Bericht von R. Bohn. Lose Blätter: von F. Bartsch. Reiseberichte aus Asien in der Zeitung "Offene Türen" Nr. 7 und 8, Dezember 1910, S. 18-20 und 26-27

 

Zugeschickt von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Offene Türen" Nr. 7 und 8, Dezember 1910. (gotisch) von Viktor Petkau.

 

 

Turkestan.

Von Bruder Bohn, der seit kurzem in Bremen zur weiteren Ausbildung in der Krankenbehandlung weilte, erhalte ich folgende Zeilen:
Nun bin ich wieder im deutschen Vaterlande angelangt, doch mein Herz weilt in Turkestan. Es ist dort geblieben, wo 24 Millionen Mohammedaner in Elend und Jammer schmachten. Es sieht jetzt im großen russ. Reiche wieder recht dunkel aus und überall hört man von dem Druck, der von Seiten der Regierung auf die Gläubigen ausgeübt wird. Auch unser junges Werk hat darunter zu leiden. Von neuem ziehen sich finstere Wolken drohend zusammen. Gelobt sei Gott, daß der Herr nicht die Predigt des Evangeliums von der Erlaubnis der obrigkeitlichen Gewalten abhängig gemacht hat. Wie einfach, wie gewaltig und vielverheißend, wie von einem der Autorität hat, klingt doch das Wort an unser Ohr: „Gehet hin in alle Welt.“ Der Herr ist auf dem Plane! Der Feind scheint ja auch momentan einen Sieg davongetragen zu haben. Ich weiß, es wird die Freunde unsere Sache auf schmerzliche berühren, daß ich berichten muß, wie die russ. Regierung ernstlich bemüht ist, unsere junge, so hoffnungsvolle Arbeit auf das Mindestmaaß zu beschränken, oder gar aufzuheben. Andererseits wird es aber auch wieder alle, die es gelernt haben, mit Gott zu rechnen, antreiben, mehr, öfter und dringender Sein Angesicht zu suchen. Und Gott, der unser Flehen schon so oft gehört hat, wird wieder hören.
Eine der hoffnungsvollsten und vielversprechensten Unternehmungen dort in Zentral – Asien war ja der Bau eines Krankenhaus, umsomehr, da wir von hochgestellten russischen Beamten dazu ermuntert wurden.
Den Mohammedanern in ihren leiblichen Nöten entgegenzukommen, ihnen Liebe zu erweisen, ist ja die beste Art, ihnen das Evangelium zu bringen. Gott gestattete uns nun im Verein mit den dortigen mennonitischen Brüdern, die ein warmes Herz für die Sache haben und uns mit Rat und Tat zur Seite stehen, mit Freudigkeit alle vorbereiteten Arbeiten zum Bau des Krankenhauses auszuführen. Ohne die dort schon bestehenden Gemeinden wäre überhaupt der Gedanke, ein Krankenhaus zu bauen, nicht ausführbar.
Schon hatte die letzte Zusammenkunft des dort bestehenden Komitees stattgefunden in welcher beschlossen wurden, unverzüglich mit dem Bau zu beginnen, zu welchem Ziegel, Steine und Holz schon bereit lagen, als auf einmal, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, die Nachricht vom Generalgouverneur aus Taschkent anlangte, der Bau eines Krankenhauses sei verboten. Dies war keine geringe Glaubensprüfung für uns, umsomehr, da wir es als selbstverständlich voraussetzen mußten, daß der Bau erlaubt würde und Gründe anzugeben die Regierung überhaupt nicht für nötig fand. Gott ließ es in Seiner Weisheit zu. Jedenfalls haben wir uns zu prüfen, aber den Schluß ziehen, daß man die Weiterarbeit nun dort ruhen lassen müsse, würde unbedingt verkehrt sein. Nein, die Arbeit kann fortgesetzt werden, zwar vorläufig mehr in der Stille, aber vielleicht nur um so wirksamer. Mehr Einzelarbeit! Man hat dazu auch reichlich Gelegenheit, indem man mit ihnen, da sie ein Nomadenvolk sind, umherzieht, und ihnen dabei das Evangelium in Wort und Schrift nahe bringt. Ein wichtiges Stück wird auch dann die Krankenbehandlung noch bilden und zwar die homoeopathische. Homoeopathie ist in Rußl. Auch für Laien auszuüben gestattet und da die Kirgisen keine Ärzte haben, wird man auch da ein Arbeitsfeld haben, wie vielleicht an keinem zweiten Platze auf der Erde. Daneben kann man ihnen die Bibel vorlesen, mit ihnen reden, Traktate verteilen und neue Testamente unter ihnen verbreiten. An Zuhörern wird es niemals mangeln, da sie nicht, wie wir Abendländer, immer Mangel an Zeit haben, sie haben immer viel Zeit. Empfänglich sind sie auch, aber unglaublich unwissend, man muß sie belehren wie kleine Kinder. Aber ich bin dessen gewiß, daß der Herr auch unter ihnen noch ein Volk hat.
Daß ich so schnell und plötzlich von dort abgereist bin, hat seinen Grund zum größten Teile darin, daß ich in Gefahr stand, des Landes verwiesen zu werden. Sie werden sich wundern, daß ich überhaupt noch so lange bleiben konnte, wenn ich Ihnen berichte, daß ich dort bainahe 2 volle Jahre ohne Paß zugebracht habe. Trotz meiner und anderer Bemühungen gelang es nicht, einen Aufenthaltspaß für mich zu bekommen. Br. Thielmann lebt, weil er russ. Untertan und Mennonit ist, soweit es seine Paßsachen anbetrifft, ganz unangefochten. Als alle unsere Bemühungen erfolglos blieben, sah ich mich gezwungen, einen Reisepaß zu nehmen, um endlich dadurch einmal aus der sehr unangenehmen Geschichte herauszukommen. Man stellte mir dann auch einen solchen bereitwilligst aus. Nun musste ich wieder von den mir in den 2 Jahren meines Dortseins so liebgewordenen Geschwistern scheiden. Die reichbesuchte Abschiedsversammlung fand in der Kirche statt. Br. Thielmann ließ es sich nicht nehmen, mich bis nach Taschkent zu begleiten, zumal er einen Versuch machen wollte, selber dort ein Unterkommen zu finden, um schneller die sartische Sprache zu erlernen, oder aber von dort einen Mullah (Lehrer) mit nach der Ansiedlung zu nehmen. So fuhren wir noch ca. 400 Klm. auf dem Wagen zusammen, und der Freund und Bruder fand noch manches Wichtige dem Freundes- und Bruderherzen anzuvertrauen. In Taschkent hatte ich wieder Schwierigkeiten mit dem Paß, doch gelang es endlich, dieselben zu beseitigen, und so fuhr ich denn am 31. Aug. gegen Mittag von Taschkent ab und eilte per Dampfroß der Heimat zu. Obwohl ich 12 Tage und Nächte im Eisenbahnzuge zuzubringen hatte, ging doch die Reise, Gott sei Dank, sehr gut. Zwar hegten wir einige Bedenken, weil ich ganz allein die weite Reise machen mußte und noch dazu durch verschiedene Provinzen reiste, in denen die Cholera in ihrer ganzen Schrecklichkeit hauste, doch hat mich Gott überall wunderbar bewahrt. Wie ganz anders war es nun doch auch gegen damals, als ich hinreiste; war ich doch nun imstande die russ. Sprache zu verstehen und zu sprechen. So kam ich denn glücklich und wohlbehalten bis Samara, wo ich Geschw. Vollrath besuchte und mit ihnen, sowie auch mit den dortigen russ. Geschwistern, einige Tage süße Gemeinschaft haben durfte. Von da reiste ich weiter bis Süd – Russland, wo ich Geschw. Wölk und andere teure Geschw. besuchte.
In der Stadt Ekaterinoslaw bekam ich wieder von neuem Schwierigkeiten mit meinem Paß, der sich als längst abgelaufen und ungültig erwies. Hätte nicht unser deutscher Konsul so tatkräftig für mich dort gefochten, man hätte mich gezwungen, wieder die weite Reise zurück nach Taschkent anzutreten. Doch Dank seines energischen und klugen Vorgehens konnte ich nach Verlauf von 4 tagen schon meinen Reisepaß in Empfang nehmen.
Im Besitze eines richtigen Passes passierte ich nun auch glücklich die Grenze und langte wohlbehalten in Berlin, in der lieben Bibelschule, an, wo ich, wie immer, gastfreie Aufnahme fand, die ich auf einige Tage genoß, mich freuend, die Brüder, die unserm Werk ein so warmes Interesse entgegenbringen, noch einmal von Angesicht zu sehen. Nachdem ich mich noch kurze Zeit in meiner Heimat, im Siegerland, aufgehalten hatte, kam ich durch die gütige Vermittlung von Br. W. hierher  nach Bremen, wo ich bis Weihnachten im großen städtischen Krankenhause mich etwas in Krankenpflege auszubilden gedenke. Anfangs Januar beabsichtige ich dann, so Gott will, nach England zu reisen, um einen 6 monatlichen homooepathischen Kursus zu besuchen. Es wird dieses von außerordentlicher Wichtigkeit für mich sein, da ich später wieder nach Turkestan zurückzugehen gedenke, wo wir dann die erworbenen Kenntnisse sehr dienlich sein werden. Zur Ehre des Herrn muß ich noch bemerken, dass Gott sich auf der ganzen Reise, in Rußland sowohl als auch in Deutschland, zu Seinem Worte bekannt, uns in den Versammlungen gesegnet und das Interesse, trotz der bestehenden Schwierigkeiten mehr geweckt und vermehrt hat. Gelobt sei Er! Helft auch bitte mitbeten, meine geliebten Brüder und Schwestern, daß Gott alle diejenigen, die in diesem Werke arbeiten, ausrüsten möge mit der Kraft seines Heiligen Geistes, damit wir in den Stand gesetzt werden, das Werk, welches Er uns anvertraute, hinauszuführen zum Preise und zur Verherrlichung Seines Namens.
Allen lieben Geschwistern, die mitgeholfen haben durch Gebet und Gaben auf diesem Wege noch einmal herzlich dankend, verbleibe ich mit vielen Grüßen Ihr im Herrn Jesu verbundener

Rudolf Bohn.

 

 

Lose Blätter aus meiner Kolporteurtasche.

Von Fr. Bartsch (Rußland)

(Fortsetzung)

Wie gering schätzend von oben herab da mancher urteilte, wenn ich in seine Wohnung kam, ihm Gottes Wort anzubieten! Und doch wäre dies das einzige Mittel gewesen, viele aus der Grube zu erlösen und ihre Füße auf einen Fels zu stellen, die sittlichen Schäden, wie die Seelen überhaupt zu heilen. Doch gab es auch andere Leute. Polkownik Oberst Zerpitzky*) Komandeur des (12. oder 17.) Linienbatailons, Glied der Russ. Bibelgesellschaft, hatte vor uns im Laufe einiger Jahre gegen 6000 Expl. Heiliger Schrift verbreitet und wurde, so lange er in Taschkent war, unser regelmäßiger Kunde. Im Durchschnitt konnte ich bei der Hauskolportage weit mehr an Köche, Offiziersburschen, Dienstboten, als an deren Herren verbreiten, doch gab es auch Ausnahmen.
In meinem Hause, dessen Fenster weit offen standen, machte ich den Bewohnern mein Anerbieten von der Gasse aus. Ein junger Mann, kaufte eine russische Bibel mit den Worten: “ Gott hat Sie zur rechten Stunde hergeführt; wir haben heute die Mutter begraben.“ Möchte die Saat in dem so gepflügten Boden aufgegangen sein und Frucht gebracht haben. Oft haben Leute ihr letztes Geld her um ein Testament zu kaufen; ja, es kam vor, daß sie es erst leihen mußten.
In einer Zeit war die Streitfrage um Kuldscha zwischen China und Russland durch Russlands Nachgiebigkeit erledigt worden. Das Militär kehrte von der Grenze Chinas nach Taschkent zurück, so daß etwa 10,000 Mann in der Stadt standen. Anfänglich hatte ich keine Kasernen besucht, sondern Soldaten nur gelegentlich auf Straße und Markt Gottes Wort angeboten, doch wurden mir bald auch zu den Kasernen vom Herrn die Türen geöffnet und sogar Hauptorte der Verbreitung.
Allerdings waren die Mannschaften nicht immer für mich zu haben, waren bald auf Wache, bald zur Schießübung oder in anderm Dienst. Am sichersten traf ich sie zwischen 11 und 2 Uhr mittags. Es war erfreulich, wie an den meisten Stellen sich diesen wenig geschulten Leuten (viele lernten erst im Dienst notdürftig lesen, manche auch gar nicht) für Gottes Wort interessierten.
Meine Methode war folgende: Ich besuchte immer eine halbe Rotte (Compagnie), legte gewöhnlich auf vier Plätzen Schriften aus, um welche sich dann bald die Leser gruppieren, und es dauerte nicht lange, so nahm der eine dieses, der andere jenes Buch. Merkte ich, daß wenig Interesse da war, so las ich selbst laut vor. Hörte die Kauflust auf, so nahm ich die nicht verkauften Bücher und ging, wenn es die Zeit erlaubte, in die nächste halbe Rotte. Ich traf meistenteils die Mannschaften auch beim Mittag, und oft nötigten sie mich an ihren Mahlzeiten teilzunehmen, was ich auch selten absagte. Ich muß sagen, daß die Klage über schlechte Beköstigung der Soldaten hier in Taschkent nicht zutraf, man konnte meistens mit Appetit daran teilnehmen.
Kam es vor, daß bei der Kolportage es sich jemand herausnahm über Gottes Wort Witze zu machen, so wurde er meistens von den eignen Kameraden zurecht gewiesen. Geschah dies nicht, und musste ich es tun, so durfte ich sicher rechnen, die Sympatie der meisten auf meiner Seite zu haben. Oft ermunterten Feldwebel und Unteroffiziere die Mannschaften zum Kaufen Heiliger Schriften. Mehrmals hörte ich sagen: „Der Mensch lebt nicht von Brot allein, die Seele braucht auch Gottes Wort.“ Ein Feldwebel im Schützenbataillon No. 1 lieh solchen, denen es am nötigen Geld zum Kaufen fehlte, dasselbe, er mag es auch manchem geschenkt haben. Aufmunterungen und Erklärungen meinerseits wurden an den meisten Stellen willig angehört. Bald war ich in fast allen Kasernen ein gern gesehener Gast, und es kam vor, daß, wenn ich in einer Kaserne längere zeit nicht gewesen war, die Soldaten derselben, wenn sie unterwegs mich trafen, mich etwa so anredeten: „Nun, Landsmann, wie kommt es, daß Sie schon so lange nicht bei uns waren? Kommen Sie nur, es sind schon wieder Liebhaber von Gottes Wort da, die früher nicht gekauft haben.“ Die im Turkestanischen Gebiet dienenden Soldaten waren meist aus dem Tobolsker und Permen Gouvernemet, und so kam es, daß, als ich 5 Jahre später dort kolportierte, ich von manchem früherm Soldaten wiedererkannt und als guter Freund begrüßt und aufgenommen wurde.
Noch möchte ich aus dem ersten Herbst und Winter von einem Fall göttliche Durchhilfe berichten. Im Allgemeinen war ja das Eintreten wirklicher Not im Dienste der Bibelgesellschaft ausgeschlossen, denn wenn die Ausgaben unsere Einnahmen überstiegen, so sandte die Direktion dem Bruder das nötige Geld. Nun trat jedoch der Umstand ein, daß der Bruder behufs Verheiratung eine Reise in die noch ganz junge mennonitische Kolonie bei Aulieata, 350 Werst von Taschkent machte. Dieser Weg mußte mit Postfuhtwerk zurückgelegt werden, wozu hin und zurück etwa 50 R. nötig waren. So liquidierte der Bruder also aus der Depotkasse sein fälliges Gehalt, so daß diese ziemlich leer war, sagte mir bei seiner Abreise etwa Folgendes: „Du weißt, daß am 1. Dez. die Depotmiete fällig ist, was pränumerando auf ¼ Jahr 75 Rubel beträgt. Sei nur recht tätig, daß das Geld zur Zeit da ist.“ Mir war bange, aber ich verzagte nicht, sondern sagte es Gott, dessen Beides, Silber  und Gold ist, und vertraute auf Seine Durchhilfe. Äußerlich besehen hatte ich keine Aussicht, das nötige Geld aufzutreiben, denn die Stadt war durchkolportiert, und die Hauskolportage war so wie so immer die schwächste, kam ich doch von manchen Ausgange sogar ohne Verkauf zurück. Die Kasernen hatte ich, soweit mir bekannt, alle durch gegangen und konnte auf gute Verbreitung, menschlich geurteilt, nichr rechnen. Wenn ich nun auch schon bis zur Rückkehr des Bruders kein Gehalt nahm, sondern mich bemühte unsern Unterhalt von den uns bestimmten Verkaufsprozenten zu bestreiten, die wir außer dem Gehalt erhielten, so war doch 75 R. für die kurze vor mir liegende Zeit eine bedeutende Summe, zudem der Büchervorrat im Depot ziemlich dünn und auf Büchersendung von Petersburg vorerst nicht zu rechnen, da sie von Orenburg 2000 W. per Karawane auf Kamelsrücken kam.
Die erste Woche nach Abreise des Bruders versprach mir denn auch durchaus keinen Erfolg: es war recht flaue Kolportage. Da wir hatten bis zum 1. Dez. noch etwa 4 Tage und von den nötigen 78 R. noch keine 20. treffe ich einen Soldaten, der mir ein grob gedrucktes N. Test.mit Psalter Moskauer Ausg. Zu 1 K. abwannt. Ich kannte alle Taschkenter Soldaten nach ihrer Uniform, diesen aber nicht. Deshalb fragte ich ihn, zu welcher Truppengattung er gehöre. „Ich bin Sapeur“(Pionier) war die Antwort, „unsere Kaserne ist außerhalb der Stadt am Samarkander Wege, hinter uns ist noch das Arsenal und Arsenatorium.“

Fortsetzung folgt.

*) Dieser Brave zeichnete sich im Jap. Kriege als Generalleutnant rühmlichst aus, durch Verteidigung des Rückzuges von Mukden. Er erlag nach dem Friedensschluß den Folgen seiner Wunden.
   
Zuletzt geändert am 23 November, 2018