Weitere Nachrichten aus Turkestan*) in "Gemeindeblatt der Mennoniten" vom August 1882, Nr. 8, S. 59 - 60

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

mit freundlicher Genehmigung des Mennonite Library and Archives Bethel College.
Hier geht es zum Digitalisat: "Gemeindeblatt der Mennoniten" im Internet.

Weitere Nachrichten aus Turkestan.

Der Herausgeber erhielt vor einigen Wochen Briefe von einem der ins asiatische Rußland ausgewanderten Bruder, wovon er Folgendes mittheilen will:

Turkestan, 29.3.82.

„Werther Bruder Hege!

Da wir schon morgen diese Stadt zu verlassen gedenken, so will ich Ihnen noch einige Nachrichten über das Ergehen sämmtlicher Glaubensbrüder im asiatischem Rußland zugeben lassen. Ich fange bei denen an der Grenze**)“ an. Dem Brief vom Bruder J.T. (Jacob Töws??? - E.K.) werden Sie erhalten und daraus ersehen haben, was der Feind unter ihnen angerichtet. Drei Richtungen werden damit verfolgt. Die Hauptgemeinde, 18 Familien, an der Br. T. Prediger ist, hat sich auf der russischen Seite Land gepachtet (80 Desjatinen = 3200 Morgen), geackert und besäet. Sie will abwarten, bis ihnen von irgend einer Seite geholfen wird.“

Der Schreiber dieses Briefes theilt dann aus einem andern Brief aus der Mitte dieser Gemeinde folgende Stellen mit:

Br. H.J. war heute (15. März) zum Natschalnik (Kreischef) gefordert, der ihm die Aufforderung des Gouverneurs (vom Samarkand) vorlegte, uns zum entscheiden, ob wir zurück nach Taschkent oder vorwärts nach Buchara gehen wollten, da die bis zum Frühjahr gewährte Frist verstrichen sei. Wir haben morgen deßwegen Berathung. Ich glaube aber wohl, trotzdem Buchara zur Zeit für uns verschlossen scheint, daß der Beschluß dahin ausfallen wird, das Kleinod unseres Glaubens unter allen Umständen in der Kraft des Herrn zu halten. Wenn die Regierung ihre Aufgabe uns gegenüber fühlt, uns in unserm Glauben zu schützen, so bitten wir darum; übrigens aber sei die ganze Sache dem Herrn übergeben. Wie der Herr dieselbe nun führen wird, das steht bei Ihm. Ohne Erlaubniß über die Grenze zu gehen, darin sind wir in der Gemeinde uns alle einig, das geht nicht; unter den obwaltenden Umständen nach Aulieata zu gehen d.h. freiwillig, ist ebenfalls nicht möglich; wie sonst aber, das ist auch nicht zu durchdenken. Wenn irgend je, dann gilt heute, was einst zu Israel am rothen Meer gesagt wurde: „Der Herr wird für euch streiten, ihr aber werdet stille sein. Es gilt einfach glauben, nichts mehr, aber auch nichts weniger.“

Weiter wird von einigen Brüdern geschrieben, die sich von diesen trennten:

„Auch die Sache ist nicht richtig, der Feind hat es verstanden, die Brüder auf eine Höhe zu bringen, von der es schwer sein dürfte herabzusteigen. Wie hoch wir Alle gestiegen waren, das wird uns nach und nach nur erst klar. Unsanft hat der treue Vater uns herabziehen müssen, aber Gottlob, er hat es gethan. Jene Brüder aber steigen noch immer höher, das beweisen Thatsachen. Und doch ihre Treue, ihr Ernst ist groß. Der Herr erbarme sich und helfe!“

Ferner wird von der oben erwähnten Berathung geschrieben: „Es wurde beschlossen, daß Br. J. (dem Beamten) im Namen der Gemeinde die Antwort geben sollte, daß wir ohne Erlaubniß nicht nach Buchara hineingehen könnten, von unserm Glauben, wie wir bisher durch Gottes Gnade ihn festhalten durften, nichts abgegeben könnten, und bäten wir die Regierung uns im irgend einer Weise helfen zu wollen. Die Brüder W.P. und G.E.***) wollen morgen selbst zum Natschalnik, um demselben zu sagen, daß sie unter allen Umständen nach Buchara hineingehen würden und kein Bitte an Rußland, noch an Buchara hätten. So stehen wir, und es dringt uns dieses wieder ja dem Seufzer: „Herr hilf uns!“ Und er wird helfen, vielleicht bald.“

Von den Abgetretenen (10 Familien) (die 2 Partei) wird uns geschrieben, daß sie dem Natschalnik die obenerwähnte Erklärung durch die Brüder W.P. und G.E. bereits abgegeben und nächstens über die Grenze zu gehen gedächten.

Der dritte Theil, die Brüder J.P. und H.J. gedenken (mit denen, die sich ihnen anschließen) nach Taschkent zurück zu gehen, sich hier den Brüdern anzuschließen und mit ihnen nach Aulieata überzusiedeln, wo ihnen die Regierung auf anliegende Bittschrift hin Land geben will. Dieses ist eine Gebirgsgegend, seitwärts (links) von dem Wege, der von hier (Turkestan) nach Taschkent führt. Sie glauben zuversichtlich, daß ihnen Gewissensfreiheit hier gewährt werden wird. Nach einer Depesche, die wir erhielten, gedenken die Taschkenter Brüder den 5. April nach Aulieata aufzubrechen. Auch hier in Turkestan hat sich ungefähr der vierte Theil (circa 10 Familien) entschlossen nach Aulieata zu gehen. Doch reist jedenfalls die ganze Gesellschaft noch bis Tschemkent zusammen (154 Werst = 44 Stunden von hier). Von da führt dann der Weg des einen Theils über Taschkent und Samarkand der Grenze (Buchara) zu, der des andern links nach Aulieata. Nachdem wir nun am Karfreitage das heilige Abendmahl genossen und nun auch die Ostertage in Ruhe und Segen verlebt haben, gedenken wir morgen Abend uns außerhalb der Stadt zu sammeln und übermorgen, nach 3 ½ monatlicher Ruhe, unsere Pilgerreise fortzusetzen, so der Herr will.

Die Natur draußen ist erst in diesen Tagen recht erwacht. Es grünt mit Macht. Geackert wurde schon vor einigen Wochen. Darin sind die Leute hier noch sehr weit gegen Europa zurück. Ihr Pflug, der auf die Seite geworfen, auch zugleich Egge bildet, besteht aus zwei Holzstücken, möchte sagen aus zwei krummen Ästen, die Spitze des einen ist mit Eisen beschlagen. Dieses bildet das Schar. Durch die Bewässerung erzielt man aber doch einen guten Ertrag …

Der Gesundheitszustand unter uns hier ist ein sehr guter. Ihr im Herrn verbundener

E.R. (Emil Riesen? - E.K.)

Dem vorstehenden Brief war auch die Abschrift einer Bittschrift beigefügt, die auch zur Veranschausichtung vor dem Ergehen unserer Glaubensgenossen im asiatischen Rußland etwas beiträgt, weßwegen wir sie hier mittheilen wollen:

Seiner Excellenz, dem Hrn. General – Gouverneur von Turkestan Hrn. Kolpakowski.

Der Mennoniten – Gemeinde aus dem Taurischer … Gouvernement ergebenste Bitte.

In unserer gegewärtigen Lage, die uns je länger desto drückender wird, wenden wir uns an seine Excellenz mit der innigsten Bitte, uns im Turkestanischen Gebiet, wenn möglich in der Nähe von Taschkent, falls aber die Möglichkeit dazu fehlt, dann im Aulieatinschen Kreise als Landbauern aufschreiben lassen zu wollen unter den Pflichten und auf die Rechte, die hier von Seiten der Regierung den Ansiedlern geboten werden, und die uns in unserer Heimath gegeben worden. Verpflichtungen uns dagegen weder durch Gewalt, noch List, noch Betrug den Landesgesetzen zu widerstreben; möchten wir nur das Recht hiebei vorbehalten, später der hohen Regierung unsere Bitten um Befreiung vom Staatsdienste, wie es uns unser Gewissen befiehlt, vortragen zu dürfen.

Einer gnädigen Gewährung dieser unserer Bitte entgegenharrend zeichnen sich in Taschkent

den 15. Januar 1882.

die Bittsteller.

Diese Bitte wurde den Bittstellern gewährt, wie aus folgendem Schreiben hervorgeht:

„An alle Brüder und Freunde in Turkestan. Gestern waren Br. J.J. und ich bei Herrn Keller. Unsere Uebersiedlung nach Aulieata steht fest. Das nöthige Holz zum Bauen sollen wir bekommen, wie Herr Keller zuversichtlich hofft. Es wird aber noch besonders darum gebeten. Gleich zu Anfang wandte sich Herr Keller zu mir und sagte: „Schreiben Sie denen in Turkestan: Wenn Sie mit nach Aulieata wollen, dann sollen sie zwei Deputierte mit einer Bittschrift, aber buchstäblich so wie die Ihrige ist, herschicken. Und denen an der Grenze (von Buchara) schreiben Sie: Wenn sie mit nach Aulieata wollen, sollen sie zwei Deputierte mit einer Bittschrift aber buchstäblich so wie die Ihrige ist, herschicken, widrigenfalls werden sie von der russischen Regierung über die Grenze getrieben werden, die Bucharen werden sie nicht aufnehmen, darauf wird die russische Regierung sie per Etappe zurück in ihre alte Heimath schicken.“ Er sagte dieses mit großem Ernst und scharfer Betonung, so daß daraus zu schließen ist, daß es nicht leere Redensarten sind.“

(gezeichnet) Cor. W. (Cornelius Wall – ohne Gewähr, es könnte Kornelius Wall sein, der im Buch von R.Friesen „Auf der Spuren der Ahnen“, S. 45 abgebildet ist – E.K.)

So stand es vor etwa ¼ Jahr mit den dortigen Brüdern. Weitere Nachrichten sind dem Herausgeber von dem Schreiber des obigen Briefs zugesagt.

Neueste Nachricht aus Turkestan

Dschisak den 2. Juni 1882.

In Taschkent kamen wir den 11. Mai alten Stils (den 23. neuen Stils) an, lagen hier wegen Krankheit eines Jünglings, der ins Lazareth gebracht werden mußte, bis zum 27. Mai. Legten dann die Strecke von circa 9 Meilen bis zum Städtchen Dschinas am Syr – Darja mit Aufenthalt erst am 27. Mai zurück, verließen diesen bedeutenden Fluß Asiens am 31. Mai, durchfuhren die Hungersteppe (ungefähr 112 Werst) in 2 Tagen und kamen heute hier (15 Werst weiter) an und verlassen diese Stadt noch am selben Tage. Der Fluß Serawschan vor Samarkand soll für uns zur Zeit unpassierbar sein. Näheres später brieflich.

R. (Riesen – E.K.)

*) Diese Nachrichten sollten schon in Nr. 7 mitgetheilt werden, was aber wegen Mangel an Raum nicht sein konnte.

**) von Buchara

***) Von der andere Partei