier schon seit April 1882, also 43 Jahre. Obschon durch das Wasser in den Kanälen uns das Berieseln unserer Felder möglich gemacht hat, ist doch der Ertrag sehr verschieden. In der Zeit unseres Hierseins war das Jahr 1917 ein ganz besonders schwaches; manche Kirgisen starben vor Hunger; unter uns Mennoniten aber dürfte wohl niemand Hunger leiden. Die erste Ursache war damals (anno 17), daß uns das Wasser mit Gewalt genommen wurde. In der Zeit vom 15. März bis zum 20. Mai mangelt es fast jährlich an Wasser in den Flüssen, in welchen uns dasselbe aus den Bergen zufließt. Nachher, dank der Wärme, taut der Schnee in den Bergen und wir können bewässern. Unser Boden ist harter Lehmboden (ausgezeichnet zum Ziegelstreichen und Häuserbauen) und bringt nach guter Düngung und Bewässerung auch guten Ertrag. Doch solch dichtes Getreide, wie ich es mit Süden Rußlands und in der Krim gesehen ist hier etwas seltenes. Uns mangelt es immer an Dung. Künstlicher Dünger, welcher angewandt wurde, war teuer und brachte nicht das gewünschte Resultat, während der Stalldung nicht einmal für die Kleefelder reicht, um eine Deßjatin (2400 Faden) Klee (Luzerne) zu säen, bedarf man 200 Fuhren Mist und darüber. Derselbe kann sechs bis sieben Jahre (dreimal jährlich) gemäht werden. Nach Klee kann man mit gutem Erfolg zwei- bis dreimal Getreide ernten. Unser Landanteil ist nur klein, meistens auf eine Wirtschaft – 18 Deßjatin, doch davon liegt noch mancher Quadratfaden in den Arekken (Bewässerungskanäle). Wir haben also dieses kleine Quantum Land zu Getreide, Klee und Weide. Land zum Besäen geben uns unsere kirgisischen Nachbarn. Wir pflügen, eggen, geben unsern Samen, im Herbst bringen wir die Garben auf unsere Tenne und nachdem das Getreide gedroschen und gereinigt, erhält der Kirgise die Hälfte des Etrages. Er dagegen gibt das Land, hackt die Arecke aus und schneidet das Getreide mit der Sichel. Unser Jungvieh und die Schafe geben wir unseren kirgisischen Freunden mit in die Berge, sodaß wir es öfter bis vier Monate nicht zu sehen bekommen. Da kann es dann vorkommen, daß Wölfe, manchmal zweifelhafter Art, dieselben verspeisen. Der jetzigen Regierung sind wir dankbar, daß sie uns Anrecht auf Weideplätze in den Bergen gesichert hat. Doch lassen sich die Urbewohner nicht so leicht weiterschieben, denn Viehzucht ist noch immer ihre Hauptbeschäftigung.
Die Ernteaussichten sind schwach, unter mittel; teils des Wassermangels wegen, teils auch der ungünstigen Witterung wegen. Weizenpreis: 1 Rbl. 20 Kop. bis 1 Rbl. 40 Kop., Hafer bis 1 Rbl. 10 Kop., Butter 40 Kop., Käse pro Pud 12 Rubel.

Mit herzlichem Gruß

Corn. C. Wall
   
Zuletzt geändert am 1 Dezember, 2016