Aus  mennonitischen Kreisen. 
Ein  dunkles Kapitel in der Geschichte unseres Volkes*) 
Schon  geraume Zeit hat mich der Gedanke bewegt, wieder einmal etwas über das Befinden  unsers Gemeindleins, das, entfernt von allen großen Verkehrsstraßen der Welt, im  verschlossenen Chiwa, am Rande der Wüste, nun schon bald 20 Jahre sein  eigenartiges Leben hat fristen dürfen, zur allgemeinen Kenntnis zu bringen. Die  Befürchtung, daß ich der Aufgabe eines der Sachlage und der Wahrheit auch ganz  entsprechenden Berichts kaum möchte gewachsen sein, hielt mich bisher davon ab,  da ich aber früher schon einige Male und auch jüngst wieder dazu aufgefordert  bin, so will ich diesen Wünschen entsprechen, und bitte die Leser um liebevolle  Nachricht und brüderliche Zurechtstellung des von mir unrichtig oder zu  einseitig Aufgefaßten. 
        Ich  will zu der Schlußbemerkung des sel. Aeltesten U. hege von „die Münsterschen  Wiedertäufer und die Altevang. Taufgesinnten“ noch etwas bemerken: Die Aufgabe,  welche die alte Gemeinde Christi zum Aufbau des Reiches Gottes auf Erden zu  lösen hat, ist noch nicht erfüllt. Wenn nun auch unter äußerlich unscheinbares  Häuflein auch auf uns ganz nahestehende Herzen den Eindruck gemacht hat, als  hätte es eine diesen Worten ganz entgegengesetzte Arbeit getrieben, so kam das  nur daher, daß wir selbst, und vielleicht andere einen Umstand in unserer  Sachlage nicht im rechten Lichte zu erkennen vermochten, um ganz klar zun  sehen. Doch davon später. Daß wir speziell hier und dann auch der andere  Auszugszweig in Aulie – Ata eine Aufgabe gehabt und noch haben am Aufbau des  Reiches Gottes, will mir immer klarer werden. Gott sei Alles  in Allem.  
        Um  der Sache mehr Klarheit zu geben, werfe ich einen kleinen Rückblick auf die  Entstehung unserer Bewegung nach Asien. Es war im Jahre 1875 als bekannte  Prediger B. Harder aus der Molotschna Sr. Excellenz von Totleben, der vom  Kaiser wegen veränderter Stellung der Mennoniten im russischen Reich und der  dadurch verursachten Bewegung nach Amerika dorthin gesandt war, unter anderem ungefähr  so sagte: „Es werden aber immer solche sein, die den Dienst, mag er ausfallen,  wie er will, nicht übernehmen werden, und wenn sie Hab und Gut und Leben  verlieren sollten, nicht aus diesem oder jenem Grunde, sondern allein um des  Herrn willen.“ Und sich auf das Wort der Weissagung stützend hinzufügte, daß  Rußland diesen hoffentlich ein Asyl gewähren würde. Darauf habe Totleben auf  Taschkent gedeutet, doch aber auch diesen Gedanken der dortigen Zustände wegen  gleich wieder zurückgenommen: daran könne für jetzt noch nicht gedacht werden.  Dasselbe betreffend, äußerte er sich einige Zeit später einer Deputation in  Petersburg gegenüber: „Wer weiß, was nicht in einigen Jahren alles geschehen  kann.“ 
        In  diesem oben angedeuteten Sinn hatten sich an der Molotschna seit jener  Zeit  (1875) eine kleine Gemeinde aus 40  – 50 Familien bestehend, aus den verschiedenen anderen Gemeinden gesammelt.  Diese hatten ihren Blick nach dem Kaukasus gerichtet. Gleiche Gedanken haben  auch unsern lieben Ohm Johann Toews (bereits heimgegangener Aeltester bei  Saratow an der Wolga) veranlaßt, folgende Mahnung schriftlich unserm Lehrdienst  einzureichen: „Teure Brüder! Auf daß Ihr des Gewissens verschonet. 1. Kor.10,  28. Wir haben mit Gottes Hilfe eine Beständigung versucht mit unsern Glaubensbrüdern  an der Molotschan, auch bei uns, ob eine Krankenpflege unter Militärkranken  jeder Art in Kraft der Samariterliebe, ohne Beihilfe des Wehrgesetzes oder  irgend einer gesetzlichen Kraft, in Schranken unseres Bekenntnisses zustande zu  bringen sei. Wir haben aber gefunden, daß unsere Gemeinde diese Kraft, die  freiwillige Samariterliebe, in sich nicht hat. Soll nun die Triebfeder zu  diesem Dienst das Wehrgesetz oder sonst eine gesetzliche Kraft sein, so sind  unsere Gemeinden wehrpflichtig oder werden es in kurzer Zeit. Da nun noch unter  denen, die im Wehrgesetz diesen, eine Grenze ziehen, ist erstens nicht  gerechtfertigt, weil vom kleinsten Dienst im Wehrgesetz bis zum höchsten alles  zusammen eine Organisation ist, und dann ist auch der Weg offen in den vollen  Waffendienst, was wir bei dem Erkalten der ersten Liebe in den Gemeinden nicht  wehren können. Davon haben wir ein Beispiel in Preußen. Darum meine Bitte an  alle lieben Brüder in allen Gemeinden: Wenn eine Deputation nach St. Petersburg  geschickt wird, ob sie bei Sr. Majestät die Gnade erlange, alljährlich ein  gemeinsames Schutzgeld zu zahlen. Wir verpflichten uns gerne, Dienste zu  leisten wie im Krimkriege; auch wollen wir bei Kriegszeiten gerne Liebesgaben  für die verwundeten Krieger sammeln. Ein bedeutender Teil bei der Molotschna  und auch hier kann nicht weiter gehen. Das soll aber auch bis aufs Aeßerste  durchgeführt werden, um denen keine Gewissensschmerzen zu machen, die nicht  weiter gehen können, und Sr. Majestät wird der Herr das Herz lenken, und wird  die Bitte gnädig annehmen. Kommen nun die Deputierten nicht durch, so werden  sie um ein Asyl bitten, wo sie im wehrlosen Bekenntnisse ihres Glaubens leben  können in Sr. Majestät großem Reiche. Die dann weiter gehen können, haben dabei  nichts verloren. So wahren wir brüderlich eines jeden Gewissen und bleiben  zusammen in der Liebe. 
        Gez. Johann Toews.“ 
        Das  war im Jahre 1874. Doch beruhigte sich unsere Gemeinde an der Wolga soweit, daß  es fast schien, als würden wir uns in das neue Stadium, in das unser Bekenntnis  gekommen, wenn auch nur vorläufig, fügen können, wie aus dem Nachwort meines  heimgegangenen teuern Lehrers M. Klaaßen, das ich jedenfalls noch in einigen  von ihm herausgegebenen Kirchengeschichten finde, zu sehen ist. So waren wir  wohl schon in die zweite Hälfte des Jahres 1878 gekommen, als der Herr durch  den alten Br. Korn. Eall, der jetzt bei Aulie – Ata ist, die Gemeinde aufs neue  zu ernstlichen Fragen nach Gottes Willen anregte. 
        Auf  die Ueberzeugung hin, daß er seine Söhne nicht in den Dienst geben dürfte,  fühlte er sich gedrungen, nach der Molotschna zu fahren, um zu sehen, wie man  da zu dieser Sache stehe. Ihn begleitete der vorhin erwähnte Lehrer M. Klaaßen.  Da fanden sie auch bald die neugesammelte Gemeinde des Aeltesten Abraham Peters,  konnten da aber nicht recht vertraut werden, weil man bei uns im Kaukasus einen  Zufluchtsort nicht finden zu dürfen glaubte, und auf der andern Seite wohl auch  noch andere Vorurteile obwalteten. Der Mensch denkt und Gott lenkt. Die Brüder  dort besannen sich. Ohm Peters mit Bruder mantler (ebenfalls Prediger) folgten  den Unsern fast auf dem Fuß, gaben auch bei uns in den verschiedenen  Abendstunden durch zwei schlichte aber kräftige Klarlegungen unsers  Bekenntisses der Sache einen kräftigen Schub. Bald wurde in aller Einmütigkeit  bis allerhöchsten Orts hinauf gewirkt. So trafen unsere Deputierten  gelegentlich auch den General – Gouverneur Kaufmann von Taschkent. Der lud sehr  ein zur Uebersiedlung unter Verheißung völliger Freiheit, so lange er lebe. Es wurden  zwei Deputierte hingeschickt, und unser Auszug nach Taschkent in Mittelasien  stand fest. 
        Unterdessen  trat aber etwas ein, was dem ganzen Wesen der klaren und einfachen Auszugssache  ein völlig neues Gepräge gab. Dem nun Folgenden möchte ich 2. Cor. 11, 13 – 15  zu Grunde legen. Schon einige Zeit hat Klaas Epp bei uns mit großem Eifer und  Aufopferung vielen Geldes in der sogenannten Reichssache gewirkt. Wer kennt  nicht das größtenteils von ihm verfaßte Buch: „Die entsiegelte Weissagung“?  Hatte er anfänglich auch mehrfach entschieden ausgesprochen, daß wir zu bleiben  hätten, so wußte er nun doch die nicht mehr aufzuhaltende Bewegung unter seinen  Einfluß und in das Geleise seiner Ideen zu bringen. Durch sein entschiedenes  Auftreten war er bald Herr der Lage. Nicht durch ruhiges Weichen suchten wir  den Anforderungen des Zeitgeistes zu entgehen, sondern durch andersdenkende  tiefverletzende Handlungen und durch lieblose, aburteilende Aussprüche –  vielfach der heil. Schrift entnommen - wurde der Sache sehr geschadet, viele  gute Keime erstickt, ohne Ursache Wunden geschlagen, von denen heute noch nicht  alle geheilt sind. Ohne den wichtigen Schritt durch allseitiges Prüfen zur  Reise kommen zu lassen, wurde eine Auszugsgemeinde zusammengebracht. Die nun  nicht zurückbleiben und mit den alten Gemeinden den Bund mit den Reichen dieser  Welt eingehen wollten, mußten sich wohl oder über ihr anschließen. Eine  Familie, die es nicht vermochte, hatte unterwegs schweren Stand. Nun ging es an  ein Abräumen althergebrachter Sitten und Gebräuche (im Gegensatz zu der  Geschichte der Rechabiten in Jer. 35, die uns der alte Ohm Peters mehrmals als  Aufmunterung vorgehalten) und sogar direkter Befehle des Herrn, daß viele und  auch ich manchmal stutzig geworden. Aber es fanden sich wieder andere  Schriftworte und das ernste, alle Zweifel niederzwingende Auftreten Klaas Epps  und der alten Brüder, die er so ganz unter seinen Zauber brachte, welches dann  wieder ängstliche Gemüter beruhigte. Heute nach über zwanzig Jahren sind es  noch wohl acht oder neun Familien, die er über das Wort Christi und seiner  Apostel hinausgeführt, mit seinen persönlichen Offenbarungen und Verheißungen  zufriedenstellt. Doch ich gehe zurück zu unserm sog. „Trakt“. Einen Aeltesten  hatten wir in der Folge nicht mehr nötig, war doch die Zeit gekommen, daß sich  der Herr seiner Herde selbst annehmen wollte Hes. 34. Selbst die Prediger  wurden durch solche und ähnliche Worte aus ihrer Stellung herausgedrängt. Ein  später hinzutretender, sogar seines Predigtamts entsetzt, weil zur Apostelzeit  die Priester aus dem Judentum doch auch nicht als Prediger ins Christentum  überraten (Also religiöse Anarchie! Ed.) Die Mission war auch überflüssig, weil  dadurch ja nur „zwiefache Kinder der Hölle“ gemacht wurden, Matth. 23, 15. Das  sich unter Glaubensgeschwistern von selbst machende „Du“ wurde in einer Weise  eingeführt, daß viel Gotteskindern nicht ziemende Rohheit, mit einzog, zumal  auch zweifelhaftes Element mit eingedrungen war. Es fielen Schranken, die  jedenfalls bis ins Himmelreich reichen werden. Doch da hieß es denn: Her. 31,  21 „Richte dir auf Grabzeichen, setze dir Trauermale“ dem Alten nämlich. Auch  Christi Person blieb schon vor unserm Aufbruch nicht ohne Anfechtung, war es  auch nur noch vorübergehend, so zeigte sie doch im ersten Zuge schon böse  Früchte. Das direkte Anbeten des Heilandes sollte nämlich nicht stattfinden  sein. Die Folgen der weggeschobenen Ordnungen zeigten sich denn besonders  verderblich in unserm letzten und größten Zuge. Als sich mehrere Brüder  gedrängt fühlten, Epp darüber Vorstellungen zu machen, ob wir nicht irgendwie –  besonders in der Art und Weise des Fahrens selbst – möchten Ordnung schaffen,  hieß es, daß der Herr die „freie Liebe“ haben wolle; was im Menschen sei, müsse  alles offenbar werden. Dabei fuhr er fort, uns reichlich mit neuen  Offenbarungen zu ködern, die schon gleich anfangs ein Bruder ganz richtig mit  5. Mose 18, 22 gemessen hatte. In der Stadt Taschkent, wo wir über Winter  lagen, rüttelte er zum ersten Mal ander Weihe des Weihnachtsfestes, indem den  Kindern bei der Feier des Christabends keine Geschenke gegeben werden sollte.  Hier war es auch, wo unser Häuflein durch innere und äußere Reibereien soweit  kam, daß ein Theil gerne der Einladung, der von Taschkent und Aulie – Ata zur  Ansiedlung aufbrechenden Geschwistern folgte. Dort war es unterdessen auch Dank  den vielen und umfangreichen Briefen Klaas Epps zur innern Trennung gekommen. 
        (Fortsetzung  folgt.) 
*) Die Ueberschrift zu diesem Artikel stammt nicht vom Schreiber des  Artikels, sondern vom Editor dieses Blattes. |