| Zentral  – Asien.Taschkent,  Russisch Turkestan.
 Wieder  liegt ein Jahr hinter uns und wir müssen bekennen, der Herr ist treu und  wir sind zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die Er an uns erwiesen.  Fernab von der Heimat und den Geschwistern kommt es uns erst recht zum Bewußtsein,  welch einen wunderbaren Gott wir haben, dessen Verheißungen Ja und Amen sind.  Ihm sei Lob und Preis und Dank und Ehre!Vorerst  sagen wir allen lieben Geschwistern, die uns durch ihre Fürbitte trugen und uns  mit Liebesgrüßen erfreuten, herzlichen Dank. In der Heimat kann man gar nicht  ermessen, welche Freude es für die Draußenstehenden ist, eine Karte oder einen  Brief zu bekommen. (Spr. 25, 25!) Oft sehnt man sich nach Gemeinschaft und  solche Grüße sind wie Lichtblicke auf dunkler Bahn; denn dunkel möchte man den  Weg nennen im Blick auf die Arbeit unter den Mohammedanern, besonders denen im  Russischen Reiche. Man fühlt sich an Händen und Füßen gebunden. Doch wir warten  auf den Herrn, daß er zu Seiner Zeit die Türen öffnen wird. Mittlerweile nützen  wir die Gelegenheiten am „Tage kleiner Dinge“ aus (Sach. 4, 10.) In Samara, wo  wir über zwei Jahre waren, haben wir viel Liebe von den dortigen  Baptistengeschwistern erfahren und das Abschiednehmen von dort wurde uns  schwer. Als wir im Begriff waren, das Haus zu verlassen, kamen noch Patienten,  trotzdem wir Stock und Hut beinahe in der Hand hatten. Eine ganze Anzahl  Geschwister begleiteten uns spät abends nach dem Bahnhof, trotzdem es regnete  und hielten tapfer aus, als wir trotz 3-tägigen Vorausbestellens der Fahrkarten  keine Plätze erhielten. Niemand von den Reisenden kam an jenem Abend mit, da  alle Klassen von Moskau her schon besetzt waren. Viele mußten auf dem Bahnhof  bleiben bis zum nächsten Tag. Wir übernachteten mit unserm aus 24 Stück  bestehendem Reisegepäck bei Geschwistern und fuhren am nächsten tage, den 20.  August. Die Luft war durch den Regen abgekühlt und rein, was für die Reise  durch die Wüste von großer Bedeutung war. Die Fahrt war ziemlich eintönig, Sand  und wieder Sand, hin und her mitten in dieser Einöde Kirgisenzelte, Kamele,  Pferde, Kühe und Schafherden, was besonders für klein Hannchen äußerst  interessant war. Die Vegetation ist sehr kümmerlich und infolgedessen sind auch  die Tiere sehr klein. Die Kühe sind etwas so groß wie bei uns ein Kalb. Wir  fuhren ununterbrochen 3 ½ Tage von Samara bis Taschkent. Am letzten Tage der  Reise, als wir uns Taschkent näherten, wurde es heiß und sehr staubig, und wir  freuten uns, bald ans Ziel zu kommen. Einige Stationen vor Taschkent fängt mit  einem Male eine üppige Vegetation an. Doch ist es recht sumpfig und riecht auch  so, sodaß man am liebsten nicht atmen möchte. In Taschkent angekommen, wurden  wir von einigen Geschwistern, die wir in Samara kennen lernten, empfangen. Wir  wohnten bei einer Schwester in der Altstadt, wo die Sarten wohnen. Die Neustadt  ist fast ganz Russisch. Die Stadt macht am Abend einen zauberhaften Eindruck  auf uns Leute des Westens. Die Sarten in ihren bunten, phanatischen Gewändern  saßen in den offenen Läden auf dem Fußboden auf Teppichen (Stühle haben sie  selten) und tranken Tee. Sie hatten gerade ein 1 ½ Monate Fest; an dem sie  tagsüber fasten müssen. Erst 7 Uhr abends, nachdem der Mullah (Lehrer)  geschrieen: „La ilaha – illa – lluha; Muhammedu – Rasulu – àllah`!“ (Es ist  kein Gott außer Allah; Muhammed ist der Apostel Gottes). – aßen sie zum  erstenmal. Dann wurde es ganz still in den Straßen, aber nachher geht der Lärm  aufs neue los und währt bis tief in die Nacht ninein. Wir fuhren mit der  Pferdebahn in die Altstadt. Trotzdem sie schon überfüllt war, sprangen rechts  und links sarten auf das Trittbrett. Der Kutscher oder Kondukteur schlugen sie  wohl, und zu unserm Schrecken fielen einige von dem in voller Fahrt  befindlichen Wagen auf die Straße in den Schmutz, (wegen der großen Hitze wird  viel gesprengt), doch es schien ihnen nichts auszumachen, sie standen auf und  versuchten es gewiß beim nächsten Wagen. Die Neustadt ist ganz modern gebaut;  manche Straßen geben denen Berlins wenig nach, sie haben schönes Pflaster und  modern eingerichtete Geschäfte. Die Stadt ist freundlicher als Samara. Zu  beiden Seiten stehen hohe pappelartige Bäume, an denen das von den Schneebergen  kommende frische Wasser vorbei fließt. Das Wasser wird von den Sarten sogar zum  Trinken benutzt, sowie zum Reinigen der Wäsche und des Küchengeschirrs; denn  das Brunnenwasser muß meistens bezahlt werden. Für uns ist es nicht gerade  appetitlich, das Wasser aus den Gräben zu nehmen, wenn man sieht, was alles  darinnen gewaschen wird und was die Leute alles hineingießen. Wir benutzen es  nur zur Wäsche, weil es sehr weich ist. Das Klima ist ziemlich fiebrig;  augenblicklich ist es feucht und kalt, viel Regen, ab und zu Schnee. Im  November begann der Regen. Im Oktober war es noch heiß (ca. 30 Grad R..), des  Nachts aber empfindlich kalt. Die Straßen, die zum großen Teil ungepflastert  sind, sind fast unpassierbar, an manchen Stellen geradezu gefährlich wegen der  Schlammlöcher und verfaulten Holzbrücken. Asiatischer Winter! In den alten  Stadt waren wir 7 Tage. Wir fanden bald eine Wohnung für den namhaften Preis  von R. 15.25 (etwa 32 Mk.) Sie ist außerhalb der Stadt gelegen und besteht aus  2 Stuben, Küche und Veranda. Obwohl sie in einem großen Garten liegt, scheint  sie doch ungesund zu sein, besonders riecht es in der Schlafstube gegen Abend  sumpfig und moderig, trotzdem Tag und Nacht die Fenster offen stehen. Daher kam  es wohl auch daß wir alle nacheinander erkrankten. Hannchen begann mit  Brechdurchfall, der ziemlich 6 Wochen anhielt und allen Mitteln zu trotzen  schien. Sie wurde ganz mager und schwach und konnte kaum noch laufen. Drei  Wochen nach unsrer Ankunft hier wurde uns ein gesundes, kräftiges Söhnchen  geboren, das den Namen Siegrfied Immanuel erhielt. Als ich eine Woche im Bett  lag, kam Bruder Kliewer krank in unsern Garten. Er hatte schon einige Tage mit  hohem Fieber gelegen. Als er einen Tag hier war, kamen die Pocken zum  Vorschein. Mein Mann half so gut er konnte, doch nach einer Woche erkrankte  auch er und legte sich mit Fieber und Gliederschmerzen ins Bett. Ich dachte  zuerst, es würde Typhus, der gerade hier herrschte. Aber der Herr half und nach  3 Wochen wurde es besser. Jedoch fühlte er sich noch eine ganze Weile schwach  und unfähig zur Arbeit. Nachdem fing meine Schwester, die der Herr während der  ganzen Zeit wunderbar aufrecht erhalten hatte, um uns zu pflegen, mit kränkeln  an und mußte ins Bett. Dem Herrn sei Dank, wurde es auch mit ihr bald besser,  obgleich sie sich noch jetzt schwach und elend fühlt. Man sagte uns, daß es  fast allen Ausländern im ersten Jahr so geht und wir sind etwas beruhigt. In  jener Zeit kam auch Schwester Herhold aus Nikolaipol mit einem epileptischen  Knaben zu uns. Sie kurierte einen Monat hier. In der letzten Woche ihres  Hierseins kam noch eine kranke Schwester aus Tiflis im Kaukasus und blieb bis Weihnachten  bei uns. So gab es Arbeit genug. Seit einiger Zeit kommt ein Tatare zu meinem  Mann, der schon bei vielen Ärzten vergeblich Hilfe suchte. Einige einfache  Mittel, noch nicht einmal Medizin, hatten ganz wunderbaren Erfolg. Jetzt kommt  noch seine kränkelnde Frau, die auch bei mir etwas kochen lernen will. Betet  bitte, daß uns der Herr für sie zum Segen setzen möge; denn nur so können wir  an die Leute herankommen.
 Wie  schwer es hier ist, zu arbeiten und wie vorsichtig man auch im Wandel und  Benehmen sein muß, mag folgendes beweisen: Hier gibt es nur wenig gute Milch,  fast alle Sarten machen Wasser und Mehl hinein, anstatt der Sahne, die sie  abnehmen, schwimmt Hammeltalg oben drauf. Als Hannchen nach ihrer Krankheit  mehr Milch brauchte, war trotz aller Bemühungen keine gute zu bekommen. Eines  Morgens bat ich den Herrn ganz besonders, uns zu versorgen. Kurz darauf  erschien ein Sarte mit guter Milch; ich wußte, der Herr hatte ihn geschickt. Er  lud uns auch ein, die Kühe zu besehen. Wir gingen mit und lernten bei dieser  Gelegenheit  ein sartisches Bauernhaus  kennen, natürlich alles höchst einfach und primitiv, aber sauber. Besonders  einladend war die Apfel- und Weintraubenkammer, wo wir auch kosten mußten. Mein  Mann wurde sogar animiert, aus der großen Sartenpfeife einen Zug zu tun. (Sie  rauchen ein Kraut, dessen Effekt noch stärker ist, als der vom Opium. Der Rauch  wird durch ein langes Rohr, das in einem unterhalb der Pfeife, resp. des  Pfeifenkopfes angebrachten Wasserbehälter mündet, gezogen. Das Ziehen ist sehr  anstrengend, aber sie zun 1 – 2 Züge, dann stellen sie die Pfeife wieder weg.)  Mein Mann lehnte natürlich ab. Dann wurden wir noch mit sartischem Brot, sehr  saurer Milch mit Kümmel, Tomaten und Nüssen bewirtet. Wir verabschiedeten uns  darauf. Von der Zeit an, brachte er uns jeden Morgen die Milch, ebenso unsern  Nachbarn. Nun geschah es, daß unsere nächste Nachbarin, die den andern Teil des  Hauses bewohnt, beim monatlichen Verrechnen Differenzen mit ihm hatte, und kurz  und bündig, stolz wie die Sarten sind, brachte er ihr keine Milch mehr; ich bat  ihn, er möchte ihr doch für ihr kleines Mädchen welche geben, umsonst. Einige  Tage später erklärte er uns mit kurzen Worten (Russisch versteht er sehr  schlecht), daß er uns auch keine Milch mehr bringen wollte. Ich erschrack und  verstand ihn nicht recht, nur an seinem Gesicht sehen wir, daß er sehr böse auf  uns war. Endlich bekommen wir heraus, daß die Nachbarin ihn „Sartischer Hund“  (für Moslems das ärgste Schimpfwort) genannt habe. Weil ich nun an jenem Morgen  für die Nachbarin um Milch bat, dachte er wir seien ihre Kinder und haßte uns  deshalb auch. Mir war weinen näher als alles andere, nicht weil wir keine Milch  mehr bekommen sollten, sondern weil wir ihm ohne unser Wissen ein Anstoß sein  sollten. Wir riefen ihn deshalb noch einmal zu uns und versuchten ihm klar zu  machen, daß die Nachbarin nicht unsere Mutter sei und wir ihn auch nie Hund  nennen würden, weil „Allah“ uns dies nicht erlaube. Ich fragte ihn, „Verstehst  Du Bay (Herr)?“ Er sah uns mir einem traurigen Blick an und weinte ohne zu  antworten. Es war eigentümlich, den großen starken Mann weinen zu sehen. Hetzt  glaubte er uns, und als ich ihn fragte „Bringst Du morgen Milch?“ sagte er  schluchzend „Daschtschih“ d.h. „Du bringst“ anstatt „ich bringe“.
 Für  uns in der Heimat mag die ganze Sache eine Lappalie sein, doch hier ist sie es  nicht. Betet auch mit für diesen Mann! Sein Neffe hatte sich den Fuß verstaucht  durch einen Fall. Arnika und kalte Umschläge halfen bald und am übernächsten  Tag saß er schon wieder auf dem markte. Durch solche Glegenheiten kommt man mit  dem Volk in Berührung; medizinische Kenntnisse öffnen den Weg dazu, um mit  einzelnen zu reden, während an Versammlungen und öffentliches Reden nicht zu  denken ist. Auch beim Einkaufen hatte mein Mann kürzlich Gelegenheit mit einem  jungen Sarten über den Herrn zu sprechen.
 Als  wir in der alten Stadt waren, hatten meine Schwester und ich das Vorrecht, die  Frauen des sartischen Gouverneurs zu besuchen. Ausländischer Besuch war ihnen  etwas Neues. Ihr Leben ist ja so monoton und traurig, gleichsam als säßen sie  im Kerker. Auf die Straße dürfen sie nur tief verschleiert gehen und die Männer  zollen ihnen wenig Achtung. Die Obengenannten waren sehr nett und freundlich  und bewirteten uns mit Tee, Obst und pfeffriger, doch guter Suppe. Die junge  Schwiegertochter des Gouverneurs ist 14 Jahre alt. Sie zeigte uns ihre reiche  Austattung, mit der sie für 30 Kamele und 500 Rubel an ihren 18 – jährigen Mann  verkauft worden ist. Das reine Warenhaus: Porzellan, Silber, Gold, wohl mehr  als 50 (meistens seidene) Steppdecken, seidene und samtene Kleider, darunter  ein goldgewirktes. Sie hatte eine kindliche Freude, ans alles zu zeigen.  Zuletzt kam der nach Tausenden zählende Schmuck aus kostbaren Steinen, und  inmitten dieses Reichtums ein unglückliches, junges Menschenkind, ungeliebt von  ihrem Mann, trotzdem sie so liebreizend ist. Sie putzten meine Schwester an mit  einem seidenen Kopftuch, darüber das Diadem, dann die Ohrgehänge, Halsketten,  Armbänder, Schultertäschchen und dergl. mehr, über alles einen weißen Schleier  und um die Schultern ein fein seidenes Tuch. So gehen sie zu besonderen Festen.  Meiner Schwester fehlte jedoch der gelbliche Teint, nebst schwarzen Haaren und  Augen für solche Sachen. Da mein Mann nicht mit in das Frauenhaus durfte, sie  aber wollten, daß auch er den Schmuck sehe, ging sie zu ihm, mußte dabei aben  an dem Männerhof vorbei und wurde bemerkt. Sofort erschien der jüngere Sohn im  Frauenhaus, um zu sehen, wer es gewagt hatte, so über den Hof der Männer zu  gehen. Als er jedoch meine Schwester sah, ging er lachen davon. Zu Hause  angekommen und im Begriff schlafen zu gehen, wurden wir durch Klopfen gestört.  Ein kleiner Knabe erschien, faßte uns bei der Hand und führte uns wieder zu  seiner Mutter. Die Frauen hatten erfahren, daß alle Männer ausgegangen waren  und das Männerhaus leer stand. Dort im Salon war ein Piano, auf dem wir ihnen  etwas vorspielen sollten. Daß die Haustüre verschlossen war, war für sie kein  Hindernis, sie kletterten durchs Fenster und wir mußten wohl oder übel mit. Wir  spielten und sangen ihnen einigen Lieder vor, z.B. „Bringt sie Heim“, „Der Sand  der Zeit verrinnet“ u.a. Schließlich mußten wir doch nach Hause, es war spät,  trotzdem es uns leid tat; denn sie freuten sich sehr über alles, setzten sich  auf Stühle ans Klavier und hörten andächtig zu. Schade, daß sie die Worte nicht  verstanden. Der Herr gebe, daß auch für diese armen Sartenfrauen bald eine  andere Zeit hereinbrechen möge. Meine Schwester möchte gerne die jungen  Sartenmädchen in allerlei Handarbeiten unterrichten, doch wir wissen noch nicht  recht, wie es der Herr führt. Wir hörten der Zugang sei sehr schwer.  Augenblicklich kann man vor Schmutz nirgends hin. In der Altstadt ist so viel  Schlamm und Schmutz, daß die Pferde an manchen Stellen kaum durchkommen. So  müssen wir geduldig warten. Gedenkt bitte auch dieser Sache fürbittend, damit  uns der Herr leiten möge, und wir nichts beginnen, was Er nicht gutheißt.
 Ein  Bruder bat uns, im Zirkularbrief etwas über Klima, Lebensverhältnisse,  Lebensmittel, Preise, Wohnungen u.s.w. zu schreiben. Letztere sind wie ich  schon schrieb, sehr teuer. Unsre Wohnung würde in der Stadt auf 50 – 60 Mark zu  stehem kommen. Dann darf man dort auch nicht zu Hause waschen, sondern muß  alles in die Waschanstalt geben, was natürlich auch wieder recht teuer ist. In  dem Hause, in dem wir jetzt wohnen, haben wir mehr Freiheit, brauchen auch das  Wassernicht extra zu bezahlen. Der Brunnen ist direkt vor unserer Küche. Daß  der Hof sehr schmutzig ist und ebenso die Straßen hierher, darf uns halt nichts  ausmachen. Holz kostet 16,4 kg. 55 – 60 Pfg., dabei ist es bleischwer; es wird  in der Wüste gefunden. Natürlich ist es kein solches Holz wie bei uns, sondern  eine besondere, werkwürdige Wurzel von sehr spröder Beschaffenheit. Mein Mann  hat das Holz mit großen Steinen zerschlagen. Eine recht mühsame Arbeit! Aber  immerhin geht das Zerkleinern so noch schneller als mit Axt und Säge. Kohlen  sind teuer und recht schlecht. Zum Kochen wird auch viel Petroleum verwandt, was  auch nicht billig ist. Kleider, Kleiderstoffe und Wäsche sind meistens noch  einmal so teuer als bei uns und dabei schlechter. Aller Schund vom Auslande  wird hier als „ausländische Ware und letzte Neuheit“ angepriesen und teuer an  den Mann gebracht.
 Als  Schwester Herhold hier war, gingen wir einmal zusammen einkaufen und haben uns  nur immer über die Preise gewundert. Lebensmittel sind auch teuer, außer  Fleisch und Obst. Das Brot ist manchmal fast ungenießbar, weil die Bäcker  angegangenes Mehl verbacken. Die Preise sind dafür wie bei uns oder noch höher.  Das Klima ist, wie ich schon erwähnte, fiebrig. Im Sommer steigt die Hitze bis  60 Grad R. und mehr. Regen gibt es vom Frühjahr bis Oktober gar nicht oder  höchst selten. Als wir hier ankamen, war die größte Hitze schon vorüber. Wir  vertrauten dem Herrn, daß Er uns fähig macht, das Klima zu ertragen. Betet  für uns! Man muß sich hier an vieles gewöhnen, was uns zu Hause als  „geradezu schrecklich“ vorkommt. Hier heißt es vielfach „Verleugne dich  selbst“; der ausgeprägte deutsche Ekel macht hier wenig Geschäfte. Trotzdem  sind die Sarten noch verhältnismäßig sauber. Die Kirgisen rechnen den Schmutz  mit „lebendigem Zubehör“ schon mehr zu den unentbehrlichen Dingen. Manches muß  man auch entbehren, wobei man erkennt, daß man doch noch recht viele  Bedürfnisse aus der Heimat mitgebracht hat und Phil. 4, 11 – 12 noch viel zu  wenig in der Praxis erfahren hat. Täglich aber dürfen wir Vers 13 und 18a  erfahren. Er ist treu! und hält versäumt uns in keiner Weise. Ihm  sei aller Ruhm und alle Ehre!
 Für  heute muß ich schließen. Seid alle recht herzlich gegrüßt von Eurer
 A.  V.     Herzliche  Grüße auch von meinem lieben Mann und meiner Schwester.3  Joh. 2, 15a.
 Eine Reise vor 30 Jahren ins Ferghanagebiet im Osten  Turkestans. Das  Ferghanagebiet ist ein ausgedehntes Gebirgstal von etwa 250 Werst Länge und 180  Werst Breite. Von drei Seiten von hohen Gebirgsketten eingeschlossen, deren  Gipfel und Kamm mit ewigem Schnee bedeckt sind und nur nach Westen offen, wird  es durchströmt von dem Hauptfluß des Turkestanischen Gebiets, dem Syrdarja, der  aber im oberen Laufe Narüm (Naryn, Нарын – E.K.) heißt. Hier lagen  vor der Einnahme durch die Russen zwei Chanate, Kokand und Narüm. Ersteres nahm  das ganze jetzige Ferghanagebiet mit den Städten Kokand, Osch, Andischon,  Mangelan (Margelan – E.K.), Namangan, der Festung Machram, Chodschent und  überhaupt das Flußgebiet des Syrdarja bis zum Aralsee ein. Letzteres die  Gebirgsgegend mit dem Narüm und um den See Issil – Tul (Issik – Kulj –  E.K.).Was die Chane betrifft, so war ihre Herrschaft eine rein despotische und  grausame, was sich besonders an der Art der Todesstrafen z.B. des Pfählens  zeigt.Die  Eroberung dieser Gegend begann in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts.  Taschkent wurde 1866 erobert, Samarkand (zu Buchara gehörig) 1873, Kokan 1875.  Letzteres durch General Skobelew II (II?? – E.K.). Wenn irgend wo von den  Sarten, so kann man von den Kokangen sagen, daß sie sich mit der Annexion durch  Rußland nicht ausgesöhnt haben, die Russen hassen und zu Empörungen geneigt  sind. Räuberbanden mit politischem Hintergrund waren deshalb nichts Seltenes.  Der Hauptsitz der Verwaltung wurde nach der Einnahme Margelan (wahrscheinlich  Neu - Margelan, heute Fergana – E.K.).
 Dieser  Gegend nun sollte im Herbst 1883 unsere Tätigkeit gelten. Da wir nunmit dem  Arbakasch auf der ersten Reise so schlechte Erfahrung gemacht hatten, entschloß  sich der Bruder diesmal nur mit Postfuhrwerk zu fahren.
 Da  die erste Strecke bis Chodschend schon durchkolportiert war, so durchfuhren wir  sie schnell ohne Aufenthalt, hielten uns auch in Chodschend nur wenig auf,  sondern wendeten uns nach Osten direkt auf Kokand zu. Wir passierten eine nicht  große Wüstenstrecke mit Hügeln schwarzen Flugsandes. Als wir auf die Station  Machram zufuhren hinter der Festung gleichen Namens, machte man uns aufmerksam,  daß wir diese Strecke von 24 Werst möglicherweise den ganzen Tag über fahren  würden. Hier war nämlich nach vorhergegangenen Regen infolge des  salpeterlehmigen Bodens knietiefer zäher Schmutz, so daß er sich unter die  Wagenachsen schob und das Vorwärtskommen fast unmöglich machte, zumal die  Pferde abgetrieben und ihr Geschirr schlecht war. Doch brauchten wir nur 6  Stunden, mußten aber einigemal den Wagen verlassen und halfen schieben um an  den schlechtesten Stellen vorwärts zu kommen. Wir waren jetzt dicht bei der  alten Festung Machram und hörten, daß dieselbe nun ganz unbewohnt sei und nur  20 Mann Kosaken Besatzung habe. Wir wollten doch die wunderbare Stadt ohne  Bewohner besehen. Es war ein eigentümlicher Anblick. Dicke massive Lehmmauern,  in den Straßen Mauer an Mauer, Haus an Haus und alles leer. Wir trafen ein paar  Kosaken, und sie zeigten uns das Haus, welches sie sich zum gemeinsamen Wohnort  eingerichtet hatten. Wir durften auch bei ihnen einige Exemplare der Heiligen  Schrift zurücklassen. Noch am selbigen Tage kamen wir abends nach Kokand.  Kokand hatte außer der Poststation nur eine kleine von Russen gebaute Kolonie.  Die ganze Verwaltung mit ihren Kanzleien hatte sich in dem umfangreichen, geräumigen  Palast des ehemaligen Chans einquartiert.
 Hier  fand man außer den Kanzleien auch die Privatwohnungen der Beamten und  Offiziere, den Offiziersklub, sogar einiges Militär war in den äußeren  Schloßgebäuden einquartiert, auch Briefpost und Telegraph. Auf dem großen  freien Platze dem Schlosse gegenüber, an dem sich auch das Stationsgebäude  befand, wurde ein Schaffot mit zwei Galgen errichtet, an welchem Tags darauf  zwei sartische Mörder gehenkt werden sollten. Wenn die öffentliche Hinrichtung  als abschreckendes Beispiel für die Bevölkerung dienen sollte, so war der Zweck  mindestens bei der sartischen Jugend nicht erreicht, denn eine ganze Anzahl  Sartenjungen machten das Schaffot und die Galgenleitern zu ihrem Spiel – und  Turnplatz, ohne daß sie jemand daran gehindert hätte. Welche Roheit dieser  Jungen und welche Gleichgültigkeit seitens der russischen Behörden!
 Am  andern Tage versuchten wir zuerst im Schloß zu kolportieren, aus einem Hof in  den andern; rund um Türen, rund um Schilder; Intendantur, Buchdruckerei, Schule  u.s.w. Dann wieder ein Hof mit lauter Privatwohnungen. Ich kann mich nicht  entsinnen, je eine bessere Hauskolportage gehabt zu haben, als in diesem  Chansschlosse.
 Als  nun die für die Hinrichtung bestimmte Zeit herannahte, begaben wir uns beide in  das alte Kokand, um unter der eingeborenen Bevölkerung zuarbeiten, das  Schauspiel der Hinrichtung zweier Sünder zuzusehen, andern überlassend.
 Dieses  alte Kokand bietet ein eigentümliches Bild. da sitzen in ihren Verkaufsbuden  alte, weißbärtige Männer, aber unter dem Barte eines jeden befindet sich ein  Kropf von 8 – 9 Zoll Durchmesser. Jünglingen in Teebuden oder sonst wo, wenn es  Bewohner der Stadt Kokand sind, fehlt auch ein faustgroßer Kropf nicht. Die  Ursache dieser eigenartigen Erscheinung, ist das dortige Trinkwasser in dem  Hauptkanal der Stadt.
 Auch  Kokand hat große Moscheen, die aber hinter denen Samarkands zurückstehen.  Unweit der einen Hauptmoschee stellte ich mich einige Mal  mit meiner Büchertasche auf, so daß die Ein-  und Ausgehenden an mir vorbei mußten, und bot ihnen Testamente an. Bald hatte  sich ein Menschenkreis um mich gebildet, und 4 – 5 Neue Testamente waren in den  Händen von Lesern. Viele gaben sie schweigend zurück und gingen ihres Weges,  manche tadelten, daß das Buch und die einzelnen Kapitel nicht mit den Worten:  „Bismillanrach manrachim“ begänne, d.h.: „Im Namen des allbarmherzigen Gottes“.  Darauf antwortete ich: „Die Worte, die du sagst, sind gut, aber, du kannst sie  ja auswendig. So sprich sie doch, sobald du ein Kapitel zu lesen beginnst“.  Manchen  genügte dies und sie kauften. So  verkaufte ich an diesem Platze 9 Neue Testamente. Auch in manch anderen  Beziehunggab der Herr Gnade auf mancherlei Einwürfe zu antworten und auch das  Blut Christi zu rühmen als alleiniges Sühnopfer für die Sünden der Menschen.
 Östlich  von Kokand in der Entfernung von 60 Werst befindet sich Margljan  (wahrscheinlich Neu - Margelan, heute Fergana – E.K.). Die russische Stadt hat  recht großartige Gebäude, nur soll der Bauplatz schlecht gewählt und oft von  Wasser überschwemmt werden, daher die Stadt auch ungesund ist.
 Hier  war auch viel Militär, und wir teilten uns in die Arbeit bei den einzelnen  Bataillonenund Truppenteilen. Mich traf u.a. das 20. Linienbataillon. Zunächst  suchte ich dessen Kommandeur, Oberst von Strahlmann, einen Deutschen auf, der  ebensowohl wie sein Bursche, ein Deutscher aus Lodz je eine Bibel von mir  kauften.
 Nun  bat ich um die Erlaubnis in seinem Bataillon kolportierten zu dürfen, worauf er  mich zum nächsten Tage in seine Kanzlei bestellte. Zur bestimmten Zeit fand ich  mich mit gefüllter Büchertasche ein und fand das ganze Offizierpersonal des  Bataillona anwesend. Den Adjutant des Oberst, ein junger Leutnant, der vorher  unter Oberst Zerpitzky gedient, und bei ihm Liebe zu Gottes Wort gelernt hatte,  wurde mir und der Sache des Herrn sehr nützlich. Er sagte: „Wir brauchen für  das Bataillon mindestens 10 große Testamente mit Psalmen und 10 Bibeln und zwar  von beiden je eines für die Offiziersbibliothek, für das Unterrichtskommando  und für jede halbe Rotte.“ Der Oberst bestätigte die Bestellung; am folgenden  Tage sollte ich die Bücher bringen. Aber auch jetzt schon wurde eine ziemliche  Anzahl Testamente und Bibeln genommen. So kaufte auch der Kasnatschej (Rendant)  des Bataillons eine russische Bibel. Außerdem wurde mir erlaubt das Bataillon  durchzugehen und an die Mannschaften zu verkaufen unter Garantie der Feldwebel,  mit deren Unterschrift sollte die Bataillonskasse mir das Geld verabfolgen. Das  war mehr, als man erwarten konnte.
 Auch  die Kolportage in diesem Bataillon, der Bergbatterie und anderen Truppenteilen  war recht gesegnet.
 In  Andischan war der „Woinsky Natschalnik“, Ortskommandant über das Militär ein  eigenartiger und zugleich jähzorniger Mann, der da glaubte uns sehr entgegenzukommen,  indem er eine kleine Anzahl Evangelien ohne Apostelgeschichte und Briefe für  die Soldaten kaufte, dann aber jegliche Kasernenkolüortage streng untersagte.  In Asch (Osch – E.K.) der östlichen Stadt konnten wir etwas mehr arbeiten. Hier  war Tags zuvor eine Erderschütterung gewesen, die sich ziemlich weit erstreckt  hatte, von uns in Andischan jedoch nicht bemerkt worden war.
 Von  bedeutenden Vorkommnissen auf dieser Reise ist nicht weiter zu berichten.  Gesund und ohne Unfall kehrten wir zu den Unsern nach Taschkent zurück.
 Wir  hatten auch diesmal das Walten Gottes recht oft zu spüren gehabt.
 F.  Bartsch |