Oklahoma.
Medford, 30. September 1900.
Werter Editor! In der „Rundschau“ Nr. 38 vom 19. September lese ich eine Anfrage nach einer Schilderung der Auswanderung nach Centralasien.
Ich weiß nicht, ob ich das bieten kann, was gewünscht wird, einige Zeilen zu schreiben. Kommt ein besserer Aufsatz, mag meiner auch in den Papierkorb wandern.
Zur Frage 1: Warum wanderten unsere Brüder dorthin? Einzig und allein wegen des Wehrgesetzes, da es drauf ankam, daß die bewilligten sechs Freijahre um waren, mußten wir uns zu etwas entschließen, und da wir sahen, daß wir mit der Annahme des Forstdienstes ganz die Stellung aufgaben, die unsere Gemeinschaft bisher gehabt, die „geduldete“ Stellung dadurch verloren ging und uns durch General – Gouverneur Kaufmann volle Zuversicht auch für unsere Jünglinge von 15 – 20 Jahren gegeben war: so wurde es als ein Fingerzeig angesehen und die Reise dorthin unternommen. Ich muß hier noch einer Ansicht entgegentreten, die hier in Amerika vielfach verbreitet ist, als ob wir nur deshalb dorthingegangen, weil wir glaubten, dort würde der Herr Jesus vom Himmel herniederkommen und wir dürften nur sitzen und auf ihn warten und nicht mehr arbeiten. Daß ein solcher Glaube unter uns war, zeigte sich später; doch mußten die wenigsten von denen im ersten Zuge davon, worunter auch ich einer war. Daß wir unsern Unterhalt mit unserer Hände Arbeit erwerben wollten, zeigt wohl der Umstand, daß fast jede Familie einen Pflug mitnahm.
Frage 2: Wer ging dorthin? Die Namen lassen sich nicht gut nennen. Von unserer Ansiedlung bei Saratow verließ am 3. Juli a. St. 1880 der erste Zug mit zehn Familien die Ansiedlung und kam nach Taschkent am 17. Oktober desselben Jahres. Der zweite Zug mit dreizehn Familien fuhr am 13. August 1880 ab und kam am 24. November zu uns nach Taschkent. Am 2. Dezember kam der Zug von der Molotschan unter Leitung von Abr. Peters mit 56 Familien in Taschkent an. Wir vereinigten uns dort zu einer Gemeinde, was aber bald zur Trennung führte wegen der Taufe. Später gingen wir nach Buchara, da wir Jünglinge unter uns hatten, die in der Losung standen und deshalb das Gesetz sie immer forderte. Im März war der Kaiser ermordert und General – Gouverneur Kaufmann krank geworden, und jetzt galten keine früheren Versprechungen, sondern einfach das Gesetz. Die Molotschnaer blieben in Taschkent und konnten es auch, da kein Gesetz ihre Jünglinge forderte. Im Jahre 1881 kam noch ein Zug vom Kuban nach Taschkent und am 11. September 1881 verließ der letzte Zug unsere Ansiedlung an der Wolga von ungefähr 25 – 27 Familien, kam aber nur bis Turkestan. In der Zeit nahmen die in Taschkent Zurückgebliebenen die von der Regierung angebotenen Freijahre an und siedelten sich bei Aulieata an, denen sich auch einige Familien aus dem letzten Zuge aus Turkestan anschlossen; die andern kamen zu uns an der bucharischen Grenze.
Da wir weder auf russischer noch auf bucharischer Seite sein konnten, so wurden wir von den russischen Beamten nach Chiwa um Aufnahme angewiesen, und Chiwa, durch Rußlands Einfluß, nahm uns auf, wies uns aber eine Stelle an, wo wir den Räubereien des Volkes ausgesetzt waren. Doch war es unsere Schuld, die Regierung wußte nicht darum, und die meisten unter uns hielten es für Unrecht, es anzuzeigen. Sobald die Regierung Kunde davon erhielt, brachte sie uns auf einen andern Platz, wo auch noch heute einige 30 Familien wohnen. Leider ging`s wieder durch Trennung, indem ein Teil gleich vom ersten Platze nach Amerika ging.
Frage 2: Wovon leben sie dort? Die Ansiedlung bei Aulie – Ata beschäftigt sich wohl mehr mit Ackerbau, und es mußihnen recht gut gehen, da, wie Abraham Koop schreibt, doch mehrere eine Reise nach der Molotschna gemacht haben, welches von etwas Wohlstand zeigt. Die in Chiwa leben jetzt von Handwerk in verschiedener Weise, und es muß auch ihnen so leidlich gut gehen, da sie sich diesen Sommer eine neue Kirche gebaut haben, die ihnen 600 Rbl. kostet. Wie die Verhältnisse dort sind, läßt sich dem schwer begreiflich machen, der Bewässerungsland nicht kennt. Könnte ja auch nur von den Verhältnissen in Chiwa berichten, da ich die Ansiedlung bei Aulie – Ata nicht kenne, und dann würde es doch nur einseitig werden.
Wie es ihnen jetzt geht, habe ich schon gesagt. Es ist durch allerlei Erfahrungen gegangen, die mir seit meines Lebens groß und wichtig bleiben werden. Unsere erste Reisegesellschaft war ein Herz und eine Seele, woran ich oft noch mit Freudenthränen zurückdenke. Doch kam`s später anders. Daß auch wir noch nach Amerika mußten, hat auch seinen Zweck; wie erfüllten wir denselben? Sind wir auch so treu im Zeugen für Jesum, als wir es bei unserm Auszug waren? Auch hier mußte von dem Kommen des Herrn Jesu gezeugt werden, und, ach, wie viele haben hier ihren Glauben verleugnet! Der Herr wolle uns die Augen öffnen.
Ein Leser.
Medford,
30. September 1900.
In Nr. 38 der „Rundschau“ lese ich einen Gruß von Abr. Koop in Nikolaipol, Aulie – Ata. Ich weiß nicht, ob du dich meiner so gut erinnerst, als ich mich deiner erinnere. Ich nehme den Gruß an, als gälte er auch mir. Wir sind hier nur drei Asiaten: nämlich ich, Heinrich Graewe und Tobias Schmidt. Gerne möchte ich von den dortogen Wolgaern etwas erfahren. Vielleicht könntest du dort jemand zum Schreiben bewegen; ich werde jedem antworten. Bitte, sei so gut und grüße alle von mir, die mich kennen. Was macht Johann Klaassen (Steinfeld)? Ich möchte auch gerne etwas von ihm hören. Brieflich mehr.
Jonas Quiring. |