Turkestan.
Nikolaipol.
Durch Gottes Gnade kommen wir hier in Turkestan den 28. August d. Is. , gesund und wohlbehalten an.
Wie wir uns vorgenommen hatten, fuhren wir unterwegs bei meiner Schwester, und im Samarischen auch bei meinem Bruder, die beide mit ihren Familien im vergangenen Sommer von Turkestan ihren Wohnort dorthin verlegt haben, an. Dieses hat uns so viel versäumt, daß wir beinahe einen Monat von der Krim bis hierher auf der Reise waren. Im Samarischen feierten die dortigen deutschen Geschwister ihr jährliches Ernte – Dankfest. Obschon die Ernte dort sehr schwach, eigentlich eine Mißernte war, beteiligte man sich doch sehr rege an dem Fest, sowie an den Kollekten für die Mission. Diesen zahlreichen Gästen, etwa 1500 an der Zahl, durfte ich in aller Schwachheit dienen. Es wirkt immer etwas beklemmend auf mich, wenn ich die Aufgabe habe, so einer großen Zuhörerschar das Wort der Wahrheit zu verkündigen. Als passenden Abschnitt für dieses Fest erschien mir die Beschreibung der Hochzeit zu Kana. Ev. Joh. 2. Besonders betonte ich die Worte der Mutter Jesu: „Sie haben nicht Wein!“ und „was Er euch sagt, das tut.“ Wir alle wissen ja, wie unser heutiges Christentum bei allen Festlichkeiten, Konferenzen, großartigen Missions – Anstalten und Missions – Arbeiten an Selbstverherrlichung kränkelt, und wie so vielen Arbeiten „für den Herrn“, der wirkliche Wert abgeht, weil sie nicht von „Ihm“ gewirkt sind und auf „Sein“ Geheiß vollzogen werden. Eine besondere Freude aber war es mir auch, daß ich auf unsern Herrn hinweisen durfte, der alle unsere Mängel ausfüllt und der alle unsere Bedürfnisse befriedigt auch bei irdischer Armut und Mißernten, nicht in großen Mengen Getreide oder Geld, sondern in Herrlichkeit in Christo. Phil. 4, 17. Im Samarischen, Orenburgischen und vielen andern Gouvernementen Rußlands wird`s diesen Winter Hungersnot geben und mancher Baschkiere und Russe wird vor lauter Hunger zu Grunde gehen.
Unsere Reise ging dann weiter bis zu unserer nächsten Eisenbahnstation Rabulsai, wo uns das Fuhrwerk unseres Schwagers erwartete. Der Schwager, mein Bruder Heinrich und zwei Mädchen waren auf demselben gekommen und fuhren nun auf der Bahn weiter nach Rußland, während wir auf dem Wagen in 3 ½ Tagen auf staubigem Wege und bei gutem Wetter nach Hause fuhren.
Jetzt sind wir wieder eine Woche in diesem weltvergessenen, srillen Winkel. Bruder Thielmann hat seine Frau nach Riga gebracht. Wir trafen sie schon nicht zu Hause an. Bruder Herold wirkt als fleißiger Küfermeister. In dem Dorfe Köppental. Seine liebe Frau hat scih zur Aufgabe gemacht, kranke Kirgisen zu behandeln und sich dadurch die Herzen schon gewonnen. Einmal besuchten wir sie schon. Die Geschwister fühlen sich schon so einigermaßen heimisch. Wenn wir es zum Winter eingerichtet haben werden, hoffe auch ich etwas mir der Arbeit unter den Kirgisen zu beginnen. Ich werde zunächst mit einem Bruder zusammen eine kleine Reise machen in unserm Tal.
Übrigens freue ich mich, Ihnen einen Bericht einer wirklichen kleinen Missionsreise, die nicht ohne Erfolg war, senden zu können. Ausgeführt wurde diese Reise von einem gewissen Hermann Janzen, den ich dort bei Ihnen öfter erwähnt habe, und einem Bruder Regehr. Br. Janzen war so freundlich und stellte mir diesen Bericht zur Verfügung. Ich hoffe, daß die Beschreibung dieser Reise für manchen Missionsfreund interessant sein wird und ich schicke Ihnen dieselbe mit der Hoffnung, daß es nicht nur Stoff für den „Brüderabend“, sondern auch für „Offene Türen“ sein wird. Ich glaube bestimmt, daß der Herr in Bruder Janzen, auch in Br. Regehr, brauchbare Werkzeuge hat für Turkestan.
Wenn der Bericht in Ihre Hände gelangt sein wird, werden Bruder Janzen und Regehr bereits auf einer zweiten Missionsreise sein, die sie auf zwei Monate und zwar hauptsächlich im Fergana – Gebiet, (das fruchtbarste Gebiet Turkestans) zu machen gedenken. Dort wohnen sehr viele von den seßhaften Sarten und Tadschicken (ein persischer Volksstamm). Diese sind intelligenter, aber auch fanatischer, als die Kirgisen. Es ist daher nicht unmöglich, daß sie auf ihrer Reise auch auf feindlichen Widerstand und mohammedanischen Christenhaß stoßen werden. Bruder Janzens Bitteb um Schlusse seines Berichtes, um Fürbitte, ist daher eine aus dringender Notwendigkeit ausgesprochene Bitte. Seinen Bericht lasse ich hier nun mit seinen eigenen Worten folgen.
Im vergangenen Sommer machten Bruder Regehr und ich eine kleine Missionsreise. Da ich nun von etlichen Missionsfreunden schon öfters aufgefordert wurde, über diese Reise einen kleinen Bericht abzustatten, will ich hiermit der Aufforderung folge leisten. Zuerst aber erlaube ich mir einige Vorbemerkungen zu machen.
Im Jahre 1880 reisten meine Eltern aus Rußland hierher nach Turkestan und siedelten in Chiwa an. Ich war damals erst 15 Jahre alt und es fiel mir dahin nicht schwer, die Landessprache zu erlernen. In zwei Jahren hatte ich die hiesige mohammedanische Sprache mit allen ihren verschiedenen Dialekten erlernt und übernahm dann beim chiwesischen Chan eine Stelle als Dolmetscher. Nachdem ich dort 8 Jahre gedient hatte, kam ich hierher nach Aulie – ata, wo ich 17 ½ Jahre eine Försterstelle bekleidete. Schon in meinem zwanzigsten Lebensjahre trat an mich die ernstliche Aufforderung, eine Stelle als Bibelkolporteur zu übernehmen, aber ich konnte mich dazu nicht entschließen. Erzogen von ernstreligiösen Eltern, fand ich den Herrn schon in meinem siebzehnten Lebensjahr, kam aber nach etlichen Jahren vom rechten Wege ab und gewann die Welt lieb. Als nun oben erwähntes Anerbieten an mich herantrat, gefiel mir das Leben am Hofe des Chans besser und ich sagte ab. In den letzten zehn Jahren hat man mich zu verschiedenen Malen aufgefordert, mich dem Dienste des Herrn zu übergeben. Wenn ich auch etwas Missionswerk betrieb, so geschah das doch ohne wahren Ernst, denn mir selbst fehlte noch etwas, und dieses kam dann vor zwei Jahren, wo mir der Herr besonders begegnete und mir ein Halt gebot und mir allen eigenen Willen abnahm und mich zum wahren Glauben brachte. Seitdem nun ist in mir ein brennendes Verlangen erwacht, Seelen für den Herrn zu gewinnen und zwar womöglich aus den Mohammedanern deren es hier Millionen gibt.
Trotzdem der Herr auch meine frühere Arbeit nicht ungesegnet gelassen hat, indem er und den Bruder Achmat gab, trat ich doch mit zagendem Herzen und im Bewußtsein meiner großen Schwachheit im vergangenen Sommer eine kleine Missionsreise an. Bruder Regehr, ein noch junger Mann, gesegnet an irdischen Gütern, hatte ich auch schon öfters in sich die Aufforderung gefühlt, unter die Mohammedaner zu gehen und ihnen das Evangelium zu bringen. Es kam bei ihm auch zu ernsten Kämpfen und er versprach dem Herrn von seinen Gütern zu geben; aber der Herr verlangte nichr seine Güter, sondern ihn selbst und als er sich dann dem Herrn zum Dienste hingab, wurde es auch innerlich stille und er bekam Frieden. Wir besprachen uns schon im vorigen Winter, unter den Mohammedanern Reisen zu machen und ihnen das Evangelium in ihrer Sprache vorzulesen. So traten wir denn den 11. Juli 1911 gemeinsam eine Reise an und zwar nach den Quellen des Talaß. (Eines bedeutenden Gebirgsdtromes des Alla – Tau – Gebirges, der auch durch unser Tal fließt.) Wir kamen durch das russische Dorf Dinntrowka und einem kleinen deutschen Dörfchen Hohendorf nach Kirk – Kaßick, wo wir bei einem Kirgisen namens Schattmann, nächtigten. Dort hatten wir zehn aufmerksame Zuhörer von den Kirgisen und wir konnten ihnen das Wort: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbei gekommen!“, an`s Herz legen. Den 12. ritten wir bis zum Waldschützen, einem Russen, wo wir abends ihn, seine Frau nebst Gehilfen und Arbeiter als aufmerksame Zuhörer hatten. Den 13. kamen wir in Begleitung des erwähnten Waldschützen, der sich eingener Geschäfte wegen zu uns gestellte, zu Mittag in die Gebirgsschlucht Tereck, wo wir im Zelte eines Kirgisen Namens Satualdi ungefähr 20 Zuhörer hatten. Abends kamen wir zu einem gewissen Riß – Beck, wo man uns schlecht anhörte; am nächsten Morgen jedoch nahm Riß – Beck uns ein Testament ab und versprach, darinnen zu lesen. Wir ritten dann weiter und kamen zu Mittag, also den 19., zu einem gewissen Dschumawai, wo wor, während der Tee zubereitet wurde, mit dem Hauswirten sprachen. Dieser kam schließlich so weit, daß er uns mit Tränen bekannte, viele Sünden aufgehäuft zu haben und daß sein ganzes Leben ein verlorenes sei. Als wir ihm dann sagten, wir würden ihm ein Evangelium schenken, worinnen er den Weg zum ewigen Leben finden werde, nahm er das Buch und drückte es immer wieder an seine Brust und Lippen. Trotzdem hier auch ein Aul – Vorsteher (Aul-dorf) zugegen war, schämte er sich nicht so frei zu sein, so groß war sein Hunger nach Wahrheit. Auch der Aul – Vorsteher nahm uns ein Evangelium ab. Nach dem Tee brachen wir auf und kamen an die Brücke Kok – Kia zu einem Kirgisen namens Chudaibergen wo wir 11 Zuhörer hatten, darunter auch etliche Frauen; diese hingen, während wir sprachen, förmlich an unsern Lippen. Hier gab der Herr besondere Gnade indem sich mehrere als besondere Sünder erkannten. Als wir ihnen dann anboten, mit ihnen für sie zu beten, willigten sie ein und wir beteten mit ihnen auf unsere Art in ihrer Sprache. Der Eindruck, den dieses Gebet auf sie machte, war ein unerwarteter und großer. Als wir dann weiter reisen wollen, bedauerten sie sehr, daß die Trennung schon so schnell erfolgte und mit Weinen nahmen sie von uns Abschied nachdem wir ihnen noch einige Testamente gegeben hatten, die sie auch küßten und an`s Herz drückten. Hauptsächlich waren es hier ein alter Mann und zwei Frauen die sehr ergriffen wurden. Spät abends kamen wir nach oben in die Schlucht Taldubulack, wo wir bei dem früheren Hauslehrer von Bruder Regehr, namens Mulla Sullaimann, übernachteten. Er ist dort jetzt Hauslehrer bei einem reichen Kirgisen Namens Koschai. Auch hier wurden etliche aufmerksam gemacht auf das Evangelium. Morgens den 18. Juli kamen wir zu Mittag in die Schlucht Orto – Koschai zu einem sehr reichen Kirgisen Namens Kidick an, wo hauptsächlich der Hauslehrer Mulla Karagul aufmerksam wurde. Da uns der Hauswirt gern über Nacht beherbergen wollte, blieben wir dort und abends war Kidick so weit, daß er uns ein Bekenntnis ablegte und ein Testament verlangte. Wir hatten dort 15 Zuhörer. Den 16. ritten wir in die Schlucht Tschong – Koschai, wo wir bei einem gewissen Dschumawai anhielten und zu Mittag speisten. Leider konnten wir dort nichts wirken. Wir ritten also weiter über Boß – Aigir und Uttmeck nach Jargart, wo wir bei einem gewissen Truß - Beck über Sonntag blieben. Dort hatten wir 30 Zuhörer und auch hier gab der Herr uns gesegnete Stunden. Gegen Abend kamen wir über Jiltimeß nach Jldißu und blieben bei Mockam über Nacht. Abends hatten wir hier noch Gelegenheit zu dem zusammengelaufenen Volk zu reden und lasen ihnen etwas aus dem Evangelium vor. Unter den 30 Zuhörern waren es wieder zwei alte Männer, die sehr besorgt wurden um ihr Seelenheil. Den 18. kamen wir über Sandick und Tschuschaschu zu Chudaibergen, wo wir zu Mittag blieben, aber nichts wirken konnten. Am Abend kamen wir nach Tschong – Tschitschkaan zum Bezirksvorsteher Ainawai, wo wir ungefähr 15 Zuhörer hatten und wo besonders der Hauslehrer aufmerksam wurde. Den 19. ritten wir von dort auf den Wochenmarkt Icki – Talaß. Auf dem Wege dorthin trafen wir mit einem Kirgisen zusammen der mit uns zum Markte ritt. Durch unser Gespräch mit ihm aufmerksam gemacht, erbat auch er sich ein Testament von uns. In dem Marktflecken blieben wir über Nacht bei einem sarten, wo wir drei Zuhörer hatten, von denen zwei sehr ergriffen wurden und einer legte mir ein recht merkwürdiges Bekenntnis ab.
Den 20. ritten wir über Dimitrowka nach Hause voll Dank und Anbetung Gottes unseres Heilandes für so viele unerwartete Gnade. Wir konnten überhaupt 13 Testamente austeilen und da der Herr uns die Gnade gab, an vielen Orten den Schlüssel der Herzen zu finden, sind wir auf einen großen Heilshunger gestoßen. Wir mußten uns daher fragen: „Wie schwer wird für uns die Verantwortung sein?“ Da wir nun schon so viele Jahre unter diesem Volke wohnen, ihrer Sprache vollständig mächtig sind, aber entweder gar nichts oder doch nur sehr wenig für den Herrn gewirkt haben. Wenn man dann noch bedenkt, was für ein großes Arbeitsfeld das ganze Turkestan mit mehreren Millionen von Mohammedanern, dazu Asien mitgerechnet ist, drängt sich einem die Frage auf: „Wie soll`s da noch werden?“ Und wenn alle Kinder Gottes Jünger Jesu sind oder sein wollen, was haben wir gemacht und machen noch mit dem Worte Matth. 28, 19 – 20: „Gehet hin in alle Welt u.s.w.“ Wenn unser Herr und Heiland Jesus Christus auch für unsere turkesatnischen Mohammedaner, gestorben, auferstanden und in den Himmel gefahren ist, folglich unsere Brüder sind, wo lassen wir ihnen gegenüber das Wort 1. Petri 4, 10 gelten? Mußten wir doch (Br. Regeht und ich) an der Brücke Kok – Kia die Beschuldigung hören: „Ihr wißt den Weg zum wahren Frieden und wohnt nun schon so lange dort unten an dem Flusse Urmaral (ein Nebenfluß des Talaß) und sagt uns nichts?“ Auch die beiden russischen Waldschützen fingen den 19. Juli, angeregt durch unsere Gespräche mit ihnen und durch die Erlebnisse bei den Kirgisen die sie in unserer Gesellschaft auf der Reise machten, seit langer Zeit, wie sie uns bekannten, wieder an zu beten und sagten unter anderem, nun seien sie fertig mit den Pfaffen und Heiligenbildern. Muß nicht der Herr endlich auch zu uns sprechen, wie es in Matth. 11, 23 – 24 heißt? Was mich betrifft, kann ich nur rufen: „Herr sei mir gnädig nach Deiner Barmherzigkeit und haue den Baum nicht ab, sondern sorge selbst, daß er bedüngt wird und er noch viele Frucht bringe!“ Ja eingedenkt solcher ernsten Gottesworte bitte ich: „Und gehe nicht mit mir ins Gericht, wegen meiner vielen vergeudeten Gnadenjahre!“ Amen.
Wenn der Herr uns Gnade gibt, reisen BR. Regehr und ich den 20. Oktober d. Js. zu Pferde über die Berge in`s Fergana – Gebiet in die Tadschicken – und Sarten – Dörfer zwischen den Gebirgen. Diese Reise dürfte ungefähr 2 Monate in Anspruch nehmen. Wir bitten daher alle wahren Missionsfreunde: „Gedenket unser vor dem Herrn und laßt uns nicht allein!“
Soweit Hermann Jantzens Bericht. Wie er mir selbst sagte, sei er auf der ganzen Reise vom Herrn sehr in die Tiefe geführt worden, bezeichnete er doch früher die Arbeit unter den Kirgisen als „vergeudete Zeit“. Nachdem ihn der Herr aber innerlich mehr zubereitet und auch äußerlich mehr frei gemacht hat, ist er, wie er ja auch bekennt, anderer Ansicht geworden. Was mich betrifft, freue ich mich sehr über seine Entschiedenheit, mit der er jetzt in der Sache des Herrn, so gut er`s versteht, vorangeht. Er ist, obschon über 40 Jahre alt, wie wenige geeignet zur Arbeit unter den Kirgisen resp. Mohammedanern, da er ja seit 15. Lebensjahre mehr unter denselben zugebracht hat wie unter Deutschen und Russen und er hat nicht nur eine natürliche Gabe ihre Sprache zu sprechen, sondern besitzt auch einen klaren Verstand und Energie, was er auch besonders während seiner Tätigkeit als Förster der russischen Wälder in den Gebirgen und eines Aufstandes unter den Mohammedanern bewiesen hat. Endlich hat er bei seinen vielen Streifereien unter den Kirgisen nicht nur ihre Sitten und Gebräuche kennen gelernt, sondern er ist auch an Strapazen und Abenteuern gewöhnt, denen ja ein Missionar unter solchen Völkern ausgesetzt ist. Vor allen Dingen hat er im vergangenen Sommer den Mut gehabt, verschiedene gute Stellen die ihm von der Regierung angeboten wurden, abzulehnen, um sich dem Dienste des Herrn unter den Mohammedanern zu widmen. Wenn es sich nun um die Arbeit unter den Kirgisen und Sarten in Turkestan handelt, sollte man auch seiner nicht vergessen.
In Christo verbunden
A. Janzen.
Romanowka, Post Aulie – Ata. (Russisch Zentral - Asien), 4. Okt. 1911.
Wir befinden uns durch Gottes Gnade nun bereits 1 ½ Monate hier in Turkestan. Der Übergang über die Grenze sowie auch die Reise ging sehr gut. In Samara blieben wir 3 Tage bei Geschwister Vollrath. Sie wohnen im Sommer auf einem Landhaus, welches einer Baptistenschwester gehört. Dort hat Bruder Vollrath gute Gelegenheit zur Ausübung seiner Praxis, denn es steht ihm ein großer parkartiger Garten mit verschiedenen Gebäuden zur Verfügung. Er hatte bei unserm Dorfsein mehrere Patienten in Verhandlung. Wir fühlten uns bei den Geschwistern sehr wohl. Br. V. wäre gern mit uns nach Taschkent und vielleicht auch bis hierher nach der deutschen Ansiedlung gefahren, doch wegen den Kranken konnte er nicht mitreisen. Er stellte uns seinen Besuch für den Herbst in Aussicht. Von Samara bei Taschkent fährt der günstigste Zug 60 Stunden. Wir kamen am Samstag gegen Abend dort an. Bruder Kliewer mit einigen russischen Geschwistern erwarteten uns am Bahnhof. Sie kamen gerade aus der russischen Versammlung. Die Freude des Wiedersehens war bei uns beiden, Br. Kl. und mir, wohl gleich groß. Wer hätte damals, als wir uns in Berlin verabschiedeten, gedacht, daß wir uns einmal in Asien wieder treffen würden. Wir blieben bis Donnerstag Mittag in Taschkent. Wir konnten in der Zeit manches von dem Leben und Treiben in dieser großen und interessanten Stadt sehen. Man fing während unsres Dortseins gerade mit dem Bau einer elektrischen Straßenbahn an; Pferdebahn gibt es schon seit längerer Zeit. Wie man hört, soll im Frühjahr mit dem Bau der Eisenbahn von Taschkent nach Omsk begonnen werden, dieselbe soll auch Aulie – ata berühren. Dann kann man von Taschkent bequemer dahin kommen als jetzt. Das letzte Stück unserer Reise war das schwierigste, man wird in dem Wagen nicht wenig durchgeschüttelt, dazu liegt auf dem ganzen Wege ein namenloser Staub. Doch den Verhältnissen angemessen ging es uns während der ganzen Fahrt gut. Auch haben wir nachts in den Karawansereien neben dem Wagen auf der Erde ganz gut geschlafen. Nach beinahe siebentägiger Wagenfahrt kamen wir in Nikolaipol wohlbehalten an. Bruder Hermann Epp nahm uns sehr freundlich auf und die ersten 14 Tage waren wir seine Gäste. In dieser Zeit unternahmen wir auch für einige Tage einen Ritt in die Berge in Begleitung mehrerer Personen. Seit einem Monat wohnen wir nun hier in Romanowka, 3 Werst von Nikolaipol ebtfernt. Es gefällt uns soweit ganz gut, für mich gibt es jetzt im Herbst und Winter in der Molkerei nicht allzuviel Arebeit, sodaß ich hoffe, bald mit dem Erlernen der Kirgisensprache beginnen zu können. Im Sommer bleibt mir dafür keine Zeit. Vielleicht macht der Herr mich späterhin, wenn ich erst die Sprache beherrsche, ganz für die Arbeit unter diesem Volke frei. Solange ich im irdischen Beruf tätig sein muß, bleibt mir wenig freie Zeit übrig. Doch bin ich andererseits froh, daß ich hier die Stellung habe.
Seit unserm Hiersein hatte ich schon wiederholt Gelegenheit, an allen drei Orten, wo hier Versammlungen stattfinden, mit dem Wort zu dienen. Bruder Thielmann reiste vor 14 Tagen fort, er bringt seine Frau nach Riga, wo sie am Hebammenkursus teilnehmen wird. Er selbst denkt sich in dieser Zeit in Taschkent aufzuhalten, um sich der Erlernung der sartischen Sprache zu widmen. Bruder Abraham Janzen wird in diesen Tagen hier erwartet.
Sehr dankbar würde ich sein, wenn Sie veranlassen möchten, daß mir die Mitteilungen von der Bibelschule und wenn möglich auch „Offene Türen“ zugesandt werden. Wir sind im Geiste oft ich ihrer Mitte und freuen uns natürlich auch, wenn wir etwas von dort hören. Möge der Herr auch im neuen Schuljahr durch seinen Geist in Ihrer Mitte wirken und brauchbare Werkzeuge zubereiten, die zu seines Namens Ehre ausgehen und das seligmachende Evangelium den Gebundenen bringen können. Auch hier tut es so sehr not unter dem Volk, in desssen Mitte wir wohnen. Da fehlt es an Menschen, die ein Herz haben für die leibliche und geistliche Not dieser Armen. Möchte der Herr uns recht tüchtig machen, hier wirklich etwas ausrichten zu können. Auf große äußere Erfolge darf man hier freilich nicht rechnen. Es muß hier alles möglichst still und unauffällig geschehen, sonst steht man in Gefahr, daß man von hier entfernt wird. Es gibt leider auch unter den Deutschen hier solche, die gern das Werk des Herrn hindern.
Oswald Herhold u. Frau. |