Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" Nr. 48, vom 4. Mai 1892, Seite 2. (gotisch) von Elena Klassen.
Asien. Turkestan.
Aulieata, Kokan (Kokand? – E.K.), 21. Februar 1892. Liebe „Rundschau“! Wir erfreuen uns, Gott sei Dank, der besten Gesundheit. Bis Mitte Februar haben wir, wenn auch hin und wieder etwas Schnee fiel, sehr schönes Wetter gehabt; erst vor einigen Tagen wurde der Erdboden mit einem etwas dichteren weißen Kleide überzogen, so daß wir gegenwärtig Schlittenbahn haben; jedoch wohl nicht für lange, denn die Sonne senkt ihre Strahlen schon wieder recht warm auf unsere Erde nieder. Ohne diesen Schnee hätten wir einen traurigen Sommer in Aussicht, denn unsere Berge waren vorhin noch mit wenig Schnee bedeckt, und leider in Folge dessen wären auch unsere Felder schlecht gerathen, denn diese brauchen bis zur Ernte recht viel Wasser.
Das Getreide ist hier wegen der Hungersnoth in Rußland auch theurer als sonst. Im Herbst kostete der Weizen 8-10 Rbl. per Batman (etwa 7 amer. Bu.) und angsterfüllten Herzens sah Mancher der Zukunft entgegen; jedoch gegenwärtig ist er etwas billiger. Bei uns war nämlich der Weizen früher nur wenig theurer als der Hafer, und da unser Land mehr Hafer ergiebt als Weizen, so wird bei Mennoniten größtentheils Hafer gesäet. Der Hafer kostet jetzt 4 Rubel per Batmann, war aber im Herbst auch schon theurer. Kartoffeln kosten jetzt 25-30 Kop. per Pud (36 amer. Pfd.), ich glaube aber, daß sie noch theurer werden, denn der Kartoffelvorrath scheint schon erschöpft zu sein.
Da ich soeben in der „Rundschau“ gelesen, was Amerika für die Nothleidenden in Rußland thut, will auch ich etwas davon berichten.
Spät im Herbst kamen, wenn ich nicht irre, acht Familien aus dem Saratowschen Gouvernement zerstreut und manche sehr arm hier an. Einige hatten sich, um nicht so viel Futter zu brauchen, schon Kameele eingehandelt. Auf solche Art kamen sie bis zur Stadt Aulieata und von dort aus fuhren solche, die keine eigenen Fahrzeuge hatten, mit unseren Mennoniten zur Ansiedlung. Besonders schwer aber ging es der letzt angekommenen Familie. Da von unseren Mennoniten keiner in der Stadt war, mußten sie sich einige Tage dort aufhalten, und da die Kinder weinten und nach Brod schrieen, wußte der Mann sich keinen anderen Rath, als sie betteln zu schicken, denn Sachen, die etwas werth waren, hatte er keine mehr. Die Kinder wurden von der Polizei festgenommen und ihr Vater zur Verantwortung gezogen. Da dieser erklärte, daß er nichts zu essen habe, und um Mithilfe bat, griff der Natschalnik in die Tasche, gab ihm, um ihn los zu werden, Rbl. 1.20 und ließ ihn mit dem Rath gehen, er solle sich nur nach unserer Ansiedlung machen, dort würden die Deutschen ihn nicht todhhungern lassen. Es sind auch schon von uns Sammlungen veranstaltet und den Armen übergeben worden, so daß wenigstens bisher keiner vor Hunger gestorben ist. So wie es scheint, werden diese neu angekommenen Colonisten Land bekommen, und zwar in dem sechst Werst nordöstlich von hier neuangefangenen Dorfe Orloff, wo schon einige Mennoniten wohnen. Es gefällt unseren Colonisten ein solcher Durcheinander nicht, jedoch es scheint, als ließe sich nichts daran ändern.
Grüße alle Freunde in Amerika. Auch haben wir Freunde in der Krim und an der Molotschna, welche wir bitten, einmal etwas von sich hören zu lassen. Wir befinden uns, wenn auch nicht gerade glänzend, so doch ziemlich wohl. Kurz vor Weihnachten starb Peter Pauls, fr. Friedensruh, an einem Magenleiden.
C.Wall |