Kopie der Zeitung „Mennonitische Rundschau“ Nr. 10, vom 6. März 1889, S. 1. (gotisch) von Elena Klassen.
Nachricht aus Chiwa.
Ak – Metsched, Chiwa, 15. Nov. 1888.
In diesem Jahre hat sich wieder Manches so ganz anders gestaltet, als es von uns erwartet, begehrt wurde. Von unserer beabsichtigten Ueberlebung nach Tschardschui ist nichts geworden. Auf diesbezügliche Bitten in Tschardschui, Buchara, wie auch durch den hier befindlichen, nämlich in Buchara, politischen Agenten, in Taschkent beim General – Gouverneur selbst, ist uns bis heute keinerlei Antwort geworden, dagegen machte uns eine hochgestellte Person, der Gouverneur von Taschkent, Andeutungen, doch uns auf seinem Gebiet bei Aulie – Ata niederlassen zu wollen, wo es unsern Glaubensgenossen gut ginge. Wir sagten ihm, daß wir es vorgezogen hätten, uns an einem Ort niederzulassen, wo unsere Glaubensanschauungen in keinerlei Widersprüchen mit den bestehenden Gesetzen stünden; uns aber nach dem Tode des Kaisers Alexander II., und dann des General – Gouverneurs Kaufmann stets gesagt worden sei, daß die Gesetze vor denen wir aus den alten Heimath gegangen, auch hier für uns beständen. „Nun ja,“sagte er ungefähr, „aber sie werden doch nicht zum Militärdienst gezogen.“ Ich muß es auch hier bemerken, daß die Beamten, hoch wie niedrig, uns stets freundlich und äußerst wohlwollend entgegengekommen sind. Wir bleiben also nach wie vor in Chiwa, wo uns dessen Fürst die unumschränkteste Glaubensfreiheit gewährt. Daß diese Freiheit, die uns anfangs nur auf vier Jahre gegeben, später auf unbestimmte Zeit verlängert wurde, schrieb ich schon früher. Auch Bruder Cl. Epp, der schon zu Ende des vorigen Jahres aus dem Kaukasus zurückkehrte, findet solches Bleiben ganz in der Ordnunhg, ja vom Herrn so bestimmt. Er hält nämlich dafür, daß gerade dies der Platz sei, wo der Herr die Seinen vor den Stürmen bewahren will, die seiner Zukunft vorangehen sollen. Diese selbst hält er wieder einmal für`s nächste Jahr 1889 fest. Doch ist es mit manchen seiner Offenbarungen oft anders gegangen, wie sie die Gemeinde glaibte auffassen zu dürfen. Seit einem Jahre gleicht unsere Niederlassung einer Handwerkercolonie, wie sie der frühere Regierungschef in Petro – Alexandrowsk zu gründen beabsichtigte. Wer noch kein Handwerk konnte, bemühte sich, ein solches zu erlernen. Haben wir auch keinen großen Ueberfluß, so hatten wir doch bisher unser Auskommen. Die Kartoffelernte ist beteutend spärlicher ausgefallen, als wir hofften, doch können die Meisten noch etwas und zwar für guten Preis verkaufen. Außerdem wird noch Butter, bisweilen auch Käse, erübrigt und zur Stadt gebracht. Und so haben wir denn nicht zu murren, es sei denn über unsere Sünden, auch nicht über Land und Leute. Obgleich wir viel häufiger mit ihnen zu thun hatten als in den frühen Jahren, so sind unsere Beziehungen durchaus nicht schlechter geworden: wir finden allenthalben, wo man uns kennt, gut Zutrauen. Viele nennen uns sogar Muselmänner, d.h. Gläubige und essen mit uns aus einer Schüssel. Vieles trägt dazu bei, daß wir keine Schweine halten, die sie bei den Russen so anekelten. Ja es ist ein versinstert Volk, das äußerlich vielfach mit großer Strenge an den Satzungen seines Propheten festhält, dabei aber geistlich und leiblich verkommt in Vielweiberei, Unzucht, Knabenschänderei und dgl. Groben Sünden und Lastern. Unsere Gemeinde zählt 40 Familien mit circa 200 Seelen beiderlei Geschlechts.
E. v. Riesen, im Gemeindeblatt. |