Verschiedene Brüder – Älteste und Prediger – sind im Laufe des Berichtsjahres ausgefahren, um „nach ihren Brüdern zu sehen.“ Schreiber dieses, selbst Reiseprediger, schicke seinen Bericht an den Ält. Heinrich Dirks zur Veröffentlichung auf der „ Allgem. Konferenz Mennonitischen Lehrstandes“ in Schönwiese ein. Weiter sind leider, wie Ält. Dirks, schreibt, keine Reiseberichte eingegangen. Im Bericht des vorigen Jahrbuches wurde die Hoffnung ausgedrückt, in diesem Jahrbuche einen Reisebericht von Brüdern zu bringen, die nach Turkestan zu reisen bereit sind. Sie wurden von der „Allgem. Konferenz in Chortiza“ dazu beauftragt. Der „Botschafter“ hat in seinen Nr.Nr. 80 – 91, III Jahrg. einen ausführlichen und sehr interessanten Reisebericht von Br. Johann Braun aus Ssamoilowka gebracht. Wir wollen versuchen einen möglichst kurzen Auszug aus diesem Bericht zu bringen:
Ältester Jakob Quiring aus Köppental und Predig. Johann Braun traten im April 1908 ihre Reise an. Am 18. April traf Br. Braun in Saratow ein und am 19. abends fuhren die beiden Brüder zusammen von dort weiter und zwar über Pensa und Samara nach Orenburg. In der Stadt Orenburg gab es einen halben Tag Aufenthalt, welcher ausgenützt wurde, um die Merkwürdigkeiten der Stadt in Augenschein zu nehmen. Es muß ganz merkwürdige Gefühle geben, wenn man zum ersten Male am Tor zwischen Europa und Asien steht. Bald ging es per Bahn rasch hindurch und hinein in das ferne Land, in welchem man so lange höchstens im Traume gewesen war. Anfangs erinnerten die Ortschaften, nach europäischen Muster erbaut, noch mehr an Europa. Dann aber ging es weiter und weiter durch öde Steppenund Wüstengegenden. Große Strecken mit dicht neben einanderliegenden gelben Sandhügeln breiteten sich dort aus, dann wieder graue, etwas niedriger mit Gestrüppe bewachsene Hügel. Nach Taschkent hin wurde die Gegend immer freundlicher. Die Eisenbahnstationen hatten Weinberge und hohe Pappeln. Das Pflanzenreich zeigte sich schon im schönsten Frühlingsschmuck. Am 24. Mai abends war Taschkent erreicht. Der Schwiegersohn des Bruders vom Ält. J. Quiring war mit einer schönen Droschke da, um die Gäste die letzten 150 Werst bis zur Ansiedlung der Mennoniten zu fahren.
Taschkent ist eine schöne von hübschen Grün eingefaßte Stadt. Sie besteht aus einem schönen russischen Stadtteile mit interessanten Bauten und aus der echt orientalischen Sartenstadt, die wieder in ihrer Art des Interessanten viel enthält. Ihre engen Straßen mit der bunten Menge von Sarten und Tartaren in ihren Turbanen und die Weiber in ihren langen Mänteln und den verhüllten Angesichtern erregen reichlich die Bewunderung des Europäers. Mit eben solcher Verwunderung schaut er auch auf die langen Karawanen von bepackten Kamelen und auf die hohen mit einem kleinen Kirgisenpferdchen bespannten Zweiräder der Kirgisen. Rauschende malerisch dahinfließende Gebirgsflüsse und die hohen Schneeberge in nicht allzugroßer Entfernung am Saume des Horizonts verschönern das Bild. Wie groß sind deine Werke, o Gott, auch auch Asien!
Um 5 Uhr des 4. Tages war das Reiseziel erreicht und zwar Romanowka (Köppental). Außer diesem sind dort noch 4 Mennonitendörfer: Nikolaipol, Gnadental, Gnadenfeld und Orlow. Alle Dörfer haben längs der Straßen schöne Pappelalleen. Ein wohlgeübter Sängerchor begrüßte die Gäste aus der fernen alten Heimat mit schönen passenden Liedern.
Jede Wirtschaft enthält 20 Dessjatinen Land, welches bewässert und gedüngt und dadurch recht ertragsfähig gemacht wird. Häuser und Zäune werden aus Lehm oder aus Lehmziegeln verfertigt. Die meisten Häuser haben Lehmdächer. Der liebe Gott hat auch hier allgemein Fleiß und Ausdauer mit Wohlhabenheit gesegnet.
Am 30. April predigten die Gäste im Köppentaler Bethause. Beide sagten den Versammelten, daß sie gekommen seien, des Herrn Ehre zu verherrlichen, sie im Auftrage des Herrn und unserer Konferenz mit dem Wort des Lebens zu bedienen. Alles soll zur Stärkung und Förderung unseres Glaubens an Jesum und sein kommendes Reich dienen.
Die Abende dienten hauptsächlich erbaulichen Gesprächen im Geschwisterkreise, während an den Tagen Gottesdienste abgehalten und Hausbesuche gemacht wurden. Am 4. Mai war die Feier des h. Abendmahles, verbunden mit einem Liebesmahl. Auch in dem Versammlungshause der dortigen Brüdergemeinde dienten die Gäste mit der Verkündigung des Wortes Gottes. In den Bethäusern sowohl als auch an manchen Abenden dienten Sängerchöre mit schönen Liedern. Bei den Unterhaltungen wurde auch manche wichtige Erfahrung aus dem Leben der Ansiedler mitgeteilt. Da haben sie z.B. für die ersten dienstpflichtigen Jünglinge bei der Behörde das Recht ausgewirkt, in der Nähe des Dorfes Nikolaipol ein Wäldchen von 3 Dessjatinen anzupflanzen. Dasselbe mußte von der ganzen Gemeinde mit ihren dienstpflichtigen Jünglingen bearbeitet werden. Letztere durften damit ihren Staatsdienst absolvieren.
In die Zeit des Aufenthaltes der Brüder Quiring und Braun fällt auch der Besuch des englischen Reisepredigers Broadbent. Letzterer war dort als Gesandter von Missionsfreunden aus England, Deutschalnd und Rußland, um dort eine Arbeit unter den Mohammedanern anzubahnen. Auf einer Sitzung zu diesem Zwecke kam man zu der Überzeugung, daß der Herr dort eine offene Tür zeige. Auf einer zweiten Sitzung wurde beschlossen, in Nikolaipol auf einer Freistelle ein Krankenhaus zu bauen, um darin kranke Kirgisen zu pflegen, und ihnen dann auch das Evangelium nahe zu bringen, resp. vorzulesen. Es wurde ein Komitee von 8 Brüdern gewählt, mit welchem auch die auswärtigen Missionsfreunde verhandeln können. Ein Bruder bekam den Auftrag, mit Br. Broadbent nach Deutschland zu reisen, um dort die Sache weiter ordnen zu helfen. In Gemeinschaft mit Br. Broadbent wurden auch einige Bibelbesprechungen veranstaltet. Dieselben waren nicht ohne Segen.
All diesen geistlichen Segnungen folgte dann noch eine sehr interessante Gebirgsreise zu Pferde. Der Raum erlaubt leider nicht, die ganze Reisebeschreibung zu bringen. Sie war wohl anstrengend für den Leib, dafür aber so köstlich für`s Auge und so erfrischend für den Geist. Da wechselten hohe und höhere Berge mit schönen Tälern, in welchen die Kirgisen mit ihren „Kibitten“ lagerten und ihre Herden weideten. Leider wurden unterdessen die Bergspitzen mit Wolken umhüllt. Dadurch wurde den Reisenden für dieses Mal die schönste Aussicht vereitelt. Die Reisebegleiter mußten unsern Brüdern viel zu erzählen von hohen Gebirgskuppeln, von den Seen in den Bergen, von großen Tannenwäldern und andern Naturschönheiten. Glücklich und mit den schönsten Reiseeindrücken kehrte die Reisegesellschaft von ihrem Ausfluge zurück.
Am 18. Mai wurde Abschied gefeiert und zwar in beiden Gotteshäusern, vormittags in Köppental und nachmittags in Gnadental. Auch die nach Deutschland abreisenden Brüder, Broatbend und W. Penner hielten Abschiedsreden. Nach dem Gottesdienste gab es manchen warmen Händedruck und wurde gegenseitig noch manches „Lebewohl, auf Wiedersehen!“ zugerufen. Bei der Abschiedsfeier in den Bethäusern sowohl, als auch abends im Hauptquartier trugen die Sängerchöre viel zur Erhebung der Feier bei. Es gab Eindrücke, die man nicht so rasch vergißt. Prediger Hermann Epp richtete an die scheidenden Brüder eine kurze Abschiedsrede, in welcher er den Dank der dortigen Geschwister für den Besuch zum Ausdruck brachte. Einige Brüder begleiteten die Gäste noch eine Strecke auf ihrer Reise. Ein Br. M. Ekkert begleitete sie sogar auf dem sehr beschwerlichen Wege per Postwagen und bei regnerischem Wetter und sogar durch reißende Ströme bis zur Eisenbahnstation.
Am 23. Mai erreichten sie die Station Platowka. Von dort aus wurden die Mennoniten – Kolonien, d.h. unsere neuesten Ansiedlungen im Orenburgischem und im Samarischen besucht. Weil Ält. Quiring unbedingt zu Pfingsten zuhause sein mußte, so wurden in den Kirchen und in einigen Schulen etliche Versammlungen gehalten und dann rasch nach Köppental geeilt. Von Samara bis Saratow gab es eine prächtige Schiffahrt, eine wahre Lustpartie nach der langen Eisenbahnfahrt. Die schönen grünen Wolgaufer trugen viel zur Verschönerung der Reise bei. Nach dem Pfingstfeste besuchte Br. Braun noch allein die Uralsker Ansiedlung und erreichte am 8 Juni. mit den schönsten Reiseeindrücken seine Heimat. Leider hatte seine liebe Frau längere Zeit gekränkelt. Die andern erfreuten sich alle einer schönen Gesundheit. Im Rückblick auf die fast achtwöchentliche schöne Reise ruft er am Schlusse seines Reiseberichtes freudig bewegt aus: „Der Herr hat Gnade zu unserer Reise gegeben, sein Name sei gepriesen!“ Hiermit schließe ich mit meinen Berichten über innere Mission und bitte den freundlichen Leser um eine möglichst milde Kritik. Mein Wunsch ist, den genannten Zweigen des Reiches Gottes zu dienen, und den lieben Freunden und Mithelfern einen kleinen Einblick in die Sache zu geben.
Gerh. Harder |