Brief von einem Unbekannten über die Reise von der Wolga nach Turkestan in "Unser Blatt" Nr. 5 vom Februar 1928

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Unser Blatt" Nr. 5 vom Febuar 1928. (gotisch)

 

Aus dem werten „Unser Blatt“ Nr.1 d.J. „Denkwürdige Tage für die Mennonitengemeinden aus alter und neuer Zeit“ lesen wir auch von dem Auszuge der gesammelten Gruppen aus der Mennonitengemeinde von der Wolga nach Turkestan. Es ist ja wahrlich wichtig, sich dessen zu erinnern, besonders für diejenigen, die persönlich mit dabei gewesen. Wenn auch bei und zu dieser Reise manches Irrtümliche gewesen, so hat doch das Ganze einen großen Wert. Wir wissen, wenn wir zum Glauben gekommen, möchten wir alles für den Herrn drangeben; geht man aber zurück und kehrt dem Herrn den Rücken, dann hat eben die Sache keinen Wert mehr, ja es kommt mitunter so weit, daß darüber gespottet wird und als Irrtum betrachtet. So hat es wohl auch manchem mit dem Auszuge nach Turkestan gegangen. Es war anno 1881 am 1. September, als sich der letzte Zug per Achse von Medemtal in Bewegung setzte nach Turkestan. Ich war erst 16 Jahre alt, hatte damals überhaupt keine Idee für die Sache, doch den Eltern zulieb reiste ich mit, unter viel Beschwerden und Entbehrungen, denn wir hatten nichts als ein Paar Pferde und einen Wagen, waren also angewiesen auf Gottes und Menschen Freundlichkeit. So manchen Kummer hat mein junges Herz damals schon empfunden, bis ich endlich durch ein Wort aus der Bibel, von meinem Vater gelesen, Erkenntnis und Vergebung meiner Sünden empfing. So ist unsere Reise eine Predigt, nicht nur für die Reisenden selbst, sondern auch für alle, denne wir begegneten, sogar bis in das ferne liegende Chiva, wo wir 1882 unter wilden Völkern landen und etwas ruhen konnten. Diese Völker fürchteten sich anfangs, denn die glaubten, wir wären Kriegsvolk, da wir unsere Wagen zum Transport auf dem Wasser auseinandergenommen hatten, welche sie als Kanonen ansahen. Bald wurden sie doch inne, daß dem nicht so war, ließen sich denn auch gehen – und beraubten uns. Doch des Herrn Hand errettete uns auch hier von der Feinde Hand auf wunderbare Weise und führte uns weiter in das gegenwärtig wohl allbekannte Ak – Metschetj. Die Räuber wurden gefangen zum Landesfürsten geführt, wohin auch unsere Väter verlangt wurden zum Gericht über die Räber. Als nun die Frage an sie gestellt wurde, ob die Übeltäter gehängt werden sollten, wurde die Räuber auf das Bekenntniß aus der Schrift, den Feind zu lieben, losgelassen. Natürlich mußten die Verwandten der Räuber den Richtern doch noch Genüge leisten. Habe mich etwas tiefer eingelassen, als ich eigentlich wollte. Meine Absicht war ja nur mehr darauf hinzuweisen, daß Gottes Wege auch durch mancherlei Irrtum, ja wohl sogar durch dämonische Mächte, gebahnt werden können. Claas Epps öffentliches Auftreten als Irrlehrer entstand ja nach meinem Erachten und Empfinden erst in Ak – Metschetj, als wir vollständig zur Ruhe gekommen waren und ein jeder sein eigenes Brot hatte. Es ist mir nicht die Sache, weiter darauf einzugehen, doch möchte ich mit dem Dichter einstimmen in das Lied: Kommt, Brüder, steht nicht stille.
Und ich danke Gott immer wieder für den wundervollen Auszug; es steht mir noch manches so lebhaft vor der Seele, daß ich staunen muß, was Gott an uns getan, durch all die lange und verhängnisvolle Zeit. Wie manches Ach und Weh, wie viel Freude und Wohlergehen durch diese lange Zeit von 47 Jahren! Zertreut, wie vom Winde getragen in alle Lande, warum und wozu? Ich denke, um zu zeugen von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist. Wenn diese Ausgabe auch nicht in dem Maße erfüllt wird, wie es unser Meister gerne haben möchte, so wird doch allenthalben etwas getan, so auch hier an diesem Orte.
Aulie – Ata ist auch eine Station von Gott erbaut, für ihn und sein Reich zu werben, angefangen durch den Auszug. Glauben wir nur ja nicht, daß unser Weilen hier vergeblich gewesen ist. Einmal sagte mir ein Bruder, er habe in der Stadt zugehört, wie sich etliche gewundert hätten, daß hier am Orte das Blutvergießen nicht so sei, wie in andern Orten. (Es waren Russen). „Ja, weißt du nicht,“ hatte einer gesagt, „daß die dort in den Bergen beten!“ Nicht möchte ich uns hiemit emporheben, denn der Teufel hat hier auch Stationen. Aber ich möchte nur immer wieder betonen, wie Gott doch ohne daß wir`s wissen, was geschieht, durch seine Kinder Segen schaffen kann. Ihm allein sei die Ehre. Dann ist der Auszug auch im Irdischen von großem Nutzen gewesen. Als wir einmal hierher kamen, hatte wohl keiner von den einheimischen Russen oder Mohammedanern einen eisenachsigen Wagen oder einen Fabrikpflug. Bald aber waren sie uns darin nach.

Von einem, der die Reise mitgemacht hat.

   
Zuletzt geändert am 11 November, 2016