Meine Lebensgeschichte. Von Hermann Jantzen in „ Offene Türen“ 1926, S. 82 - 89

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

Meine Lebensgeschichte. Von Hermann Jantzen in „Offene Türen“ 1926, S. 82 - 89

(seine Erinnerungen haben die Grundlage des Buches „Im wildem Turkestan“ gebildet)

Fortsetzung.

Im Jahre 1900 bezog ich dann ein sehr freundliches am Wald gelegenes Försterhaus. Meine drei ältesten Söhne Abram, Bernhard und Heinrich waren herangewachsen, sodaß ich außer der Oberförsterei noch eine große Landwirtschaft betreiben konnte. Wir hatten mein altes Gut von 60 Morgen zu bewirtschaften, dann ein neues Gut von 350 Morgen, das ich dazu gekauft hatte, welches 25 Kilometer von Orloff entfernt lag. Dazu kam noch eine Meierei und Rassenpferdezucht im größeren Still. Als dann mein ältester Sohn Abram heiratete, kaufte ich ihm ein Gut von 60 Morgen. So segnete der Herr uns überreich an materiellem Gut. Im Jahre 1904 machte ich dann eine Spazierfahrt nach Chiwa, um meine lieben Eltern und Verwandten aufzusuchen. Groß war die Freude des Wiedersehens nach fünfzehnjähriger Trennung. Auch am Fürstenhofe wurde ich von dem Sohn meines früheren Prinzipals Seit Muhammed Ispendjar Chan freundlich aufgenommen. Sein Vater war schon gestorben. Nach einem monatlichen Aufenthalt in Akmetschetj kehrte ich nach Haus zurück.

So kam das Jahr 1908 und mit ihm ein lieber Missionsmann aus England, der in Turkestan eine Mohammedaner – Mission ins Leben rufen wollte. Er besuchte auch mich und legte mir die Verantwortung nahe, die wir Kolonisten doch den Mohammedanern gegenüber hätten. O wie trafen mich die Worte jenes lieben Bruders! Ich dachte an die Abschiedsworte eines alten Predigers, die er mir beim Abschied aus Lausann (Chiwa) sagte. Er fuhr damals mit dem kleinen Trupp nach Amerika. Mein lieber Hermann, sagte er, mir ist es so, als soll ich dir sagen, daß dich der Herr zum Missionsdienst hier in Turkestan unter den Mohammedanern berufen hat. Dann segnete er mich. Ich habe die Worte nie vergessen und habe, trotzdem ich selbst unglücklich war, doch versucht, den Mohammedanern Christus zu bringen und habe den Islam bei verschiedenen Mullas fleißig studiert. Jetzt nun, als der liebe Missionsmann sagte, daß ich der geeignetste Mann zum Missionsdienst sei, da ich doch fast alle Sprachen hier zu Lande beherrschte, standen mir jene Worte deutlich vor Augen. Ich sah deutlich den Ruf und protestierte dennoch, indem ich mich auf die grenzenlose Verkommenheit und Denkunfähigkeit der Kara – Kirgisen berief. Als er dann abends Abschied nahm, sagte er zu mir: Lieber Herr Jantzen, ich fahre jetzt zurück nach England und werde solange für Sie beten, bis Sie in der Mohammedaner – Missionsarbeit stehen werden. Die Worte jenes lieben Mannes verfolgten mich von nun ab Tag und Nacht. Der Herr selbst griff nun durch allerlei Zwischenfälle und Ereignisse in mein Wirtschaftsleben mehr denn je ein. Schon im darauffolgenden Jahre raffte eine dort ausgebrochene Lungenpest bei mir 100 Stück Vieh hinweg. Ich sah darin die Hand Gottes, doch genügte es noch nicht. Es erkrankten noch fünf junge Rassepferde und starben. Kurz, in zwei Monaten waren meine Rindviehstände leer, auch nicht ein Kalb blieb mir übrig. Doch der Herr redete in Seiner Liebe weiter zu uns. Unser vierter Sohn Hermann erkrankte am Typhus. Hier am Bett unseres lieben Kindes saßen meine Frau und ich sechs Wochen. Wir sahen es hoffnungslos dahinschwinden und konnten ihm nicht helfen. Hier schenkte uns der Herr Ruhe, über den Inhalt unseres Lebens nachzudenken. Bisher hatten wir keine Zeit gehabt, denn von morgens früh bis abends spät mußte in der Wirtschaft geschafft werden. Jedem war sein Maß Arbeit zugeteilt. Ich war in meiner Kanzlei oder auf der Jagd. Meine ältesten Söhne bebauten mit den Kirgisen die 100 – 150 Morgen Ackerland. Meine Frau führte die Aufsicht über den Hof und leitete die Käserei und fabrizierte den Käse selbst, wobei ihr einige Kinder halfen. Die kleineren Kinder hüteten die 50 – 80 Gänse; auch eine Schafherde von 50 – 100 Stück war zu besorgen. Was fehlte uns noch nach außen hin, wir waren auf dem besten Wege, reich zu werden. Hier jedoch am Bett unseres Kindes öffnete mir der Herr die Augen, wir sahen, daß wir innerlich arm waren und unser bisheriges Leben ein verfehltes war. Er, der treue Herr, wirkte in uns, und im Vertrauen auf seine Gnade fingen wir ein anderes Leben an. Ja, der Herr tat noch mehr. Er schenkte uns auch unser Kind, indem Er es gesund werden ließ. Im Bewußtsein meiner totalen Unwürdigkeit fing ich nun an, unter den Mohammedanern für den Herrn zu arbeiten, wollte auch gleichzeitig sehen, ob ich alter Scherben überhaupt noch für die Mission zu gebrauchen sei. Und siehe, o Wunder, der Herr bekannte sich zu meiner Arbeit und schenkte mir die erste Garbe, ein Tadschik bekehrte sich zum Herrn. Dieses bewog mich, meinen Försterposten aufzugeben, um ganz für meinen geliebten Herrn da zu sein. Ich siedelte also in mein Besitztum nach Orloff über. Meine große Unkenntnis im Worte Gottes ließ in mir den Entschluß reifen, die Bibelschule für innere und äußere Mission, damals in Berlin, zu besuchen, um in die Schrift eingeführt zu werden. Als ich vom Herrn die innere Gewißheit bekommen hatte, teilte ich jedem meiner fünf Söhne und der einen Tochter ihr materielles Erbe zu und fuhr anfangs Dezember 1911 über Moskau und Petersburg nach Berlin zur Bibelschule. In der freien Zeit schrieb ich mir den Unterrichtstoff eines ganzen Schuljahres ab. Im April 1912 wohnte ich einer Konferenz in Bad Homburg bei. Machte dann eine Reise den Rhein hinunter bis Rotterdam, hin und her in den Städten die Kinder Gottes besuchend. Nach meiner Rückkehr nach Berlin blieb ich noch 14 Tage in Berlin und fuhr dann nach Turkestan zurück. Auf der Rückreise besuchte ich die Geburtsstädte meiner lieben Eltern, Marienburg und Elbing, wo ich auch noch liebe Verwandte antraf und die dortigen Gemeinschaften besuchte. Von dort fuhr ich über Warschau auf der Südwestbahn über Kiew nach Ekaterinoslaw und Alexandrowsk, wo sehr viele Mennonitendörfer waren. Besuchte auch hier mehrere Gemeinschaften in Rückenau, Apanlee, Waldheim und Halbstadt, verlebte dort Pfingsten und fuhr dann ins Wolgagebiet. Auch bei Saratow besuchte ich die Mennonitendörfer und mein Heimatdorf Hahnsau. Hier bestieg ich einen Dampfer und fuhr die Wolga hinab übers Kaspische Meer nach Baku und besuchte dort die armenischen, russischen und deutschen Geschwister und evangelisierte fünf Tage im Hafen unter den Asirbeidschan – Türken. Dann brachte mich die Eisenbahn durch den Kaukasus nach Tiflis, wo ich ebenfalls armenische, russische und deutsche Geschwister vorfand und mich mit ihnen freuen durfte. Auch einige Geschwister von den Osman – Türken fand ich dort, mit denen ich besonders schöne Gemeinschaftsstunden hatte. Dann fuhr ich nach Baku zurück und arbeitete dort noch einige Tage unter den Asirbeidschan – Türken. Von hier fuhr ich dann über das Kaspische Meer nach Krasnowodsk, bestieg dort die Transkaspische Bahn und gelangte in vier und einem halben Tag nach Taschkent. Auf der Reise hatte ich ununterbrochen die beste Gelegenheit, Traktate und Bibelteile zu verteilen. Hier in Taschkent erwartete mich meine liebe Frau mit unserm Fuhrwerk. Nachdem wir unsere geschäftlichen Sachen besorgt hatten, gelangten wir in sieben Tagen nach Orloff. Von der Zeit an arbeitete ich ausschließlich in der Mission. Mit vielen Brüdern machte ich von hier aus die verschiedensten Missionsreisen. Oft waren wir bis zu einem Monat von daheim weg. Wir bestiegen dann unsere Pferde, ritten in die Bergen zu den Kara – Kirgisen in die Kisilkum Wüste, zu den Kaisakkirgisen, bis an den Tschu Fluß, wo zwei kleine deutsche Dörfer waren, die aber heute durch die bolschewistische Regierung eingegangen sind. Viele schöne Gelegenheiten schenkte uns der Herr mit den armen unter Gesetzesherrschaft schmachtenden Mohammedanern von Heil in Christo zu sprechen und Traktate und Bibelteile zu verteilen. Mit besonderer Freude arbeitete ich unter den Sarten in Sartisch – Taschkent. Wenn ich dort einen Monat mit einem lieben Bruder von englischen Bibeldepot gearbeitet hatte, fuhren wir gewöhnlich nach Fergana (gemeint wird Fergana – Tal – E.K.), wo wir in den alten Sarten- und Tadschiken – Städten Chodschent, Margelan, Kokan, Namangan, Andischan, Aimkischlack und Osch Tausende von Traktaten und Evangelien verbreiteten. Zwei Seelen schenkte uns hier der Herr im Laufe von einigen Jahren. In Andischan bekehrte sich ein Tadschik zum Herrn Jesus und ebenfalls in Aimkischlack ein Jahr darauf. Beide wurden als Gläubige getauft und in die Gemeinde Jesu Christi aufgenommen. Dann kam der große Weltkrieg. Obwohl er auch hier die Missionsarbeit erschwerte, so konnte ich doch in jedem Jahre im April und Mai meine Reisen hierhin machen. In den Karawansereien (Einkehrhöfen) fing ich an und setzte meine Arbeit in den sartischen Teehäusern fort. Hier saßen wir dann mit untergeschlagenen Beinen, tranken unsern Tee und hatten oft die Gäste stundenlang in den Teehäusern zu aufmerksamen Zuhörern, die dann im Kreise um uns herum saßen. In den Großstädten besuchte ich gern die Medresses (Universitäten), um dort den Studenten und Mullas so manches Indschil oder Hikaijett (Traktate) zu verabreichen.

Dann kam im Jahr 1917 die Revolution mit all ihren darauf folgenden Bürgerkriegen und machte der eigentlichen Arbeit ein Ende. Schon 1916 erfolgte in unserem Nachbarkreise Pischbeck (später Frunse und heute Pischpeck – E.K.) ein mohammedanischer Volksaufstand, in dem die aufständigen Mohammedaner 40 russische Dörfer ausschlachteten und verbrannten. In allen mohammedanischen Kreisen wühlte der Aufstandsgeist und das Reisen war höchst gefährlich. Als dann 1917 die Soldaten mit ihren Gewehren von der Front zurückkehrten, die Gefängnisse sprengten und überall die rote Fahne hißten, war die größte Unordnung da, und die Arbeit in der Mission unmöglich. Überall ertönte der Ruf: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Als der erste Rausch vorüber war hieß es, jetzt muß organisiert werden. Jeder Stamm, jedes Dorf wählten einen Vertreter und schickten ihn in die Kreisstadt, wo dann wieder ein Hauptvertreter nach Taschkent und von hier nach Moskau geschickt wurde. Dann kam der altrussische Wahltag und eine neue Regierung wurde gegründet. Unsere deutschen Kolonien, drei russische Dörfer und 5000 karakirgisische Familien wählten mich zu ihrem Vertreter. Von der Wahl absagen durfte niemand und so mußte ich denn hinein in den Chaos und mußte die Interessen meiner Wähler je nach ihrer Nationalität vertreten. Als ich nun in der Kreisstadt mit noch vielen russischen und Kara – kirgisischen Vertretern zusammenkam, die auch von je 1000 Familien gewählt waren, wählte man mich zum Vertreter nach Taschkent. In Taschkent kamen dann die Vertreter von ganz Turkestan zusammen und wir wählten vier Vertreter für Moskau. Unter ihnen war auch Kerenski. In Moskau wurde dann Kerenski Oberkommissar von ganz Rußland. Da er sich jedoch als echt russischer Patriot für die Fortsetzung des Krieges bis zum Siege entschied, obgleich die Truppen schon aufgelöst waren, wurde er abgesetzt und verschwand von der Bildfläche. Unterdessen ging es im ganzen russischen Reich schrecklich zu. Große Banden durchzogen geführt von erbitterten Soldaten das Land, raubten und mordeten und plünderten das Volk.

Zuerst wurden alle zaristischen Offiziere niedergemacht, dann kamen alle Kapitalisten wie Fabrikanten, Kaufleute und Großgrundbesitzer daran. Fabriken wurden dem Erdboden gleich gemacht, Güter mit Früchten und Maschinen wurden ein Raub der Flammen. Dann hieß es plötzlich, alle Vertreter müssen zusammen kommen, es muß eine neue Regierung gegründet werden. In dem einen Jahr, das nun verstrichen war, hatten sich die Vertreter in zwei Parteien geteilt, die mehr Friedlichen und Besonnenen, wozu auch wir Deutschen zählten, wurden Linkssozialrevolutionäre genannt. Die andern waren die Bolschewisten oder Kommunisten, die vor nichts zurückschreckend alle Russen an einem Tage zu Kommunisten machen wollten. So kamen wir Vertreter dann im Oktober 1918 in Taschkent zusammen. Aber schon auf der Fahrt wurden wir Vertreter von Aulie – Ata angehalten und untersucht, welcher Partei wir angehörten. Es waren unter uns 38 Linkssozialrevolutionäre und zwei Bolschewisten. Als das festgestellt war, durften wir weiter fahren. Zwei Stationen vor Taschkent überreichte man uns eine Depesche, welche lautete: Steigen Sie eine Station vor Taschkent aus, da der Bahnhof in Taschkent von den Bolschewisten umstellt ist. Wir folgten diesem Rat, stiegen eine Station vor Taschkent aus und kamen glücklich nach Taschkent. Zum Versammlungshaus diente das frühere Haus des General – Gouverneurs. Die 5. und 6. Sitzungstage waren sehr stürmisch. Die Bolschewisten ließen es zu keiner gemeinsamen Besprechung kommen und versammelten sich im früheren Offizierskasino. Unverrichteter Sache mußte die Versammlung aufgelöst werden. Nach dem letzten Sitzungstage ging ich wie immer in mein Quartier, als ich bei den Geschwistern die Bibel aufgeschlagen hatte, da wurde plötzlich in verschiedenen Straßen geschossen. Der Lärm wuchs zum Getöse, Maschinengewehre, ja sogar Kanonen wurden aufgefahren und es wurde wie unsinnig geschossen. Ich lief so schnell wie möglich in mein Quartier und floh mit den lieben Geschwistern in ein Hofgebäude, das von hohen Häusern umgeben und so geschützt war. Hier saßen wir bis zum 27. morgens, dann schwiegen die Geschütze und der Kampf ließ nach. Schrecklich war die Stadt zerschossen. Zahllose unschuldige Frauen und Kinder waren erschossen oder verwundet. Niemand wußte recht, was dieses schreckliche Morden eigentlich bedeuten sollte, bis wir später hörten, es sei die Entscheidungsschlacht zwischen den Bolschewisten und Linkssozialrevolutionären gewesen. Die Bolschewisten hatten natürlich gesiegt. Später schrieben die Zeitungen, daß dasselbe Morden zur selben Zeit in ganz Rußland stattgefunden habe. Nach und nach krochen die friedlichen Bürger aus ihren Kellerlöchern heraus und viele standen vor ihren vernichteten Häusern. Elend über Elend, ein Bild des Jammers bot sich allen Blicken. Wir in unserem unfreiwilligen Quartier beugten uns vor unserm Gott und Vater, dann machte ich mich zu Fuß auf den Weg in der Hoffnung, Fahrgelegenheit zu finden. Ich gelangte glücklich zur Vorstadt, wo ich schon Gelegenheit hatte, ein leichtes Fuhrwerk zu besteigen, das mich 6 Km. aus der Stadt heraus brachte. Hier draußen bot sich meinen Blicken ein buntes Durcheinander. Scharen von Flüchtlingen, zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen wälzten sich auf der Straße einem ungewissen Ziel zu. Ein Deutscher erlaubte mir, meinen Handkoffer auf seinen Wagen zu legen, was mich sehr erfreute. Nun hatte ich noch 24. Km. bis in das deutsche Dorf Konstantinowka. Spät abends langte ich müde und hungrig hier an und fand bei lieben Geschwistern gastfreie Aufnahme. Am anderen Morgen sorgte der Herr für Fahrgelegenheit nach Aulie – Ata. Nach acht Tagen kam ich wohlbehalten bei meinen Lieben daheim an. Bald nach diesen Tagen kamen dann die strengsten Vorschriften heraus.

1. In allen Kreisstädten können nur Kommunisten Oberkommissare sein.

2. Je 4 Dörfer müssen sich zu einer Gruppe zusammenschließen und einen Rat (Sowjet) wählen.

3. Dieser Rat, bestehend aus 4 Mann, wird aus den ärmsten Schichten gewählt.

4. Diese sind einem Kommissar untergestellt und haben pünktlich die Befehle der Regierung auszuführen.

Da hatte nun alle Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ein Ende! In den russischen und kirgisischen Dörfern bekam nun die Unordnung die Oberhand, da ihre Räte meistens durch Trunksucht und Schwelgerei verarmte Menschen waren, denen sich die Reichen (Burschuis) nicht fügen wollten. In unseren deutschen Dörfern wurden auch die Ärmsten gewählt, doch herrschte hier ganz gute Ordnung, weil bei uns die Armen von je her unterstützt wurden und so keine Ursachen zu Klagen hatten. Als dann eine Kontrolle kam und die Räte in jedem Dorf kontrollierte, stellten die deutschen Kommissare und Räte den Reichen ein gutes Zeugnis aus, während die Russen und Kirgisen in ihren Dörfern über die Reichen klagten und die Kontrolle daraufhin in vielen Fällen Enteignungen und Arrestationen vornahm. Eine andere strenge Vorschrift lautete: Jeder Bauer hat den ganzen Ernte – Ertrag der Regierung abzuliefern und auch das Vieh zu einem gewissen Prozentsatz. Die Regierung wollte dann auf den Kopf pro Monat 30 Pfund herausgeben. Tatsächlich mußte jeder Bauer seine Früchte abliefern, doch waren sie so schlau, daß sie einen Teil vergruben. Hätten sie dies nicht getan, wären sie alle verhungert, denn die damalige Regierung kümmerte sich nicht um Hungrige. Die zusammengeschaffte Frucht mußte der schlechten Zugverbindung wegen unter freiem Himmel liegen, wo es mehr oder weniger verfaulte. Ebenso ging es dem armen Vieh. Rindvieh und Schafe verhungerten zu Tausenden, da die Regierung kein Futter hatte, und was man von den Bauern genommen hatte, reichte lange nicht aus. Im Jahre 1919 wählte man mich in all diesem Wirrwarr noch zum Mitglied des Kreiskommissariats, welches zum größten Teil aus Mohammedanern bestand, wovon viele nicht einmal lesen und schreiben konnten. Dieser Posten verlangte, daß ich ständig in der Stadt sein mußte, da wir täglich Sitzung hatten. Hier vertrat ich selbstverständlich die Interessen meiner Wähler nach ihrem Auftrage, was aber zur Folge hatte, dass meine Kollegen in mir einen Feind ihrer Interessen sahen und versuchten, mich aus dem Wege zu schaffen. Eines Nachts kam plötzlich atemlos ein Sarte in mein Quartier mit der heimlichen Meldung, daß ich morgens 7 Uhr verhaftet werden sollte und riet mir zu fliehen. Da ich gerade mein Fuhrwerk in der Stadt hatte, so spannte ich ein und fuhr schnell nach Hause.

Hier sattelte ich mein Reitpferd, nahm Abschied von den Meinen und floh in die Berge. Tatsächlich suchte man mich des andern Tages in der Stadt, da man mich nicht fand, wurden Soldaten nach Orloff und in die Berge geschickt, die mich aber nicht fanden. So irrte ich nun wie ein Geächteter in den Bergen und Klüften umher; nirgends war ich sicher. Die Kirgisen, die mich ja kannten, versorgten mich mit Nahrungsmitteln. Ein und einen halben Monat war ich schon umhergeirrt und es fing allmählich an, kalt zu werden, zumal es schon Anfang September war und ich konnte die Kälte nicht mehr ertragen. Kurz entschlossen ritt ich eines Nachts nach Haus. Lieber will ich sterben, sagte ich zu den lieben Meinen, als solch ein Leben weiter führen; ich reite zur Stadt und stellte mich dem Gericht freiwillig. So nahm ich denn schweren Herzens Abschied und ritt die 65 Km. zur Stadt. Dort stellte ich mich dem Gericht (Revolutions Tribunal) mit den Worten: „Ich stelle mich hier freiwillig, weil ich unschuldig bin. Wenn ich derjenige wäre, wofür man mich hält, wäre ich nicht hierhergekommen, dann wäre mir ja die Kugel sicher.“ Der Herr hatte es so geführt, daß meine Hauptverfolger, etliche Mohammedaner, gerade nach Moskau abgereist waren. So wurde ich denn verhaftet und abgeführt. Die ersten acht Tage wurde ich als Schwerverbrecher behandelt, niemand durfte zu mir. Was ich hier durchlebt habe, kann ich nicht beschreiben, aber ich kam soweit, daß ich sagte: „Herr, wie Du willst!“ In diesen Tagen verstand es eine liebe Schwester, mir folgendes Gedicht in das Gefängnis zustellen zu lassen:

1.

Wie schwer ists doch ganz still zu sein,

wenn Gott wir nicht verstehen,

Wie redet man so bald Ihm drein,

Als ob Er was verstehen!

Wie stellt man Ihn zur Rede gar,

Wenn seine Wege wunderbar

Und unbegreiflich werden!

2.

Man fragt: Warum nur dies und das?

Man seufzt: Ach wie wills werden!

Man klagt: Wie geht`s ohn`Unterlaß

So widrig mir auf Erden!

Man murrt: Mein Unglück ist zu groß,

Ich hätte wohl ein bessres Los

Verdient, als mir gefallen!

3.

Das tun wir, und der Güt´ge schweigt.

Bis Er durch Seine Taten,

Glorreichen Ausgang uns gezeigt,

Daß Ihm doch nichts mißraten.

Dann kommt auch endlich unsre Stund`

Wo voll Beschämung wir den Mund

Vor Ihm nicht auftun mögen.

4.

Drum meine Seele, sei du still

Zu Gott wie sich`s gebühret,

Wenn Er dich so, wie Er es will,

Und nicht, wie du willst, führet.

Kommt dann zum Ziel der dunkle Lauf,

Tust du den Mund mit Freuden auf,

Zu loben und zu danken.

5.

Dann wird`s dich nach der kurzen Frist

Recht inniglich erfreuen,

Daß du sein still gewesen bist

Und nichts hast zu bereuen,

Und endlich nach der Schweigezeit,

Kannst du in sel`ger Ewigkeit

Laut jubeln, Gott zur Ehre.

Am neunten Tage öffnete sich die Tür und ich wurde zum Kommissar des Gefängnisses geführt. Er fragte mich wann und warum ich eingekerkert sei. Im Laufe des Gesprächs wurde er meine russische Bibel gewahr. Als er sich dafür interessierte, las ich ihm mehrere Stellen vor. Dann bat er mich, ich möchte ihm eine Bibel besorgen. Ich schrieb ihm einige Zeilen an einen russischen Bruder, der ihm dann eine Bibel brachte. Nun fing dieser Kommissar an, die Bibel zu lesen und da er sie nicht verstand, machte er mich zu seinem Sekretär, damit ich immer um ihn sei und ihm beim Lesen helfen könnte. Nach etlichen Wochen er überzeugt und kam zum Glauben. Er nahm seinen Abschied und ich verlor ihn aus den Augen. Da ich mich nun im Gefängnis frei bewegen durfte, besuchte ich auch das Gefängnislazarett. Hier lag unter anderen ein früherer russischer Hauptmann. Dieser liebe Mann war an Gott und Menschen verzweifelt. Ich besuchte ihn täglich. Anfangs wollte er nichts wissen, doch als ich ihn dazu bewegen konnte, Jesajas 3 und Habakuk 1 im Blick auf die gegenwärtige Lage Rußlands zu lesen, wurde er interessiert und wurde ein Bibelleser. Er kam zum Glauben und ging später in unseren Kolonien im Frieden heim. Täglich durfte ich viele Schriften und Traktate verteilen, bis ich nach 1 ½ Monaten durchs Gericht unschuldig befunden und frei gelassen wurde. Kaum war ich jedoch nach Hause gekommen, da wählte man mich wieder als Vertreter und Ältesten unserer Kolonie. Da ich mich aber weigerte, kamen die Vertreter zu mir und baten mich und meine liebe Frau, ich sollte doch den Posten nochmal annehmen. Mit Gewalt weigern durfte ich mich nicht. So mußte ich denn noch einmal hinein in den Chaos. Das war im Jahre 1920.

Die Reichsregierung richtete nun Konsumvereine ein und verkaufte die früher den Kaufleuten abgenommene Ware jetzt für neue Frucht und Vieh an die Kolonisten. Wer hatte aber noch etwas zum Eintauschen? Niemand hatte mehr Samen zur Frühjahrsbestellung. Unter großen Schwierigkeiten gelang es uns, von der Regierung leihweise etwas Samen zu bekommen von dem vorjährigen Getreide, das halb verfault war. Im Herbst verlangte dann die Regierung 3-4fach mehr, als man geerntet hatte. Konnte man die geforderte Menge nicht abliefern, so wurde man ins Gefängnis gelegt oder erschossen. Sie sagten nämlich, daß ihr noch lebt ist ein Zeichen, daß ihr noch etwas verheimlicht habt. So war man denn gezwungen, Geräte, Möbel, ja selbst Kleidungstücke heimlich zu verkaufen und Getreide heimlich bei den reichen Kirgisen wieder zu kaufen, damit man die geforderte Menge in die Kornhäuser fahren konnte.

(Forts. folgt.)