Brief von Aron und Maria Reimer aus Sibirien über (unter anderem) ihre Reise nach Turkestan in der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 4. März 1925, S. 23-24

 

Zugeschickt von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung „Mennonitische Rundschau“ vom 4. März 1925, S. 23-24. (gotisch) von Elena Klassen.

 

 

Lieber Onkel und liebe Tante Abrah. Reimers nebst Kinder! Wünsche Ihnen allen den teuren Frieden Gottes in Christo Jesu und ein stetes Wohlergehen zuvor.
Lieber Onkel, Ihren uns so werten Brief erhielten wir den 12.d.M.  Wie tut es uns so wohl, wenn man in schweren Zeiten aufgemuntert und ermutigt wird!
Mir ward`s später zuwider, daß wir fast, alle meine Geschwister und zu gleicher Zeit um Freikarten geschrieben hatten. Als ich in Fürstenweder noch erfuhr, wieviel Mithilfe Sie, teurer Onkel, an meine Geschwister geschickt in der Zeit, wo selbige wären verhungert ohne dieselbe, dann dachte ich, wenn ich solches gewußt hätte, so hätte ich sie schon nicht belästigt.
Ich fuhr am 24. Sept. letzten Jahres von Slawgorod, unserer Kreisstadt, ab nach Turkestan. Am 28. Sept. war ich in Margenau, Kreis Omsk, auf einem Erntedankfeste der Menn. Br. Gemeinde. Vom 2. bis zum 5. Oktober hielt ich mich auf der Station Dawlekanowo, im Ufimer Kreis, auf. Vom 8. bis zum 19. in den Gemeinden des Orenburger Gouvernements. Von dort kam ich den 24. Oktober in der Stadt Auli – Ata glücklich an. Am 25., 9 Uhr abends kam ich zu dem menn. Dorf Nicolaipol, wo Onkel und Tante Martin Janzen mit ihren Kindern angesiedelt haben. Dort hielt ich mich drei Wochen auf. Habe in der Zeit mehrere Versammlungen besucht, wo ich Gottes Wort verkündigt habe, außerdem etliche Bibelstunden gehalten und recht viele Hausbesuche gemacht, besonders bei Alten, Witwen, Kranken und a. m. ich bin froh, daß ich diese Reise machen durfte. Der Herr hat mich reichlich gesegnet und mich auch für etliche zum Segen sein lassen.
Am 16. Nov., Sonntag, wurden in der Gnadenthaler Menn. Br. Gemeinde noch 3 Brüder durch Händeauflegen ins Predigeramt befestigt. Montag, den 17. Nov. fuhr mein Vetter Aron Janzen mich zur Stadt Auli – Ata zur Bahnstation. Bemerke noch, daß die Turkestaner Gemeinde mir die Reise bezahlte. Am 19. abends stieg ich im Eisenbahnzuge ein und kam, nachdem ich noch wieder auf etliche Tage in der Gemeinde in Dawlekanowo und zu Margenau bei Omsk angehalten, am 7. Dez. abends glücklich zu Hause an. Unterwegs wurde mir beim Umsteigen mein Reisekoffer gestohlen. Der Inhalt wird sich auf 100 Rubel belaufen. Es kommt sehr häufig vor, daß Passagiere bestohlen werden. Es sollte für mich eine Prüfung sein. Der Herr hat mich nicht ohne Trost gelassen. Ich dachte immer etwas verächtlich über solche, die sich bestehlen ließen. Nun kann ich mitfühlen.
Martin Jantzens Kinder leben noch. Anna, verehelicht mit Corn. Wall, Aron und Helena, verehelicht mit Abr. Wiebe und Peter. Heinrich, der Jüngste, war vor einem Monat gestorben.
Den Turkestanern geht es besser, wie allen andern Gemeinden in Rußland. Aber es ist auch nicht mehr so, wie es war, als ich im Jahre 1908 dort war, Ich lasse hier eine kurze Beschreibung folgen von der Turkestaner Ansiedlung.

 

Ansiedlung bei Auli – Ata.

Die Dörfer Köppenthal, Nicolaipol, Gnadenthal und Gnadenfeld liegen nahe zusammen, im Thal zwischen zwei hohen Gebirgen. Auf dem Gebirge, welches das Serdarien Gebiet von dem  Phergana Gebiet scheidet, liegt ewiger Schnee. Die Dörfer Ohrloff und Wodnoje liegen nördlich vom Flusse Urmural. Der Fluß Urmural liefert den Dörfern das Wasser zum Bewässern des Landes und fließt in den größeren Flu0 talas. Der Talas fließt bei einer Stelle bei einer Spaltung beim Kapp durchs Gebirge.
Die Bauten sind von Lehmziegeln, die Dächer meistens mit Lehm verschmiert. Die Ansiedlung steht 40 Jahre. So lange stehen auch viele Häuser. Längst der Straße stehen an jeder Seite zwei Reihen hohe Pappeln, bis 100 Fuß hoch. Die Baustellen sind mit 3 Arschin (7 Fuß) hohem Zaune umgeben. An beiden Seiten innerhalb der Straßenzäune fließt Wasser in den eingerichteten Wassergräben. Jeder Bewohner hat nahe der Straße im Garten einen Teich mit Wasser, weil wenig Brunnen sind, zum Gebrauch für  Menschen und Vieh. In der Nähe des Hauses ist der Obstgarten und Gemüse. Auch das Kleefeld ist in der Nähe. Das Getreide wird meistens auf Kirgisenland gesät. Der Säer gibt den 3. Teil ab. Obst, besonders Aepfel, wachsen dort viel, sie kosten 5 Kop. a Pfund. Die größte Einnahme ist dort von den Kühen. Die Milch wird auf Käsereien verarbeitet. Der Eigentümer bekommt im Durchschnitt 3 ½ Käse vom Pud Milch. Der Käse kostet von 35 bis 40 Kop. das Pfund. Im Sommer wird das Vieh ins Gebirge getrieben, wo es bis zum herbst bleibt. Dort ist auch eine Käserei. Die Kühe preisen von 150 – 200 Rbl., Holländer Rasse. Pferde haben die Leute durchweg sehr gute, preisen von 200 bis 400 Rbl. a Stück. Der Weizen preist 55 Kop. a Pud, gutes Mehl 2 Rbl. 20 Kop. Früher haben unsere Mennoniten sich mit Schweinezucht beschäftigt, jetzt weniger.
In geistlicher Beziehung machte ich ähnliche Erfahrungen, wie der Herr Jesus. (Luk. 4, 16 - 30) Es waren dort viele, die sich zu meinem Besuch freuten, aber auch solche unter unseren Mennoniten, die mich gerne in den Turm gesteckt hätten, weil ich die Sünde strafte. Doch der Herr ließ es nicht zu. Ich wurde von losen Buben beim Ispolkom verleumdet, als ob ich Propaganda gegen sozialistische Jugendvereine trieb. Der Herr Jesus sagt, Luk. 10, 16: Wer Euch höret, der höret mich usw.

Lieber Onkel, Sie schreiben, daß Sie an uns einen DraFt abgeschickt, wofür man uns hier soll $ 25 auszahlen. Wir haben noch nichts erhalten, vielleicht kommt es in diesen Tagen. Ich danke für solche Liebe. Wie Sie aus meinem vorigen Brief ersehen haben, hatten wir wieder eine schwache Ernte in unserem Rayon. Unsere Regierung hat uns in diesem Jahr die Naturalsteuer erlassen, d.h. etlichen Dörfern, wo es mit der Ernte so schwach ausgefallen. Wir haben Brot, wenn auch nicht Leckerbissen. Haben auch zwei Schweinchen geschlachtet, welche zusammen vielleicht 7 Pud gehabt und 2 Eimer Schmalz gaben. Mit den Kleidern ist es ja eine Zeitlang sehr schwer gewesen. Ich wollte mir einen Pelz kaufen zu diesm Winter; da ich aber bestohlen wurde, war ich genötigt, mir einen Anzug zu schaffen, wozu mir dieses Geld  sehr zu paß kommen wird. Sobald ich das Geld erhalten werde, berichte ich es Ihnen.
Ich bin von unserer Gemeinde abgeordnet, nach Moskau zu reisen, um an der am 13. Januar 1925 dort tagenden allrussischen Mennonitenkonferenz Teil zu nehmen. Wir gehen stark mit dem Gedanken um, Sibirien zu verlassen. Wir hatten schon Lust nach Turkestan, aber weil es in Sachen der Religion dort gerade so traurig ist wie hier, und die Kindererziehung uns mit Gewalt aus den Händen genommen wird, so denken wir stark an Amerika. Hier, auch in Omsk und in Dablekanowo, machen sich mehrere Familien bereit, nach Mexiko auf eigenes Risiko zu gehen. Weil die Pässe hier teuer kommen und auch die Reise, so können wir garnicht auf eigene Kosten fahren. Weil Sie es mir nicht übel nehmen wollen, wenn ich Bitten an Sie richte, so möchte ich noch einmal die Bitte an Sie richten, uns mit unserer Familie hinüberzuhelfen. Wenn Sie nicht allein können, dann könnten Sie vielleicht gute Leute finden, welche uns leiweise mit Geld helfen könnten. Wenn nicht, dann wollen wir auch ruhig sein. So viel wir wissen, ist meine Schwester Anna, verehelicht mit Abr. Willms, von Fürstenwerder, auch schon in Amerika. (Die erwähnten Abr. Willms ist noch nicht hier in Canada, laut letzter Nachricht, denn die Pässe waren noch nicht fertig. A.W. Reimer.) Meiner gegenwärtigen Frau Bruder Peter Dürksen ist am 19. Okt. in Canada, Laird, Sask., Box. 23, bei Mr. Rudolf Speiser angekommen. Ich erhielt vor etlicher Zeit einen Brief aus Amerika von einem Br. Isaak Töws, welcher aus dem Orenburgischen dorthin gezogen, was mir große Freude machte.
Herzlich grüßend, Ihre Freunde
Aron u. Maria Reimer.

Einliegenden Brief erhielt ich neulich von meinem Neffen Aron Reimer aus Sibirien. Mit der Bemerkung, daß ich ihn möchte der Rundschau zur Veröffentlichung geben. Auch schicke der liebe Aron Reimer in einem vorigen Brief eine Bitte für seinen Schwiegersohn, die ich in den menn. Blättern veröffentlichen sollte. Ich schicke das Original mit, wenn möglich, dann setzen sie es in die Rundschau; den armen Leuten dort ist die Hilfe sehr nötig. Vielleicht sind die Freunde unter Deinen Lesern.

Herzlich grüßend A.W. Reimer.
   
Zuletzt geändert am 11 Juli, 2019