Reisebericht aus Asien in der Zeitung "Offene Türen" Nr. 4, Juli 1912, S. 6-8

 

Zugeschickt von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Offene Türen" Nr. 4, Juli 1912. (gotisch) von Viktor Petkau.

 

 

Zentral – Asien.
Turkestan.

Der Blick vieler Kinder Gottes ist auf das bis dahin vernachlässigteTurkestan gerichtet. Es ist ja erfreulich, daß dies Land endlich aus dem dunkeln Winkel der Vergesssenheit herausgerückt worden ist; eben dadurch hat die Arbeit hier einen, wenn auch unscheinbaren Anfang genommen. Damit ist die Sache aber noch nicht abgetan. Die Arbeit muß auch ihren Fortgang haben und diesen aufrecht erhalten, ist oft schwer. Jede Arbeit hat ihre Schwierigkeiten und Hindernisse, welche auch hier reichlich vorhanden sind. Es ist nun Satans Methode, die Arbeiter dadurch mutlos zu machen, was ijm leider oft gelingt; auch hier verfolgt er dieses Ziel. Schon bei der Inangriffnahme der Arbeit prophezeihten viele Uninteressierte nichts Gutes, weil sie nur die Schwierigkeiten sahen. Brüder, die schon viele Jahre das Evangelium verkündigen, stehen der hiesigen Arbeit unsypmatisch gegenüber, weil das Land voller Hindernisse ist. Andere wieder werden müde, wenn sie sehen, daß das Werk nicht bald Erfolge aufzuweisen hat, die oft von den von Arbeitern unabhängigen Hindernissen nicht zugelassen werden. Ist es da recht, ein solches Land aus dem Arbeit – Programm zu streichen und es sich selbst zu überlassen? Gibt uns das Wort Gottes dazu ein Recht? Im Gegenteil! Die Erfahrung lehrt, daß dem Werke Gottes immer Schwierigkeiten begegneten, dennoch ging Gott vorwärts in Seinem Vorhaben. Aber Schwierigkeiten bieten Gott Gelegenheit, sich zu verherrlichen. Darum sollten die Brüder und Schwestern, denen Gott Turkestan auf das Herz gelegt hat, und die die dringende Notwendigkeit erkannt haben, daß das lebenwirkende Evangelium auch den Völkern dieses Land gebracht werden muß, den Kampf aufnehmen und in gläubiger, anhaltender Fürbitte ausharren bis der Sieg errungen ist.

„Worin bestehen die Hindernisse?“ fragt jemand, „ich möchte sie wissen, um sie zu meinem Gebetsgegenstande zu machen.“
Da nenne ich zuerst die einheimische Bevölkerung, die Mohammedaner. Diese halten so fest an ihrem falschen Gottesdienst und verteidigen fanatisch die Lehre des falschen Propheten, ob sie dieselbe kennen oder nicht, dabei beharren sie aber in ihren Sünden. Gerade dieses fanatische, alles Bessere von sich weisende Festhalten, ohne es einer Prüfung zu unterziehen, bildet ein großes Hindernis für die Annahme des Evangeliums. Vor einigen Wochen fuhr ich mit einem jungen Tartaren zusammen im Eisenbahnwagen. In einem Gespräche äußerte er sich über die Gottessohnschaft Jesu dahin, daß er sie für etwas Unmögliches halte, und er wolle sich streng an seinen Koran halten; von dessen Inhalt er, wie ich vermute nicht viel vertstand.
Als weiteres Hindernis erwähne ich die christliche Bevölkerung, die Christum
Nicht kennt und ein dem wahren Christentum widersprechendes Leben führt, und dadurch für die Nichtchristen ein Ärgernis ist. Muß es nicht etwas Abstoßendes für diese sein, wenn sie sehen, daß die „Christen“ sich lärmend in den Schanklokalen aufhalten und sich auf den Straßen des „christlichen“ Stadtteils des übermäßig genossenen Branntweins hin- und hertaumelnd bewegen? Im mohammedanischen Teile dagegen ist kein Weinkeller zu finden. Ich hörte eins, wie beim Abmachen eines Geschäfts ein christlicher Geschäftsmann einen mohammedanischen mit den gemeinsten Flüchen und Schimpfworten bewarf, während letzterer sich ganz ruhig verhielt. Sind solches nicht Hindernisse?
Ein drittes Hindernis ist das Verhalten der Regierung. Diese will nicht, daß das Evangelium aller Kreatur gepredigt werde; sie fürchtet einen Aufstand, falls sich Mohammedaner zu Christo bekehren sollten.
Wir wollen aber auch nicht vergessen, daß hier Kinder Gottes leben, die nicht daran denken, daß ihnen die hohe Aufgabe gestellt ist, Mithelfer der Gnade Gottes an diesen Armen zu sein. Wie leicht können Kinder Gottes mehr Hinderer als Förderer des Reiches Gottes sein! Darum möchte ich auch besonders an diejenigen erinnern, die sich praktisch in die Arbeit gestellt haben. O, wieviel Glauben, wieviel Treue, wieviel Ausdauer, wieviel Weisheit, wieviel Liebe tut diesen not! Welch ein Gebiet der Fürbitte bietet allein der letzte Punkt; denn auch Arbeiter können leicht mehr hindernd als fördernd auftreten.
Von der Arbeit selbst ist nicht viel zu schreiben, da sie sich infolge erwähnter und mancher anderer Schwierigkeiten nicht nach Wunsch entwickeln kann. Es ist eine sich mehr in der Stille vollziehende Arbeit. 3 Brüder haben einige längere Reisen gemacht, deren Berichte in „Offene Türen“ bereits erschienen sind. Ein Bruder verließ einstweilen den ihm lieb gewordenen Ort seiner Tätigkeit, um seine medizinischen Kenntnisse, die hier gute Verwendung finden, zu bereichern. Will`s Gott, so kehrt er in nächster Zukunft wieder zurück. Ich verbrachte eine Zeit in dem sartischen Teil der Stadt Taschkent, um Leben, Gebräuche und Sprache der Sarten näher kennen zu lernen; meine liebe Frau besucht indessen einen Hebammenkursus in Riga, um später in diesem Berufe den Frauen dienen zu können.
Die Britisch – Ausländische Bibelgesellschaft geht mit dem Gedanken um, in Taschkent ein Bibeldepot zu eröffnen. Die Verwirklichung dieses Gedankens hängt davon ab, ob die örtliche Behörde ihre Genehmigung dazu erteilen wird. Sollte dies geschehen, dann wäre ein bedeutender Schritt zur Verbreitung der Heiligen Schrift in diesem Lande gemacht. Auch für diesen Gegenstand möchte ich um treue Fürbitte bitten.

M. Thielmann.

   
Zuletzt geändert am 24 November, 2018