Deutsche in Mittelasien.
Wir entnehmen einem Briefe aus Kokand (Russisch - Turkestan) in Nr. 423 der „Vossischen Zeitung“:
Einen wesentlichen Einfluß auf die Verbreitung des Deutschtums in Turkestan und auf die Hebung eines Teils des Landes, besonders in landwirtschaftlicher Beziehung haben auch die deutschen Kolonisten. Im Syr – Darja Gebiet leben unter den dortigen Kirgisen etwa 2000 Deutsche beiderlei Geschlechts, zumeist arbeitsliebende und nüchterne Mennoniten, die das ihnen von der russischen Regierung seinerzeit zur Ansiedlung überlassene Gebiet (größtenteils Steppe) durch fleißige und vernunftige Bewirtschaftung einer guten Entwicklung zugeführt haben. Besonders zahlreich findet man sie im Taschkenter Gebiet, wo die ganze Dörfer bilden, in deren Schulen deutsche Lehrer in der deutschen Sprache unterrichten. Sie sind im Jahre 1892 aus dem Saratower Gebiet infolge der Mißernten hier eingewandert.*)
Bei Festhaltung an ihrer Muttersprache, ihren Sitten und Gebräuchen, sind sie loyale russische Staatsbürger. Zu besonderem Danke sind ihnen die Bewohner der umliegenden Ortschaften auch dadurch verpflichtet, daß sie sie die Käsebereitung lehrten und daß das Vieh der Kirgisen durch Kreuzung mit dem sorgfältig gezogenen Vieh der Kolonisten eine bedeutende Aufbesserung erlangte. Nicht selten hört man bei einer Reise auf den Bahnhöfen der Kirgisensteppe die Frauen, die dort Milch und Käse anbieten, in süddeutschen Lauten „schwätzen“. Durch den freundlichen Umgang, den sie mit den Kirgisen pflegen, ist es dahin gekommen, daß viele von diesen auch schon der deutschen Sprache mächtig sind und munter deutsch plaudern – ein Umstand, der deutschfeindliche Blätter veranlaßt hat, in langen Artikeln auf die politische „Gefährlichkeit“ dieser Kolonisten hinzuweisen. Sie beschuldigen sie u.a., daß sie die umliegenden Kirgisenansiedlungen wirtschaftlich vollständig erdrücken und die Kirgisen politisch zu beeinflussensuchen, indem sie durch Uebermittelung der deutschen Sprache für Deutschland Propaganda machen. Ja man faselt sogar von einem Pufferstaat, den Deutschland hier aus chinesischen und turkestanischen Kirgisen zu gründen beabsichtigt! Zum Glück machen solche Schreibereien hier keinen Eindruck und mit Recht bezeichnet sie ein Taschkenter Blatt als Phantasien, mit denen man höchstens kleine Kinder schrecken könne.
Mitgeteilt von Dr. E. H.
*) Diese Bemerkung gilt nicht für die Mennoniten.
Anm. d. Herausg. |