Kopie der Zeitung "Zions-Bote" Nr. 9, vom 26. Februar 1902, S. 1-2. (gotisch) von Elena Klassen.
Aus der Sandwüste in Asien.
Gnade sei mit Euch!
Wir sind jetzt schon den 8. Tag auf der Reise und sind bereits über 1100 Werst auf der Eisenbahn in Asien gefahren. Noch ca. 600 Meilen und dann sind wir da, wo soch das Fahren auf der Eisenbahn aufhört. Dann haben wir noch über vier Tage auf dem Wagen zu fahren, und wir erwarten den lieben Br. Joh. Klassen, welcher einst mit Frau bei uns war, daselbst, um mit ihn weiter zu fahren. Ihr werdet wohl neugierig sein, wie es uns auf dem Kaspischen Meer ergangen ist. Wir stiegen daselbst Freitag gegen Abend ins Schiff „Kawkas Merkurie“, ein Postdampfer. Wir gingen in die zweite Klasse hinein, woselbst es um 6 Uhr abends ein Mittag gab. In dritter Klasse sah es uns doch etwas zu unangenehm. Das Meer war nicht sehr unruhig; der Wind kam von Norden. Doch schaukelte es des nachts ziemlich, so daß Br. Bullers Mutter und Abr. Klassen etwas brechen mußten und unwohl wurden. Jedoch Br. Hübert und meine Wenigkeit blieben ganz davon verschont. In Krasnowodsk, wo wir übers Meer waren, welche Fahrt 17 Stunden dauerte, war es sehr schön und anmutig. Die Stadt liegt vom Norden von hohen Bergen geschützt. Da muß es im Winter recht warm sein Überhaupt haben wir hier recht warme Tage, denn es ist auch 800 bis 900 Werst südlich, wo wir uns jetzt befinden. Es hat gut, bis hierher gut gegangen; der Herr hat uns gnädiglich geführt. Wir fühlen uns noch alle recht munter und das Essen schmeckt uns gut.
Nun muß ich noch etwas von unserer Wüstenreise mitteilen. Von Krasnowodsk (von Kaspischen Meer) an ist es steinig und sandig. Es giebt noch einige Orte, wo Bäume wachsen, Baumwolle, Zuckerrohr und dergleichen. Aber dann viele Strecken, wo kein Dorf zu sehen ist und kein Vieh auf der Weide geht, denn da ist nur Sand. An vielen Stellen wächst solches Temaristenstrauch (Tamariskenstrauch? – E.K.), welches die Kameelen fressen. Diese Tiere trifft man dann auch in Massen; zu Hunderten gehen die Karawannen durch die Wüste, beladen mit Baumwolle und anderen Waren. Man fängt schon an die Baumwolle zu rupfen. Das Wetter war hier sonst schön, nur gestern abend war es windig, und dieweil es schon lange nicht geregnet, fing der Sand so an zu treiben, wie bei uns im Winter der Schnee. Die Telegraphendrähte und auch die Pfosten waren zuweilen in dem Sandtreiben garnicht zu sehen. Es wurde selbst im Waggon recht staubig, daß es für die Lungen nicht sehr angenehm war. Das ist ja denn etwas Ungewohntes und wirkt etwas drückend auf das Gemüt, sodaß Bruder Hübert meinte, es sei ihm so als müsse zu Hause etwas vorgefallen sein. Ich sagte ihm, das mache das trübe Wetter. Heute morgen, nachdem es in der Nacht schön geregnet hat und das Sandtreiben aufgehört, fragte ich Br. Hübert, ob er noch so fühle wie gestern abend. Darauf sagte er: „nein, jetzt ist alles in Ordnung.“
Heute morgen kamen wir bei dem Amudarja Fluß an, über welchem jetzt eine wohl an drei Werst lange, eiserne, gute Brücke geht. Früher ging die Eisenbahn über eine hölzerne Brücke, was sich aber aufhörte. Heute ist das Wtter etwas kühl, aber sehr angenehm. Die Weintrauben werden immer billiger; heute holten wir uns zu drei Kop. das Pfund recht schöne weiße.
Noch etwas über die asiatischen Völker. Die Eisenbahn wird hier allgemein von russischem Militär betrieben. Man trifft hier recht viele Soldaten aus unserem Rußland, welche sich viel Geld verdienen. Die Bewohner sind verschieden; Zarten, Kirgisen und andere asiatischen Völker. In den Städten bei der Bahn sind auch europäische Russen und Völker.
In Betreff unserer Beschäftigung. Es geht ein Tag nach dem anderen so dahin. Um nicht unnötig lange Weile zu haben, suchen wir uns urgend womit zu beschäftigen. Es wird Gottes Wort gelesen, woraus uns immer neuer Zufluß der Gnade des Herrn wird. Heute morgen lasen wir uns den 90. Psalm, wo besonders das Wort und nahe kam: „Fülle uns frühe mit deiner Gnade, so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang.“ Dann sehen wir auch manchmal auf der Karte nach, wo wir uns befinden und wie weit wir noch zu fahren haben. Br. Hübert hat so seine eigene Beschäftigung. Indem mein Stickel aus dem Eßkorb etliche mal beim Tragen herausgegangen war, so schnitzelt er mir einen amerikanischen Stickel aus. Es geht freilich infolge Gerätschaftsmangel etwas langsam, aber es ist Zeitvertreib. Die Zeit wird uns und unseren Lieben daheim etwas lang werden, ehe wir uns wiedersehen werden. Doch dann wird es uns auch wieder viel mehr wert sein, und wir werden den Herrn auch aufs neue loben und ihm danken. Wenn wir nur wissen, der Herr führt uns so, (und das glauben wir noch immer) dann geht es ja immer gut und richtig. Nur eigne Wege gehen recht gut und auch nicht recht. Wie ist doch Gottes Wort so groß und manighaltig. Da sieht man einmal die schönen grünen Steppen und Wiesen mit schönen Flüssen, ein andermal die erhabenen mannigfaltigen Berge, von welchen einige mit ewigem Schnee bedeckt sind, dann das Meer mit seinem Brausen, den Fischen und mit den vielen Schiffen; dann noch die Wüste und Einöde, und überall trifft man Menschen an. Alles das Mannigfaltige hat der liebe Gott geschaffen und verherrlicht seinen Namen dadurch. O daß wir ihn auch stets preisen möchten und Ursache fänden, seinen Namen zu erhöhen! Er hat uns vor vielen Völkern, besonders auch hier in Asien, viel Gutes erwiesen. Und bald kommen wir nach Hause, wo wir nichts mehr zu wünschen haben werden, wo wir ihn mehr erkennen und folgedessen auch mehr lieben werden. Möchten wir unsere Zeit recht nach seinen Willen ausfüllen; für ihn, und auch für andere Menschen da sein, ihr Heil zu fördern! Gott aber, der uns berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit, wird uns, die wir eine kleine Zeit leiden, vollbereiten, stärken, kräftigen und gründen. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen. Seid herzlich gegrüßt von uns allen, alle die ihr diesen Brief leset. Ich schreibe in aller unserer Namen! Wir getrösten uns der vielen Fürbitten. Es geht alles wohl. Auf Wiedersehen!
Euer Bruder
David Schellenberg.
24. Sept. 1901
Zweiter Brief.
Gottes Gnade und Liebe sei mit uns allen! Wir sind heute nach unserer Uhr etwa 10 Uhr vormittags glücklich und wohlbehalten in Taschkent angekommen und treffen am Bahnhof gleich mit dem lieben Br. Joh. Klassen zusammen und durften uns herzlich begrüßen. Br. Abr. Klassen sah ihn am ersten durchs Fenster. Unsere Sachen luden wir auf einen Zweiräder, mit welchem Abr. K. mitfuhr. Wir andere setzten uns auf einen Wagen der Pferdeeisenbahn und fuhren nach dem Quartier, wo wir dann noch etwas zu Fuß gehen mußten. So sind wir so weit, als uns die Eisenbahn gefahren hat, und nun solls mit einem Obijanerwagen (?? – E.K.) noch ca. 400 Werst gehen. Wir gedenken heute noch eine Station zu fahren, um womoglich zu Sonntag, den 30. Sept. bei den lieben Geschw. zu sein und mit ihnen gemeinschaftlich dem Herrn zu danken. Es hat hier recht sehr und schön geregnet, sodaß Br. Joh. Klassen ziemlich besorgt ist über unsere Rückreise auf offenem Wagen. Nun wir haben schon dem lieben Herrn gesagt und ihm unser Anliegen vorgelegt nach dem Wort des Herrn: „Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird dich versorgen und wird den Gerechten nicht ewiglich in Unruhe lassen.“ Er wird seine Verheißung auch an uns treulich erfüllen. Br. Klassen erzählt uns, daß sie mit ihrem Dreschen und Getreidereinigen noch nicht ganz fertig sind. Er hat noch so einen Klumpen Weizen von 60 bis 70 Tschetwert auf der Diele liegen und ist wegen dem Regen etwas besorgt darum. Er war schon vor einigen Tagen, schon Sonntag, hier angekommen, hat also Briefe und unser Telegram zur Zeit erhalten. Es ist doch eine große Gnade und Freundlichkeit vom lieben Herrn, daß wir so mit den Lieben in der Ferne verkehren können. Aber einen Telegraphen giebt es, der geht noch schneller, und das ist das zuversichtliche Gebet, das zum Himmel emporsteigt und dann die Erhörung, die wieder herab kommt. Möchten wir nur recht viel Gebrauch davon machen, denn das kostet kein Geld, wie diese Telegramme hier kosten. Wie es uns hier nun weiter ergehen wird, das liegt in des Herrn Hand. Wir erwarten Segen von Ihm aus seiner großen Fülle. Hoffentlich dürfen wir auch bald aus einem Briefe von den Lieben daheim vernehmen, daß der liebe Herr auch unsere Felder mit einem schönen Regen erfrischt hat. Hier in der Umgegend vor Taschkent sieht es recht grün und prachtvoll aus. Kein Frost hat bis dahin die Blätter beschädigt. Es sieht fast so aus, wie bei uns im Frühjahr. Jedoch als wir durch die Wüste und durch die Hungersteppe fuhren, da sah es nicht sehr nach Leben aus. Im Buchara Reiche waren auch recht schöne Ortschaften. Die Pflaumen, recht große, schöne, blaue, kosten nur 2 Kop. und die Weintrauben nur 1 ½ Kop. per Pfund und so schöne, süße, weiße, ausgereifte. Wenn man gerade nur so könnte, man würde gerne mal einen guten Korb voll heimschicken; allein es ist sehr weit. Melonen giebt gibt es hier sehr viele und Arbusen (Wassermelonen – E.K.) sehr große; man sieht also, es ist überall auf Gottes Welt zu leben, wer nur fleißig sein will und es sich gelegen läßt. Hier wird auch fast alles bewässert, darum ist auch der Baumwuchs so üppig und prachvoll.
Seid alle der Gnade Gottes befohlen. Wollen unser vor dem Throne Gottes fürbittend gedenken, indem wir wissen, daß der Herr Gebete erhört. Ich schreibe diese Zeilen im Gasthause, wo wir gedenken zu Mittag zu speisen und alsdann wollen wir unter Gottes Leitung weiter fahren. Gott mit uns, sei unsere Losung. Von Herzen grüßen wir Euch alle.
David Schellenberg, Joh. Hübert, Abr. Klassen und Joh. Klassen.
Taschkent, 25. Sept. 1901. |