Kopie der Zeitung „Mennonitische Rundschau“, Nr. 8, 15 September 1881, Seiten 1-2. (gotisch) von Elena Klassen.
Kopie eines Briefes aus Taschkent vom 23 April 1881.
Liebe Freunde und Geschwister!
Wie die Reise gegangen, ist nicht nothwendig zu schreiben, denn das ist Euch ja schon durch Briefe von hier bekannt. – Wir haben unsere Wirtschaft hier beinahe in solchem Zustande, wie wir sie dort hatten, natürlich nicht so kostbar. Eine Bettstelle haben wir von Brettern zusammengenagelt, worin wir schlafen. Eine Schüsselbank habe ich in der Wand von den Brettern, die wir im Wagen zur Decke hatten. Eine Hobelbank hat mein Mann sich des Winters vervestigt, auch Gerätschaft hat er sich schon wieder angeschafft, welches hier von Wallnußholz gemacht wird. Das Werkholz ist meistens Pappelholz und wird in Brettern von 7 ½ - 10 Fuß lang und 6 ½ - 10 Zoll breit geschnitten und kostet solches von 10-50 Kop. per Stück. Das Stellmacherholz ist hier bedeutend schlechter, als dort bei Euch. Die Wagenbügel werden von einem Stück Rüsterholz, so wie es eben gewachsen ist, gebogen und preisen 75 Kop. bis 1 Rbl. Die Speichen werden von Rüsterbohlen geschnitten und kosten per Stück 6 Kop. Das Mittelholz zu den Wägen muß ebenfalls von Bohlen oder Rundholz gemacht werden. Einen Kreuzfuß-Tisch, eine lange Bank und zwei kurze Bänke haben wir, und zwar alles gefärbt. Unsere Kuh kostet uns mit Kalb 20 Rbl. Sie gibt jeden Tag so ungefähr 7 Quart Milch. Die Kühe sind hier rissischer Rasse, aber kleineren Wuchses als die Euch bekannten. Unsere Kuh ist von schwarzer Farbe, das Kalb haben wir geschlachtet, sie gibt die Milch auch ohne Kalb. Einige aber wollen sie ohne Kalb nicht geben. Hier gibt es mitunter recht schöne Kühe, nur fehlt es ihnen an der deutschen Pflege. Pferde und Wagen haben wir auch noch. Einige der Brüder haben sich mit Kiesel- und Steinfahrten während unseres Hierseins bis zu 200 Rbl. verdient. Zwei Mann mit einem Fuhrwerk verdienen bei gutem Wetter per Woche bis zu 12 Rbl. und auch mehr. Wir haben noch immer zu essen; Fische haben wir schon recht oft gegessen. Ich darf sagen, es hat unter uns bisher noch Keiner Mangel leiden dürfen, wofür wir dem Herrn nicht genug danken können. Die Nahrung ist hier auch nicht sehr theuer. Das Weizenmehl, solches, als Ihr dort in 2. und 3. Sorte findet, kostet hier beide Sorten zusammen 1 Rbl. 30 Kop. bis 1 Rbl. 80 Kop. per Pud. Der Reis preist per Pud 1 Rbl. 10 Kop., die Rosinen per Pfund 5-10 Kop. Der Syrup per Pfund 6-8 Kop. Das Schaf- und Rindfleisch 4-8 Kop. Der Talg 10-15 Kop. per Pf. Schweine gibt es hier gar wenig und kostet daher das Pfund Schweinefleisch 50 Kop. und das Pfd. Schmalz 1 Rbl. Die deutsche Butter wird hier mit 80 Kop. per Pf. Bezahlt, dagegen die Butter von den Sarden (den dortigen Einheimischen) nur mit 25 Kop. per Pf., eines Theils weil sie weiß und andern Theils oft mit Talg vermischt ist. Das Fleisch von wilden Schweinen kostet 25 Kop. per Pf. Der Thee per Pf. 40 Kop. bis 2 Rbl. Der Kaffee aber hat einen Preis von 90 Kop. bis 1 Rbl. per Pf., der Zucker 28-30 Kop. Getrocknete Aprikosen, so süß wie die Rosinen, haben wie diese den Preis. Es gibt hier auch eine Art Oelbeeren, sie sind aber noch einmal groß wie die dortigen, von rother Farbe und kosten 4 Kop. per Pf. Die Wallnüße kosten ebenfalls 4 Kop. per Pf. Die Haselnüsse dagegen sind theurer: 25 Kop. das Pf. Die Waare zu Kleidungsstücken ist hier zu verschiedenen Preisen zu haben. Die Waare von den Sarden, von welchen wir am meisten kaufen, ist billiger, als dort in der alten Heimath. Das Volk treibt hier Handel und Handwerk und bekennt sich zum Mohammedanismus. Die Waare aber in den russischen Handelshäusern ist theurer. Die Kirgisen sehen ziemlich aus wie die Sarden, gleichen aber mehr den Tataren und sind stumpfsinniger als jene; sie haben ihre Beschäftigung meistens in Karavanenführung. Ihre Kameele haben sie auf folgende Weise aneinander gefesselt: es wird dem Thiere ein Strick durch die Nasenhöhle gezogen und eins an das andere gefesselt treibt man bis 50 Stück hintereinander gehend vor sich her. Auf dem vorangehenden Kameel sitzt der Karavanenführer (ein Kirgise) und so reist er mit seiner Karavane von Ort zu Ort. Anschließend muß ich noch berichten wie es in und außer der Stadt aussieht. In der Stadt Taschkent sind fast alle Gassen mit Alleen von Weiden, welche an Wasserrinnen stehen, geziert. Diese Weiden stehe in ungewöhnlicher Höhe und haben ihre Aeste mit vollem grünem Laub so ausgebreitet, daß wir bei heißem Sonnenschein in ihrem Schatten gehen und fahren können. Die Bewässerungskanäle, welche manchmal mittelst hölzerner Röhren bis 3 Faden hoch über die Thäler, die diese Stadt durchschneiden, geführt sind, brausen auf vielen Stellen durch die Stadt hindurch. Was das Getreide auf dem Felde anbelangt, so habe ich zu berichten, daß die Getreidefelder hier alle bewässert werden. Es ist hier bei uns anders, als dort bei Euch, denn, wenn dort die Hitze beginnt, so trocknen die Flüße aus; hier hingegen steigt das Wasser in den Flüßen, sobald auf dem Gebirge der Schnee schmilzt. Aus diesen Flüssen leitet man Bewässerungskanäle bis zu 50 Werst in die Felder hinein, wodurch dann die Getreidestücke bewässert werden. Die Gerste hat schon die Aehren geworfen und steht stellenweise schon weiß zur Ernte aus. Der Weizen steht hier jetzt in Arschinhöhe. Wir haben bereits einen Monat lang unsern Pferden frischen Klee gefüttert.
Das Futter war hier früher theuer; der Klee, welcher in Bündlein von ungefähr 10 Zoll im Durchmesser und eine Arschin lang gebunden wird, kostete, als wir herkamen, 4 Rbl. das Hundert, ist aber jetzt zu 2 Rbl. das Hundert zu haben; der alte Klee aber hat einen Preis von 3 Rbl. per Hundert. Von dem alten Klee brauchen zwei Pferde 7-10 Bd. den Tag, vom frischen dagegen noch einmal so viel. Wir haben unsern Pferden meistens solchen Klee und nur 3 Pud Gerste aufgefüttert, während wir den Wallach zum Steinefahren ausgeborgt hatten. Sie sind jetzt bedeutend besser als damals, da wir von Euch abfuhren. Das Brennmaterial ist zwar auch theuer, doch hat der Herr dafür gesorgt, daß es uns nicht viel Ausgabe verursachte, denn es ist von noch vor Weihnachten an bis eine ziemliche Zeit nach diesen Feiertagen so schönes Wetter gewesen, daß wir bei offenen Thüren in der Stube saßen. Die Hauptbrennung ist hier Rohr; dasselbe hatte früher den Preis von 4-8 Kop. per Bund. Gespaltenes Brennholz kostet hier von 5-7 Rbl. per Faden. Ein Faden gibt ungefähr
1 ½ deutscher Wagenkasten voll. Die Kälte war bei uns diesen Winter unbedeutend, uns sind nur einige Male die Fenster ein wenig befroren gewesen, dagegen war es meistens kothig (dreckig? – E.K.), denn es hat sehr oft geregnet. Anfangs März wurde es schon recht warm, bis zu 25 Grad R. Die Aprikosenbäume standen schon mitten im Februar in voller Blüte. Jetzt, von einer Woche vor Ostern bis eine Woche nach Ostern, den 23 April hat es, wenn nicht des Tages, so doch des Nachts geregnet. Will noch bemerken, daß mein Mann jetzt Ziegelformen für die hiesige Ziegelei verfertigt; er bekommt per Stück 1 Rbl. Er hat bereits 10 Stück fertig und soll noch weitere 10 Stück machen; die Ausgaben dazu kommen auf 20 Kop. per Stück. Ich habe auch schon etwas Geld verdient mit Nähen für die Geschwister. Will noch bemerken, daß auf dem Wege hierher von den Unsern 9 Personen gestorben sind. Es waren dies: der Alte Wedel von Waldheim, Dietrich Wiens von Blumstein, ein Jüngling im Alter von 19 Jahren und dessen Bruder von 8 Jahren; die Übrigen waren Kinder von 2 Jahren und darunter. Pferde sind unserer Gesellschaft auf dem Wege 5 Stück gefallen und 5 Stück haben müssen wegen Alterschwäche und Körperschaden verkauft werden. Wir haben im Ganzen 18 Wochen weniger einen Tag gereist und beträgt die ganze Strecke Weges 3550 Werst. Versäumt haben wir wegen Futter- und Nahrungkaufen, Sterbefällen, Entbindungen, Regen u.s.w. 26 Tage außer den Sonntagen. Die Sandwüßte erstreckt sich auf 325 Werst. Wir haben in derselben von 32-49 Werst den Tag gereist. Mein Mann ist auf der Reise fieberkrank gewesen, aber er hat noch immer so ziemlich Alles besorgen können, ist ein Pud leichter geworden. Ich bin ebenfalls auf dem Wege krank gewesen und habe stark gelitten; dennoch müßte ich während dieser Zeit die Gebierge überschreiten, welche sich auf 150 Werst erstrecken und ziemlich steinig waren. – Von der Zeit, da wir hier eintraten, sind im Ganzen ihrer 12 gestorben, darunter die Ehefrau des Franz Pauls, geborne Aganetha Wiebe, Wernersdorf; der Sohn des Heinr. Gräwe, Kleefeld; der Stiefsohn des Korn. Esau, Neukirch, beide im Alter von 19 Jahren; der Sohn des Korn. Wall, Wolga, ebefalls 19 Jahre alt und ein Mädchen von 14 Jahren. Die Andern sind Kinder von 2 Jahren und darunter. Geboren sind auf der Reise 6 und hier in Taschkent 9 Kinder. Die Ehefrau des Joh. Wiebe, Wernersd., liegt hart darnieder, jedoch steht ja Alles in Gottes des Allmächtigen Hand. Wir wohnen noch in Taschkent, wissen auch nicht, wann wir aufs Land oder weiter ziehen werden, obzwar unsere Deputirten schon Land angesehen haben, welches 300 Werst von Taschkent entfernt liegt. Da nun aber unser lieber Kaiser in dieser Zeit starb, und unser General Kaufmann vom Schlage gerührt liegt und durch einen Andern vertreten wird, der sich erst in sein Amt hineinfinden muß, bleibt unsere Sache noch unausgeführt. Der Herr aber wird Alles wohl machen; wir bitten, unsrer vor Gott zu gedenken; und so schließe ich mein Schreiben und grüße alle Freunde und Bekannte.
Anna Martens
früher aus Wernersdorf.
Unsere Adresse schreibt man am besten in russischer Sprache und mit russischen Buchstaben*):
Tscheres Orenburg (через Orenburg – durch Orenburg, - E.K.)
w.gorod Taschkent (в город Ташкент – E.K.)
Johann Martens
Via Europe tu
Asiatic Russia.
*) – Leider haben wir in unserer Druckerei keine russische Schrift, sonst hätten wir sie für die drei ersten Zeilen der Adresse angewandt.
D.R.d. “Rundschau”
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