Ein Brief über die asiatischen Auswanderer in „Gemeindeblatt der Mennoniten„ vom Oktober 1880, Nr. 10, S. 76 - 77
Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.
Mit freundlichem Hinweis von Irene Plett
Correspondenz aus Süd – Rußland.
Fr. (Fresenheim?? – E.K.), bei Saratow an der Wolga, den 18. August 1880.
Aus Ihrem werthen „Gemeindeblatt“, von dem auch ich monatlich eine Nummer erhalte, ersehe ich, daß auch Sie sich für unsere Auszugssache nach Turkestan wenigstens in etwas interessieren. Daher fühlte ich, der ich auch zu ihr halte und auch zuversichtlich glaube, daß der Herr in derselben mit uns ist, mich gedrungen, Ihnen mitzutheilen, daß am 13. d.M. (a. St.) sich schon der zweite Zug unserer Brüder auf den Weg dorthin begab. Am 3. Juli reisten die ersten (11 Familien auf 21 Wagen) ab. Auf viel Gebet und Flehen, ja nach heißem, ernsten, gemeinschaftlichem Ringen, hat der himmlische Regent für unser Häuflein bei Bratow endlich alle Hindernisse aus dem Wege geräumt. Wer nun seine Wirthschaft (wenn auch sehr billig) nur verkaufen kann, den darf nichts mehr halten. Auf größere Proben, aber werden noch die Geschwister aus dem Süden, von der Molotschna, gestellt. Zwar sind auch sie schon über 2 Wochen auf der Reise und werden spätestens in zwei Wochen hier in unserer Kolonie an der Wolga erwartet, doch hat man zweien jungen Leuten aus dieser Gesellschaft (56 Familien) bis jetzt noch die Erlaubniß zum Mitfahren verweigert, weil sie diesen Herbst zur Loosung kommen sollen. Da wir aber für zwei solche von uns, die mit jener in gleiche Lage waren, die besondere Erlaubniß des Herrn Ministers durch eingesandte Bittschrifften erlangten, so zweifeln wir nicht, daß der allweise Vater unseres Herrn Jesu Christi, der ja doch Niemand von Herzen plaget, auch unserer Brüder Herz zur rechten Zeit trösten und stille machen wird. Doch ich komme wieder auf die zuletzt von uns geschiedenen Geschwister zurück. Welche Abschiedsscenen gabs da noch! Jede Feindschaft, die in letzter Zeit den freundschaftlichen Verkehr zwischen den Ausgehenden und ganz zurückbleibenden oft in sehr schmerzlicher Weise gestört hatte, schien weggewischt zu sein. Sehr viele Menschen waren auf dem Sammelplatze der Wegziehenden erschienen; man trennte sich wie Bruder von Bruder, wie Schwester von Schwester. Zuvor hatten noch zwei mitgehende Prediger kurze, sehr bewegte Abschiedsreden gehalten und der versammelten Gemeinde zum letzten Mal ihren Segen ertheilt. Ich fuhr noch eine Station weiter mit. Hier richtete am Abende des 19. Augustes noch der schon in Ihrem geschätzten Blatte erwähnte Reiseprediger Br. Ehlers recht zu Herzen gehende Abschiedsworte an die Scheidenden. Am andern Morgen hielt ein noch vorläufig zurückbleibender Gemeindelehrer den Morgengottesdienst, worin er denn zum Schlusse auch seine Glückwünsche zur Reise aussprach und Glück und Segen dazu vom Herrn erflehte. So ziehen sie denn diesen Glaubensweg, denn ein solcher bleibts in sehr vieler Beziehung, im Aufsehen auf den Herrn, allseitig unterstützt von aufrichtiger Fürbitte. Darum darf ich wohl mit Recht hoffen, daß ihre Freudigkeit, mit der sie alle gingen, stets neue Nahrung aus seiner Vorrathskammer erhalten wird. Sein Geist sei ihr Freudenöl. Sie sind die Bahnbrecher, wir folgen ihnen nach. Wer weiß, denke ich manchmal, ob nicht in Kürze noch viele jene Straßen nach Osten ziehen werden, die der Herr aus dem gerichtsreifen Westen in sein Pella retten wird. Die Gerichte ziehen gewaltig erschütternd herauf, der Feigenbaum bekommt Knospen. Aber Gottes Gedanken sind viel höher, denn unsere Gedanken. Er leite auch uns nach seinem Wohlgefallen.
Ich muß abbrechen, denn meine Zeit ist mit Arbeit sehr besetzt. Verzeihen Sie daher mein flüchtiges Schreiben.
Indem ich Ihnen, wie Ihrem Werke des Herrn reichen Segen wünsche, zeichnet sich mit hochachtungsvollen herzlichen Grüßen,
Ihr in dem Herrn verb. Bruder
E.R. (Emil Riesen?? – E.K.)
Anmerk. Des Herausgebers –
Obigen Brief dieses mir unbekannten lieben Bruders theile ich hier mit, weil mir diese Auswanderungssache nach Turkestan von großem Interesse ist, und annehme, daß dies auch bei manchen Lesern des Gem. – Blts. der Fall sein könnte. Vielleicht erhalte ich später, wenn diese Brüder am Ziel ihrer Reise angelangt sein werden, Nachricht von ihrem Ergehen auf der Reise und in ihrer neuen Heimath, was ich dann gerne hier mittheilen möchte. Wenn auch die Meisten unter uns deutschen Mennoniten in der Auswanderungssache jetzt nicht die Ansicht dieser Brüder haben, so müssen wir doch eine solche Entschiedenheit und eine solchen Aufopferungssinn, um dem Herrn nach ihrer Ueberzeugung dienen und leben zu können, achten und ehren. Eine solche Gesinnung steht jedenfalls dem Geist und Sinn der Heiligen Schrift nach Hebr. 11 näher, als der in geistlichen Angelegenheiten schlaffe gleichgiltige Sinn so Vieler unter uns, die sich nur für zeitliche und irdische Dinge interessieren. Daß ernste und schwere Gerichtszeiten herannahen, kann Jeder wahrnehmen, der Augen hat zu sehen und Ohren zu hören. Wer weiß, ob nicht über kurz oder lang Zustände eintreten, aus denen man gerne fliehen möchte, gehe es auch, wohin es wolle, wenn man nur könnte. Ich erinnere nur an die Revolutionsjahre 1848 und 1849.