Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 1 September 1882, Seiten 2 und 4. (gotisch) Von Elena Klassen.
Asien.
Auf dem schon in voriger Nummer erwähnten neuen Ansiedlungsplatze in Aulieata, Turkestan, der 325 Werst von Taschkent entfernt ist, sind nun von den Mennoniten drei Dörfer angelegt: Gnadenfeld, Gnadenthal und Köppenthal. Durch die Vermittlung unsrer werthen Correspondenten J.T. und J.P., Rßl. (Rußland – E.K.), können wir unsern Lesern die Briefe mittheilen, die von Asien an ihre Verwandten in der alten Heimath geschrieben wurden und uns über die dortigen Zustände aufklären.
Erster Brief, geschrieben am 24.Mai von Kornelius Dück, früher Wernersdorf, jetzt in Gnadenfeld, Turkestan:
Geliebte Eltern, Schwager und Schwägerinnen! Aus Liebe gedrungen gebe ich Euch durch diese Zeilen ein Lebenszeichen von uns und will Euch etwas von dem Uebergang aus Taschkent auf unser Land erzählen: Am 8 April reisten wir von Taschkent ab, und obzwar es schon spät im Frühjahr war, hatten wir doch anfänglich dchweren Weg, indem derselbe sehr enge ist. Eine Strecke von 15 Werst ist dieser Weg von einer 3-4 Arschin hohen Mauer umgeben. An Sümpfen fehlte es auch nicht, wir haben uns einige Mal vorlegen müssen; kurz, der Weg war schlecht, und die Wagen, welche in Taschkent beim Steinefahren schon ziemlich benutzt und abgeschwächt waren, hielten nicht alle aus. Es sind in der Reisegesellschaft 4 Räder und etliche Spannägel gebrochen; auch der unsere brach, auch einige Reife platzten. Alles mußte auf freiem Boden zurecht gemacht werden. An Weide fehlte es nicht, wir lagen auf grünem Platze. Der Erdboden war uns der Feuerheerd und die Hobelbank, und es sah recht sonderbar aus, doch in Zeit von drei Stunden war ein Rad fertig. Sonst war es lieblich zu reisen. Die Blumen standen auf allen Feldern in schönster Blüthe, es waren meistens rothe Tulpen, solche, wie man sonst in den Gärten hat; auch gibt es hier Maitulpen den dortigen ähnlich, aber größer. Unsere Reise ging also bis Tschemkent, so wie ich vormals beschrieben, zurück. Von Themkent (Tschemkent – E.K.) aus fuhren wir östlich den Aulie-atinschen Weg ein. Fünf Stationen fuhren wir den Postweg, zwischen der ersten und zweiten Station ließen wir uns von einem sehr hohen und steilen Berg hinunter; 7 Werst hinter der fünften Station wurde aus der Poststraße rechts ausgebogen, von hier aus fuhren wir einen Karawanenweg nach. Anfänglich ging das Fahren hier gut, bald aber fingen die Aricks (Bewässerungskanäle) an, welche mitunter nur 50 Faden (1 Faden entsprich 4.6 m – E.K.) auseinander sich befanden, und mußten wir daher Männer mit Spaten voraus schicken, um dieselben zum Durchfahren auszubessern. Dav.Reimers, Wernersdorf, und Wilh.Bärgs, Tiegerweide, die mit den (in der Stadt Turkestan lagernden) Wolgaern zusammengereist waren, kamen in Tschemkent an als wir abfuhren. Da wir aber in zwei Theile fuhren, trafen die Unsern sie daselbst noch an. Bemerke noch, daß Dav.Reimers Peter, der vom Wagen gefallen, durch Uebergang eines Wagenrades einen Arm gebrochen, ist aber wieder ziemlich in Ordnung. Kornelius Reimers sind bei einem Arick umgestürzt, wobei sie, die Frau Reimer, einen Vorderzahn ausgeschlagen. Auf dieser Reise haben wir wieder Gebirge überschritten. Von da an, wo wir aus dem Postwege gebogen, haben wir bis Ort und Stelle immer zwischen zwei Gebirgsketten im Thale gefahren. Es sind von Taschkent bis zu unserm jetzigen Wohnort ungefähr 325 Werst. Südlich haben wir ungefähr 1 Werst, nördlich 7-8 Werst die Gebirge vor uns; da sehen wir mit unsern Augen stets Sommer und Winter gegeneinander. Mitunter steht man in einer Entfernung von 2 Werst Schnee fallen, regnen, dunkel und Sonnenschein zugleich. Hätte es mir Jemand früher erzählt, ich hätte es nicht geglaubt, und doch ist es so. Diese Gebirge ziehen sich vom Westen nach Osten. An der nördlichen Seite des Gebirges fließt ein bedeutender starkfließender Fluß, derselbe heißt Talas. Aus dem Süden nach Norden ergießt sich ein Fluß, der Ur-Maral, welcher quer durchs Thal geht und an der östlichen Seite die Grenze bildet. Ebenso ergießt sich noch ein Fluß quer durchs Thal, der an der westlichen Seite die Grenze bildet. Da nun liegen unsere Dörfer, als: Gnadenthal auf dem westlichen Ende, Gnadenfeld in der Mitte, und Köppenthal (wo die Wolgaer Geschwister wohnen) auf dem östlichen Ende längs dem Gebirge. Unser Plan, der alle drei Dörfer faßt, ist ungefähr 2 ½ Werst breit und 4 Werst lang. Durch diesen Plan gehen aus dem Osten nach Westen neun Haupt-Bewässerungskanäle, ohne die kleinen. Längst der Gasse zieht sich an unserer Seite auch ein kleiner Arick, woraus wir das Wasser zu unserm Gebrauch schöpfen. Wir kamen am 21. April hier an, hatten von da an, wo unser Weg den Postweg verließ, einen Kirgisen nebst einem Dolmetscher zum Wegweiser. Denselben hatte der Natschalnik von Aulie-Ata uns entgegen gesandt, um nicht zu irren. Am 23. April kam der Natschalnik selbst mit Peter Wiebe und Pet.Pauls zusammen. Dieselben waren von Tschemkent per Post nach Aulieata gefahren, um den Natschalnik in Kenntniß zu setzen, daß wir kämen. Auch das Getreide, welches wir uns von einem Kaufmann aus Taschkent, Namens Iwanow, zur Saat und zum essen angeliehen, auf Kameelen zu bringen; bestehend in Summe, 2 ½ Batman Weizen, 1 Batman Gerste und ½ Batman Hafer auf jede Familie. Ein Batman sind 12 Pud. In Taschkent waren es 11 Pud und in einer andern Stadt 10 Pud. Hier hat fast jede Stadt ihr eigenes Maß. Nach Ankunft des Natschalniks wurde uns die Wahl ertheilt, ein Stück Land auszusuchen. Wir wählten also dieses, worauf wir jetzt sitzen. Die Oberfläche des Landes steht ziemlich schön und eben aus, blickt man aber auf die Erde, so fällt es dem natürlichen Wesen nach nicht sehr in die Augen, weil die Erde gelb ist, doch sagen die Einheimischen, es gebe hier recht viel Getreide. Wie sich`s bewähren wird, werden wir später erfahren. Das Gras, welches hier wächst, ist fast lauter Stein-Klee, und ist auf Stellen ziemlich dicht. Am 26sten fuhren wir auf unsern Plan, maßen (messen – E.K.) die Hofstellen ab, und alsdann fuhr ein Jeder auf seine Stelle. Ein Paar Tage nach unserer Besteigung der Hoffstellen kam auch der Feldmesser, uns das Land abzumessen. Es wurden auf jede Familie 10 Dessj. (Dessjatin – E.K.) abgemessen, auch ich und andere ledige Personen bekamen unsere 10 Dessj. Land. Auch bekam jede Familie 25 Rub. Hilfsgeld von der Krone angeliehen, und zwar ohne Interessen. Für das angeliehene Getreide müssen wir aber für jedes Pud 5 Prozent zahlen.
Zweiter Brief, geschrieben von der Gattin Dietrich Braun an ihren Sohn Abraham in Steinfeld, Südrußland:
Wir sind, dem Herrn sei Dank, ziemlich gesund, und obzwar ich den Winter recht an Gicht gelitten, hat mich der Herr doch wieder aufgeholfen. Jedoch spüre ich bei dem wechselhaften Wetter, welches hier ist, noch immer etwas davon. Auf den Gebirgen liegt der Schnee, und wenn es sonst auch ziemliche Hitze ist, und der Wind weht einmal über das Gebirge her, so wird es so kalt, daß man sich etwas überziehen muß, und da kann mein Körper nicht dagegen. Unsere Susanna hat sich verheiratet, und so bin ich nun mehr auf mich selbst angewiesen. Zwei Pferde sind uns in Taschkent gefallen; eine Kuh haben wir auch nicht, auch kein Geld, eine zu kaufen, und so steht unsere Lage ziemlich bedrängt; zu essen haben wir noch immer gehabt, aber wie es geht, ohne Kuh, ohne Schwein, ohne Kartoffeln u.s.w., wird Dir wohl deutlich sein. Wir wohnen noch immer im Wagen, wollen, so Gott will und wir leben, anfangen zum Bau Ziegeln zu streichen; Bauholz können wir aus einem Kronswald haben, 20 Stämme auf jegliche Familie, wir sollen dafür aber für jeden Stamm 25 Stück junge Stämme setzen. Weggereist sind wir von Taschkent den 8. April und den 26. auf unsern Ansiedlungsplatz hinaufgefahren. Den 2. Mai fingen wir an zu pflügen und beendigten dasselbe in den letzten Tagen des Mai. Wir haben gesät: 1 Dessj. Weizen, 1 D. Gerste, 1 D. Hafer, ½ D. Hirse und ein wenig Kleesamen. Was davon werden wird, ist dem Herrn allein bekannt, Er wird’s ja versehen; Er selbst hat ja gesagt: „Ich will euch nicht verlassen noch versäumen.“ Das Land, worauf wir uns gesetzt, ist gelbe Erde. Es steht unserm anders gewohnten Auge nicht schön, doch steht man die Fruchtbarkeit von demselben. Der Steinklee wächst hier größer als dort, d.h. wenn das Land bewässert wird; derselbe hat braune Blumen, sonst steht er gerade so aus wie dort. Die Kultur des Landes ist hier mit viel mehr Mühe verbunden als dort, trotzdem die Bewässerungskanäle fertig waren. Land haben wir für jegliche Familie 10 Dessätinen; dasselbe können wir meistentheils beackern, denn das Vieh können wir so weit es uns beliebt in den Gebirgen weiden, von welchen wir an der Südseite ungefähr 1 Werst entfernt wohnen, in drei Dörfern, wovon eins von den Wolgaern gebildet ist. Bemerke noch, daß in den Gebirgen viel Adler hausiren. Bei dem Aase eines gefallenen Pferdes allein sahe man 11 Adler. Auch andere große Vögel und wilde Thiere befindensich allda.
Dritter Brief, geschrieben am 5 Juli 1882 von Dietrich Braun an seine Tochter Margaretha:
Da wir jetzt durch Gottes Hilfe auf unserm uns von Gott durch die Obrigkeit geschenkten Ruheplatz angekommen sind, wollen wir Dir auch etwas von unserm Befinden berichten. Am 8. April wurde die Reise von Taschkent hierher angetreten. Manche Versäumnisse traten ein, da Einem oder dem Andern ein Rad oder sonst etwas am Wagen brach, welches der schlechte Weg verursachte.Dann mußten wir Alle so lange liegen, bis es wieder fertig war. Es wurde auf freiem Boden ohne Hobelbank Alles verfertigt; aber der schöne Frühling mit seinen bunten Blumen und dem grünen Grase erfreute uns Herz und Sinn, daß uns die Reise trotz aller Hindernissen doch nicht lang vorkam. Wir kamen also den 21. April hier an; diese unsere Weuiterreise beläuft sich auf 325 Werst. Hier mußten wir den Ujesdnij Natschalnik aus unserer Kreisstadt, welche ungefähr 75 Werst von hier entfernt und unsere nächste Stadt ist*), erwarten; derselbe sollte uns den Platz der Ansiedlung anzeigen. Des andern Tages kam derselbe, und als Alles geordnet war, fuhren wir den 26. auf unsern Ansiedlungsplatz hin. Wir wohnen zwischen zwei Gebirgen im Thale, welches im Durchmesser etwa 10 Werst breit ist. Dieses Thal sind wir bei 110 Werst entlang geschritten, es liegt von Westen nach Osten. Unsere drei Dörfer liegen ungefähr eine Werst von dem an der Südseite liegenden Gebirge ab; auf denselben sieht man stets Sommer und Winter gegeneinander. Wenn es regnerisch ist, sieht man die Gebirge so voll Nebelwolken liegen, daß es doch recht wunderbar ist. Flüsse sind hier sehr starkfließende und drei in unserer Nähe. Wassermühlen haben die Kirgisen recht viel, im Werth von 10 bis 50 Rbl; sie sind nicht sehr groß, was ja der Preis auch schon anzeigt. Das Bauholz haben wir auf einem sehr beschwerlichen Wege, 35 Werst weit her aus den Gebirgen zu holen. Bei jetziger Zeit müssen wir durch einen starkfließenden Fluß, welcher aber später abläuft....
Aus dem „Gemeindeblatt“ ersehen wir, daß die Spaltung unter den nahe der Buchara liegenden Wolgaern immer unheilbarer wird. Wie in No. 14 unseres Blattes mitgetheilt wurde, sind dort drei Partheien. Nun wird mithetheilt, daß die Hauptgemeinde, 18 Familien, geleitet von Pr. (Prediger – E.K.) Töws sich auf der russischen Seite Land gepachtet, geackert und gesät hatte. Da die bis zum Frühjahr gewährte Frist verstrichen war, wurde ihnen die Aufforderung des Gouverneurs von Samarkand vorgelegt, sich zu entscheiden, ob sie zurück nach Taschkent (zu den Molotschnaer Brüdern) oder vorwärts nach Buchara gehen wollten. Die Antwort der bedrängten Gemeinde lautete, daß sie ohne Erlaubniß nicht nach Buchara hineingehen, daß sie aber auch von ihrem bisherigen Glauben nichts aufgeben könnte, und die Regierung hätte, in irgend einer Weise helfen zu wollen. Die zweite Parthie (10 Familien) hat die Brüder W.P. und G.H. zum Natschalnik (Kreisschef) geschickt mit der Mittheilung, daß sie „unter allen Umständen“ nach Buchara hineingehen würden und keine Bitten an Buchara noch an Rußland hätten. Die letzte Nachricht von dieser Parthie lautet dahin, daß sie nächstes über die Grenze zu gehen gedächte. Jedenfalls wird ihr Loos ein trauriges sein, denn die Bucharen werden sie zurücktreiben und die Geduld der russischen Regierung wird dann auch ein Ende haben; wie ein gewisser Beamter angedeutet hat, werden die, jegliche Obrigkeit verwerfenden Mennoniten alsdann per Etappe (gleich Verbrechern) zurück in ihre alte Heimath geschickt werden. Die dritte Parthie hat sich nach Alieata (Aulie-Ata – E.K.) begeben und dort mit den Molotschnaer Brüdern zusammen angesiedelt. Jedenfalls hat auch die Töwsche Abtheilung diesen Weg gewählt, doch laut den uns zu Gebote stehenden Nachrichten können wir es nur vermuthen, nicht aber behaupten. Die letzte Reisegesellschaft mit ihrem Führer Klaas Epp hat in einer Stadt, welche Turkestan heißt, den letzten Winter zugebracht und wollten von da cirka 10 Familien nach 3 ½ monatlicher Ruhe zu dem Ansiedlungsplatze Aulieata ziehen, während die Uebrigen, etwa 30 Familien, sich vielleicht nach Buchara begeben.
*) Leider wird nicht angegeben, nach welcher Himmelsrichtung hin die Kreisstadt von der Ansiedlung liegt. Im Ganzen sind die Uebersiedler aber beträchlich weiter gegen Osten vorgerückt.
E d r. (Editor – E.K.)
Damit unsere Leser sich in etwas über die Lage der in diesen Berichten erwähnten Ortschaften orientiren können, möge Folgendes dienen: (vermutlich stand in der Zeitung eine Skizze von der Umgebung – E.K.)
- Die Stadt Turkestan
- Die Stadt Taschkent
- Die Kreisstadt Aulieata
- Die Stadt Samarkand, ganz nahe der bucharischen Grenze.
Interessant dürfte unsern Lesern noch die Bittschrift sein, worauf hin die Erlaubniß zur Ansiedlung in Alieata (Aulie-Ata – E.K.) erfolgte:
Seiner Excellenz dem Hrn. General-Gouverneur von Turkestan Hrn. Kolpakowski.
Der Mennoniten.Gemeinde aus dem Taurischen u. Gouv.
Ergebebenste Bitte.
In unserer gegewertigen Lage, die uns je länger desto drückender wird, wenden wir uns an seine Excellenz mit der innigsten Bitte, uns im Turkestanischen Gebiet, wenn möglich in der Nähe von Taschkent, falls aber die Möglichkeit dazu fehlt, dann im Aulieatanischen Kreise als Landbauern einschreiben lassen zu wollen unter den Pflichten und auf die Rechte, die hier von Seiten der Regierung den Ansiedlern geboten werden, und die uns in unserer Heimath gegeben wurden. Verpflichten uns dagegen weder durch Gewalt, noch List, noch Betrug den Landesgesetzen zu widerstreben; möchten uns nur das Recht hiebei vorbehalten, später der hohen Regierung unsere Bitten um Befreiung vom Staatsdienste, wie es uns unser Gewissen befiehlt, vortragen zu dürfen.
Einer gnädigen Gewährung dieser unserer Bitte entgegenharrend ziechnen sich
die Bittsteller.
Taschkent, 15. Jan. 1882.
Wahrscheinlich werden wir bald erfahren, welche Begünstigung die russische Regierung unsern armen Brüdern hinsichtlich des Staatsdienstes gewährt. Wir hoffen das Beste.
Nachdem Obiges schon gesetzt war, ging uns noch folgender, direkt aus Asien kommender Brief vom Aeltesten Jakob Janzen zu:
Central-Asien, Nikolajpol*) 18. (30.) Juni. Gott zum Gruß für alle lieben Leser der werthen „Rundschau“! Das hiesige Klima bewährt sich bis jetzt immer noch als ein gutes; durchgängig weht des Tages, sobald die Sonnenstrahlen schärfer zu wirken anfangen, ein angenehm kühler Westwind. Ueberhaupt ist der Luftzug zwischen den unser Thal begrenzenden Bergen sehr häufig und zwar fast regelmässig Tags aus Westen und Nachts aus Osten. Man könnte deßhalb wohl fast fürchten, ob der Winter auch stürmisch sein möchte. Bis jetzt haben wir über Sturm noch nicht zu klagen. Die Nächte sind meistens stark kühl., jedoch hatten wir in letzter Zeit einige recht heiße Tage bis 29 Gr. R., wo der Luftzug somehr ausblieb. Der Gesundheitszustand ist befriedigend. In den zwei Monaten, die wir hier verweilten, ist unter uns, die wir aus den Molotschnaer Kol. sind, eine Person gestorben, und zwar Abraham, der 12 jährige Sohn des Peter Wiebe aus Wernersdorf. In Köppenthal, wo die Geschwister von Trackt (Wolga) sind, starben zwei Jünglinge, beide Söhne des Corn.Janzen, und eine Jungfrau, Tochter der Geschw. Franz Eppen aus Frösenheim. Die Heuernte ist zwar kätglich, doch weit reichlicher, als wir bei unserer Ankunft hier erwartet hatten. Man hofft noch auf Grummet (zweite (oder dritte) Heuernte innerhalb eines Jahres – E.K.). Unsere Getreideernte möchte der liebe Vater im Himmel auch reichlicher ausfallen lassen, als wir bis jetzt zu hoffen berechtigt scheinen. Denn nicht nur die späte Saatzeit kommt hierbei in Betracht, stellenweise fehlt es auch an der Vorrichtung der Bewässerung, d.h. die Hauptkanäle sind zu klein und liefern nicht hinreichend Wasser; dazu sind anfänglich noch in unserer Unkenntniß die Ausläufer ins Land durchpflügt worden und so die Sache erschwert. Es fehlt uns sehr an Arbeitskraft. Einige Felder, wo dies alles nicht fehlte, erregen Bewunderung. Drückend fühlbar macht sich der Geldmangel, und ist es unser Flehen zu Gott, Er möchte uns aus dieser Noth heraushelfen. Auch die Seuche unter dem Rindvieh läßt manchen Seufzer aufsteigen, obzwar sie nur langsam schleicht. Mehrere Familien sind ganz ohne Kuh. Wir sprechen mit dem Psalmisten: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“
Jak. Janzen.
*) Aus diesem Dorfsnamen schließen wir, daß von den beiden an anderer Stelle erwähnten Namen Gnadenthal und Gnadenfeld wohl nur einer richtig sein wird.
D.R.d. „Rundschau“ (die Redaktion der „Rundschau“. Wobei die Redaktion sich geirrt hat. Es gab sowohl Gnadenfeld, als auch Gnadental – E.K.) |