| Unter  den Kirgisen in Zentral – Asien.   Durch  mancherlei Umstände wurde ich bisher verhindert zu schreiben. Es bringt ja  schon viel Arbeit mit sich, wenn man, wie wir, noch seinen eigenen Haushalt  einzurichten hat. In Deutschland geht das verhältnismäßig ja noch leicht, wenn  man die nötigen Mittel hat, kann man sich das Nötigste anschaffen. Ganz anders  aber ist es in Herzen Asiens. Da hat man keine Möbel – Magazine und dergl.,  sondern „selbst ist der Mann“, und was man sich nicht macht, das hat man nicht.  Zudem kamen wir auch gleich in die volle Arbeit hinein; denn kaum waren wir  hier, so war es auch schon unter den Kirgisen ruchbar, daß ein „Tschang  Dacktor“ angekommen sei, der noch die hervoragende Eigenschaft habe, daß er die  Medizin umsonst gebe. Da brauchten wir uns denn unsere Patienten nicht zu  suchen. Tag für Tag kamen sie einfach in Scharen und belagerten unser Haus.Es  ist ja eine große Gnade vom Herrn, daß ich bei meinem letzten Aufenthalte in  England einen Kursus in der Homöopathie besuchen durfte. Diese medizinischen  Kenntnisse sind hier in diesem Lande, wo die Ärtzte oft ganz unerreichbar sind  wegen der zu großen Entfernung, außerordentlich viel wert, und man kann gerade  dadurch ein Segen sein für diese armen, leidenden, tief heruntergekommenen  Menschen, mit denen wir es hier zu tun haben, und zwar nicht nur dem Leibe,  sondern noch viel mehr der Seele nach. Gerade durch die Behandlung der Kranken  gewinnt man oft einen Zugang zu den sonst so verschlossenen Herzen der  Mohammedaner.
 Aber  die Gesunden? Wie kommt man an sie hinan? Gibt es denn überhaupt gesunde  Menschen unter ihnen? Wir haben während der Zeit, wo wir uns mit ihren  Ktankheiten eingehend beschäftigten, eine furchtbare Entdeckung gemacht,  nämlich; daß das ganze Kirgisenvolk, die ganze Nation, von einer furchtbaren, entsetzlichen  Krankheit heimgesucht und total davon vergiftet ist, und das ist die Syphilis.  Man merkt diese garnicht so sehr, wenn man so im allgemeinen mit den Leuten  verkehrt, beschäftigt man sich aber einmal etwas eingehender mit ihren Leiden,  dann bemerkt man oft mit Schaudern den traurigen Verfall des ganzen Volkes. Es  geht buchstäblich an Syphilis zugrunde. Nicht nur Männer und Frauen, auch  Kinder sind von dieser Seuche befallen, sie haben dieselbe schon als  traurigesErbstück der Eltern mitgebracht. Wir tun, was wir können, um ein wenig  von diesem namenlosen Weh zu lindern; aber was sind wir unter den Tausenden und  Millionen? Wie ein Tropfen am Eimer. Wir verschwinden ganz unter diesen  Völkern, und es ist gut, daß wir nur ein Tröpflein von all dem Elend erfassen  können, wür würden sonst sterben vor Kummer. Mich erfaßt oft ein unsagbares  Wehe, wenn ich alles sehe; ich stehe dann ratlos da und muß schmerzerfüllt  ausrufen: „Ist denn kein Balsam in Gilead? Ist kein Arzt daselbst? Warum macht  die Heilung meines Volkes keine Fortschritte? O, daß mein Haupt zu Wasser  würde“ u.s.w. Jer. 8, 22. Ist doch die geistliche Krankheit unter Ihnen noch  viel schrecklicher, als die leibliche. Doch ich muß mir auch sagen: „Ja, Gott  sei Dank, es gibt eine Salbe, einen Balsam, fähig, auch die tiefen, diesem  armen Volke von der Sünde geschlagenen Wunden zu heilen; es ist das Wort vom  Kreuz“. Diese suchen wir ihnen denn auch zu bringen, und wir bemerken zu  unserer Freude, daß es nichr ganz ohne Wirkung bleibt. Es gibt verschiedene  Wege, auf denen wir ihnen das Wort von der Versöhnung nahe zu bringen suchen.  Da ist erstens der Weg der praktischen Liebe. Wir baruchen nicht lange nach  Gelegenheit zu suchen, um praktische Liebe über zu können. Diese ist, wie schon  erwähnt, gerade in der Pfelege der Kranken am besten möglich. Täglich haben wir  Gelegenheit genug, Kranke zu behandeln. Sie kommen zu Pferde, manche auch zu  Fuß, und holen sich Medizin. Öfters haben wir auch schwer Kranke aufgenommen  und sie verpflegt. Letzten Sommer hatten wir mehrere Monate eine Frau und einen  Mann in Behandlung. Der Frau waren die Zehen bis auf zwei am Fuße abgefault,  ebenso ein großer Teil vom Fuß selbst. Ich konnte anfangs den Fuß gar nicht  verbindn, weil mir vor Gestank immer unwohl wurde. Meine liebe Frau, Schwester  und Bruder T. haben sich ebenso viel Mühe gemacht. Jeden Tag mußte zweimal  frisch verbunden werden. Nach dieser langen Behandlung war endlich der Fuß der  Frau soweit, daß er sich zu schließen begann, wohingegen wir mit dem Manne kaum  eine Besserung erzielten. Da auf einmal zogen sie weg, und es ist zu erwarten,  daßnach einem halben Jahr die Frau wieder kommt mit einem Fuß „ärger denn  zuvor“, und dieselbe Geschichte beginnt von neuem. Auf Dank braucht man  natürlich nicht zu rechnen. Meine liebe Frau pflegte vor einger Zeit einen  jungen, etwas mehr gebildeten Kirgisen, der durch einen herabrollenden Stein am  Knie sehr verwundet war. Sie hatte viel Arbeit und Mühe mit ihm. Eines Tages  kamen seine Verwandten und holten ihm davon. Er ging fort, ohne ein Wort des  Dankes zu sagen. Wie gut, daß meine liebe Frau es um Jesu willen getan hatte,  sonst wäre die Enttäuschung doch recht bitter gewesen. Gefreut haben wir uns  aber doch über den jungen Mann. Er las sehr gern im „Jnjil“, den vier  Evangelien, die wir ihm gegeben hatten. Unser blinder Btuder aus den Sarten,  Bruder Achmat, kam auch oft und lies ihn etwas vorlesen, worüber sich der  Kranke freute. Sie hatten dann oft Unterhaltungen über den „tschang peigambar;  chutaning ugli“, d.h. den großen Propheten, welcher ist der Sohn Gottes.
 Ein  Bruder hat auf seinem Hofe ein Krankenhaus erbaut mit sechs großen Zimmern. Es  soll den Kirgisen dienen. Zunächst gedenken wir ein Zimmer darin einzurichten  als Handarbeitsschule, wo unsere Schwestern den kirgisischen Frauen und Mädchen  Unterricht erteilen werden im Nähen, Stricken und dergl., im Großen dürfen wir  ja nicht gleich arbeiten. Dies wird dann eine gute Gelegenheit sein, mit ihnen  das Evangelium zu lesen. Ein anderes Zimmer soll dazu dienen, kirgisische  Frauen, die zur Entbindung kommen, aufzunehmen. Ein drittes Zimmer wird mir  dann vorläufig als Tischlerwerkstatt dienen. Hier vereinigt man in einer Person  mehrere Berufsarten, so kommt es vor, daß ich an einem Tage Arzt, Zahnarzt,  Dachdecker und Tischler bin, und das alles zu dem Zweck, meinen Hauptberuf  ausüben zu können, nämlich die Botschaft vom Kreuz zu verkündigen.
 Einen  andern Weg, den Kirgisen das Evangelium zu bringen, haben wir noch darin, daß  wir größere Reisen unternehmen und sie besuchen. Vor kurzem machten Bruder H.  J. und ich eine silche vor einer 9tägigen Dauer. Da muß man dann vor allen  Dingen auch Medizin mitnehmen, um Eingang bei ihnen zu bekommen; dann den  Jnjil, d.h. das Neue Testament und ein anspruchloses mit göttlicher Liebe  erfülltes Herz. Auf solcher Reise muß man den Kirgisen ein Kirgise werden; das  suchten wir denn auch zu tun. Dem Fleische ist dies zwar nicht gerade angenehm,  denn man macht auf solchen Reisen recht unliebsame Bekanntschaft mit den  verschiedenen Arten von Ungeziefer, welches bei allen Nomaden reichlich  vertreten ist. Dazu gibt es lange Ritte im heißen Sonnenbrande durch wilde,  dürre Steppen oder Gebirge. Das Essen, welches man bekommt, ist auch nicht dazu  angetan, die Stimmung zu heben; dazu die Nächte, in denen man nicht sicher ist,  ob man am andern Morgen sein Pferd wieder sehen wird. Daß das Essen unter ihnen  nicht immer dazu angetan ist, einen europäischen Gaumen zu befriedigen, möge  folgender Vorfall, der durchaus nicht vereinzelt dasteht, klar machen. Eines  Mittags kehren wir bei einem reichen Kirgisen ein. Nachdem Bruder J. erklärt  hatte, daß wir durchziehende Reisende seien, dazu sein Begleiter noch ein  Doktor der Medizin, lud man uns ein, abzusteigen und einzutreten. Es dauerte  auch nicht lange, dann brodelte der Topf mit Schaffleisch auf dem Feuer,  während Bruder J. das Evangelium verkündigte. Nachdem das Fleisch gar war,  setzten wir uns alle auf dem Boden nieder, um zu essen. Auch wir bekamen unsere  Schüssel mit Fleisch und Kultschei (das sind gekochte Teiglappen). Da wir  großen Hunger hatten, griffen wir sogleich zu. Das Fleisch schmeckte auch  leidlich gut ebenso der Kultschei, in welchem aber viel Sand war. Hin und  wieder bemerkte ich, daß Bruder J. etwas von seinem Fleisch herunterscharrt und  werde aufmerksam. Auf meine Frage, was das sei, sagte er, daß er Würmer seien.  Jetzt beginne auch ich mein Stück Fleisch einmal zu untersuchen, es war ein  recht saftiges Stück, und bemerkte zu meinem Schrecken, daß die Falten voller  dicker Würmer stecken. Ich aß nun recht langsam und fragte Bruder J., was ich  tun solle. Er sagte, ich solle weiter essen, aber ich konnte fast nicht mehr,  so war es mir in die Glieder gefahren. So war ich denn bald satt und freute  mich, als andere sich über meine Schüssel hermachten. Bruder J. war jedoch  anderer Ansicht und meinte, man müsse sich unter allen Umständen satt essen, da  wir doch wieder weiter zu reiten hätten.
 Vielleicht  wird man in Deutschland sagen, daß dieses alles sehr schwer sei; doch ich  möchte bemerken, daß alle diese an und für sich unangenehmen Dinge 100 mal  aufgewogen werden, wenn man sieht, wie diese halb wilden Menschen durch das  Wort vom Kreuz ergriffen und manchmal ganz gerührt werden. Sie fassen sich dann  auf die Brust und sagen: „Rast, rast!“ d.h., es ist so wie du sagst. Wir fanden  auch auf dieser Reise eine Anzahl suchender Seelen, die ganz offen für die  Wahrheit waren, doch auch viele, viele, die gleichgültig bleiben, weil sie die  Sünde nicht lassen wollen.
 Eines  Abends kehrten wir in einem Aul ein und suchten Unterkunft für die Nacht. Eine  Anzahl Kaisacken standen bei ihren Zelten, aber entgegen den Lehren Mohammeds  hatte keiner Lust uns eizuladen. Nun war gerade der Sohn eines Richters bei der  Gruppe, und man bedeutete ihm, er solle uns aufnehmen, da sein Vater doch so  reich sei. So ritten wir mit ihm zu seiner Kibittka. Hier gab man uns ein  besonderes Zelt; der Richter selbst war nicht zu Hause. Wir warteten, bis er  kam. Er ließ uns sofort Fleisch und Tee bringen, ebenso Decken zum Sitzen. Man  sah sofort, daß er ein unaufrichtiger Mann war. Er konnte uns gar nicht  anschauen, seine Augen wanderten unstät hin und her und war vollständig  verschlossen gegen das Evangelium. Bruder J. sagte sogleich, daß wir einen  schlechten Aul getroffen hätten und uns vorsehen müßten. Der Richter fragte  uns, ob wir eiserne Schlösser hätten, die Pferde anzuschließen, da hier viel  Pferdediebe seien. Wir hatten natürlich keine, und Bruder J. sagte ihm, wenn  unsere Pferde bei ihm gestohlen würden, wir ihn dafür verantwortlich machen  würden. Wir gewannen dann einen Diener des Richters für uns, versprachen ihm,  wenn er die Pferde gut besorgen und bewachen würde, wir ihm ein „Gilau“  (Geschenk) geben würden, befahlen uns selbst dann dem Schutze des Herrn an und  legten uns nieder. Wir hörten noch viel Pferdegetrampel, viel Hin- und  Herlaufen, schliefen aber endlich vor Müdigkeit ein. Als ich wach wurde, war es  Morgen, und ich war selbst verwundert, daß ich so ruhig geschlafen hatte.  Während wir Frühstück aßen, versammelten sich eine Anzahl Männer, und wir  hatten eine Unterredung mit ihnen, d.h. Bruder J. redete, und ich betete.  Einige waren ergriffen, andere ganz kalt. Jetzt stellte sich auch heraus, daß  wir gerade mitten in einem Diebes- und Räubernest übernachtet hatten. Einer der  Diebe hatte vier Vorladungen in der Tasche, worin er von der russischen  Regierung wegen vier verschiedener Diebstähle zur Verantwortung gezogen wurde.  Er hat Bruder J., die Vorladungen zu übersetzen, er wollte dann an den  betreffenden Personen Rache nehmen, die ihn des Pferdediebstahls angeklagt  hatten. Glücklicherweise waren die Namen dieser Personen nicht genannt. Bald  brachte der Diener auch unsere Pferde, wir gaben ihm seinen Gilau, machten noch  einige photographische Aufnahmen und zogen mit Dank gegen Gott weiter, der uns  auch diesmal so treu geholfen hatte.
 Ob  man sich nun auf der Reise ider zu Hause befindet, eine Wahrnehmung macht man  immer wieder, nämlich, daß die Behandlung der Kranken eins der beste Mittel  ist, um an die Herzen zu kommen. Wir versuchen auch, uns dieses Mittels zu  bedienen und geben viel Medizin aus. Anfänglich gaben wir alles umsonst, da  doch die meisten nicht wohlhabend sind, aber wir haben die Erfahrung gemacht,  daß sie dann die Sache nicht genügend schätzen. So nehemn wir jetzt, wo es  geht, fünf Kopeken (10 Pfg.) von ihnen. Selbstverständlich betragen die Kosten  mehr, aber der Herr hat uns bis jetzt immer noch das Nötige dargereicht. Er  wirs es auch ferner tun, das glauben wir. Wir brauchen besonders viel  Verbandstoffe, da viel Wundkranke zu behandeln sind. Es wären ja Kinder Gottes  in Deutschland willig, solche hierher zu senden, aber das gehr gar nicht wegen  des hohen Zolles, der darauf ruht. Wir möchten daher auch in dieser Sache von  neuem um die Fürbitte der Kinder Gottes bitten. Er kann ja helfen! Wie es  weiter gehen wird, wissen wir nicht. So viel ist sicher, daß wir  Schwierigkeiten entgegengehen, die aber für unsern Gott und für uns  Herrlichkeiten bedeuten mögen. Jedenfalls hören wir nicht auf, auf den Herrn zu  blicken, dem ja alles bekannt ist. Wenn auch vorläufig noch kein direkter  Erfolg in Gestalt von Bekehrungen zu verzeichnen ist, so haben wir dennoch  keinen Grund zu verzagen, wenn wir uns erinnern, daß wir noch immer „unter  Wasser“ arbeiten und bedürfen wir deshalb umsomehr der Fürbitte und Mithilfe  des Volkes Gottes.
 Im  Übrigen geht es uns, dem Herrn sei Dank, noch gut, nur liegt seit gestern meine  liebe Frau an Rheumatismus darnieder. Wir hoffen aber auf baldige  Wiederherstellung. Geschwister T. und Geschwister H. geht es ebenfalls gut.  Bruder H. J. ist auf einer Reise nach Chiwa, wo er mit seiner Frau seine alten  Eltern besuchen will. Er wird auch auf dieser Reise genug Gelegenheit haben,  das Wort vom Kreuz zu verkündigen. Bruder A. J. tritt voraussichtlichnächste  Woche seine Reise nach den deutschen Kolonien an der Wolga an.
 B. |