Bericht aus Asien in der Zeitung "Offene Türen" Nr. 9, September 1913, S. 10-12

 

Zugeschickt von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Offene Türen" Nr. 9, September 1913. (gotisch) von Viktor Petkau.

 

 

Asien.

Wieder in Turkestan.

Einen herzlichenn Gruß des Friedens zuvor!

Wir, meine liebe Frau und ic sind nun glücklich in Turkestan angekommen und den ersten Brief, den ich schreibe, bekommen Sie. Der Herr hat uns glücklich bewahrt auf dem langen Wege und alle Hindernisse aus dem Wege geräumt, sodaß wir nur mir Lob und Dank auf die verflossene Zeit zurückblicken können.
Unsere Hochzeit feierten wir am 3. März (alt. St.) in Sofiewka im Hause unserer teuren Geschwsiter  Wölk. Wir wurden alle reich gesegnet und dachten auch Ihrer und aller Geschwister in der Bibelschule oft.
Wir beabsichtigen, der Einladung Bruder Thiessens und anderer Geschwister Folge zu lesten und bei unserer Durchreise die Alt – Samarische Ansiedlung zu besuchen. Als wir aber in Samara ankamen, war die Wolga, auf der wir hätten weiterfahren müssen, ganz voll Treibeis und somit jedes Fahren unmöglich. So hielten wir uns nur einen Tag in der Stadt Samara auf und fuhren weiter bis zur Station Sorotschinskaja. Hier wohnt die alte Mutter von Schwester Wölk mit ihrem verheirateten Sohne, ebenso auch noch einige deutsche Familien. Wir hatten auch hier Gemeinschaft im Herrn Jesu untereinander und einige gesegnete Versammlungen. Die Geschwister waren ungemein froh, daß wir sie besuchten, und wir durften bemerken, daß ihr Herz dabei war. Wir blieben, da unser Billet uns diesen Aufenthalt erlaubte, 3 Tage dort und denken jetzt noch gern an die schönen Tage.
Am 2. April (a. St.) begaben wir uns wieder auf die Reise nach Zentral – Asien. War es hier oben im Norden noch ziemlich kalt und noch Schnee, so änderte sich das Naturbild ganz und gar im Verlaufe von einigen Tagen. Man fährt nämlich von Orenburg 2 ½ Tage fast ganz nach Süden. Der Herr half uns in allem wunderbar, und wir durften auf Schritt und Tritt Seine Freundlichkeit schmecken und erfahren. Am 4. März (a. St.) kamen wir wohlbehalten in T. an, begrüßt von den Geschwistern V. und von einem Bruder von unserer Ansiedlung, der auch gerade dort weilte.
Es war mir wunderlich zu Mute. Also wirklich wieder in T!. Endlich war der ersehnte Augenblick da, und mein Herz jubelte und pries den Herrn, der bis dahin den Weg so mächtig gebahnt hatte. Sollte er denselben nicht auch noch weiter öffnen können? Ja, gewiß, Er kann es und wird es auch tun.
Geschwister V. nahmen uns freundlich in ihr Haus auf. Wir hatten oben ein kleines Stübchen für uns, und so lebten wir, meine liebe Frau und ich, da oben und warteten der Dinge, die da kommen sollten. Jetzt mußten nämlich die Pässe in Ordnung gebracht werden. Wir gingen zur Polizei, um die Anmeldung zu machen. Die vielen Formalitäten, bis endlich alles geordnet war, nahmen nicht weniger als einen Monat in Anspruch. Endlich war alles geordnet.
Unsere Geschwister wohnen in einer der Vorstädte von Taschkent in einem schönen Garten. Als wir ankamen standen grade die Obstbäume in voller Blüte, und ich hatte den Gedanken, daß es doch paradisisch sei, in solchem Garten zu wohnen. Zwar sind die Verhältnisse dort nicht paradisisch, sondern für die Arbeit ziemlich schwierig. Es sind dort russische Geschwister, denen man dienen kann, auch kann und könnte man den Sarten nahe treten, wenn man sich ihnen genügend anpassen würde, d.h. sie besuchen in ihren Teehäusern, mit ihnen Tee trinken und sich dabei mit ihnen erzählen würde. Wir glauben, daß unter den Sarten viel hungrige Seelen sind, nur ist es so schwer unter solchen Verhältnissen, an ihnen zu arbeiten.
Doch, wenn Gott die Tür öffnet, dann ist und bleibt sie geöffnet. Die Hauptsache ist das Erlernen der Sprache.
Zuletzt konnten wir den letzten Teil unserer Reise beginnen, 350 Werst per Achse. Es war sehr heiß, als wir uns auf die Reise begaben. Es traf sich so, daß ein Bruder von der Ansiedlung da war. Er hatte zwei Pferde übrig. Ein Wagen war auch noch da, der zur Ansiedelung gebracht werden sollte. Einen Fuhrmann hatten wir nicht, so fuhren wir, meine liebe Frau und ich, selbst. Unsere Sachen luden wir auf den Wagen, vorn blieb noch Platz für uns, und so fuhren wir Sonnabend, den 4. Mai (a. St.) ab, uns dem Herrn anvertrauend. Ich hätte nie gedacht, daß der Weg so beschwerlich wäre, wie er in Wirklichkeit ist. Immer über Berge und durch Täler, durch Gräben und Flüsse, über zerfallene Brücken, hinauf und hinab, tagaus, tagein. Das merkt man erst recht, wenn man selbst fahren muß.
Gleich am ersten Tage gerieten wir in einen tiefen Sumpf, der den ganzen Weg ausfüllte. Ein Wagen blieb stecken und sank auf einer Seite immer tiefer, sodaß wir ihn rasch auf einer Seite des Sumpfes an einen Baum binden mußten, damit er nicht umfiel. Es war schon Abend, und wir waren froh und dankbar, daß uns der Mond so freundlich sein sanftes Licht zuteil werden ließ. Wir mußten die Ladung, die aus schweren Kisten bestand, zum Teil abladen, während meine Frau auf die Pferde aufpassen mußte. Zuletzt gelang es unsern vereinten Anstrengungen, den Wagen mit der Hilfe des Herrn wieder flott zu machen. Wir erhoben unsre Herzen noch vereint zum Dank gegen Gott und erreichten glücklich die nächste Karawanserei. Wir übernachteten gewöhnlich auf dem Hofe der Karawansereien, weil inwendig zu viel Ungeziefer ist. Für meine Frau war das ziemlich ungewohnt, doch konnte sie sich in alles finden und alles in allem können wir sagen, daß die Reise sehr gut gegangen hat. Wir fuhren abwechselnd, einmal meine Frau und dann wieder ich. Die ersten Tage war es furchtbar warm, später, als wir höher kamen, wurde es empfindlich kalt, sodaß wir noch in den Pelzen froren, infolgedessen erkälteten wir uns sehr, daß wir jetzt kaum die Folgen überstanden haben.
Es gäbe noch manches Interessante und Abenteuerliche von der Reise zu berichten, doch davon vielleicht später.
Am 10. Mai (a. St.) kamen wir glücklich an. Einige Geschwister waren uns mit dem Federwagen eine ganze Tagetreise entgegen gekommen, was eine große Erleichterung für uns war. Wir wohnen vorläufig bei einem Bruder, bei welchem ich auch früher wohnte, doch werden wir in nächster Zeit umziehen.
Wir haben hier schon recht viel mit der Behandlung kranker Kirgisen zu tun und es kommt vor, daß sie unser Haus gänzlich umlagern. Die homöopathische Methode eignet sich ganz außerordentlich zur Behandlung solcher Völker.
Es ist erstaunlich, wie schnell es ruchbar geworden, daß ein neuer „tschong Doctor“, ein neuer großer Doktor angekommen sei. Die Leute, Männer, Frauen und Kinder kommen manchmal sehr weit, um Hilfe zu finden für ihre in der Tat oft schrecklichen Krankheiten.
Vor einigen Tagen waren drei, wie es schien, der besseren Klasse angehörigen, Kirgisen hier, sie waren etwa 100 km gekommen, um sich zu erkundigen, ob wir auch einem ihrer Angehörigen helfen könnten, der einen komplizierten Beinbruch hatte und sich schon lange damit herumquälte. Viele, fast die meisten von den Kranken, sind mit der schrecklichen Krankheit, Syphilis behaftet. Wir könnten viel berichten von den einzelnen Fällen, die wir behandeln durften, doch davon später einmal.
Wir empfehlen uns von neuem dringend der Fürbitte der Kinder Gottes, angesichts der schrecklichen Not unter diesen armen, armen Volke. Ich glaube, wir werden noch Großes erleben.

R. B. & Frau.

   
Zuletzt geändert am 3 Dezember, 2018