Brief von E. Riesen aus Ak-Metschet in der "Mennonitische Rundschau" vom 8. April 1903

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 8. April 1903, Seite 5. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Central Asien

Ak-Metsched, den 11 (24.) Feb. 1903. Lieber Bruder Wiens!
„Es hat gut, bis hierher gut gegangen – herrlich stritt Jehovah-Zebaoth! Darf uns wohl mit solchem Führer bangen? Unter seiner Hand giebt`s keine Not!“
Der Zweck dieses Schreibens ist, etwas über die Beziehungen unsers Gemeindleins zur Regierung Chiwas zu bringen. Zu Anfang unserer Niederlassung in diesem mohammedanischen Chanat kamen einige Auszüge verschiedener Briefe unserere Auszugsgesellschaft im „Mennonitischen Gemeindeblatt“ zum Ausdruck, in denen auch von unsern Rechten und Pflichten hier die Rede war. „Das scheint nach Frondienst und Sklaverei“ meinte ungefähr der Einsender derselben, sich auf leßtere beziehend. Hier bringe ich nun das Schriftstück unsers Chans über unsere Deputationsreise zu ihm in  deutscher Uebersetzung:
„Kopie von dem Schreiben des chiwasischen Chans vom 15.Juli 1882 an den H.Natschalnik des Amu-Darja-Gebits. Der Beamte Chachrekow übergab mir mündlich Ihre Worte betreffs der Deutschen, die in meine Unterthanenschaft überzugehen wünschen. Die drei hergekommenen Deutschen sahe ich und sprach mit ihnen; sie wünschen in meinen Unterthanenverband zu treten und in meinem Lande zu wohnen, und sich mit Ackerbau beschäftigend, wünschen sie gleicherweise wie meine andere Unterthanen den Zins (Steuer) zu zahlen. Außerdem sind sie auch damit einverstanden, daß ich sie für üble Vergehen nach Gesetz und Sitte bestrafen darf, je nach der Wichtigkeit des Falles. Ich meinerseits befreie sie von den Steuern auf ein Jahr und werde solche das folgende nehmen. Außerdem befreie ich sie vier Jahre vom Reinigen der Leitungskanäle, vom Ausschütten der Dämme und andern Fronsleistungen. Wenn sie sich auf meinem Lande nicht gut anbauen können und wünschen umzukehren, so werde ich sie nicht zurückhalten. Jetzt bitte ich Sie, Geehrtester, ergebenst, diesen Deutschen zu erlauben, in mein Land überzusiedeln und meine Unterthanen zu werden. Ich weise ihnen genügend Land am Lausanne und bei Chodschaille an. Beigefügt das Siegel Sseid Mohamed Rahim Chans.“
Der aufmekrsame Leser wird fragen, wie konnten die, welche gerade einem solchen Eingegliedertwerden in einen chtistlichen Staat mit Drangabe vieler Vorteile wichen, hier so ohne weitereres zustimmen? Das was ganz einfach: Für uns dachte und handelte damals ein Mann, der eine andere Aufgabe hatte, als uns das Kleinod des Glaubens, von unsern Vorvätern überkommen,  bewahren zu helfen. Und sagte er, daß die uns zugesagten vier Freijahre die Zeit der „Sammlung“ sei und also für uns ausreiche. Es machte sich nun weiter niemand die Mühe, darüber zu denken, daß auch eine bloß scheinbare Zustimmung zu etwas, das wir niemals eingehen zu dürfen glauben – Unrecht sei. Anstatt nun bei Ablauf unserer Freizeit unser Unrecht frei zu bekennen und die uns so freundlich gesinnte Regierung zu bitten, uns auch weiter in unserer Fremdlingsstellung zu belassen, suchte uns jener Mann nur weiter auf der abschüssigen Bahn fortzureißen. Die Gemeinde bekam durch ihn die Weisung vom Herrn (?), nach Buchara zu gehen und sich dort auf den von einem russischen Geldmanne, Kudrin, zu Baumwoll – Plantagen frisch übernommenen Ländereien niederzulassen, um sich hier den nächstens aus dem Abendlande kommenden Flüchtlingen anzuschließen. Der Chan habe für unsere Reise dorthin die nötigen Kajuks (große Kähne) und einer seiner ersten Beamten ein bestimmtes Pferd für seine Frau und Kinder zu stellen. Solche Offenbarungen teilte Epp dem letzteren selbst mit! Epp, Br. Herm. Janzen und ich fuhren nun nach Tschardschui per Achse (cirka 400 Werst), um die Sache in Fluß zu bringen und fertig zu machen. Nachdem wir unsere ersten Schritte bei den Unterbeamten der erwähnten Ländereien un dem Chef von russisch Tschardschui gethan – die sympatisch aufgenommen wurden – reiste Epp per jüngst fertiggestellter Eisenbahn nach dem Kaukasus ab, um zu „zeugen“, und dann als einer der zwei Zeugen in Jerusalem zu sterben.
Br. Janzen und ich ritten nun in die Stadt Buchara und stellten unser Anliegen dem ersten Direktor der Kudrinschen Güter und dem hier angestellten politischen Agenten Rußlands vor. Beide waren voll damit einverstanden. Daß wir da nur auf kurze Zeit Station zu machen gedächten, sagten wir ihnen nicht. Beide telegraphierten nun sofort an den General-Gouverneur in Taschkent in der Meinung, daß auch der ganz ohne weiteres seine Einwilligung dazu geben werde. Nun half aber unser himmlischer Vater uns in unserm thörichten und eigenwilligen Vorhaben so unzweideutug, wie er uns eins ohne all unser Zuthun und unsern Rat aus den Händen der räuberischen Turkmenen geholfen hatte. Es kam gar keine Antwort! Wir kehrten um nach Tschardschui, auch da warteten wir vergebens. Weil nun das Reisegeld zu Ende ging, traten wir endlich unsere Heimreise an mit der allzeitigen Zusicherung, daß eine zusagende Antwort nicht uns bleiben könne und solche uns nachgeschickt werden würde – aber – sie ist bis heute noch nicht eingetroffen! Das war 1887 im Herbst. 1889 versuchte man denn hier in Chiwa, uns zu irgend einem den Landeskindern gleichstellenden Schritt zu veranlassen. Der Herr half wieder. Man nahm uns zwar das bis dahin unentgeltlich benutzte Land ab, und legte uns zu der in den letzten Jahren erhobenen Steuer von vier Rbl. pro Familie noch 3 Rbl. Gartenpacht (wir wohnen nämlich in einem früheren Obstgarten, in dem wir 139 große Aprikosenbäume, und kleine Klee- und Weizenfelder fanden), aber man ließ uns bis heute ganz frei. Mankümmert sich wenig um unsere innere noch äußere Verwaltung. Teilweis entschloß sich die Gemeinde wieder, einen Teil des uns entzogenen Landes gegen zwei Dritteil der Ernte in Bearbeitung zu nehmen. Seit dem folgenden Jahre (1890) benutzen wir das unserm Garten am nächsten gelegene Land, cirka 6 Deßjatin, gegen einen bestimmten Pachtzins von 90 Rbl. Alle diese Abgaben sind dem Bruder des Chans, dessen Erbe ursprünglich das von uns besetzte Land ist, zugewiesen. Ob uns nun diese unumschränkte Freiheit wirklich den Segen gebracht hat, wie wir ihn hätten haben können, will ich diesmal nicht wieder erörtern. Das kann ich aber aus Erfahrung bezeugen, daß die gottgewollte freie Liebe nicht auf dem Boden der Unordnung und menschlichen Willkür gedeiht. Doch Gott hilft, wie er geholfen! Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die auf die Völker Asiens so eigenartig wirkenden mächtigen Flügelschwingungen des großen russischen Adlers uns vielfach  zu Nutz kamen.
Mit herzlichen Grüßen an Sie, Verwandte und Bekannte, verbleibe mit Liebe und Achtung Ihr

E. Riesen
   
Zuletzt geändert am 27 Januar, 2017