Reisebericht von Isaak Fast nach Turkestan in „Zions-Bote“ Nr. 30 vom 29. Juli 1903, Seiten 2 und 5

 

Zugeschickt von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung „Zions-Bote“ Nr. 30 vom 29. Juli 1903, Seiten 2 und 5. (gotisch) von Elena Klassen.

 

 

Meine von der Sitzung bestimmte Reise nach Asien, die eingentlich schon im Herbst 1902 stattfinden sollte, kam erst im Frühjahr 1903 zur Ausführung.
Br. Jakob Martens und ich bestiegen den 7. April den Postzug, der uns bis Rostow brachte, wo wir umstiegen und dann ohne jeden Aufenthalt den 9. des Abends in Baku eintrafen. Schön, lehrreich und interessant ist die Natur in dieser Gegend überall. Zur Rechten ragt das Gebirge mit dem auf der Gebirgesspitze befindlichen ewigen Schnee majestätisch in die Luft, und in den Tälern sieht man das üppige Grün und Schafe, Büffel, Ochsen und Esel auf der Weide. Groß und immer größer wird uns Gott in der Schöpfung und Erhaltung aller Dinge. Sehr richtig bemerkt Spurgeon, daß, wenn wir mit offenen Augen durchs Leben gehen, und alles, was wir sehen eine Predigt sein und zur Anbetung anspornen kann. Die Gegend von Kassaw – Jurt (Chassaw – Jurt, in der Tereker Ansiedlung – E.K.), war uns der Ansiedlung der Molotschnaern wegen wichtig. Man schaut dann an solchen Orten aus, ob man nicht irgend einen Bruder trifft. Unser Flehn ist, Herr segne diesen Orte in jeder Beziehung.
Als unser Zug in Petrowsk hielt, stiegen etwa 40 Arrestanten aus, darunter eine scheinbar vornehme Dame. War sie eine Verbrecherin oder ging sie mit ihrem Manne mir, der vielleicht ein Verbrecher war? Wir konnten es nicht erfahren. Sünde, dachte ich, sei dochwohl Ursache, daß diese zum Lobe Gottes Bestimmten zwischen Schwertern marschieren mußten. Von Petrowsk fuhren wir etwa 12 Stunden am Ufer des Kaspischen Meeres entlang. Den 10. stiegen wir ins Schiff, das uns bei Sturm in 18 Stunden bis Krassnowodsk brachte. Von einer schönen Seefahrt konnte keine Rede sein, denn das Schiff schaukelte so stark, daß Gegenstände wie Gläser u.s.w von den Tischen fielen und man sich buchstäblich auf dem Lager festhalten mußte, daß man nicht hinunter rollte. Es hörte sich, als ob das Schiff in seinen Fugen krachte, und kein Wunder, wenn die Jünger Jesu beteten und baten: „Herr, hilf uns, wir verderben!“ Die Folgen von solchem Schaukeln war, daß unsere Magen stark in Mitleidenschaft kamen und alles was sie besaßen, hergeben mußten. Nun Gott sei Dank, wir hatten in Krassnowodsk wieder festen Boden unter unsern Füßen und schon nach einigen Stunden brauste schon wieder der Eisenbahnzug mit uns auf harter Erde weiter, und da scheints für uns Landleute sicherer. In drei mal 24 Stunden erreichten wir Taschkent. Land und Bevölkerung machten hier keinen guten Eindruck auf uns, einmal ist die Erde dort etwas weiß und unfruchtbar und das Volk unlustig und hoffnungslos, doch sind ja auch Stellen, wo man durch Bewässerung Ernten erzielt, wie z. B. um Aschabad herum. Die Hälfte des Weges im Bucharischen und bei Taschkent, größtenteils jedoch, unserer Ansicht nach, wird sich wohl für den Ackerbau nicht gut eignen. Merkwürdig war uns das Museum bei der Station Gnock Teppe (Geok – Tepe, Turkmenistan – E.K.) Zur Erinnerung des Krieges mit den Tekizen (Tekke, ein turkmenischer Stamm – E.K. ) war dasselbe errichtet, und die Helden in Guß, Kanonen, Flinten, Schwerter und verschiedenens mehr, alles von der damaligen Zeit, sieht man da. Dieses alles, wie auch die vielen Gräber daselbst un der ruinierte Festungswall, erinnern an die Schrecken des Krieges. Ja die Zeit soll noch kommen, wo aller Krieg aufhört und die Schwerter zu Pflugscharen verwendet werden.
Nun sind wir in Taschkent und wollten gerne Brüder treffen, doch nein, sie sind nicht da, könnens auch nicht, denn sie haben unsere Depesche nicht zur zeit erhalten und dazu war bei ihnen Saatzeit, daß es deßwegen für sie auch unmöglich war, nach Taschkent zu fahren. Die Post benutzten wir nun, um nach Aulieata, ihrer nächsten Stadt, zu gelangen. Eine angenehme Fahrt war`s nicht, da der Weg jetzt im Frühjahr von den vielen Kameelenzügen sehr löcherich getreten war und die Postkutscher kennen und haben kein Erbarmen mit den Passagieren, und mit den Tieren, die sie mit groben Peitschenhieben behandeln, erst recht nicht. Nun der liebe Herr gab uns Kraft und Gesundheit, daß wir den 18. April in Aulieata eintreffen konnten, wo die Brüder Kröker, Koop, martens und Wiebe schon drei Tage gewartet hatten. Es giebt dann bei Begrüßung so besondere Augenblicke und Empfindungen, die nicht gut in Worten auszudrücken sind, haben dann so einen kleinen Vorschmack, wie es einst nach vollbrachtem Pilgerleben sein wird. Zwei Stunden Pause, dann gings ihrer 70 Werst entlegenen Ansiedlung zu, wo wir nach 13 tägiger (??? – E.K.) Fahrt eintrafen. Bei meinen  leiblichen Verwandten Heinr. Krökers wurde mir liebevolle Herberge. Schwester Kröker leidet seit längerer Zeit an Asthma, u. würde wohl wenn es dem Herrn gefiel, aufgelöst und daheim sein wollen. Montag den 20. Apr. War im Gnadentaler Bethaus Versammlung, die gut besucht war, wo der Herr Gnade gab, den Hungrigen das gegebene Brot des Lebens zu teilen. Nachmittag fand die Versammlung im Koppenthaler Bethaus statt. Dann wurden in der Woche, weil es Saatzeit war und die Versammlung nicht alle Tage stattfinden konnte, zwei Versammlungen in der Woche bestimmt, einmal in Gnadentaler und das andere Mal im Koppenthaler Bethaus, so jede Woche unseres Dorfseins. In den andern Tagen machte ich, zuweilen auch Br. Martens mit mir, in Gemeinschaft mit einem Bruder, Kröker oder Mantler, Hausbesuche, wobei ich die verschiedensten Erfahrungen machte. Da fühlt man manchmal ganz besonders den Segen des Herrn, wenn einmal die Herzen sich so gegenseitig aussprechen und man hat Gelegenheit mehr wie sonst in Familien und Herzen zu schauen. Da betet und ringt mancher Vater und manche Mutter um die Rettung der Kinder, man sieht auch oft ein, daß man nicht weise genug war in der Kindererziehung. Da trifft man Witwer, Witwen und Waisen, die des Trostes bedürftig sind und sich freuen, wenn zu ihnen gesprochen wird. Von Bedeutung sind die Worte des Apostels jakobus: „Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Vater ist der, die Wittwen und Waisen in ihrer Trübsal besuchet und sich von der Welt unbefleckt halten.“ Da besuchten wir einen Bruder Giesbrecht, Neffe des verstorbenen Bruders Giesbrecht in Rückenau, der an den untern Teilen des Körpers gelähmt und nur sitzen oder liegen konnte. Recht schwer wars seine Frau mit kleinen Kindern, aber auch schwer für ihn, doch konnte er seines Vaters Rute küssen, ergeben und getrost im Leiden sein; letzteres lernt man wohl in der Hochschule, wo unser Meister die Leitung hat. Im Glaubensleben Laßgewordene fassen neuen Mut u. man freut sich mit ihnen. Ein etwa 80 jähriger Greis rühmte Frieden gefungen zu haben, freute sich und dankte kindlich dem Herrn. Es war für uns mit ihn und seinen Kindern eine gesegnete Stunde. Das und Ähnliches mehr ist so etwas von der Arbeit in der Zeit, wenn nicht Versammlung war. In dem Dorfe Orloff, wo größtenteils Lutheraner wohnen, fand auch eine gutbesuchte Versammlung statt, zu der üch über Seligwerden sprechen durfte. Wie immer die Zeit eilt so wars auch jetzt wieder, denn der letzte Sonntag, wo Schluß unseres Dorfseins gemacht werden sollte, war angebrochen. Im Koppenthaler Bethaus wurde an diesem Sonntage die Andacht eingestellt, um noch einmal alle gemeinschaftlich zusammen zu sein und zwar in Gnadenthal. Unvergeßlich wird uns auch dieser Tag bleiben, wo wir besonders die Nähe unseres Heilandes fühlten. Nachmittag scharten wir uns um den Tisch des Herrn, wuschen uns nach dem Beispiel unseres Heilandes die Füße. Dann folgte zum Schluß Liebesmahl und gegenseitiger Abschied. Wie schön ists, daß Kinder Gottes die Hoffnung haben, sich gewiß wiederzusehen, wenn nicht hier, dann doch in dem Himmel, ja sie sehn sich nie zum letzten Mal, solches sang uns auch noch der Chor, nicht nur ins Ohr und ans Herz, sondern ins Herz hinein.
Von den Erfahrungen, die die Geschwister seit ihrem Auszug von der Molotschna und Saratow gemacht, konnte ich nicht genug hören. Alles zusammen genommen wäre wirklich wert, eine Geschichte darüber zu schreiben. In irdischer Hinsicht haben die Geschwister, nachdem sie viel Schweres durchlebt, ihr gutes Fortkommen. Mißernten, sagen sie, haben sie, nachdem sie die Bearbeitung des Bodens wie auch die Bewässerung gelernt, keine. Bauholz, welches sie anfänglich mit großer Mühe aus den Wäldern von den Bergen holen mußten, haben sie gegenwärtig an ihren Straßen, wo sie zu beiden Seiten etwa 4 Reihen Pappeln gepflanzt, die bis 80 Fuß hoch gewachsen und so gerade sind wie die Fichten. Zwischen diesen Bäumen läuft das Wasser, weswegen die Bäume auch wohl so viel Triebkraft haben. Aus diesen Kanälen zu beiden Seiten der Straße führen sie durch kleine Nebenkanälchen das Wasser in die Gärten und dieselben gedeihen folgedessen sehr gut. Ungesundes Obst kennt man dort kaum. Beweis davon lieferten die schönen Äpfel vom Vorjahre, die ich dort täglich aß. Überhaupt durchziehen ihre Steppen größere und kleinere Kanäle aus den größern, wodurch sie nötigenfalls alles unter Wasser lassen. Wie überall, so ist auch der Teufel dort kein müßiger Zuschauer, denn er versteht gut, wann und wo es Unfrieden geben kann und wenn die Ursache das Wasser wird, dann freilich können sie nicht alle zugleich die Steppen bewässern.
Gott hat die Erde so beschaffen, daß überall Menschen leben und fleißige Hände sich nähren können und mein Eindruck von den Mennoniten in Asienist der, sie haben Brot, noch mehr, sie haben Überfluß, und das Brot des Lebens fehlt ihnen auch nicht.
Als ich eines Tages die Gegend und die Dörfer so in Augenschein nahm, dachte ich an die Worte des Psalmisten wenn er sagt: „Um Jerusalem her sind Berge.“ Das war wohl schön, aber der Nachsatz: „aber der Herr ist um sein Volk her,“ viel herrlicher. Ja wenn Letzteres der Fall ist, dann mag das um unsere Brüder in Asien wohnende zahlreiche Volk komplotieren, wie solches schon geschah, doch noch zur Zeit entdeckt wurde, der Herr ist um sein Volk her und ohne seine Zulassung kann und darf nichts geschehen.
Während bei unsern Deutschen allgemeiner Fortschritt bemerkbar ist, sieht man bei den Kirgisen das große Gegenteil. Man sieht bei ihnen keinen Baum, keine weiße Stelle an und in ihren Wohnungen, ja nicht einmal Fenstern in denselben, größtenteils wohnen sie Sommer und Winter in Jurten; in denselben hat man im Winter ein kleines Feuer, an welchem man sich wärmt; daß dasselbe nicht erlischt, dafür hat das arme Weib zu sorgen, die beinah den ganzen Tag hindurch irgendwo Reiser sammelt, während der Mann, dessen Aufgabe es wohl wäre, dafür zeitgemäß zu soregn, irgendwo mit Seinesgleichen herumbummelt. Ebenso besorgen sie auch kein Futter fürs Vieh im Winter, dasselbe muß sich wissen, obs nun leben bleibt oder verhungert. Wenn dieses Volk an die Lehre Christi glaubte, dann müßte man zu der Schlußfolgerung kommen, sie hielten sich irriger Weise an Matth. 6, 34.
Viel trauriger noch ists in geistlicher Hinsicht. Das arme umnachtete Volk kennt Gott nur dem Namen nach, obgleich ihre Priester alle Tage an dazu bestimmten Orten Muhamed! Allah! aus aller Kehle schreien, daß einem beim Anhören unheimlich zu Mute wird. Und doch ist keine Stimme noch Antwort. Ich dachte dann oft an Israel, als es auf dem berge Karmel versammelt war, an Elias und an die Propheten Baals. Trostlos, hoffnungslosund friedeleer lebt das Volk. Laßt uns ernstlich für dasselbe beten, daß sich Türen öffnen und Arbeiter finden, die es als ihre Aufgabe ansehen, diesen Armen das Evangelium zu bringen. (Ist es erlaubt? Edr.) Von Bedeutung ist es doch, daß unsere Brüder im Samarischen, Orenburgischen, Ufimschen, Sibirischen, Turkestanschen und im Kaukasischen unter diesem Volke wohnen. O Brüder, laßt uns überall, wo wir wohnen, wo wir reisen, das wirksame und würzende Salz sein, damit man Christus in uns sehe ja, daß wir noch für viele als offener Brief Christi zum Segen werden.
Taschkent war nun zuerst das Ziel unserer Reise, wohin uns der liebe Bruder Heinrich Martens fuhr, war auch kein kleines Opfer, die zweimal 350 Werst zu fahren, doch Liebe bahnt sich Wege und überwindet manche Schwierigkeiten. Als wir in Taschkent angelangt, wurde uns vom Stationschef mitgeteilt, daß wir nur bis Merv fahren können und daß von Ashabad kein Verkehr sei, denn infolge des Austretens des Wassers aus den Ufern der Flüsse, sei die Eisenbahn dort größtenteils unter Wasser. Das war für uns keine geringe Täuschung, hatten wir doch immer gedacht und auch gesprochen, wenn wir nur erst in Taschkent wären, dann wären wir so gut wie halb zu Hause; dazu war Br. Martens schon eine Woche kränklich und hatten auch noch einen alten 80 jährigen Greis mit, der zu seinen Kinder nach dem Kuban wollte, der die Wagenreise schon beinah nicht aushielt, und nun hieß es, jene Stelle auf Kameelen reiten oder per Post nach Orenburg fahren. Wir blieben in Taschkent, das uns wirklich Mara wurde; murren gerade durften wir nicht, aber ganz ruhig sein konnten wir auch nicht. Nach drei Tagen Harrens und Betens entschlossen wir uns, mit Zurücklassung des alten Br. Kröker, der dann mit Br. Martens wieder zurückfuhr, weiter zu reisen. In Merv eingetroffen erfuhren wir, daß das Wasser um etwa einen Fuß gefallenwar und erkannten darinnen eine Gebetserhörung, auch wurde an diesem Tage zum ersten Mal seit dem 23. April die Post übergebracht, mit welcher, wenn auch auf unsere Gefahr, wir Freiheit hatten, bis zu dem Wasserschauplatz mitzufahren. 5000 Soldaten die da arbeiteten, hatten auf den schwierigsten Stellen Fußbrücken gemacht, wo wir dann übergingen. Endlich erreichten wir, ohne ein Kameel zu benutzen, Tennschent (Tedschen – E.K.), wo wir dann den Eisenbahnzug bestiegen und ohne jeden Aufenthalt Krasnowodsk erreichten. Das Wasser in Asien hat so starken Fall und läuft folgedessen so schnell, daß es mir bei Beobachtung so däuchte, als wenn jeder Tropfen sagen wollte, ich habe einen großen und wichtigen Befehl von meinem Schöpfer, muß daher eilen, mich meines Auftrags zu entledigen. Und wenn menschliche Hände diese vielen Tropfen wo aufzuhalten suchen, dann suchen sie sich einen andern Weg und reißen oft noch dadurch vieles andere mit, aber ihre Aufgabe muß ausgeführt werden. Die Anwendungen auf unser Leben, das so wichtig ist, wenn man so etwas beobachtet, bleiben im Gedanken ja dann auch nicht aus.
Nun wir waren wieder am Kaspischen Meer, das uns auf der Hinreise so ungemütlich wurde, auf der Rückreise jedoch gings besser, hatten unbedeutend über Unwohlsein zu klagen. Schiff und Eisenbahn brachte uns bald bis zur Station Bogaslawskaja, wo wir ausstiegen und einen Tag am Kuban weilten, dann eilten wir, um wieder zu den lieben Unsern zu gelangen, die wir auch noch etliche Tage vor Pfingsten gesund und wohlbehalten antrafen. Der Herr hat alles wohlgemacht, ihm sei Ehre, Preis und Dank!
Isaak Fast.

   
Zuletzt geändert am 18 November, 2018