Rußland.
Dem „Gemeindeblatt“ entnehmen wir folgende Nachrichten von den mennonitischen Auswanderern nach Turkestan(Asien):
Br. Ed. Riesen in Fresenheim (Südrußland) machte dem Herausgeber die Mitteilung per Karte, daß am 24. Nov. auch der zweite Zug glücklich in Taschkent angekommen ist. Der erste Zug war bereits am 17. Okt. in Turkestan angekommen und wird, wie berichtet wurde, über den Winter in der Nähe von Taschkent auf einem Gute verbleiben. Folgender Brief ist aus dem ersten Zug über die Strecke von Karabutak (Karabulak – E.K.) bis Kasalinsk, 544 Werst.
Kasalinsk, den 13. Sept. 1880. Im Herrn Jesu geliebte Mutter und Geschwister! Meinen vorigen Brief vom 17. Aug. aus Karabulak werdet Ihr, wie ich hoffe, bei guter Gesundheit erhalten haben. Eine Trauerbotschaft brachte er, indem Euch der Tod unserer kl. Anna darin gemeldet wurde. Nun dieser bringt eine Freudenbotschaft, indem ich Euch melden kann, daß meine liebe Frau den 10. d. Mts. hier durch Gottes gnädigen Beistand von einem gesunden Töchterchen entbunden wurde. Mutter und Kind sind nach Umständen sehr wohl. Ja, der liebe Vater hat uns geholfen über Bitten und Verstehen. Sein Name sei gelobt in Ewigkeit. Amen.
Nachdem wir uns in Karabulak mit dem nöthigen Futter und Lebensmitteln versehen, tragen wir den 18. Aug. unsere Weiterreise an und gelangten Sonnabend den 23. Aug. wohlbehalten in Irgis an. Es ist dieses der letzte Ort vor der Wüste, wo etwas zu bekommen ist, und hatten deshalb einige Tage Arbeit, bis wir uns mit dem Nothwendigsten versorgt hatten, um den Weg durch die Wüste antreten zu können. Wir hatten daselbst kaum unsern Lagerplatz gewählt und ausgespannt, so waren auch schon die Kirgisen da und gleich bereit, uns mit unsern Wagen durch die Wüste zu bringen. Sie forderten nur 40 Rbl. für einen der schwersten Wagen, indem sie vorgaben, 4 Kamele vorspannen zu müssen. Wir erhielten überhaupt die verschiedensten Nachrichten über den vor uns liegenden Weg, bis wir einen Kaufmann trafen, der vor einigen Wochen mit eigenem Fuhrwerk von Taschkent gekommen und jetzt wieder auf der Rückreise begriffen war. Derselbe zweifelte gar nicht daran, daß wir mit unsern Pferden durchfahren würden, besonders dann, wenn wir auf den schwersten Stellen einander vorlegen wollten. Diesem Rathe sind wir denn auch nachgekommen, haben uns dabei auch ganz gut befunden. Zu meinem 2. Wagen, der ohnehin für 2 Pferde schon immer etwas schwer ging, kaufte ich mir in Irgis noch eine Kirgisenstute für 35 Rbl., 15 Jahr alt und in gutem Futterzustand. Für den Hafer mußten wir in Irgis 1 Rbl. 20 Kop. zahlen; kauften ihn von der Militärbehörde aus den Kronsmagazinen, sonst ist keiner zu haben. Für Kalatsch mußten wir pro Pfund 7 Kop., für Fleisch 7 – 8 Kop. *) zahlen. Zum Hafertransport batten wir vier Mann Kirgisen mit 25 Kameelen angenommen, Fracht per Pud bis Kaplanbek 45 Kop. und 4 Rbl. aufs Ganze für Besorgung der Kameele an den Karawanenbasch (Karaw. Oberhaupt), ohne welchen keine Karawane zu miethen geht. Ich hatte für 7 Pferde 70 Pud Hafer gekauft. Es wird euch etwas viel scheinen, aber es ist in dieser Wüstenei zwischen Kirgis und Kasak kein Pfund Heu für Geld zu bekommen, so daß wir auch nur auf unsern Hafer angewiesen waren, haben auch nirgends Weide, Rohr oder sinst etwas angetroffen; nur Kurrei (Salzkraut - Redaktion) oder andere stachliche Kräuter und Gebüsche, wohl tauglich für einen Kameel, aber nicht für ein Pferd. Habe aber doch von meinem Hafer ungefähr 10 Pud überbehalten. Wasser haben wir, ausgenommen zwei Stationen, überall hinreichend gehabt. Recht schweren Sand hatten wir nur: 6 Werst (7 Werst = 1 deutsche Meile - Redaktion) die längste Strecke, wo der Weg am Aralsee vorbeiführt. Wir legten uns da vor und fuhren erst die eine Hälfte Wagen durch, dann holten wir die andere nach. In einem Zeitraum von 8 Stunden waren wir damit fertig. Hinter dieser Sandstrecke gleich Station und hinreichend Wasser. Nachdem mußten wir noch zweimal vorlegen, ungefähr 3 und 2 Werst. Sonst sind wir überall ziemlich leicht weggefahren. Auf den längsten Strecken hatten wir Lehmboden, stellenweise etwas sehr stuckrig (??? – E.K.) Wenn wir unsere Kameele Tags manchmal nicht sehen konnten, Abends zum Thee stellten sich die Führer immer ein und hielten sich dann ganz frei; nur schade, daß wir uns mit ihnen nicht verständigen konnten. Was wir ihnen zu sagen hatten, ließen wir uns von den Vorstehern der Stationen verdolmetschen. So gelangten wir denn unter Gottes Schutz und Beistand den 9. Sept. glücklich und gesund hier in Kasalinsk an, wollten uns hier zu unserer Weiterreise noch verproviantiren und dann 11. Mittags unsere Reise wieder antreten, welches aber, wie zu Anfang meines Briefes erwähnt, durch die Entbindung meiner Frau verhindert wurde. Auch starb Donnerstagabend Wiebes kleiner Jakob. Das ist das 11. Kind, welches durch den Tod aus unserer Reisegesellschaft genommen wurde. Es ist, wie wir auf verschiedenen Stellen gehört, dieses Jahr die Kinderkrankheit, woran unsere sämmtlichen Kinder gestorben und, in dieser Gegend herrschend. So sind auch in Irgis Erwachsene derselben erlegen.
So gedenken wir denn, da meine Frau sich ganz wohl befindet, Montag den 15. d. Mts. unsere Reise weiter fortzusetzen. Ach, wir können ja gewiß glauben, daß der treue Herr, der uns gnädiglich bis hierher geleitet und geführet hat, auch weiter helfen wird (u.s.w.u. s.w - Redaktion). Verbleibe schließend Euer Euch liebender Bruder in dem Herrn,
Gerh. Janzen.
Nachtrag: Muß noch kurz bemerken, daß wir die Melonen und Arbusen, welche wir schon in Irgis zu treffen glaubten, erst hier getroffen haben. Melonen wie Arbusen das Stück 3 – 5 Kop., aber viel mehr werth wie bei euch. Hier in Kas. leben wir alle Mittag von Fisches; Wels und Karpfen. 15 Pud (?) kosten 14 Kop., und wenn man handelt, sind sie noch billiger.
Brief vom zweiten Zug.
Orsk, 18 Sept. 1880.
Mein lieber Bruder Riesen! Der Friede des Herrn Jesu sei mit Dir und den Deinigen. In Eile einige Zeilen, um Nachricht von unserer Reise zu geben.
Mittwoch den 10. Sept. Nachmittag sind wir von Orenburg abgefahren. Wir wurden dadurch abgehalten, früher aufzubrechen, daß sich Montag Abends Fr. Fröses ältester Sohn den rechten Arm gebrochen hatte, was Ihr wohl wissen werdet. Es steht ziemlich gut mit ihm. Vor einigen Stunden sind wir hier angekommen (11 Uhr Vorm.). Nachmittag sollen die nöthigen Einkäufe zur Weiterreise gemacht, und dann, so Gott will, morgen früh aufgebrochen werden. Einige Nachrichten von dem Orenburg – Orsker Wege: Mangel haben wir auf demselben nicht gehabt, Menschen und Thiere haben stets reichlich gehabt. Hafer kostete 80 – 100 Kop., in Orsk auf Nachfragen 50 – 80 Kop. Wir wollen 400 Pud kaufen. Zu dem, was wir davon nicht laden können, sollen Fuhren angenommen werden. Der genannte Weg war interessant; vielleicht wird er der interessanteste der ganzen Reise bleiben; wir passierten nämlich die südlichen Ausläufer des Uralgebirges. Obwohl dieses Gebirge mehr sanfte Kuppen hat, so konnten wir uns doch von dem Geschauten ein Bild von Gebirgslandschaften machen, besonders da, wo die Felsen, von der Humusschicht, die hauptsächlich das Ganze bedeckt und mit dichtem Steppengrase bewachsen ist, entblößt kahl und nackt hervorstarren. Der Weg ist im Ganzen genommen gut, allein einzelne Parthien sich schlecht, sehr schlecht; wozudie Auffahrt über die Höhe des Gebirgszuges gehört; zwischen Bergen und Felsen, auf schmalem steinigem Wege, der an manchen Stellen kaum so breit ist, daß zwei Wagen an einander vorbeifahren können, geht es lange Zeit, mir wurde sie der armen Pferdeund der Wagen wegen viel zu lang, immer bergan. Ein Pferd von Onkel M. Klaaßen ist, jedenfalls in Folge der Strapazen dieses Weges, unbrauchbar geworden und mußte verkauft werden. Sonst steht Alles gut, wofür dem Herrn herzlicher Dank gebracht sei. Unsere Kinder sind recht gesund, bedeutende Erkrankungen sind in der ganzen Gesellschaft keine.
Johannes Penner.
*) 8 Kopeken = 28 Pfg., ein Rubel etwa 3 ½ Mark, 1 Pud = 40 Pfund. (Nach jetzigem Course wären 8 Kopeken = 4 Cents, und 1 Rubel = 30 Cents. – Die Redaktion der „Rundschau“ ) |