Kopie der Zeitung "Zions-Bote" Nr. 20, vom 10. August 1904, S. 8. (gotisch) von Elena Klassen.
Turkestan, Aulie Ata.
Ein jegliches unter der Sonne hat seine Zeit. Das erfuhren auch wir hier in diesem Winter wieder. Allen Freunden, Verwandten und Bekannten der Geschw. Corn. Wall diene zur Nachricht, daß sie beide nicht mehr hier weilen, sondern im Glauben sanft abgeschieden und beim Herrn sind. Br. Corn. Wall war geboren im Jahre 1839 am 23. Okt. in Ladekopp in Südrußland; Mutter Wall, geborene Elisabeth Penner, geb. 1840 den 16. Dez. in Rudnerweide. Sie traten im Jahre 1864 am 4 Nov. in den Ehestand und verlebten die meiste Zeit bis zur Auswanderung in Friedensruh (einige Jahre in Fürstenau). Im Jahre 1880 traten sie die viermonatliche Reise aus Südrußland hierher nach Turkestan an. Die Familie bestand damals aus 9 Seelen. Sie hatten schon früher in der alten Heimat und besonders hier in den ersten Jahren der Ansiedlung mit Armut zu kämpfen. In den letzteren Jahren aber ließ ihnen der Herr auch im Irdischen Segen zu teil werden.
Die Schwester hatte manche Schmerzen an einem wunden Bein zu leiden, war aber außer einigen Ausnahmen auf den Beinen bis der Herr sie morgens am 13. Jan. d.J. aufs Krankenbett legte, worauf sie am folgenden Tage abends 11 Uhr im Alter von 63 Jahren, 4 Monaten und 10 Tagen starb und ihren Gatten zurück ließ. Dieser war schon längere Zeit lungenleidend, mußte auch schon seit Herbst 1903 meistens das Zimmer hüten. So stand, oder saß vielmehr der Bruder und sah trübe in die Zukunft. Es schien, als ob ihn seine liebe Gattin, mit der er über 39 Jahre Freude und Leid im Ehestand geteilt hatte, bis ans Ende würde pflegen dürfen, aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Aber auch in diesem Zustande ließ ihn der Herr nicht zu lange auf die Wiedervereinigung mit der lieben Vorangegangenen harren. Schon am 47. Tage nach dem Verscheiden der Schwester wurden die Getrennten wieder vereinigt, indem der Herr auch den Bruder, so wie auch die Schwester durch einen sanften Tod, der wohl von niemand bemerkt wurde, den Leiden dieser Zeit entrücke. Er verschied in einem Alter vion 64 Jahren, 4 Monaten und 8 Tagen. Besonders schwer waren die letzten 10 Tage seines Hierseins. Sie hinterlassen 5 Söhne und 2 Töchter (ein Söhnchen ging ihnen durch den Tod voran), von denen nur noch der jüngste Sohn ledig ist. Von 35 Großkindern sind noch 18 am Leben.
Beide Leichen wurden unter zahlreicher Teilnahme von ihrem irdischen Wohnhause aus in Gnadenfeld (Wladimirowka) beerdigt.
Zu unserem Leidwesen eruhren wir durch Privatbriefe, da0 unser Onkel H. L. Janzen plötzlich aus diesem Leben in die Ewigkeit versetzt wurde. Für ein aufrichtiges Kind Gottes ists ja nichr erforderlich, daß erst längere Vorbereitungen auf den Tod geschehen müssen, aber doch wünscht, denke ich, niemand ein plötzliches Ende. Der Herr tröste und stärke die trauernde Hinterbliebene. Ich erwartete von den Angehörigen einen Bericht im „Zionsbote“. Der einzige leibliche Bruder des Verstorbenenen, unser lieber Vater, befindet sich seit dem 15 Dez. 1903 auf Reisen und zwar gegenwärtig im Süden Rußlands. Es sind dort außer ihm noch unsere Mutter und die drei Brüder; zwei Brüder fanden in der Krim Lebensgefährtinnen.
In No. 4 „Zonsbote“ 1904 finde ich Fehler, die hoffentlich auch ohne mein Zutun berichtigt werden. 1. warteten Geschw. Janzens nur Monate in Taschkent auf Ansiedlungs – Land; 2. sind unsere Kirgisen Mohammedaner und 3. traten Janzens ihre Reise von hier nach Amerika im Frühlinge 1885 an, also nicht 10 Jahre Aufenthalt in Asien.
Ferner möchte ich auf den oft gebrauchten Ausdruck „fernen Winkel der Welt“ in Betreff auf unsere Ansiedlung aufmerksam machen. Einen Winkel in den asiatischen Bergen darf man es wohl nennen und das mit Recht. Aber wenn von der Welt die Rde ist, dann weiß man doch, daß Asien die Wiege der Menschheit getragen und sich die Völker der Erden von hier aus verbreiteten; und dann nennt man unsern Teil Asiens doch Central – oder Mittelasien.
Am 16. Februar langte hier eine Reisegesellschaft, bestehend aus 8 Personen froh und wohlgemut an. Diese bestand aus folgenden Geschwistern: Brüder Heinr. Martens und Jac. Kröker und Geschwister Jac. Dycken, Jac. Reimers und Johann Koopen. Letztgenannte Brüder brachten ihre Gattinen aus Baschlikscha (Krim) mit. Die Brüder Martens, Kröker, Koop und Schwester Dyck standen längere oder kürzere Zeit in augenärtztlicher Behandlung in Simferopol.
Grüßend,
Heinr. Janzen. |