Reisebericht von Gerhard Thiessen aus Asien in der Zeitung "Offene Türen" Nr. 9, März 1911, S. 2-3

 

Zugeschickt von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Offene Türen" Nr. 9, März 1911. (gotisch) von Viktor Petkau.

 

 

Meine Reise von Samara aus nach Turkestan dauerte im ganze 7 Wochen. An der Samara. Orenburger Eisenbahn besuchte ich einige Ansiedlungen. Dann fuhr ich nach Taschkent. Schon beim Einfahren des Zuges erblickte ich durchs Fenster trotz des Menschengewühlesmeinen lieben Bruder und ehemaligen Mitschüler in der Bibelschule Cornelius Kliewer. Er sah wohl anders aus, als damals, da wir am Bahnhof „Zoologischer Garten“ in Berlin Abschied von einander nahmen. Welch`eine Freude ist doch ein Wiedersehn nach so langer Zeit! Von Taschkent aus fuhr ich auf einem Fuhrwerk zu der 300 Werst (über 300 km) weit entfernten deutschen Ansiedlung.
Wiederholt sind die Schönheiten Mittelasiens von den Brüdern geschildert worden. Die in neuester Zeit stattgefundenen furchtbaren Erdbeben haben wieder gezeigt, welch eine ernste Sprache Gott, der Allmächtige, durch solche Ereignisse redet.
Bei Geschwister Thielmann durfte ich eine Woche weilen und dort mit dem Worte dienen. Der blinde Bruder Achmet, der Sarte, ein ehemaliger Mohammedaner, nahm an allen Versammlungen teil. Von Aulie – ata ging es zur neuen Ansiedlung am Tschu – Fluß. Wir ritten 5 Tage lang durch die Wüste. Wie armselig und hülfsbedürftig sind doch die Bewohner der Wüste. Welch eine große Missionsaufgabe haben wir noch in Mittelasien!
Gebe Gott, daß die jetzigen Einschränkungen der Glaubensfreiheit bald aufhören.
Nicht nur im europäischen Rußland, sondern auch in Zentral – Asien ist man gegen jede freie Regung sehr mißtraurisch. Ich wurde von einem Beamten gefragt, ob ich „Missionar“ oder „Kommissionar“ sei. Ich sagte, ich reiste als Evangelist. So verlangte er außer dem Reisepaß keine andere Ligitimation.
Wie schade, daß man den dortigen Geschwistern den Bau eines Krankenhauses verboten hat. Nun, wir wollen stille auf den Herrn warten. Er kann den ganzen Lage schnell eine andere Wendung geben.
In der Tschu – Ansiedlung blieb ich nur drei Tage. Die Rückreise brachte uns einen halben Tag früher ans Ziel. Es ist doch ermunternd, eine Strecke von 280 Werst in 4 ½ Tagen zurückzulegen. In der Mutterkolonie blieb ich auch noch einige Tage, und dann trat ich in Begleitung von Bruder Epp, der nach dem Süden Rußlands wollte, die Heimreise an. In Taschkent besuchten wir Bruder Kliewer. Er ist dort ein kleiner Kreis von russischen Kindern Gottes. Ich hatte hier Gelegenheit, das Wort Gottes in russischer Sprache zu verkündigen.
Nachdem ich zu Hause angelangt war, legte mich Gott aufs Krankenbett. Es hatte sich ein Magen- und Leberleiden eingestellt, das mich 3 Wochen ans Bett fesselte. Aber der Herr gab viel Gnade. Wir wurden um diese Zeit auch durch die Geburt eines Töchterchens erfreut. Da mein Schwager nach Deutschland reiste, mußte ich sofort wieder tüchtig an die Arbeit und mich selbst um alle Wirtschaftsverhältnisse kümmern, wie es die tägliche Aufgabe eines Landwirtes erfordert. Wir freuen uns auf den Besuch von Geschwister Vollrath aus Samara. Möchte doch auch bald jemand aus Deutschland zu uns kommen. Die an meinem Hause vorüberführende Eisenbahnlinie macht jetzt einen Besuch sehr bequem. Früher mußten wir unsere Gäste 100 Werst per Achse fahren, jetzt ist der Bahnhof nur 7 Werst entfernt. Der Herr schenke uns bald einen solchen Besuch.
Ich schließe mit Thessal. 3, 5: „Der Herr aber richte eure Herzen zu der Liebe Gottes und dem Ausharren des Christus!“

Gerhard Thiessen.
   
Zuletzt geändert am 25 Mai, 2019